Das Gehirn ist ein komplexes Organ, dessen reibungslose Funktion von vielen Faktoren abhängt. Einer dieser Faktoren ist Cholesterin, ein essentieller Bestandteil der Myelinscheiden, die die Nervenfasern umhüllen und für eine schnelle und effiziente Signalübertragung sorgen. Der Abbau und Wiederaufbau dieser Myelinscheiden sind charakteristisch für Erkrankungen des Gehirns wie der Multiplen Sklerose.
Die Bedeutung von Cholesterin für die Myelinscheide
Die Myelinscheide ist eine fettreiche Isolationsschicht, die die Nervenfasern umgibt und für eine schnelle und effiziente Weiterleitung elektrischer Signale sorgt. Cholesterin ist ein unentbehrlicher Bestandteil dieser Myelinscheide. Wenn Läsionen in Myelinerkrankungen wie der Multiplen Sklerose entstehen, geht diese Cholesterin- und Lipid-reiche Isolationsschicht verloren. Um permanente Schäden zu vermeiden, müssen die nun nackten Nervenfasern möglichst schnell wieder durch neu aufgebautes Myelin geschützt werden.
Cholesterin-Recycling und Neuproduktion bei Myelinschäden
Für die Erneuerung der Myelinscheiden muss das Cholesterin entweder aus geschädigtem Myelin wiederverwertet oder lokal neu produziert werden. In der akuten Phase der Erkrankung ist defektes Myelin im Überfluss vorhanden. Cholesterin wird aus defektem Myelin in Fresszellen aufgenommen und wiederaufbereitet den Myelin-bildenden Zellen zur Verfügung gestellt. Dieser Reparaturprozess verläuft in jungem Alter oft sehr schnell und reibungslos.
Je länger die Erkrankung allerdings dauert, desto weniger effizient verläuft dieser kritische Prozess. Fresszellen des Gehirns können sich in Schaumzellen umwandeln, die nicht mehr an der Wiederaufbereitung des Cholesterins teilnehmen. Der chronische und wiederholte Abbau von Myelinscheiden hinterlässt dauerhaft nackte Nervenfasern. Daher ist degeneriertes Myelin und Cholesterin in chronischen Läsionen Mangelware.
Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen unter der Leitung von Gesine Saher hat gezeigt, dass bei chronischen Schädigungen anders als bei akuten Schädigungen kaum Cholesterin recycelt wird, sondern die Neuproduktion von Cholesterin die Effizienz der Reparatur bestimmt. Unerwarteterweise leisten nicht nur die Myelin-bildenden Zellen selbst, sondern auch Nervenzellen einen wichtigen Beitrag zur Regeneration.
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Die Rolle von Nervenzellen bei der Cholesterinproduktion
Normalerweise decken Neurone ihren Cholesterin-Bedarf überwiegend durch die Aufnahme Lipid-reicher Lipoproteine. In akuten Läsionen ist die Cholesterinproduktion in Nervenzellen sogar noch weiter vermindert. Überraschenderweise kurbeln Neurone aus chronischen Krankheitsmodellen jedoch die Produktion von Cholesterin an.
Um die Relevanz dieser Beobachtung zu untersuchen, schalteten die Forscher die Synthese von Cholesterin in Neuronen und in Myelin-bildenden Zellen, sogenannten Oligodendrozyten, von Mäusen genetisch aus. In neuronalen und oligodendroglialen Mutanten war die Regeneration von Myelinscheiden in chronischen Läsionen stark vermindert. Anders als in glialen Mutanten verstärkte neuronales Cholesterin auch die Vermehrung von Vorläuferzellen der Oligodendrozyten. Einen ähnlich positiven Effekt auf diese Vorläuferzellen hatte die Behandlung mit einem Cholesterin-angereicherten Futter.
Die Forscher gehen davon aus, dass Neurone diese Mehrproduktion an Cholesterin zur Verfügung stellen. Davon profitieren alle anderen Zellen in chronischen Läsionen, die ihre Eigenproduktion an Cholesterin stark heruntergefahren haben.
Cholesterin und Alzheimer: Ein möglicher Zusammenhang
Der Cholesterinstoffwechsel im Gehirn beeinflusst auch das Risiko für Alzheimer. Wissenschaftler der Universität Bonn haben herausgefunden, dass Cholesterin-senkende Medikamente (Statine) das Risiko für Alzheimer reduzieren. Sie vermuten, dass unter der Therapie mit Statinen im Gehirn weniger Cholesterin gebildet und dadurch auch weniger Cholesterin abgebaut wird. Diese Wirkung der Medikamente war bislang unbekannt.
Statine können auch die Liquor-Konzentration von ß-Amyloid reduzieren, einem Protein, das für die Entstehung von Alzheimer entscheidende Bedeutung hat. Bei betroffenen Patienten finden sich massenhaft krankhafte Ablagerungen von ß-Amyloid im Gehirn. Die Abnahme des ß-Amyloid-Gehaltes und der Konzentration des 24S-Hydroxycholesterins, eines hirnspezifischen Abbauprodukts des Cholesterins, im Liquor korrelieren sehr gut miteinander.
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24S-Hydroxycholesterin als Schlüsselindikator für Alzheimer
24S-Hydroxycholesterin spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Diagnose von Alzheimer. Die Substanz wird beim Menschen ausschließlich im zentralen Nervensystem gebildet und kann nur in Form von 24S-Hydroxycholesterin die Barriere zwischen Blut und Hirngewebe überwinden. Sie ist deshalb ein hervorragender Indikator für den Cholesterinstoffwechsel im Gehirn. Bei Alzheimer-Patienten ist der Gehalt von 24S-Hydroxycholesterin im Liquor dauerhaft und im Blut zumindest im Anfangsstadium der Krankheit deutlich erhöht.
Chronische Entzündungen und gestörter Cholesterintransport bei Multipler Sklerose
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, bei der Immunzellen fettreiche Myelinscheiden abbauen. Der Wiederaufbau intakter Myelinscheiden ist notwendig, damit sich Patienten von ihren Behinderungen erholen. Aber das Regenerationsvermögen nimmt mit dem Alter ab.
Fettmoleküle aus der Myelinscheide, die nicht rasch aus Fresszellen abtransportiert werden, können chronische Entzündungen auslösen. Dies verhindert den Wiederaufbau der Myelinhüllen. Wenn Myelin zerstört wird, muss das Cholesterin, das dabei freigesetzt wird, aus dem Gewebe beseitigt werden. Diese Aufgabe erledigen Fresszellen, oder auch Mikroglia und Makrophagen genannt. Sie nehmen die beschädigte Myelinscheide in das Innere der Zelle auf, verdauen diese und befördern die unverdaulichen Reste über Transportmoleküle wieder aus der Zelle heraus.
Häuft sich jedoch in kurzer Zeit zu viel Cholesterin in der Zelle an, kann es passieren, dass Kristalle gebildet werden. Diese aktivieren in den Fresszellen ein sogenanntes Inflammasom, dass unter anderem dafür sorgt, dass Entzündungsmediatoren freigesetzt und mehr Immunzellen angelockt werden. Wie gut die Mikroglia und Makrophagen ihre Aufgabe erfüllen, hängt nicht zuletzt vom Alter der Versuchstiere ab: Je älter diese waren, desto schlechter funktionierte der Abtransport von Cholesterin und desto stärker waren die chronischen Entzündungen.
BCAS1-positive Oligodendrozyten als neuer Zelltyp für die Myelinregeneration
Eine weitere Studie liefert wichtige neue Erkenntnisse zur Myelinbildung. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckten einen neuen Zelltyp, eine besondere Form der sogenannten Oligodendrozyten, die für die Myelinisierung verantwortlich sind. Diese BCAS1-positiven Oligodendrozyten stellen eine Zwischenstufe in der Entwicklung dieser Zellen dar und sind nur relativ kurze Zeit nachweisbar- nämlich dann, wenn gerade Myelin gebildet wird. Sie könnten bei der Suche nach neuen Medikamenten zur Regeneration von Myelin helfen. So könnte man jetzt gezielt nach Substanzen suchen, die die Bildung dieser Zellen anregen.
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Gestörter Cholesterintransport und Schaumzellenbildung
Ähnliche Probleme wie bei der Multiplen Sklerose treten auch bei der Arteriosklerose auf. Hier kommt es zu Defekten bei der Erneuerung von Cholesterin-reichen Myelinscheiden. Das normale Recycling von Cholesterin aus defekten Myelinscheiden durch Fresszellen ist gestört. Dies führt zur Bildung von sogenannten Schaumzellen, die an Überfüllung mit aufgenommenem Cholesterin quasi „ersticken“. Die Bildung von Cholesterin in den Fresszellen bestimmt diesen Recyclingprozess maßgeblich.
In chronischen Hirnläsionen sind die Myelinscheiden dauerhaft verloren gegangen. Im normalen Regenerationsprozess nehmen Fresszellen Cholesterin und andere Lipide aus dem defekten Myelin mit dem Ziel auf, diese Stoffe aufbereitet für die Reparatur des Gewebes wieder zur Verfügung zu stellen. Mutante Tiere mit defekter Cholesterinsynthese in den Fresszellen des Gehirns konnten zwar noch Cholesterin aus degeneriertem Myelin normal aufnehmen, aber nicht recyceln. Viele Mikrogliazellen wandelten sich in Schaumzellen um und verstarben schließlich am Überfluss an aufgenommenem Cholesterin. Die Regeneration von Myelinscheiden war stark vermindert.
Desmosterol und Squalen als Schlüsselfaktoren für die Myelinregeneration
Wichtig für den Wechsel von degenerativen zu regenerativen Prozessen im Zuge des Abbaus und Wiederaufbaus der Myelinmembranen war besonders ein Zwischenprodukt der Cholesterinsynthese, Desmosterol. Dieses Vorläufermolekül bewirkte als Signalmolekül nicht nur die Aufbereitung des Cholesterins aus Myelin, sondern sorgte auch für ein pro-regeneratives Milieu. Der körpereigene Recyclingprozess der Myelinscheiden konnte durch pharmakologische Unterstützung der Cholesterinsynthese mittels eines frühen Zwischenprodukts der Cholesterinsynthese, Squalen, gefördert werden. Squalen ist ein neuer potenzieller Faktor in der Therapie von Myelinerkrankungen wie Multipler Sklerose.
Die Rolle von Gliazellen für die Nervenimpulsweiterleitung
Myelin wird im zentralen Nervensystem von einem speziellen Zelltyp hergestellt, den so genannten Oligodendrozyten. Es entsteht vorwiegend während der ersten Lebenswochen. Myelin umhüllt als dicht gepackter Membranstapel Nervenfasern und bedingt so deren elektrische Isolation.
Für die Leistungsfähigkeit des Gehirns ist es wichtig, dass ein Nervenimpuls möglichst schnell und präzise an sein Ziel gelangt. Im Laufe der Evolution entstand eine isolierende Hülle um die Axone, das Myelin, das die Leitungsgeschwindigkeit erhöht. Diese isolierende Hülle wird von dem zweiten Zelltyp des Nervensystems, den Gliazellen, gebildet.
Gliazellen sind nicht nur für die Energielieferung unentbehrlich, sie haben auch ein breites Spektrum zusätzlicher Aufgaben im Gehirn: Sie übernehmen den Stofftransport, regulieren den Flüssigkeitsaustausch und sorgen für die Aufrechterhaltung der Homöostase. Gliazellen kontrollieren das radiale Wachstum der Axone und bilden Membranfortsätze zwischen einzelnen Axonen, was eine elektrische Kopplung (also Kurzschlüsse) verhindert und damit entscheidend zur Präzision der Bewegungssteuerung beiträgt. Die Funktion von Gliazellen als aktive Modulatoren von Geschwindigkeit und besonders der Präzision der Erregungsleitung ist von großer Bedeutung.
Cholesterinbeschaffung durch andere Gehirnzellen
Der Einbau von Cholesterin ist für die Bildung der Myelinmembranen unentbehrlich. Dieser Service der Cholesterinbeschaffung wird von anderen Zellen des Gehirns geleistet. Die Versorgung der Oligodendrozyten mit Cholesterin ist dabei sogar so immens, dass sich die Myelinausstattung der Mutanten mit fortschreitendem Alter weitgehend normalisierte.
Amyloid-Beta und der Cholesterinstoffwechsel
Amyloid-Beta, dessen Akkumulation im Gehirn zum Morbus Alzheimer führt, hat eine wichtige Rolle im Cholesterinstoffwechsel. Amyloid-Beta greift an zentraler Stelle in den Cholesterinstoffwechsel der Nervenzelle ein, indem es die Aktivität der HMG-Reduktase hemmt, dem zentralen Enzym der Cholesterinsynthese. Außerdem aktiviert Amyloid-Beta die Sphingomyelinasen, Enzyme, die für den Abbau von Sphingomyelin verantwortlich sind. Ein zu hoher Lipidgehalt in den Zellen steigert die Produktion von Amyloid-Beta, mit der Gefahr, dass das Enzym zu Amyloid „verklumpt“ und akkumuliert. Eine Therapie mit Statinen könnte diese Akkumulation verhindern.
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