Genetisch generalisierte Epilepsie: Ursachen, Diagnose und Therapie

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte, unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, abnormale elektrische Aktivität im Gehirn. Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) definiert einen epileptischen Anfall als ein vorübergehendes Auftreten subjektiver Zeichen und/oder objektivierbarer Symptome aufgrund einer pathologisch exzessiven und/oder synchronisierten neuronalen Aktivität im Gehirn.

Epidemiologie der Epilepsie

Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. In Industrieländern liegt die Prävalenz bei 0,5-0,9 Prozent. Die Neuerkrankungsrate beträgt 40-70/100.000 Einwohner pro Jahr. Die jährliche kumulative Inzidenz aller Epilepsien beträgt über alle Altersgruppen hinweg 67,77/100.000 Personen. Es gibt zwei Häufigkeitsgipfel: einen in den ersten fünf Lebensjahren (Early-onset-Epilepsie) und einen weiteren jenseits des 50. Lebensjahrs (Late-onset-Epilepsie). Im Alter wird die höchste altersadjustierte Inzidenz von Epilepsien gemessen. Bei den über 65-Jährigen liegt die Inzidenz bei 90-150/100.000 Personen, und die Prävalenz steigt auf 1-2 Prozent bei den über 85-Jährigen. Dieser Häufigkeitsgipfel in der letzten Lebensdekade ist insbesondere mit dem Auftreten von Epilepsien nach Schlaganfällen und Hirntumoren sowie bei Demenzerkrankungen assoziiert. Schätzungsweise erleiden circa 5 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben einen Krampfanfall, ohne dass sich daraus eine aktive Epilepsie entwickelt. Bei Kindern und Jugendlichen kann ein solcher Anfall bei etwa 4-10 Prozent beobachtet werden, beispielsweise Fieberkrämpfe oder akut symptomatische Anfälle.

Klassifikation der Epilepsie

Aus pragmatischen Gründen wurden Epilepsien lange Zeit in symptomatische, idiopathische und kryptogene Formen eingeteilt. Die internationale Liga gegen Epilepsie überarbeitete 2017 ihre Klassifikation und Terminologie. Die aktualisierte ILAE-Klassifikation besitzt nunmehr eine dreistufige Grundstruktur:

  1. Anfallstyp bzw. Anfallsform: Hier wird zwischen generalisiertem, fokalem und unklarem Beginn unterschieden. Innerhalb der generalisierten Epilepsien wurde die Untergruppe der idiopathisch generalisierten Epilepsien wieder eingeführt. Dazu zählen Absence-Epilepsien des Kindes- und Jugendalters, juvenile myoklonische Epilepsien und Epilepsieformen mit ausschließlich generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.
  2. Art der Epilepsie: Epilepsien und die damit verbundenen Anfälle sind auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen. Aktuell werden folgende Ätiologien unterschieden: strukturelle, genetische, infektiöse, metabolische, immunologische und unbekannte Ursachen.
  3. Epilepsie-Syndrom: Wenn, unter Berücksichtigung der ärztlichen Befunde, des EEGs, der Symptomatik des Krampfanfalls und weiterer Aspekte durch die Ärztinnen und Ärzte ein spezifisches Epilepsie-Syndrom diagnostiziert wird.

Ursachen von Epilepsie

Grundsätzlich kann jedes Ereignis, das einen Schaden im Gehirn verursacht, ein potenzieller Auslöser für ein epileptisches Anfallsleiden sein. Die Medizin unterscheidet hier zurzeit strukturelle, infektiöse, metabolische, genetische und immunologische Ursachen.

Strukturelle Ursachen

Eine strukturelle Epilepsie ist mit umschriebenen pathologischen Hirnveränderungen assoziiert. Diese können erworben oder genetisch bedingt sein. Epileptogene Läsionen sind beispielsweise Hirntumore und Hirninfarkte, Kontusionsdefekte, vaskuläre Malformationen, Enzephalozelen, fokale kortikale Dysplasien, Polymikrogyrie der kortikalen Neurone, hypothalamische Hamartome oder eine Hippocampussklerose. Ebenso kann eine perinatale Hirnschädigung, oft infolge von Sauerstoffmangel während des Geburtsvorgangs, eine Epilepsie verursachen. Strukturelle Veränderungen am Gehirn entstehen beispielsweise durch Schlaganfälle oder Tumore. Die strukturellen Veränderungen können mitunter zu einem erhöhten Hirndruck oder Durchblutungsstörungen führen, die dann epileptische Anfälle begünstigen.

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Genetische Ursachen

In den letzten Jahren wurden mehrere Hundert Gene und Gen-Veränderungen identifiziert, die vermutlich oder sicher eine Epilepsie verursachen. Die Mehrzahl der Fälle der idiopathischen generalisierten Epilepsien (IGE) sind polygenetische Erkrankungen. Das Erkrankungsrisiko hängt von verschiedenen genetischen Suszeptibilitätsfaktoren und Umwelteinflüssen ab. Zu den IGE gehören die kindliche und die juvenile Absence-Epilepsie (CAE und JAE), die juvenile myoklonische Epilepsie und die Epilepsieformen mit ausschließlich generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Sehr viel seltener ist nur ein Gen betroffen (zum Beispiel Ionenkanal-Gene oder Neurotransmitter assoziierte Gene). Die Mutation kann vererbt werden oder de novo auftreten. Monogenetische Epilepsien weisen eine beachtliche phänotypische und genotypische Heterogenität auf. Beispielhaft sind das im ersten Lebensjahr beginnende Dravet-Syndrom, bei dem mehr als 80 Prozent der Patienten Mutationen im SCN1A-Gen aufweisen, und das sich in den ersten Lebenstagen manifestierende Ohtahara-Syndrom mit möglichen Mutationen im Gen STXBP1, seltener auch ARX. Ferner können nicht läsionelle fokale Epilepsien (non-acquired focal epilepsy, NAFE) in Teilen genetisch determiniert sein (speziell DEPDC5-Mutationen). So gibt es eine Reihe familiärer fokaler Epilepsiesyndrome, die klassischen Mendel’schen Erbgängen folgen - etwa die autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) oder die autosomal-dominante laterale Temporallappenepilepsie (ADLTE). Genetisch bedingt haben manche Menschen eine stärkere Veranlagung zu epileptischen Anfällen als andere. Die Forschung geht heute davon aus, dass bei diesen Patienten ein oder mehrere Gene defekt sind, die als Ursache der Epilepsie anzusehen sind. Häufig sind die betroffenen Gene nicht bekannt, und es müssen bestimmte Gen-Konstellationen vorliegen, damit es zu einer Epilepsie kommt. Daher sind diese Epilepsie-Ursachen meist nicht vererbbar, auch wenn sie neuerdings als genetische Epilepsien bezeichnet werden.

Idiopathisch generalisierte Epilepsien (IGE, nach neuer Klassifikation genetisch generalisierte Epilepsien, GGE) stellen eine Gruppe von altersabhängig auftretenden, meist gut therapierbaren, Epilepsieformen dar. Monogen vererbte Formen sind innerhalb der Gruppe der IGE selten und Veränderungen in verschiedenen Genen konnten nur in einzelnen Familien gefunden werden. Eine Ausnahme bildet die sogenannte Glukose-Transporter Störung (GLUT1-Defizienz), die sowohl mit schweren Krankheitsbildern, gekennzeichnet durch eine Epilepsie, eine verzögerte Entwicklung, ein vermindertes Kopfwachstum und eine Störung der normalen Bewegungsmuster, als auch mit speziellen Formen der IGE wie z. B. einer besonders früh beginnenden Absence-Epilepsie oder einer myoklonisch-astatischen Epilepsie verbunden sein können. Durch genetische Veränderungen in dem zugehörigen Gen ist die Funktion des Zucker-Transports vom Blut ins Gehirn eingeschränkt. Für Patienten mit einer Störung des Glukose-Transporters stellt die ketogene Diät eine spezifische Therapiemöglichkeit dar, da hierbei Ketonkörper statt Zucker die Energieversorgung des Gehirns übernehmen. Mögliche Hinweise auf das Vorliegen einer solchen Störung sind zusätzliche Bewegungsstörungen, etwa eine Gangunsicherheit oder unwillkürliche Bewegungen nach Belastung und eine Verschlechterung der Epilepsie nach Fasten und bei Nüchternheit. Die Diagnose kann durch Untersuchung des Zuckerwerts im Nervenwasser (Liquor) und/oder eine genetische Untersuchung gestellt werden.

Die meisten Formen der idiopathisch generalisierten Epilepsien werden durch das Zusammentreffen verschiedener Risikofaktoren verursacht. Die einzelnen Faktoren sind in der Mehrzahl noch nicht bekannt und eine genetische Untersuchung ist daher nicht immer sinnvoll.

Für einige selten auftretende fokale Epilepsieformen wie die familiäre Frontallappenepilepsie mit nächtlichen Anfällen und die familiär auftretende Temporallappenepilepsie mit Auren, die durch akustische Phänomene gekennzeichnet sind, sind genetische Ursachen bekannt und einer genetischen Untersuchung zugänglich. Auf die Therapie dieser meist gut behandelbaren Epilepsieformen hat das Wissen über die genetischen Ursachen allerdings keinen Einfluss, sinnvoll ist die genetische Diagnostik zur Vermeidung weiterer Untersuchungen und um eine genetische Beratung der Familie zu ermöglichen. Bei den häufiger auftretenden fokalen Epilepsien des Kindes- und Jugendalters wie der Rolando Epilepsie sind in den letzten Jahren einzelne genetische Veränderungen gefunden worden, die aber insgesamt nur einen sehr kleinen Teil der Epilepsien erklären. Eine genetische Untersuchung macht daher nur in Ausnahmefällen und bei schweren Verläufen Sinn.

Epileptische Enzephalopathien umfassen ein breites Spektrum schwer verlaufender Krankheitsbilder mit meist frühem Beginn, oft bereits in den ersten Lebenswochen oder -monaten. Neben der Epilepsie liegen unterschiedlich ausgeprägte Entwicklungsprobleme vor. Zu einem Teil lassen sich epileptische Enzephalopathien klar definierten Krankheitsformen wie dem Dravet-Syndrom zuordnen, deren genetische Ursachen bekannt sind. Auch für andere Formen wie dem West-Syndrom wurden mittlerweile eine Reihe genetischer Veränderungen gefunden, die für das Auftreten der Erkrankung verantwortlich scheinen. Kennzeichnend für diese Gruppen von Epilepsien ist die große Vielfalt möglicher genetischer Veränderungen, die oft zu ähnlichen Krankheitsbildern führen. Dies beschreibt gleichzeitig das Problem der genetischen Diagnostik, die sich meist nicht auf ein Gen beschränken kann (wie die Untersuchung des Gens SCN1A bei Patienten mit Dravet-Syndrom), sondern eine Vielzahl von Genen nacheinander oder mittels neuerer Methoden (wie der Gen-Panel-Untersuchung) abklären muss. Entsprechend dieser sogenannten genetischen Heterogenität sind für einen großen Teil der Patienten mit früh beginnenden, schwer verlaufenden Epilepsieformen die verursachenden genetischen Veränderungen noch nicht bekannt.

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Infektiöse Ursachen

Infektionen sind die weltweit häufigste Ursache von Epilepsie. Eine infektiöse Ätiologie bezieht sich auf Patienten mit Epilepsie und nicht auf Patienten, die Anfälle im Verlauf einer akuten Infektion erleiden. Infektiöse Ursachen können regional variieren; typische Beispiele sind Neurozystizerkose, Tuberkulose, HIV, zerebrale Malaria, subakute sklerosierende Panenzephalitis, zerebrale Toxoplasmose und kongenitale Infektionen - etwa durch das Zika- oder Zytomegalie-Virus. Zudem sind post-infektiöse Entwicklungen einer Epilepsie möglich, beispielsweise nach einer viralen Enzephalitis. Infektionen des Gehirns können unter anderem durch Borreliose hervorgerufen werden.

Metabolische Ursachen

Eine metabolisch verursachte Epilepsie ist direkte Folge einer Stoffwechselstörung, die epileptische Anfälle als Kernsymptomatik aufweist. Es wird angenommen, dass die meisten metabolisch bedingten Epilepsien einen genetischen Hintergrund haben und nur selten erworben sind. Metabolische Veränderungen, also solche, die den Stoffwechsel betreffen, stehen z. B. mit seltenen Stoffwechselerkrankungen, wie der Phenylketonurie in Verbindung.

Mit einer Epilepsie assoziierte Erkrankungen/Situationen sind u.a.:

  • Hypoparathyreoidismus
  • Hämochromatose
  • Porphyrie
  • Störungen des Aminosäurestoffwechsels
  • Pyridoxin-abhängige Epilepsie (PDE)
  • Hyponatriämie beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH)
  • Urämie
  • Hyper-/Hypoglykämie
  • zerebraler Folsäuremangel

Immunologische Ursachen

Eine immunologische Epilepsie ist auf eine autoimmun vermittelte Entzündung des ZNS zurückzuführen. Hierzu gehören vor allem die Kalium-Kanal-Antikörper (LGI1)-bedingte limbische Enzephalitis und die NMDA-Rezeptor-Antikörper assoziierte Enzephalitis (NMDA = N-Methyl-D-Aspartat). Bei den immunologischen Ursachen handelt es sich um Entzündungsvorgänge im Gehirn, z. B. wenn die eigene Körperabwehr (Immunsystem) das Hirngewebe angreift und es zu einer Hirnhautentzündung kommt.

Unbekannte Ursachen

Neben den zuverlässig differenzierbaren Epilepsien gibt es Formen, deren Ursache (noch) nicht bekannt ist. Eine spezifischere Diagnose als die elektro-klinische Einordnung, etwa als Frontallappenepilepsie, ist bei diesen Patienten nicht möglich. Diese werden heute schlichtweg als Epilepsie mit unbekannter Ursache bezeichnet. Sie erfüllen also zum Beispiel die Kriterien wie Anfallshäufigkeit von nicht-provozierten Anfällen, nach denen eine Epilepsie laut Leitlinie definiert und von anderen Anfallsleiden abgrenzt wird, jedoch ohne erkennbare strukturelle, immunologische, genetische, metabolische oder infektiöse Ursache.

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Pathophysiologie der Epilepsie

Bislang sind die neurobiologischen Zusammenhänge der Epileptogenese nicht bis ins letzte Detail verstanden. Man weiß allerdings, dass eine neuronale intra- und transzelluläre Übererregung (Hyperexzitabilität) einzelner Nervenzellen, Fehlkoordinationen von Erregung und Hemmung neuronaler Zellverbände, veränderte Zellmembraneigenschaften und eine fehlerhafte Erregungsübertragung synaptischer Netzwerke zu einer abnormen exzessiven neuronalen Entladung führen. Die dem epileptischen Anfall zugrunde liegenden paroxysmalen Depolarisationsstörungen sind meist auf ein Ungleichgewicht bzw. einer fehlerhaften Verteilung von exzitatorischen und inhibitorischen Neurotransmitterwirkungen zurückzuführen. Dabei spielen die Aminosäuren Glutamat und Aspartat als erregende Neurotransmitter sowie Gamma-Aminobuttersäure (GABA) als hemmende Signalsubstanz eine entscheidende Rolle. Zudem können Neurotransmitter-Synthesestörungen und ein gesteigerter Abbau oder eine Rezeptor-Blockade von GABA-Rezeptoren anfallsauslösend wirken.Pathologische Veränderungen an spannungsabhängigen Ionenkanälen (Kalium, Natrium, Calcium) beeinflussen ebenfalls die neuronale Erregbarkeit. Für einige dieser Mechanismen wurden inzwischen genetische Ursachen nachgewiesen, zum Beispiel der Defekt am SCN1A-Gen beim Dravet-Syndrom (kodiert für die α-Untereinheit des Natriumkanals) oder ein Gendefekt auf Chromosom 5 bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie, der eine Störung am GABA(a)-Rezeptor initiiert.

Nach international gängiger Lehrmeinung ist der sogenannte paroxysmale Depolarisationsshift (PDS) als gemeinsamer Nenner der fokalen Epileptogenese anzusehen. Elektrophysiologisch handelt es sich um eine Serie hochfrequenter Aktionspotenziale, die durch eine sich anschließende Hyperpolarisation beendet wird. Auf zellulärer Ebene korreliert der PDS mit interiktalen eleptiformen Signalen (sogenannte Spikes) im EEG. Während eines epileptischen Anfalls wird der PDS in eine anhaltende Depolarisation der Zellen überführt.

Symptome von Epilepsie

Die Symptome der unterschiedlichen Epilepsieformen variieren stark. Das klinische Bild richtet sich nach der Lokalisation und dem Ausmaß der neuronalen Fehlerregung sowie nach der Art des Anfallgeschehens. Die Epilepsien sind durch das unvorhersehbare Auftreten epileptischer Anfälle charakterisiert. Die Symptomatik stellt sich beim Einzelnen stabil dar, hat zwischen den Betroffenen aber große Unterschiede. Diese erklären sich bei den fokalen Epilepsien durch das vom Anfallsursprung betroffene Hirnareal. Die dort kodierte Funktion bestimmt den klinischen Anfall. Ist zum Beispiel die rechte motorische Hirnrinde betroffen, kommt es z. B. zu einem motorischen Anfall im Bereich der linken Körperhälfte. Im Falle der Sehrinde käme es zu visuellen Phänomenen. Typische Anfallsphänomene bei genetischen generalisierten Epilepsien sind "kleinere" generalisierte Anfälle (petit Mal) wie Absencen und bilaterale zumeist morgendlichen Muskelzuckungen (Myoklonien) und primäre "große" generalisierte tonisch-klonische Anfälle (grand Mal). Letztere können auch bei fokalem Anfallsursprung im Rahmen der Ausbreitung der elektrischen Anfallsaktivität auf das gesamte Gehirn auftreten.

Möglich sind Parästhesien auf der Haut (Parietallappenanfälle), orale Automatismen wie Schmatzen und Kauen (Temporallappenanfälle), visuelle Halluzinationen (Okzipitallappenanfälle) oder komplexe Anfallsbewegungen (frontale Anfälle) und Mischbilder.

Die ILAE unterscheidet grundsätzlich zwischen Anfällen mit fokaler, generalisierter oder unbekannter Ausbreitung. Darüber hinaus werden diese in Formen mit motorischen und nicht-motorischen Bewegungsstörungen eingeteilt. Bei fokal beginnenden Anfällen wird zusätzlich unterschieden, ob der Patient bei Bewusstsein ist oder nicht. Fokale und generalisierte Anfälle können einzeln (inklusive mehrerer fokaler oder generalisierter Ereignisse) oder zusammen auftreten.

Anfälle mit fokalem Beginn

Epileptische Anfälle mit fokalem Beginn haben ihren Ursprung in einem begrenzten Neuronensystem innerhalb einer Hemisphäre. Sie werden entsprechend der motorischen Initialsymptomatik klassifiziert und in Anfälle mit und ohne Bewusstseinsstörung eingeordnet.

Fokal beginnende Anfälle mit motorischer Initialsymptomatik

Ein Beginn mit motorischen Störungen kann gekennzeichnet sein durch:

  • Automatismen (zum Beispiel unwillkürliches Lecken der Lippen, Schmatzen, Gestikulieren und Wortwiederholungen)
  • atonische Anfälle (Reduktion oder Verlust des Muskeltonus)
  • klonische Anfälle (unwillkürliche rhythmische Muskelzuckungen)
  • epileptische Spasmen (rasche blitzartige Muskelanspannungen)
  • hyperkinetische Anfälle (agitierte Motorik)
  • myoklonische Anfälle (unwillkürliche kurze, nicht-rhythmische Muskelzuckungen)
  • tonische Anfälle (Muskelanspannung bzw. Versteifung einzelner Muskelgruppen)

Wie jeder epileptische Anfall kann auch ein fokal beginnender Anfall mit motorischen Symptomen in einen Status epilepticus (SE) übergehen und stunden- oder sogar tage- bis wochenlang andauern (Epilepsia partialis continua, Koževnikov-Status).

Fokal beginnende Anfälle ohne motorische Initialsymptomatik

Fokale Anfälle ohne initial-motorische Störungen können folgenden Charakter haben:

  • autonom (zum Beispiel epigastrales Wärmegefühl, Schwitzen, Hautblässe, Inkontinenz oder Piloerektion)
  • mit Arrest-Symptomatik (Innehalten mit völligem Bewegungsverlust)
  • kognitiv (zum Beispiel Träumen oder verzerrte Zeitwahrnehmung)
  • emotional (zum Beispiel Wut-, Angst- oder Glücksgefühle)
  • sensorisch (vor allem visuelle, auditive, gustatorische, olfaktorische, vertiginöse und sensible Veränderungen)

Daneben gibt es fokal beginnende und zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen übergehende Ereignisse.

Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung

Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung entsprechen den bisher als „einfach-fokal“ bezeichneten Anfällen. Die Anfälle weisen häufig auf eine intrazerebrale Läsion hin. Sie können im Verlauf zu einer Bewusstseinsstörung führen oder in generalisierte Anfälle übergehen. Bisher hat man fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung, die mehr oder weniger regelhaft in generalisierte Anfälle übergehen, als Auren bezeichnet. Da eine Aura definitionsgemäß aber selbst ein epileptisches Ereignis darstellt, verwendet die neue Klassifikation diesen Begriff nicht mehr.

Wesentliche Formen im klinischen Alltag sind:

  • Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen und Ausbreitungstendenz (Jackson-Anfälle)
    • beginnen mit rhythmischen klonischen Muskelkontraktionen in einem Körperabschnitt (am häufigsten in Hand und Fingern, seltener in Gesicht, Bein und Rumpf)
    • bei Beteiligung des Mundwinkels Speichelfluss und Sprechstörungen als Begleitsymptomatik
    • selten initial tonische Komponenten
    • Muskelzuckungen breiten sich von distal nach proximal fortschreitend aus (march) und bleiben auf eine Körperhälfte begrenzt
    • in etwa 60 Prozent der Fälle handelt es sich um rein motorische Anfälle, die restlichen gehen mit sensiblen Symptomen einher, die vor oder während der Kloni auftreten können
    • Dauer meist einige Sekunden bis Minuten
    • im Intervall normaler klinisch-neurologischer Befund
    • im EEG oft Herdbefunde in der kontralateralen Präzentralregion
    • häufige Ursachen sind lokalisierte Hirnschädigungen, im Erwachsenenalter vor allem Tumore
    • keine bestimmten Altersgruppen bevorzugt
    • auf fokale motorische Anfälle folgt oft eine vorübergehende schlaffe Parese oder Plegie der vom Anfall betroffenen Körperpartie (Todd-Lähmung)
  • Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen ohne Ausbreitungstendenz
    • lokalisierte motorische Anfälle, die sich klonisch äußern
    • häufig mit tonischer Komponente zu Beginn des Anfalls
    • ohne Ausbreitung der klinischen Symptome
    • meist von kurzer Dauer (Sekunden bis wenige Minuten)
    • Bewusstseinsstörung im Verlauf möglich, ebenso der Übergang in einen bilateralen tonisch-klonischen Anfall

Genetische Beratung bei Epilepsie

Es gibt weitere, spezielle Vererbungsformen, die bei Epilepsien ebenfalls eine Rolle spielen können. Das Wissen um diese Vererbungsformen ist wichtig z. B. für die Frage des Wiederholungsrisikos bei weiterem Kinderwunsch, dies wird in einer genetischen Beratung betroffener Eltern ausführlich ge- und erklärt. Auch Patienten, für die eine genetische Testung nicht in Frage kommt, sollten einer genetischen Beratung zugeführt werden. Bei betroffenen Patienten und in den Familien existieren häufig Fehleinschätzungen hinsichtlich des Risikos einer Vererbung der Epilepsie. Daher sollen Patienten oder Patienteneltern spätestens bei bestehendem Kinderwunsch über das Wiederholungsrisiko aufgeklärt werden und damit Klarheit über das tatsächliche Risiko erhalten.

Bedeutung für die Praxis

Die Kenntnis über genetische Ursachen von Epilepsien kann vor weiteren, unnötigen und häufig belastenden diagnostischen Maßnahmen schützen, eine genetische Beratung ermöglichen, zur Therapieoptimierung dienen und eine gewisse Einordnung der Prognose erlauben. In der Regel sollte bereits vor Einleitung genetischer Untersuchungen eine Vorstellung bei einem Humangenetiker erfolgen. Hier können in enger Abstimmung mit dem behandelnden Epileptologen die Notwendigkeit und Auswahl genetischer Untersuchungen geklärt werden und Patient und Eltern über deren Grundlagen sowie mögliche Ergebnisse aufgeklärt werden. Alternativ können genetische Untersuchungen auch aus der epileptologischen Sprechstunde heraus nach entsprechender Aufklärung und Einwilligung des Patienten oder der Eltern initiiert werden, eine genetische Beratung sollte dann spätestens bei Vorliegen auffälliger Befunde erfolgen.

Diagnose von Epilepsie

Nach einer anfallsartigen Episode sind drei wichtige Fragen zu klären:

  1. Handelt es sich um einen epileptischen Anfall?
  2. Gibt es eine akut zu behandelnde Ursache?
  3. Besteht ein erhöhtes Risiko auf weitere Anfälle?

Ob es sich um einen epileptischen Anfall handelt, wird überwiegend anhand des Anfallhergangs beurteilt. Dabei sind die Angaben des Betroffenen wichtig, wobei insbesondere bei eingeschränktem Bewusstsein auf Angaben von Augenzeugen angewiesen ist. Diese haben einen herausragenden Stellenwert, weshalb bei Terminen Augenzeugen - wenn möglich - mitzubringen sind. Akut zu behandelnde Ursachen werden mittels akuter Bildgebung (zumeist Computertomographie), Blut- und gegebenenfalls Nervenwasserentnahmen abgeklärt und eine gegebenenfalls notwendige weiterführende Diagnostik und Therapie stationär eingeleitet. Nach einem ersten Anfall muss anhand durchgeführter Bildgebung (bevorzugt Magnetresonanztomographie) und den Ergebnissen des EEGs festgestellt werden, ob ein erhöhtes Risiko auf weitere epileptische Anfälle besteht. Entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung ist die richtige Diagnose. Anhand der Anfallsbeschreibung und der Ergebnisse der Diagnostik wird die Zuordnung des Epilepsiesyndroms durchgeführt. Hieraus wird auf weitere Empfehlungen bezüglich Therapie und z. B. Fahreignung geschlossen.

Therapie von Epilepsie

Als erste Therapieoption steht eine große Auswahl an Medikamenten zur Verfügung, die über Beeinflussung der Erregbarkeit des Gehirns das Auftreten von Anfällen unterdrücken können. Die Wahl des Medikaments richtet sich zum einen nach dem vorliegenden Epilepsiesyndrom sowie nach den persönlichen Merkmalen, die ein Patient mit sich bringt. Eine spezifischere Therapie ermöglicht der Nachweis einer pathogenen Variante, die eine Verdachtsdiagnose bestätigen kann (z.B. beim Glucose-Transporter-Defekt).

Epilepsiegenetik in der Forschung

In der Forschung konnten in den letzten Jahren zahlreiche Gene identifiziert werden, die für die Entstehung unterschiedlicher Epilepsieformen wichtig sind. Neue Methoden ermöglichen die Untersuchung mehrerer Gene oder gar der Gesamtheit aller Gene in kurzer Zeit (sogenannte Gen-Panel-Analysen und Exom- oder Genom-Sequenzierungen). Problematisch ist aktuell häufig noch die Einordnung der Ergebnisse, da nach dem bekannten Motto „wer suchet, der findet“ zwar viele Veränderungen identifiziert werden können, deren Bedeutung für die Epilepsie aber erst in aufwendigen weiteren Untersuchungsschritten geklärt werden muss. Eine sehr wichtige Entwicklung der letzten Jahre ist dafür die zunehmende Zusammenarbeit und Vernetzung von Forschern weltweit, die so Kräfte bündeln und die Erforschung genetischer Ursachen von Epilepsien vorantreiben können. Zunehmend gelingt die Übertragung der neuen Methoden und der Kenntnisse über verantwortliche Gene in die klinische Arbeit und genetische Diagnostik. Schwierig ist aktuell noch die Nutzung des neu erworbenen Wissens für Entscheidungen zur Therapieoptimierung oder gar die Entwicklung neuer Therapien. Einzelne Beispiele machen hier aber Mut für die nähere und fernere Zukunft.

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