Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, von der etwa 0,5 % aller Kinder und Jugendlichen betroffen sind. Die Krankheit kann sich sehr unterschiedlich äußern, von kaum merklichen, kurzen Abwesenheiten bis hin zu starken Krämpfen am ganzen Körper. Während einige Kinder mit Epilepsie gut behandelt werden können und die Erkrankung nach einigen Jahren verschwindet, leiden andere ein Leben lang unter Anfällen, die kaum auf Medikamente ansprechen.
Vielfalt der Epilepsieformen im Kindesalter
Viele Epilepsieformen beginnen bereits in der Kindheit und können bis ins Erwachsenenalter andauern. Die Symptome sind individuell verschieden, aber es gibt spezielle Epilepsiearten, die nur im Kindes- und Jugendalter auftreten. Einige Beispiele für solche Epilepsieformen sind:
- Absence-Epilepsie: Das Kind ist während des Anfalls für einige Sekunden abwesend, blass, starrt und reagiert nicht auf Ansprache. Liderzucken, Augenrollen oder das Zurücklegen des Kopfes können zusätzlich auftreten.
- Rolando-Epilepsie: Eine Gesichtshälfte, ein Arm oder ein Bein zucken während des Anfalls. Kribbeln, Taubheitsgefühle, Sprech- und Schluckstörungen oder vermehrter Speichelfluss können auftreten. Das Kind ist in der Regel bei Bewusstsein.
- Juvenile myoklonische Epilepsie: Diese Form tritt erstmals in der Pubertät auf und äußert sich durch Muskelzuckungen und ausfahrende Arm- und Schulterbewegungen, meist morgens nach dem Aufwachen.
- West-Syndrom: Diese schwere Epilepsieform beginnt fast immer im Säuglingsalter. Der Körper des Kindes beugt und streckt sich während eines Anfalls, die Nacken-, Hals- und Rumpfmuskulatur verkrampft ruckartig.
Ursachen: Genetische Faktoren im Fokus
Wie bei Erwachsenen können Epilepsien bei Kindern verschiedene Ursachen haben. Manche haben keine erkennbare Ursache, andere sind auf Hirnschädigungen, Stoffwechselerkrankungen oder genetische Faktoren zurückzuführen.
Genetische Veranlagung als Hauptursache
Die Medizin unterscheidet strukturelle, infektiöse, metabolische, genetische und immunologische Ursachen. Genetisch bedingt haben manche Menschen eine stärkere Veranlagung zu epileptischen Anfällen als andere. Die Forschung geht davon aus, dass bei diesen Patienten ein oder mehrere Gene defekt sind, die als Ursache der Epilepsie anzusehen sind. Häufig sind die betroffenen Gene nicht bekannt, und es müssen bestimmte Gen-Konstellationen vorliegen, damit es zu einer Epilepsie kommt. Daher sind diese Epilepsie-Ursachen meist nicht vererbbar, auch wenn sie neuerdings als genetische Epilepsien bezeichnet werden.
Die Aufdeckung der genetischen Ursachen soll letztlich der Neuentwicklung von Medikamenten dienen. Ein Neurotransmitter-Rezeptor, wie er in dieser Studie gefunden wurde, kann zum Zielpunkt pharmakologischer Ansätze werden, um hier neue und besser wirksame Medikamente zu entwickeln, die spezifisch die Krankheitsursache behandeln. Im gleichen Ansatz entdeckten die Wissenschaftlerinnen und Wissenchaftler auch drei weitere ursächliche Gene entdeckt, die allerdings bei einem kleineren Prozentsatz der Patienten wirksam zu sein scheinen.
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Strukturelle Ursachen
Strukturelle Veränderungen am Gehirn entstehen beispielsweise durch Schlaganfälle oder Tumore. Infektionen des Gehirns können unter anderem durch Borreliose hervorgerufen werden. Metabolische Veränderungen, also solche, die den Stoffwechsel betreffen, stehen z. B. mit seltenen Stoffwechselerkrankungen, wie der Phenylketonurie in Verbindung. Bei den immunologischen Ursachen handelt es sich um Entzündungsvorgänge im Gehirn, z. B. wenn die eigene Körperabwehr (Immunsystem) das Hirngewebe angreift und es zu einer Hirnhautentzündung kommt. Zusätzlich gibt es sogenannte kryptogene Epilepsien, die heute schlichtweg als Epilepsie mit unbekannter Ursache bezeichnet werden.
Bedeutung der Genetik in der Forschung
In der Forschung konnten in den letzten Jahren zahlreiche Gene identifiziert werden, die für die Entstehung unterschiedlicher Epilepsieformen wichtig sind. Neue Methoden ermöglichen die Untersuchung mehrerer Gene oder gar der Gesamtheit aller Gene in kurzer Zeit (sogenannte Gen-Panel-Analysen und Exom- oder Genom-Sequenzierungen). Problematisch ist aktuell häufig noch die Einordnung der Ergebnisse, da nach dem bekannten Motto „wer suchet, der findet“ zwar viele Veränderungen identifiziert werden können, deren Bedeutung für die Epilepsie aber erst in aufwendigen weiteren Untersuchungsschritten geklärt werden muss.
Eine sehr wichtige Entwicklung der letzten Jahre ist dafür die zunehmende Zusammenarbeit und Vernetzung von Forschern weltweit, die so Kräfte bündeln und die Erforschung genetischer Ursachen von Epilepsien vorantreiben können. Zunehmend gelingt die Übertragung der neuen Methoden und der Kenntnisse über verantwortliche Gene in die klinische Arbeit und genetische Diagnostik. Schwierig ist aktuell noch die Nutzung des neu erworbenen Wissens für Entscheidungen zur Therapieoptimierung oder gar die Entwicklung neuer Therapien. Einzelne Beispiele wie oben beschrieben machen hier aber Mut für die nähere und fernere Zukunft.
Diagnose und Behandlung
Epilepsien werden bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ähnlich diagnostiziert und behandelt. Bei Neugeborenen und Säuglingen sind Anfälle noch schwerer zu erkennen als bei älteren Kindern. Sie können sich durch Augenbewegungen, Schmatzen, Armrudern und Zuckungen äußern. Oft treten sie schon in den ersten Tagen nach der Geburt auf.
Medikamentöse Therapie
Etwa 60 % aller Kinder werden durch die Behandlung mit dem ersten Medikament anfallsfrei. Bei etwa 10 % gelingt dies erst nach dem Wechsel auf ein anderes Medikament. Etwa 30 % aller Kinder haben trotz Medikamentenbehandlung weiter epileptische Anfälle. Wenn ein Kind zum ersten Mal einen Anfall hat, werden oft noch keine Medikamente verschrieben, weil es häufig bei einem oder wenigen Anfällen bleibt. Erst wenn sich Anfälle häufen, sind Medikamente sinnvoll. Manchmal müssen verschiedene Präparate ausprobiert werden, bis eins davon wirkt. Je mehr Medikamente ausprobiert werden müssen, desto geringer wird aber die Wahrscheinlichkeit, dass eine wirksame Behandlung möglich ist. Es können auch zwei oder mehr Medikamente kombiniert werden. Ob dies Vorteile hat, ist aber unklar.
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Die meisten Epilepsiemedikamente für Erwachsene werden auch bei Kindern eingesetzt. Einige davon sind für Kinder zugelassen, andere nicht. Wird auf letztere zurückgegriffen, können sie nur im Rahmen eines Off-Label-Use verschrieben werden - das heißt, außerhalb der eigentlichen Zulassung.
Ketogene Diät
Bei schwer behandelbaren Epilepsien empfehlen Ärztinnen und Ärzte manchmal eine bestimmte Ernährungsform - die ketogene Diät. Dabei werden nur wenig Kohlenhydrate und stattdessen vor allem Fette aufgenommen. Diese Diät hat zur Folge, dass sich der Stoffwechsel umstellt: Um Energie zu gewinnen, wird Fett statt Zucker abgebaut. Der erhöhte Gehalt an Fettsäuren im Blut soll wiederum die Signalübertragung der Nervenzellen im Gehirn beeinflussen und zu weniger Anfällen führen.
Chirurgische Eingriffe und Vagusnerv-Stimulation
Eine Operation kommt infrage, wenn sich eine belastende Epilepsie nicht gut mit Medikamenten behandeln lässt. Sie ist nur möglich, wenn die Anfälle von einer ganz bestimmten Stelle im Gehirn ausgehen (fokale Epilepsie). Anfälle, die das gesamte Gehirn erfassen (generalisierte Epilepsie), können nicht operativ behandelt werden. Es sind verschiedene Operationsverfahren möglich. Dabei wird häufig das Hirngewebe in dem Bereich entfernt, in dem der epileptische Anfall entsteht. Es ist auch möglich, diesen Bereich stillzulegen, indem Nervenfasern durchtrennt werden.
Zudem gibt es die Vagusnerv-Stimulation. Dabei wird eine Elektrode links am Hals eingepflanzt und mit einem kleinen Gerät verbunden, das im Brustbereich unter der Haut eingesetzt wird. Das Gerät sendet über die Elektrode elektrische Impulse an den Vagusnerv und weiter ans Gehirn. Diese Impulse sollen bestimmte Gehirnaktivitäten hemmen und dadurch Anfällen vorbeugen.
Auswirkungen und Unterstützung
Häufige Anfälle können körperlich und psychisch belasten. Konzentrationsstörungen, schwaches Selbstwertgefühl und die Angst vor dem nächsten Anfall können den Alltag der Kinder und ihrer Familien stark beeinträchtigen. Eine verlässliche Unterstützung und ausreichende Behandlung können aber trotz Epilepsie eine gute Lebensqualität ermöglichen.
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Langzeitprognose und genetische Beratung
Ärztinnen und Ärzte können oft schon innerhalb einiger Wochen oder Monate nach der Diagnose einschätzen, wie eine Epilepsie langfristig verlaufen wird. Etwa 70 % der Kinder mit Epilepsie sind geistig normal entwickelt und genauso intelligent wie Kinder ohne Epilepsie. Die Epilepsie schränkt ihren Alltag nur wenig ein. Die Medikamente wirken oft gut, manchmal sind auch gar keine notwendig.
Auch Patienten, für die eine genetische Testung nicht in Frage kommt, sollten einer genetischen Beratung zugeführt werden. Bei betroffenen Patienten und in den Familien existieren häufig Fehleinschätzungen hinsichtlich des Risikos einer Vererbung der Epilepsie. Daher sollen Patienten oder Patienteneltern spätestens bei bestehendem Kinderwunsch über das Wiederholungsrisiko aufgeklärt werden und damit Klarheit über das tatsächliche Risiko erhalten.
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