Gesprächsführung bei Demenz und Alzheimer: Ein umfassender Leitfaden

Demenzerkrankungen wie Alzheimer stellen eine wachsende Herausforderung für Betroffene, Angehörige und die Gesellschaft dar. Neben dem Gedächtnisverlust beeinträchtigen diese Erkrankungen auch die Fähigkeit zu sprechen und andere zu verstehen, was die Kommunikation im Alltag erheblich erschwert. Mit der Zeit fällt es Menschen mit Demenz immer schwerer, sich auszudrücken oder Gesprächen zu folgen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte der Gesprächsführung bei Demenz und Alzheimer, von den typischen Sprachveränderungen bis hin zu praktischen Tipps und bewährten Methoden für eine gelingende Kommunikation.

Sprachveränderungen bei Demenz

Miteinander reden wird bei Demenzerkrankungen zunehmend schwierig. Sprache kann sich bei Menschen mit Demenz auf unterschiedliche Weise verändern. Welche Symptome auftreten, hängt von der betroffenen Hirnregion ab. Typische Sprachveränderungen bei Demenz umfassen:

  • Wortfindungsstörungen: Erkrankte suchen nach Wörtern oder ersetzen sie durch andere.
  • „Verwaschene“ Sprache: Die Aussprache wird undeutlich oder „verschwommen“.
  • Verständnisprobleme: Gesagtes wird nur teilweise oder gar nicht mehr erfasst.
  • Satzabbrüche: Gedanken bleiben unvollständig, Gespräche verlieren den Zusammenhang oder führen ins Leere.
  • Abnehmende Lese- und Schreibfähigkeiten: Das Erfassen von Texten oder das Schreiben von Wörtern wird schwieriger.
  • Wechsel in eine frühere Muttersprache: Manche Menschen sprechen plötzlich in einer Sprache, die sie in der Kindheit gelernt haben.

Mit der Zeit fällt es Erkrankten schwerer, Gesprächen zu folgen. Menschen mit Demenz leben zunehmend in ihrer eigenen Realität.

Validation: Eine wertschätzende Kommunikationsmethode

Wenn Erinnerungen verschwimmen, sie ihre Umwelt nicht verstehen oder sich in einer anderen Zeit wähnen, kann Validation helfen, mit erkrankten Menschen in Kontakt zu bleiben. Die Methode der Validation wurde in den 1960er Jahren von der Gerontologin Naomi Feil entwickelt. Validation bedeutet, den Menschen dort abzuholen, wo er sich in seiner Wahrnehmung befindet - nicht mit Fakten, sondern mit Verständnis. Menschen mit Alzheimer nehmen oft nicht mehr jedes Wort genau wahr - aber sie spüren, wie etwas gesagt wird. Ein ruhiger Tonfall, Blickkontakt und eine offene Haltung können Vertrauen und Sicherheit vermitteln.

  • Nicht hilfreich: „Aber dein Mann ist doch schon lange verstorben.“
  • Besser: „Du denkst an deinen Mann. Was hat er immer gesagt, wenn du nach Hause gekommen bist?“

Diese Antwort beruhigt, weil sie das Gefühl hinter der Aussage - zum Beispiel den Wunsch nach Geborgenheit - aufgreift und im Idealfall auch ein Gespräch beginnt. Widerspruch bringt (meistens) nichts.

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Praktische Tipps für die Gesprächsführung

Wichtig ist, die erkrankte Person als gleichwertige Gesprächspartnerin oder gleichwertigen Gesprächspartner wahrzunehmen. Dazu gehört, sie beim Sprechen anzuschauen, nicht zu unterbrechen und ihre Sätze nicht zu beenden. Menschen mit Alzheimer haben zunehmend Schwierigkeiten, längeren Sätzen zu folgen. Kurze, klare Aussagen mit nur einer Information, wie „Wir essen jetzt zu Mittag.“ sind leichter verständlich. Auch Fragen sollten möglichst unkomompliziert sein. Ja-/Nein-Fragen oder Auswahlmöglichkeiten sind oft besser als offene Fragen. Statt „Was möchtest du trinken?“ kann „Möchtest du Orangensaft oder Apfelsaft?“ eine Antwort erleichtern.

Durch die Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses und den schleichenden Verlust der zeitlichen Orientierung leben Menschen mit Alzheimer zunehmend in ihrer eigenen Welt, insbesondere in ihrer eigenen Vergangenheit. Sie verwechseln Zeit und Ort oder behaupten Dinge, die nicht stimmen. Gehen Sie in solchen Situationen möglichst einfühlsam und geduldig mit den Äußerungen um. Wenn Sie mit einem erkrankten Menschen sprechen, beziehen Sie sich am besten auf Personen, Dinge und Geräusche in der Umgebung. Sprechen Sie langsam und deutlich und wiederholen Sie wichtige Informationen bei Bedarf auch mehrmals. Verwenden Sie dabei immer den gleichen Wortlaut, damit das Gesagte besser verstanden wird und sich möglichst einprägt. Achten Sie darauf, dass Sie zwischendurch Pausen einlegen, um Ihrem Gegenüber die Möglichkeit zu geben, zu antworten. Verwenden Sie eine klare Körpersprache und eine prägnante Mimik und Gestik, um das Gesagte zu unterstützen und das Verständnis zu erleichtern. Zum Beispiel kann die Frage „Möchtest du einen Kaffee“ mit einer einfachen Trinkgeste unterstützt werden. Wichtig ist auch der Blickkontakt.

Nonverbale Kommunikation: Mehr als nur Worte

Auch wenn die Sprache verloren geht, ist es wichtig, in Verbindung zu bleiben. Schauen Sie sich gemeinsam alte Fotos an, hören Sie die Lieblingsmusik der erkrankten Person oder sitzen Sie bei gutem Wetter einfach zusammen draußen. Selbst zum Ende der Erkrankung, wenn Menschen kaum noch reagieren, nehmen sie auf emotionaler Ebene dennoch wahr, dass jemand da ist, sie umarmt, berührt, mit ihnen spricht. Die meisten Menschen mit Demenz beherrschen die Körpersprache länger als die Wortsprache: Je größer ihre Probleme mit der verbalen Kommunikation werden, desto öfter versuchen sie, ihre eigenen Botschaften durch Pantomime und Zeigegesten zu übermitteln. Und desto genauer schauen sie auch auf unsere Körpersprache. Das birgt Chancen, aber auch ungeahnte Gefahren.

So können wir ihnen helfen, inhaltliche Botschaften besser zu verstehen, indem auch wir unsere Worte gestisch und pantomimisch untermalen und das Gemeinte vormachen, etwa wenn wir sie zur Körperpflege anleiten oder sie um Hilfe im Haushalt bitten. Manche emotionalen Botschaften lassen sich ganz ohne Worte vermitteln. Berührungen - Streicheln, in den Arm nehmen, eine Massage - sind sehr direkte Wege der Verständigung. Die körperliche Zuwendung erzeugt oft eine größere Nähe als jedes Gespräch. Hierbei muss allerdings immer berücksichtigt werden, dass von der oder dem Betroffenen Körpernähe auch erwünscht ist.

Viele Menschen mit Demenz schauen nicht nur sehr genau hin - sie durchschauen uns erstaunlicherweise auch öfter, als wir ihnen zutrauen, und öfter, als uns manchmal lieb ist. Trotz aller Einschränkungen entwickeln sie nämlich ein feines Gespür für die Stimmungen ihrer nächsten Bezugspersonen. Sie merken, wenn wir traurig oder abgelenkt sind. Sie nehmen Ärger und Schmerzen wahr. Und sie reagieren verunsichert, wenn unsere Körpersprache unseren Worten widerspricht. Wenn sie noch dazu in der Lage sind, sprechen sie uns sogar darauf an: „Geht’s dir heute nicht gut? Bist du böse auf mich?“ Letztlich helfen wir ihnen und uns selber, wenn wir gar nicht erst versuchen, Kummer oder schlechte Laune zu überspielen.

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Menschen mit Demenz sind auch sehr ansteckbar durch die hör- und sichtbaren Gefühle anderer. Das bedeutet, dass sich ihre Mine im Nu aufhellt, wenn ihnen jemand ein echtes Lächeln schenkt oder ihnen freundlich zuwinkt - selbst, wenn sie kurz zuvor wütend oder traurig waren. Es bedeutet aber leider auch, dass der Stress oder die Unruhe, die Wut und die Angst der Menschen in ihrer Umgebung sie anstecken und herunterziehen können. Als Problem kann sich auch erweisen, dass Menschen mit Demenz manche nonverbalen Signale falsch deuten. Viele von ihnen nehmen beispielsweise laute und höhere Stimmen als aggressiv und feindlich wahr, obwohl wir möglicherweise nur versuchen, uns ihnen trotz ihrer Schwerhörigkeit verständlich zu machen. Und wenn wir ihnen beispielsweise bei der Körperpflege behilflich sind und uns dabei konzentrieren, sieht unser Gesicht leider verkniffen und schlecht gelaunt aus. Wenn wir unnötige Aufregung also vermeiden wollen, kommen wir nicht umhin, unsere eigene Ausstrahlung und unsere nonverbalen Signale zu reflektieren.

Umgang mit schwierigen Situationen

Viele Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz, die Pflegende vor Herausforderung stellen, sind Reaktionen, die man aus der Krankheit heraus verstehen und nachvollziehen kann: Rat- und Orientierungslosigkeit können zu Ängstlichkeit, Anhänglichkeit und zum ständigen Wiederholen von Fragen führen. Aggressivität und Wutausbrüche können aus Frustration oder Überforderung entstehen, Depression und Rückzug aus einem Mangel an Aktivität und Ermunterung. Wichtig ist es, solche Faktoren zu erkennen und möglichst zu beseitigen. Um mit anstrengenden und problematischen Verhaltensweisen umzugehen, ist es hilfreich, ruhig zu bleiben und auf den Gefühlszustand des erkrankten Menschen einzugehen.

Aggressivität

Angst, Wut, Unruhe, Enttäuschung und Nervosität können zu aggressivem Verhalten führen. Bemühen Sie sich herauszufinden, was der Auslöser für das aggressive Verhalten war, um solche Situationen in Zukunft möglichst zu vermeiden. Versuchen Sie gelassen zu bleiben und die Vorwürfe oder das Verhalten der erkrankten Person nicht auf sich zu beziehen. Dieses Verhalten wird durch die Krankheit ausgelöst. Versuchen Sie in der akuten Situation die bzw. den Kranken abzulenken, wechseln Sie das Thema. Wenn Sie sich durch das Verhalten bedroht fühlen, sollten Sie aber auch an Ihre eigene Sicherheit denken. Verlassen Sie den Raum und holen Sie sich im Notfall Hilfe.

Unruhe

Menschen mit Demenz sind oft unruhig und laufen immer wieder die gleiche Strecke auf und ab. Daran sollte man sie nicht hindern. Sie können aber versuchen herauszufinden, was dieses Verhalten verursacht: Vielleicht tut der bzw. dem Kranken etwas weh oder ihn beschäftigt gerade etwas. Demenzerkrankte leben in einer anderen Welt. So kann es sein, dass eine 85-Jährige das Gefühl hat, schnell nach Hause zu müssen, weil die Mutter mit dem Essen wartet. Die Antwort, dass die Mutter doch schon lange tot ist und dass Sie auch gerade gegessen haben, hilft in einer solchen Situation nicht weiter. Günstiger ist es, dann ein Gespräch darüber anzufangen („Was macht deine Mutter denn, wenn du zu spät kommst?“ oder „Deine Mutter kocht wohl sehr gut?“).

Unruhe kann auch Ausdruck von Ängstlichkeit oder Unbehagen sein, denen Sie mit folgenden Maßnahmen begegnen können:

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  • Gestalten Sie die Umgebung ruhig.
  • Bleiben Sie ruhig und sprechen Sie sanft.
  • Beruhigen Sie die erkrankte Person, halten Sie Körperkontakt und reagieren Sie auf die Gefühle, die sie ausdrückt.
  • Schaffen Sie eine entspannte Atmosphäre.
  • Gut beleuchtete Ecken verhindern Angst erzeugende Schatten.
  • Schaffen Sie Zeiten der Ruhe und Entspannung.

Menschen mit Demenz mögen meistens Körperkontakt. Eine Massage der Hände mit einem wohlriechenden Lieblingsöl beruhigt.

Erinnerungsstützen und Orientierungshilfen

Ein gleichbleibender, überschaubarer Tagesablauf, helles Licht und die Beleuchtung wichtiger Wege in der Nacht erleichtern es den Kranken, sich zurecht zu finden. Auch Hinweisschilder in der Wohnung können hilfreich sein. Eine gut lesbare Uhr und ein Kalender, auf dem das jeweilige Datum markiert wird, erleichtern die zeitliche Orientierung. Es ist auch empfehlenswert, die Gewohnheiten der Betroffenen nach Möglichkeit beizubehalten.

Solange die Demenz den Betroffenen noch nicht die Fähigkeit genommen hat, Gelesenes zu verstehen, sind kleine Zettel hilfreich, auf denen Informationen zum Alltagsablauf oder Antworten auf häufig gestellte Fragen stehen. Diese Zettel können zum Beispiel am Kühlschrank oder an der Badezimmertür kleben, sodass sie sich im Vorübergehen lesen lassen. Auch ein "Familienposter" mit Fotos aller Haushaltsmitglieder hilft Menschen mit Demenz. Bei jedem Foto steht eine kurze Information, auch zu den Haushaltshilfen und Pflegekräften und sogar zu den Haustieren. Weil im Laufe der Demenz viele wichtige Ereignisse aus dem Bewusstsein verschwinden, kann ein Erinnerungsbuch helfen: Erstellen Sie ein Fotoalbum, das an schöne Momente erinnert. Schreiben Sie zu jedem Foto einen kurzen Satz, zum Beispiel, um welches Ereignis es sich handelt, wer abgebildet ist und vielleicht noch eine kleine Anekdote. Es geht nicht darum, möglichst viele Stationen festzuhalten, sondern diejenigen, die einem Menschen mit Demenz viel bedeuten. Mit dem Erinnerungsbuch schaffen Sie sich und Pflegekräften eine Grundlage für Kommunikation.

Wichtige Kommunikationsregeln im Überblick

  • Stellen Sie vor jedem Gespräch Blickkontakt auf Augenhöhe her und sprechen Sie Menschen mit Demenz mit ihrem Namen an.
  • Verwenden Sie im Gespräch mit Dialektsprechern wenn möglich die Mundart.
  • Vermeiden Sie Fach- und Fremdwörter, Jugendsprache sowie komplizierte mehrsilbige Begriffe.
  • Reden Sie etwas langsamer und vor allem deutlich. Verwenden Sie eher kurze Sätze.
  • Formulieren Sie Ihre Frage am besten so, dass sie sich mit einem einzigen Wort oder mit Ja beziehungsweise Nein beantworten lässt.
  • Stellen Sie nicht mehr als zwei Angebote auf einmal zur Auswahl.
  • Menschen mit Demenz brauchen Zeit und Ruhe, um über den nächsten Schritt oder eine Antwort nachzudenken. Stellen Sie sich darauf ein. Machen Sie bewusst Pausen zwischen einzelnen Sätzen.
  • Wiederholen Sie wichtige Informationen. Verwenden Sie dabei immer dieselbe Formulierung.
  • Nutzen Sie mit positiven Gefühlen und schönen Erinnerungen besetzte Schlüsselwörter als Türöffner und vermeiden Sie negative Reizwörter.
  • Vermeiden Sie Ironie oder übertragene Bedeutungen.
  • Drücken Sie Ihre Botschaften deshalb besser positiv aus und stellen Sie das wichtigste Wort an das Satzende.
  • Korrigieren Sie sie nicht - das beschämt Betroffene nur, hilft ihnen aber nicht, bei der nächsten Gelegenheit fehlerfreier zu sprechen.
  • Vermeiden Sie Diskussionen und Rechthaberei.

Weitere Kommunikationskonzepte

Neben der Validation gibt es weitere Kommunikationskonzepte, die im Umgang mit Menschen mit Demenz hilfreich sein können:

  • Personzentrierte Pflege nach Tom Kitwood: Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt und nicht die Krankheit. Erhalt und Förderung des Personseins ist der Kern bei dieser Art der Kommunikation.
  • Basale Stimulation: Sie hat das Ziel, die Fähigkeiten von dementiell erkrankten Menschen in den Bereichen Kommunikation, Wahrnehmung und Bewegung zu fördern und sie zu aktivieren. Im Gegensatz zur Validation und der personzentrierten Pflege setzt sie hauptsächlich auf die nonverbale Kommunikation.

Angehörige: Eine wichtige Stütze

Angehörige tragen den Hauptanteil an der Versorgung von Menschen mit Demenz. Sie übernehmen damit eine sehr schwere und verantwortungsvolle Aufgabe, die sich meist über Jahre hinzieht. Die Probleme, die im Zusammenleben mit einem Demenzerkrankten auftreten, sind von Fall zu Fall verschieden. Sie werden bestimmt von der Persönlichkeit der betroffenen Person, vom Stadium der Krankheit, von den äußeren Lebensumständen, aber auch von den besonderen Fähigkeiten und Schwächen der betreuenden Person(en). Ebenso individuell müssen die Lösungen für die Probleme sein. Wissen über die Krankheit verleiht Sicherheit im Zusammenleben und im Umgang mit den Erkrankten. Es kann vor Enttäuschungen aber auch vor unnötiger Resignation bewahren.

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