Demenz ist ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen, die mit einem Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit einhergehen. Betroffen sind meist ältere Menschen, bei denen sich Gedächtnis, Orientierung und Denken zunehmend verschlechtern. Diese Veränderungen im Gehirn beginnen oft Jahre, bevor sich die ersten Symptome bemerkbar machen. Es gibt verschiedene Medikamente zur Behandlung von Demenz, darunter auch Ginkgo biloba. Aktuell wird intensiv untersucht, ob Ginkgo biloba auch zur Vorbeugung von Demenz eingesetzt werden kann.
Ginkgo Biloba: Ein Überblick
Ginkgo biloba ist eine Heilpflanze aus der Familie der Ginkgogewächse (Ginkgoaceae). Extrakte aus den Blättern des Ginkgobaums enthalten ein komplexes Gemisch von Flavonolen, Flavonglykosiden und Flavonen, dessen Heilkräfte seit Jahrtausenden geschätzt werden. Ginkgo-Präparate gehören heute zu den am häufigsten verwendeten Phytopharmaka zur Vorbeugung von altersassoziierten Störungen der Gedächtnisleistung.
Vermutete Wirkungsmechanismen
Zu den vermuteten Wirkungsmechanismen von Ginkgo biloba zählen:
- Zerebrale Gefäßerweiterung
- Minderung der Blutviskosität
- Antioxidative Effekte auf freie Sauerstoffradikale
- Beeinflussung des Neurotransmittersystems
Darüber hinaus konnte Ginkgo biloba in einigen In-vitro-Studien die an der Entstehung von Alzheimer-Demenz beteiligte Ablagerung von Amyloid beta verhindern.
Studien zur Wirksamkeit von Ginkgo Biloba bei Demenz
Aktuelle retrospektive Kohortenstudie
Eine neue retrospektive Kohortenstudie untersuchte den Einfluss von Ginkgo biloba-Extrakt (GbE) auf das Fortschreiten der Demenz in einem realen Umfeld. Die Studie verwendete Daten einer großen deutschen Gesundheitsdatenbank, die repräsentativ für Haus- und Fachärzte ist.
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- Studiendesign: Retrospektive Kohortenstudie
- Teilnehmer: 4765 Patienten mit Erstdiagnose einer leichten oder mittelschweren Demenz zwischen Januar 2005 und Dezember 2022
- Ergebnisse: Die kumulative Inzidenz des Fortschreitens der Demenz betrug in der GbE-Gruppe 12,7 % und in der Vergleichsgruppe 22,1 % (p < 0,001). Die Verschreibung von GbE war mit einem signifikant verringerten Risiko (-50 %) für das Fortschreiten der Demenz verbunden (HR: 0.50; 95 % CI: 0.26-0.95), sowohl bei Patienten mit milder als auch moderater Demenz.
- Fazit: Ginkgo biloba-Extrakt kann das Risiko für das Fortschreiten der Demenz reduzieren.
Randomisiert-kontrollierte Studie (RCT) zur Vorbeugung von Demenz
Eine randomisiert-kontrollierte Studie (RCT) untersuchte, ob Ginkgo biloba das Auftreten von Demenz verhindern kann.
- Teilnehmer: Personen ab 75 Jahren ohne geistige Einschränkungen
- Ergebnisse: Ginkgo biloba hatte keinen Einfluss auf das spätere Auftreten von Demenz. Die Einnahme von Ginkgo biloba hatte keine schweren schädlichen Folgen für die Gesundheit.
- Einschränkung der Ergebnisse: Der Beobachtungszeitraum war möglicherweise zu kurz, um mögliche Auswirkungen von Ginkgo biloba festzustellen. Am Ende der Studie nahmen nur noch 60 Prozent der Teilnehmenden Ginkgo biloba oder das Scheinmedikament ein. Dadurch wird die Wirkung von Ginkgo biloba sowohl hinsichtlich Nutzen als auch Schaden möglicherweise geringfügig unterschätzt.
Metaanalyse zu Ginkgo Biloba bei leichter Demenz
Eine Metaanalyse untersuchte die Daten von 782 Patienten mit leichter Demenz aus vier randomisierten, placebokontrollierten Studien. Die Patienten nahmen über 22 bis 24 Wochen täglich 240 mg des Spezialextrakts EGb 761® oder Placebo ein.
- Ergebnisse: Unter Verum erzielten sie im Vergleich zu Placebo signifikant bessere Ergebnisse in Tests zur Kognition, zur globalen Beurteilung, zu den Aktivitäten des täglichen Lebens und in der Lebensqualität.
- Fazit: Die Einnahme des Spezialextrakts ist wirksam und sicher für Patienten mit leichter Demenz.
Ginkgo Evaluation of Memory (GEM)-Studie
Eine der bisher größten klinischen Studien zur Wirksamkeit von Ginkgo biloba-Extrakten ist die Ginkgo-Evaluation-of-Memory-(GEM-)Studie.
- Studiendesign: randomisierte doppelblinde Studie
- Teilnehmer: 3069 Senioren zwischen 72 und 96 Jahren mit normalen kognitiven Fähigkeiten oder leichten Beeinträchtigungen (Mild cognitive impairment, MCI)
- Intervention: zweimal täglich eine Tablette mit entweder 120 mg des Ginkgo-Spezialextraktes EGb761 (n=1545) oder Plazebo (n=1524)
- Ergebnisse: Über eine mittlere Beobachtungszeit von 6,1 Jahren konnte keine Wirksamkeit von G. biloba in der Prävention oder Verzögerung von Demenz bei alten Menschen festgestellt werden. Auch die Auswertung des sekundären Endpunkts Prävention geistigen Abbaus lieferte ähnliche Ergebnisse.
- Ergebnisse zum Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse: keine Veränderung in der Mortalität aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse. Die Inzidenz von Herzinfarkt, Angina pectoris und Insult war in beiden Gruppen gleich.
Studie aus Südkorea zu Ginkgo Biloba bei Amyloid-PET-positiver MCI
In Südkorea ist für MCI keine Kostenerstattung für Cholinesterasehemmer vorgesehen, weshalb Ginkgo-biloba-Präparate häufig als niedrigschwellige therapeutische Option eingesetzt werden.
- Studiendesign: prospektive Real-World-Studie
- Teilnehmer: 64 Patienten mit Amyloid-PET-positiver MCI (mittleres Alter 67 Jahre)
- Intervention: entweder eine Monotherapie mit Ginkgo biloba (240 mg täglich; n = 42) oder Nahrungsergänzungsmittel (n = 22), darunter Omega-3-Fettsäuren und Cholinpräparate
- Ergebnisse: Nach zwölf Monaten erfüllten alle Patienten der Ginkgo-Gruppe die Responder-Kriterien (kein Rückgang im K-MMSE, keine Zunahme im CDR-SB), in der Kontrollgruppe traf dies hingegen nur bei 59 % zu (p < 0,001). Im K-MMSE zeigte sich in der Ginkgo-Gruppe eine leichte Verbesserung (+0,4 Punkte), während die Kontrollgruppe um durchschnittlich -0,8 Punkte abfiel (p < 0,001). Eine Progression zur Alzheimer-Demenz wurde ausschließlich in der Kontrollgruppe beobachtet (13,6 %; p = 0,037). Parallel zur klinischen Stabilisierung verringerte sich der Blutspiegel des oligomeren Amyloid-β-Markers MDS-Oaβ in der Ginkgo-Gruppe signifikant (-0,09 ng/ml; p < 0,001), während in der Kontrollgruppe ein leichter, nicht signifikanter Anstieg beobachtet wurde (+0,02 ng/ml).
- Fazit: In dieser Real-World-basierten Studie blieb die Kognition von amyloid-positiven MCI-Patienten unter Ginkgo-biloba-Monotherapie über 12 Monate stabil.
Ginkgo Biloba EGb 761®
Mehrere klinische Studien belegen die Wirksamkeit des Ginkgo-Spezialextrakts EGb 761® zur Verbesserung der kognitiven Funktionen und der Aktivitäten des täglichen Lebens in verschiedenen Stadien der Demenz. EGb 761 ist ein standardisierter Trockenextrakt aus Ginkgo-Blättern, dessen Wirksamkeit in zahlreichen klinischen Studien belegt wurde. Frühere Studien haben die neuroprotektiven Eigenschaften dieses Extrakts dokumentiert, und es wurde nachgewiesen, dass EGb 761 das Fortschreiten der Demenz in mehreren kognitiven Bereichen verlangsamen kann.
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Empfehlungen in Leitlinien
Laut der kürzlich aktualisierten S3-Leitlinie Demenzen kann Ginkgo biloba EGb 761 in einer Dosis von 240 mg täglich zur Behandlung der Kognition und Alltagsfunktionen bei Patienten mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz oder vaskulärer Demenz mit nicht psychotischen Verhaltenssymptomen eingesetzt werden. EGb 761 wird auch in verschiedenen internationalen Leitlinien wie den deutschen S3-Leitlinien sowie den Leitlinien der World Federation of Societies of Biological Psychiatry als empfohlene Therapieoption für Patienten mit leichter bis mittelschwerer Demenz genannt.
Bewertung des IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen)
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat eine Nutzenbewertung von Ginkgo biloba bei Alzheimer-Demenz durchgeführt.
- Ergebnisse: Insbesondere in zwei ukrainischen Studien fand das IQWiG Belege, dass Alzheimer-Patienten alltägliche Verrichtungen leichter fallen, wenn sie Ginkgo biloba in einer hohen Dosis von 240 mg pro Tag einnehmen. Auch auf ihr Erinnerungsvermögen und auf ihre psychische Verfassung könnten sich die Medikamente positiv auswirken. Zudem scheinen Angehörige weniger emotionalen Stress aushalten zu müssen. Allerdings gibt es hierfür keine Belege, sondern lediglich Hinweise. Wie groß all diese möglichen Effekte sind, bleibt offen. Das liegt vor allem daran, dass die Ergebnisse in einzelnen Studien sehr uneinheitlich ausfielen. Die Aussagen zum Nutzen gelten nur für die Dosierung 240 mg täglich. Für niedrigere Dosierungen ist ein Nutzen nicht belegt.
- Fazit: Es ist aber davon auszugehen, dass auch deutsche Patientinnen und Patienten von Ginkgo biloba profitieren. Die positive Wirkung könnte allerdings geringer sein, als in den beiden ukrainischen Studien.
Forderung nach weiteren Studien
Weil die Ergebnisse in verschiedenen Studien sehr unterschiedlich ausfielen und die Erklärung dafür nicht klar ist, hält das IQWiG weitere klinische Vergleiche für notwendig. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass die Heterogenität der Ergebnisse auf die Unterschiede in den Studienpopulationen zurückzuführen ist. Zukünftig sind dennoch weitere Studien wünschenswert, die noch offene Fragen klären können. Dazu gehören unter anderem Studien, die einen Vergleich mit anderen Behandlungsalternativen anstellen oder die Patientengruppen eingrenzen, die tatsächlich von Ginkgo biloba profitieren könnten. Solche Studien sollten nach Möglichkeit aber in einem Versorgungskontext durchgeführt werden, der dem westlichen Standard entspricht.
Nebenwirkungen und Wechselwirkungen
Nebenwirkungen zeigten sich bei den Teilnehmenden, die Ginkgo-Präparate nahmen, nicht häufiger als bei denen, die ein Scheinmedikament erhielten. Dennoch brachen mehr Personen die Ginkgo-Einnahme wegen Nebenwirkungen ab als in der Vergleichsgruppe. Möglich sind beispielsweise Magenprobleme oder Kopfschmerzen.
Es ist nicht auszuschließen, dass Ginkgo-Präparate Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln haben können. So wird vermutet, dass Ginkgo die Wirkung gerinnungshemmender Medikamente verstärken kann - dazu gehören zum Beispiel ASS (Acetylsalicylsäure) und Warfarin.
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Erstattung in Deutschland
In Deutschland sind Medikamente mit Ginkgo biloba-Extrakt rezeptfrei erhältlich. Für die Kostenübernahme durch private und gesetzliche Krankenkassen ist jedoch eine ärztliche Verschreibung erforderlich. Diese Verschreibung ist an die Diagnose einer Demenzerkrankung gebunden, und nach 12 Wochen muss eine erneute Bewertung des Behandlungserfolgs erfolgen, um die weitere Erstattung zu gewährleisten.