Die graue Substanz des Gehirns: Struktur, Funktion und Bedeutung

Das menschliche Gehirn ist ein komplexes und für das menschliche Bewusstsein maßgebliches Organ. Klassisch wird es grob in die drei entwicklungsgeschichtlich aufeinander aufbauenden Hirnteile Stammhirn, Kleinhirn und Großhirn unterteilt. Geht man in die feinere Analyse dieser Hirnstrukturen, fallen bei in Formalin konservierten Hirnpräparaten zwei farblich unterscheidbare Substanzen auf: Die sogenannte graue Substanz, Substantia grisea, und die weiße Substanz, Substantia alba. Die Bereiche sogenannter grauer Substanz, auch als Substantia grisea bezeichnet, sind ein Teil des zentralen Nervensystems. Dieses besteht einmal aus dem Gehirn und aus den Nervenstrukturen, die in der Wirbelsäule im Rückenmarkskanal gelegen sind.

Was ist die graue Substanz?

Als graue Substanz werden die gräulichen Nervenzellkörper in unserem zentralen Nervensystem bezeichnet. Umgangssprachlich wird auch von den „grauen Zellen“ gesprochen. Die graue Substanz befindet sich überwiegend in der äußeren Schicht des Gehirns, der Hirnrinde, sowie im Rückenmark.

Die graue Substanz ist in Teilen des Zentralnervensystems und sowohl im Gehirn als auch im Rückenmark zu finden. Sie ist eine dünne Schicht, die aus unzähligen Neuronen besteht, die zusammen ein Netzwerk bilden, welches tiefer in das Gehirn verläuft.

Bestandteile der grauen Substanz

Die im zentralen Nervensystem befindliche graue Substanz enthält zum großen Teil die Nervenzellkörper, die man auch als Perikarya bezeichnet. Sie enthalten den Zellkern. Daneben sind anteilig auch kleine Blutgefäße, stützende Gliazellen und das Neuropilem enthalten.

Der Hauptbestandteil der grauen Substanz besteht aus Nervenzellkörpern, Neuropilem, Gliazellen und Kapillaren. Nervenzellkörper, welche auch Perikaryon genannt werden, stellen den Zellkörper eines Neurons dar. Die Aufgabe des Perikaryons ist es, die Biosyntheseleistungen des Neurons abzuwickeln. Das Neuropilem ist der Nervenfilz, welcher zwischen Nerven- und Gliazellen liegt und dafür sorgt, dass alle Zellen miteinander verknüpft sind. Gliazellen erfüllen Hilfs- und Unterstützungsfunktionen der Nerven, sind aber niemals an der Erregungsleitung beteiligt. Die Kapillaren sind kleine Gefäße, welche sich im ganzen Körper befinden. Sie haben die Aufgabe Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen.

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Graue Substanz im Rückenmark

Im Inneren des Rückenmarks bildet die graue Substanz ein Gebilde, welches im Querschnitt entweder einer schmetterlingsähnlichen Figur ähnelt oder aber eine h-förmige Struktur aufweist. Hierbei entsteht eine Hinter- sowie Vordersäule. Die Vordersäule beinhaltet Nervenzellen, welche die Motorik steuern. Die Motorik ist für die Steuerung der Skelettmuskulatur zuständig. Die Hintersäule ist für die Sensibilität der Nervenzelle verantwortlich. Deshalb bezeichnet man die Vordersäule als motorische Vorderwurzel und die Hintersäule sensible Hinterwurzel. Die Vereinigung von motorischen Vorderwurzeln und sensiblen Hinterwurzeln wird als Spinalnerv bezeichnet. Der Teil zwischen beiden Säulen nennt sich Pars intermedia. Er ist für verschiedene Verarbeitungsvorgänge zuständig.

Lokalisation der grauen Substanz im Gehirn

Die graue Substanz liegt auf der Oberfläche des Gehirnes. Sie umgibt so das Großhirn wie das Kleinhirn mit einer sogenannten Rinde, dem Cortex. Es gibt aber auch zentral im Gehirn gelegene Areale grauer Substanz. Diese abgegrenzten sogenannten Kerngebiete sind eigenständig funktionale Regionen wie die Hirnnervenkerne und die Kleinhirnkerne. Weitere Regionen, die aus der sogenannten grauen Substanz gebildet bzw. von ihr umgeben sind, stellen die Basalganglien, Necleus ruber, Formatio reticularis und die sogenannte Substantia nigra dar.

Warum heißt die graue Substanz im Gehirn graue Substanz?

Die sogenannte graue Substanz bildet die Hirnrinde bzw. den Cortex. Wird nach dem Ableben ein Hirn in Formalin präpariert, nimmt die benannte Region des Cortex eine charakteristische graue Farbe an und führte so zur Namensgebung. Beim noch lebenden Menschen ist die Hirnrinde, wie man aus Operationen weiß, wegen der blutgefüllten Gefäße, eher rosafarben.

Funktion der grauen Substanz

Mediziner bezeichnen die graue Substanz auch als Schaltzentrale des Gehirns, weil hier fast alle Signale gestaltet, berechnet und abgespeichert werden.

Die Zellkörper innerhalb der grauen Substanz nehmen Reize auf und verarbeiten sie. Alle Funktionen des Gehirns und des Zentralnervensystems werden von der grauen Substanz des Cortex gesteuert. Hierbei lassen sich Funktionen des Cortex nach den jeweiligen Hirnregionen unterscheiden. Der Parietallappen verarbeitet die an ihn vermittelten Berührungsreize, der Occipitallappen wird mit der Fähigkeit zu sehen assoziiert und der Temporallappen ist an der Fähigkeit zum Hören maßgeblich beteiligt. Im Kleinhirn, der Bestandteil wird auch als Cerebellum bezeichnet, regelt die graue Substanz des Cortex die Fähigkeit zu körperlicher Koordination und Gleichgewicht. Die im Zwischenhirn gelegenen Kernregionen aus grauer Substanz stellen Verbindungen zum Großhirn her.

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Das Zwischenhirn, welches aus Thalamus, Hypothalamus, Subthalamus und Epithalamus besteht, vermittelt Signale an das Großhirn. Besonders wichtig ist hierbei der Thalamus. Dieser beinhaltet graue Substanz und gliedert mithilfe dieser alle Informationen der Sinnesorgane.

Intelligenz und graue Substanz

Einer Studie zufolge bestimmt die Menge der grauen Substanz die Intelligenz eines Menschen zum Teil. Deshalb kommen im Sprachgebrauch bei Unterhaltungen über Intelligenz oftmals auch die Wörter „graue Zellen“ auf.

Unterschiede zwischen grauer und weißer Substanz

Im Gehirn lassen sich zwei grundlegende Gewebetypen unterscheiden: die graue und die weiße Substanz. Die graue Substanz bildet den Kortex, die aus Milliarden Neuronen bestehende Schicht an der Oberfläche des Gehirns. Die weiße Substanz beherbergt tiefer im Gehirn verlaufende, gebündelte Nervenfasern, die die Neuronen durch millionenfache Verbindungen verschalten.

Die graue Substanz besteht aus einer Vielzahl an Zellkörpern und besitzt wenige myelinisierte Axone. Ein Axon ist eine Ausstülpung von Zellplasma, welche mit einer Plasmamembran umhüllt ist. Deren Aufgabe ist es, Nervenimpulse vom Körper weg zu leiten. Myelinisierte Axone haben im Gegensatz zu nicht myelinisierten Axonen eine Markscheide. Die Markscheide hat eine mehrschichtige Struktur und umschließt damit die im Zentrum sitzende Nervenfaser des Axons. Myelinisierte Axone sind der Hauptbestandteil von weißer Substanz, Zellkörper kommen in ihr jedoch selten vor.

Die Stränge der Weißen Substanz bilden die Datenautobahnen im Gehirn. Sie verbinden Hirnareale miteinander.

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Die oberflächliche weiße Substanz

Eine entscheidende Rolle in diesem komplexen Netzwerk kommt der sogenannten oberflächlichen weißen Substanz zu, einer weniger als einen Millimeter dicken Grenzschicht zwischen weißer und grauer Substanz. Diese Schicht enthält die U-Fasern, kürzeste Nervenfasern, die über 90 Prozent aller Verbindungen in der weißen Substanz bilden. Die oberflächliche weiße Substanz unterscheidet sich in ihrer Entwicklung und Physiologie sowohl von der grauen als auch von der weißen Substanz. So werden die U-Fasern erst in einem späten Entwicklungsstadium mit isolierendem Myelin umhüllt. In manchen Gehirnregionen geschieht dies sogar bis in das Erwachsenenalter hinein, das weist auf eine besondere Rolle der U-Fasern für die Gehirnplastizität hin.

Bis vor kurzem war über die Grenzfläche zwischen der weißen und der grauen Substanz - der so genannten „oberflächlichen weißen Substanz“ - noch nicht viel bekannt. Frühere Untersuchungen hatten jedoch darauf hingedeutet, dass schwerwiegende Krankheiten wie Alzheimer und Autismus mit dieser Region verknüpft sind.

Veränderungen der grauen Substanz und ihre Auswirkungen

Schädigungen im Bereich der grauen Substanz im Gehirn führen oft zu Ausfallerscheinungen. Diese unterscheiden sich nach dem jeweiligen Ort der Schädigung im Gehirn. Es kann zu Wegfall der Sinnesfunktionen, trotz intakter Sinnesorgane, führen. Die Abnahme der grauen Substanz der Hirnrinde kann altersbedingt, aber auch eine Folge degenerativer Erkrankungen im Gehirn sein. Zu den typischen Symptomen dabei gehören eine Minderung der Gedächtnisleistungen, des Denkens, der Konzentration und der Orientierung.

Graue Substanz und Multiple Sklerose

Einige Symptome der Multiplen Sklerose lassen sich nicht oder kaum allein durch die Schädigung der weißen Substanz erklären. Dazu gehören kognitive Störungen wie das Erinnern und Fatigue. Wird die graue Substanz beschädigt, schrumpft das Gehirn (Gehirnatrophie). Besonders schwere Schäden in der grauen Substanz sind oft nicht wieder rückgängig zu machen.

Die Göttinger Forscher suchten gezielt nach Angreifern der grauen Hirnsubstanz. Fündig wurden sie im Mausmodell bei Immunzellen, welche das in Nervenzellen vorhandene Eiweiß beta-Synuklein zerstören. Sie wandern gezielt in die graue Substanz und lösen dort Entzündungen aus. Dadurch kommt es zu nicht regenerierbaren Ausfällen. Die Göttinger Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass diese Art den eigenen Körper zerstörender Immunzellen besonders bei Multiple-Sklerose-Patienten mit progredientem Verlauf erhöht sind.

Graue Substanz und Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft ist eine Zeit schneller und drastischer Veränderungen, die nahezu jeden Teil des Körpers erfassen. Angetrieben wird der Umbau von einem wahren Hormonrausch: Östradiol und Progesteron erreichen das Zehn- bis Tausendfache ihrer üblichen Konzentration. Blutmenge, Stoffwechselrate und Sauerstoffverbrauch steigen. Es erscheint logisch, dass auch unser Gehirn in Erwartung neuer Aufgaben umgebaut wird, zumal Sexualhormone machtvolle Architekten unserer neuronalen Netzwerke sind.

Vergangene Studien mit menschlichen Probandinnen vermaßen das Gehirn häufig nur vor und nach, nicht aber während der Schwangerschaft, um unnötige Untersuchungen zu vermeiden. Diese Arbeiten zeigten erstmals, dass Frauen nach der Geburt weniger Graue Substanz in der Großhirnrinde besaßen als zuvor. Besonders vom Schwangerschaftsschwund betroffen zu sein schien ein Netzwerk, das für Selbstreflexion, soziale Kognition und Empathie zuständig ist. Eine große Studie aus dem Jahr 2023 fand heraus, dass die Spuren der Schwangerschaft im Gehirn noch zwei Jahre nach der Entbindung deutlich zu erkennen waren.

Es ist wichtig zu wissen, dass ein schrumpfendes Gehirn oder eine dünnere Großhirnrinde mitnichten bedeuten, dass die geistigen Fähigkeiten nachlassen. Weniger Graue Substanz macht nicht dümmer. Im Gegenteil: Die gezielte Ausdünnung kann die Effizienz unseres Gehirns steigern und den Fokus auf Funktionen legen, die für den kommenden Lebensabschnitt besonders wichtig sind. Etwa die Signale des Babys stets im Blick zu haben, richtig zu deuten und umgehend darauf zu reagieren.

Neue Forschungsmethoden

Nun ist es unserem Team gelungen, die oberflächliche weiße Substanz im lebenden menschlichen Gehirn sichtbar zu machen. Mit einem 7-Tesla-Magnetresonanz-Scanner (MR) konnte die vollständige Grenze zwischen weißer und grauer Substanz mit hoher Auflösung kartografiert werden. Der Schlüssel zu diesem Durchbruch liegt in der Kombination dreier Innovationen in der bildgebenden Methode. Zum einen wurden die Probandenbewegungen während der MRT-Untersuchung mit Hilfe eines holografischen Sensors verfolgt und vom Scanner in Echtzeit kompensiert, um die notwendige Submillimeter-Auflösung zu erreichen. So konnten durch Atem, Herzschlag und andere unvermeidbare Bewegungen verursachte Störungen minimiert werden. Zum anderen wurde multiparametrische quantitative MR-Kartografie anstelle konventioneller gewichteter MR-Bildgebung benutzt, die üblicherweise für die Darstellung des Gewebekontrasts eingesetzt wird. Die so gewonnenen quantitativen MR-Parameter wie Protonendichte und Spinrelaxationszeiten liefern mikrostrukturelle Informationen über die Gewebezusammensetzung. Dabei agieren die Wasserprotonen als winzige molekulare Sensoren ihrer Umgebung. Ein biophysikalisches Modell, die dritte innovative Komponente unseres Ansatzes, verbindet quantitative MR-Parameter und Gewebeeigenschaften.

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