Grippeimpfung und Alzheimer-Forschung: Ein möglicher Zusammenhang

Regelmäßige Impfungen gegen Atemwegserkrankungen wie die Grippe könnten ältere Menschen in einem gewissen Maß vor Alzheimer schützen. Dies ist das Ergebnis verschiedener Studien, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Grippeimpfungen und einem reduzierten Demenzrisiko untersuchen. Die Frage, ob die Grippeimpfung nicht nur vor Grippe, sondern auch vor Demenz schützt, ist also durchaus berechtigt.

Studienergebnisse deuten auf einen Zusammenhang hin

Eine statistische Untersuchung von Forschern der Universität Texas und Houston verglich die Daten von fast einer Million gegen Grippe geimpfter Senioren mit denen von rund einer Million Ungeimpften. Die US-Forscher werteten zwischen 2009 und 2019 erhobene Gesundheitsdaten einer Krankenkasse aus und konzentrierten sich dabei auf über 65-Jährige. Die Ergebnisse zeigten, dass von den 935.887 Geimpften 5,1 Prozent in den folgenden vier Jahren an Alzheimer erkrankten, gegenüber 8,5 Prozent unter den ebenso vielen Ungeimpften.

»Wir fanden heraus, dass die Grippeimpfung bei älteren Erwachsenen das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, über mehrere Jahre hinweg verringert«, fasst Erstautor Dr. Avram S. Bukhbinder zusammen. »Da es Hinweise darauf gibt, dass verschiedene Impfstoffe vor der Alzheimer-Krankheit schützen können, gehen wir davon aus, dass es sich nicht um eine spezifische Wirkung der Grippeimpfung handelt«, so Seniorautor Professor Dr. Paul E. Schulz.

Eine weitere große retrospektive Kohortenstudie an ehemaligen Soldaten, die im September in der Fachzeitschrift „Vaccine“ veröffentlicht wurde, analysierte die Krankenakten von 120.000 Veteranen. Die Wissenschaftler um Timothy Wiemken von der St. Louis University Medical School stellten einen Zusammenhang zwischen verabreichten Grippeimpfdosen und dem Auftreten von Demenz fest. Diejenigen, die sich mindestens sechsmal gegen Grippe hatten impfen lassen, zeigten ein um 12 Prozent geringeres Demenzrisiko als Nicht-Geimpfte.

Mögliche Erklärungen für den Zusammenhang

Warum die Impfung Demenz vorbeugen kann, lässt sich vereinfacht so erklären: Die Impfungen führen zu einem Anstieg der Aktivität von Mikroglia, quasi den „Immunzellen des Gehirns“. Sie erkennen krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte und bauen sie ab. Dazu gehört Beta-Amyloid. Genau hier setzen auch viele Alzheimer-Therapien an, die Beta-Amyloid aus dem Körper schleusen wollen. Wenn wiederholte Grippeschutzimpfungen genau diesen Effekt haben und Beta-Amyloid abbauen, „wäre das ein Durchbruch für die Demenztherapie“, so Prof. Dodel.

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Das Studienteam glaubt, dass im komplexen Immunsystem einige Veränderungen wie etwa eine Lungenentzündung, die körpereigene Abwehr in einer Weise aktivieren können, die die Alzheimer-Krankheit verschlimmert. »Aber andere Dinge, die das Immunsystem aktivieren, tun dies möglicherweise auf eine andere Art und Weise - eine, die vor Alzheimer-Krankheit schützt«, erklärt Schulz mit Blick auf Impfungen.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) berichtet, dass Laborstudien am Tiermodell eine molekulare Erklärung für diesen Zusammenhang liefern könnten: Impfungen führen zu einem Anstieg der Aktivität der sogenannten Mikroglia, den „Immunzellen des Gehirns“. Sie erkennen krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte und bauen diese ab, wodurch Beta-Amyloid vermehrt abgebaut wird.

Einschränkungen und weitere Forschung

Es ist wichtig zu beachten, dass es sich bei den genannten Studien um rückblickende Auswertungen handelt. Sie punkten zwar mit einer hohen Zahl an Studienteilnehmenden und sorgfältiger Durchführung, haben aber dennoch keinen Beweischarakter, sondern können nur eine Assoziation aufzeigen, so Prof. Dodel. Es liegen schon mehrere solcher Assoziationsstudien in Sachen Demenz vor, nicht nur zu Grippeschutzimpfungen, sondern auch zu Impfungen gegen Diphtherie oder Tetanus. Auch experimentelle Studien haben bereits auf einen Zusammenhang zwischen Impfungen und geringerem Demenzrisiko hingedeutet.

Die Forscher schränken allerdings ein, dass der Grund für den Zusammenhang aus den Daten nicht hervorgeht. Auch andere Impfungen haben anderen Studien zufolge einen ähnlichen Effekt, der Schutz geht also nicht allein von den Influenza-Impfstoffen aus. Das Immunsystem sei komplex, sagte Paul Schulz, Professor für Neurologie. "Veränderungen, wie eine Lungenentzündung, können es in einer Weise aktivieren, die eine Alzheimer-Krankheit verschlimmert. Andere Impulse, die das Immunsystem aktivieren, stoßen aber offenbar andere Abläufe an, die vor der Alzheimer-Krankheit schützen.

Auch solle in weiteren Studien untersucht werden, ob die Covid-19-Impfung sich ebenfalls positiv auf das Demenzrisiko ausgewirkt haben könnte.

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Bedeutung für die öffentliche Gesundheit

„Jedes Jahr erfolgen ähnliche Aufrufe, die Grippeschutzimpfung zu nutzen. Wir wollten einmal auf einen möglichen Zusatznutzen aufmerksam machen, der den Wenigsten bekannt sein dürfte. Doch in erster Linie soll die Grippeschutzimpfung vor einem schweren Verlauf der Krankheit schützen, die für ältere und bereits erkrankte Menschen durchaus tödlich verlaufen kann“, so Peter Kaetsch, Vorstandsvorsitzender der BIG direkt gesund.

Die Gruppen, die ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf haben, sind bei Influenza und COVID-19 sehr ähnlich:

  • alle Schwangeren ab der 14.
  • Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens (wie z.B.

Immuntherapie als перспективный Ansatz in der Alzheimer-Forschung

Die Aussichten auf eine Immuntherapie gegen die Alzheimer-Krankheit haben sich deutlich verbessert. Die Gedächtnisleistung der ersten Patienten, die einen therapeutischen Impfstoff erhalten haben, hat sich binnen eines Jahres kaum verschlechtert. Dies berichteten Prof. Roger M. Nitsch und Dr. Christoph Hock von der Abteilung für Psychiatrische Forschung der Universität Zürich auf der Titisee-Konferenz des Boehringer-Ingelheim-Fonds - Stiftung für medizinische Grundlagenforschung.

Bereits 1999 hatten Tierexperimente mit transgenen Mäusen ergeben, dass AN1792 die Ablagerung amyloider Plaques im Gehirn drastisch verringern kann. Mindestens zwei Untersuchungen belegen außerdem, dass diese Intervention Mäuse vor Lern- und Gedächtnisdefiziten schützen kann.

Schwierigkeiten und Erfolge bei der Entwicklung von Impfstoffen

Gerade 16 Monate ist es her, dass die internationale Phase-IIa-Studie AN1792 (QS-21) abgebrochen wurde, an der auch Nitsch und Hock beteiligt waren. 15 von 375 Versuchsteilnehmern hatten postvakzinal die Symptome einer aseptischen Meningoenzephalitis gezeigt. In einer vorangegangenen Phase-I-Studie, mit der von der Elan Corporation und den Wyeth-Ayerst Laboratories gemeinsam entwickelten Vakzine, war diese Nebenwirkung nicht aufgetreten.

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Wie Nitsch berichtete, konnten alle drei Patienten, die in Zürich an einer Meningoenzephalitis erkrankt waren, mit Glukokortikoiden erfolgreich behandelt werden. Auch in den anderen europäischen und US-amerikanischen Behandlungszentren sind fast alle Patienten genesen, ohne bleibende Schäden zurückzubehalten, bestätigte Dale Schenk, der „Erfinder“ der Alzheimer-Impfung.

Ergebnisse einer detaillierten Auswertung

Eine soeben publizierte detaillierte Auswertung (Neuron 2003; 38; 547-554) umfasst die Daten von 28 Patienten, die gemäß dem Kriterium der anhaltenden Bildung von Antikörpern gegen die Impfsubstanz Ab42 in Responder (n = 19) und Non-Responder (n = 9) gruppiert wurden. Das Ab42-Antigen besteht aus einem rekombinanten präaggregierten Peptid. Dieses Peptid wird durch Proteolyse des Amyloid-Precursor-Proteins (APP) freigesetzt und bildet einen Hauptbestandteil der für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Amyloid-Plaques. Zahlreiche Studien haben bewiesen, dass Ab42 neurotoxisch ist.

Der Verlust kognitiver Funktionen wurde primär anhand der Mini-Mental- State-Examination gemessen und fiel im einjährigen Untersuchungszeitraum für die Responder signifikant niedriger aus als für die Non-Responder (minus 1,4 versus minus 6,4 Punkte). In der einjährigen Nachbeobachtungszeit verschlechterten sich unter den erfolgreich geimpften Personen lediglich drei von 19 (16 Prozent) um eine Stufe auf „ernsthafte Demenz“ (Severe Dementia, MMSE < 14). In der Kontrollgruppe waren es dagegen sechs von neun Patienten (67 Prozent).

Bedeutung der Ergebnisse und zukünftige Forschung

Die Stabilisierung der Responder unterscheidet sich deutlich vom natürlichen Verlauf der Alzheimer-Krankheit in diesem Stadium, schreiben Hock et al. Andererseits habe sich die Gedächtnisleistung der Non-Responder schneller als erwartet verschlechtert, bemerken in einem Editorial zur aktuellen Publikation Bengt Winblad vom Stockholms Karolinska Institute und Neuron-Herausgeber Kenneth Blum. Die potenziell tödliche Nebenwirkung der Impfung bleibe eine alles überragende Sorge, dennoch „zeigt dieser Artikel, dass das Konzept der Impfung am Leben ist“.

Die Wissenschaftler plädieren dafür, vor weiteren Studien mit Menschen den Impfstoff zu verbessern. An diesem Projekt arbeiten derzeit - mehr oder weniger offen - fast alle größeren Pharmakonzerne, darunter die Schweizer Firmen Roche und Novartis sowie die US-Gesellschaft Eli Lilly.

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