Haben Spermien ein Gehirn? Eine umfassende Untersuchung

Die Frage, ob Spermien ein Gehirn haben, mag zunächst überraschend erscheinen. Um diese Frage adäquat zu beantworten, ist es wichtig, sich zunächst mit der Funktionsweise von Spermien, ihrer Entstehung und ihrer Reise zur Eizelle auseinanderzusetzen. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Prozesse der Spermienbildung, ihre Zusammensetzung, ihre Fähigkeiten und die überraschenden Gemeinsamkeiten zwischen Hoden und Gehirn.

Die Entstehung von Spermien (Spermiogenese)

Die Produktion von Spermien, auch Spermiogenese genannt, ist ein komplexer Prozess, der in den Hoden stattfindet. Ab der Pubertät werden in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) Hormone gebildet, die die Hodenfunktion steuern. Diese Hormone, darunter das follikelstimulierende Hormon (FSH) und das luteinisierende Hormon (LH), spielen eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der Spermienproduktion und der Testosteronproduktion. FSH reguliert die Bildung der Samenzellen in den Hoden, während LH die Produktion von Testosteron steuert. Die Ausschüttung von FSH und LH wird wiederum vom Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) gesteuert, das im Zwischenhirn (Hypothalamus) gebildet wird.

Der gesamte Entwicklungs- und Reifeprozess der Spermien dauert etwa drei Monate. Spermien entwickeln sich in den Samenkanälchen der Hoden und gelangen von dort in die Nebenhoden, wo sie endgültig ausreifen. Reife Spermien sind etwa 0,06 mm groß und enthalten das Erbgut des Mannes. Für die Spermienbildung ist eine konstante Körpertemperatur von etwa 35 Grad Celsius erforderlich. Um dies zu gewährleisten, ziehen sich die Hoden bei niedrigen Temperaturen näher an den Körper heran, während sich die Haut des Hodensacks bei höheren Temperaturen weitet, damit die Hoden abkühlen können.

Die Samenflüssigkeit (Sperma)

Beim Orgasmus werden im Allgemeinen 2 bis 6 Milliliter Samenflüssigkeit (Ejakulat) aus der Harnröhre ausgestoßen. Diese Flüssigkeit dient als Transportmittel für die Spermien zur Eizelle und besteht nur zu etwa 5 % aus Samenzellen. Der Rest besteht aus Sekreten aus anderen Drüsen, insbesondere der Prostata und den Bläschendrüsen. Diese Sekrete sind für die Befruchtungsfähigkeit der Samenzellen von großer Bedeutung, da sie unter anderem für die Beweglichkeit der Samenzellen sorgen und ihnen als Energielieferant dienen.

Die Reise der Spermien zur Eizelle

Unmittelbar nach dem Samenerguss sind die Spermien in der zähen Samenflüssigkeit noch unbeweglich eingeschlossen. Nach 15 bis 30 Minuten verflüssigt sich das Sperma und die Spermien können sich Richtung Eileiter fortbewegen. Für den 12 bis 15 Zentimeter weiten Weg durch die Gebärmutter in die Eileiter benötigen gut bewegliche Spermien ein bis drei Stunden. Die Gebärmutter unterstützt sie dabei durch Muskelkontraktionen. Auf diesem Weg greifen jedoch Immunzellen in der Gebärmutter die Samenzellen an, sodass nur wenige hundert in den richtigen Eileiter und zum Ei gelangen.

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Ei und Spermien werden durch die Bewegung feiner Flimmerhärchen und Kontraktionen des Eileiters aufeinander zu bewegt. Die Spermien lösen nun gemeinsam die Außenhülle des Eies auf, doch nur einem Spermium gelingt es schließlich, ins Innere des Eis vorzudringen und es zu befruchten. Sobald dies geschehen ist, wird in der Eizelle ein Mechanismus ausgelöst, der die Befruchtung durch weitere Spermien unmöglich macht. Die verbliebenen Samenzellen werden vom weiblichen Körper abgebaut. Die befruchtete Eizelle wandert schließlich den Eileiter hinunter und nistet sich in der Gebärmutterschleimhaut ein, um sich dort weiter zu entwickeln.

Das "Ortsgedächtnis" der Spermien

Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass menschliche Spermien eine Art "Ortsgedächtnis" besitzen, das ihnen den Weg zur Eizelle erleichtern kann. Eine Studie des Züricher Neurobiologen Peter Brugger zeigte, dass Spermien sich an ihre Richtungswechsel "erinnern" können. Wenn sich die Spermien zunächst nach links wenden, biegen sie an der nächsten Kreuzung eher rechts ab. So bewegen sie sich nicht im Kreis und finden eher den richtigen Weg.

Brugger betont jedoch, dass Spermien kein kognitives Gedächtnis besitzen, wie es das menschliche Gehirn tut. Er vermutet, dass jede Drehbewegung eine Ungleichmäßigkeit in jenem Mechanismus verursacht, der die Schwanzbewegung und damit das Fortkommen der Spermien kontrolliert. Die entgegengesetzte Drehung könnte diese Störung ausgleichen.

Gemeinsamkeiten zwischen Hoden und Gehirn

Eine Studie der Universität von Aveiro in Portugal hat verblüffende Ähnlichkeiten zwischen Hoden und Gehirn aufgedeckt. Die Forscher verglichen den Aufbau und die Struktur von 33 Gewebearten und stellten fest, dass das Gewebe von Gehirn und Hoden eine Übereinstimmung von 13.442 Proteinen aufweist. Im Vergleich zu anderen menschlichen Körpergeweben haben Gehirn und Hoden die höchste Anzahl gemeinsamer Proteine.

Diese Gemeinsamkeiten könnten erklären, warum es einen Zusammenhang zwischen sexueller Dysfunktion und Erkrankungen des Gehirns gibt, sowie warum Intelligenz und Samenqualität sich gegenseitig beeinflussen können. Die gemeinsamen Eiweiße von Hirn und Hoden sind vor allem an der Bildung von neuem Gewebe und Zellkommunikation beteiligt. Beide Organe haben einen sehr hohen Energiebedarf und verfügen über extrem spezialisierte Zellen - beim Gehirn sind es die Neuronen, beim Hoden die Keimzellen. Sowohl Nervenzellen als auch Spermien erfüllen ihre Aufgaben, indem sie Stoffe aus der Zellmembran heraustransportieren (Exozytose).

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Die Forscher vermuten, dass Hoden und Gehirn während der Artbildung unter ähnlichen Einflüssen entstanden sind und derselbe Selektionsdruck auf beide Organe ausgeübt wurde, was zu einer konvergenten Entwicklung geführt hat. Besonders interessant sind die 60 Protein-codierenden Gene, die für den Menschen einzigartig sind und von denen besonders viele sowohl im Gehirn als auch in den Hoden zu finden sind. Diese Gene können zu phänotypischen Merkmalen beitragen, die für den Menschen exklusiv sind, wie zum Beispiel die verbesserte kognitive Fähigkeit.

Mikrochimärismus: Männliche DNA im Gehirn von Frauen

Ein weiteres faszinierendes Phänomen ist der Mikrochimärismus, bei dem Zellen des Feten in den Kreislauf der Mutter übergehen und sogar die Bluthirnschranke passieren können. William Chan von der University von Alberta in Edmonton fand im Gehirngewebe verstorbener Frauen DNA, die vom Y-Chromosom stammt - also männliche DNA. Dieser Mikrochimärismus ist nicht selten und kann Jahrzehnte nach der Geburt des Kindes nachweisbar sein.

Die älteste Frau mit männlicher DNA im Gehirn war bei ihrem Tod 94 Jahre alt. Ob die fremde DNA im Gehirn Auswirkungen auf die Gesundheit hat, wird derzeit untersucht. Es gibt Hinweise darauf, dass sie möglicherweise vor Fehlentwicklungen und Entartungen schützen könnte.

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