Die Parkinson-Krankheit ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung, von der in Deutschland etwa 400.000 Menschen betroffen sind. Da die Ursachen noch nicht vollständig verstanden sind, konzentriert sich die Forschung zunehmend auf innovative Therapieansätze. In diesem Zusammenhang hat medizinisches Cannabis in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt und bei vielen Patienten große Hoffnungen geweckt.
Die Rolle von medizinischem Cannabis in der Parkinson-Therapie
Seit der Zulassung von medizinischem Cannabis im Frühjahr 2017 fragen sich viele Parkinson-Patienten, ob dies eine sinnvolle Therapieoption für sie sein könnte. Oftmals haben sie jedoch nur eine vage Vorstellung davon, wogegen oder wofür Cannabis eigentlich wirken soll. Besonders Patienten, die von den Möglichkeiten der konventionellen Medizin enttäuscht sind, sehen in Cannabis eine vielversprechende Alternative.
Es ist wichtig zu betonen, dass Cannabis ein Stoff ist, dessen Wirkung bei Parkinson noch nicht ausreichend erforscht ist und dessen Anwendung nicht risikolos ist. Es können gravierende Nebenwirkungen auftreten. Trotz dieser Unsicherheiten hat sich die Situation in Deutschland seit der Gesetzesänderung deutlich gewandelt. Während es zuvor nur sehr wenige Indikationen für die Verschreibung von Cannabinoiden gab, werden die Gründe für die Verschreibung von medizinischem Cannabis nun kaum noch eingegrenzt. Dies führt zu einer paradoxen Situation, in der Ärzte eine sehr weitreichende Therapiefreiheit haben, obwohl die Nutzen-Risiko-Bewertung noch nicht abgeschlossen ist.
Die Wirkstoffe von Cannabis und ihre potenziellen Effekte
Cannabis enthält über 60 verschiedene Inhaltsstoffe, von denen zwei besonders wichtig sind: Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD).
- THC (Tetrahydrocannabinol): Dies ist der psychoaktive Stoff, der für die berauschende Wirkung von Cannabis verantwortlich ist. THC kann Halluzinationen hervorrufen und wirkt stark auf die Psyche. Es ist als Öl oder in Kapseln erhältlich.
- CBD (Cannabidiol): Im Gegensatz zu THC wirkt CBD nicht halluzinogen. Es ist ein interessanter Wirkstoff, der jedoch derzeit als Nahrungsergänzungsmittel und nicht als Medikament zugelassen ist.
Der Körper selbst produziert ebenfalls Cannabinoide, für die im Gehirn zwei Empfängerstellen bekannt sind. Docken diese Cannabinoide dort an, werden Signalkaskaden in nachgeordneten Nervenzellen ausgelöst und bestimmte Botenstoffe freigesetzt, darunter Dopamin, Glutaminsäure und Serotonin. Diese Reaktionen sind äußerst komplex und noch nicht vollständig erforscht.
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Studienlage zu Hanföl und Parkinson-Symptomen
Beobachtungsstudien und Umfragen
Eine Beobachtungsstudie berichtete über eine rasche Linderung der Parkinson-Symptome (einschließlich Bradykinesie und Tremor) nach Inhalation von Cannabisrauch (CBD + THC) bei etwa 79 % der Patienten (von 28). Eine größere Studie mit 339 tschechischen Parkinson-Patienten, die routinemäßig Cannabisblätter oral einnahmen (CBD + THC), ergab eine signifikante Verbesserung des Ruhetremors, der Bradykinesie und der Steifigkeit bei insgesamt geringen oder keinen Nebenwirkungen.
Eine 2004 veröffentlichte Umfrage unter Parkinson-Patienten in Prag ergab, dass 25 % der 339 Teilnehmer bereits Cannabis zu sich genommen hatten. Fast die Hälfte (46 %) berichtete, eine positive Wirkung auf Krankheitssymptome erlebt zu haben (31 % Verbesserung Ruhetremor, 45 % Verbesserung der Bradykinese, 38 % Rückgang der Muskelrigidität, 14 % Reduktion von Levodopa-induzierten Dyskinesien). Lediglich 5 % der Patienten bemerkten eine Verschlechterung der Symptome durch die Cannabis-Einnahme. Auch neuere, Internet-basierte Umfragen bestätigen den hohen Anteil von aktuell Cannabis-konsumierenden Parkinson-Patienten (37 %), die meisten nahmen bereits über ein Jahr Cannabis ein (70 %). Zumeist wurde Cannabis geraucht (41 %), oral eingenommen (6 %) oder beides (20 %). Fast die Hälfte der Patienten (48 %) berichtete, dass sie die verschriebene Medikation unter der Selbstmedikation mit Cannabis reduzieren konnten. Eine retrospektive Auswertung von 47 Patienten, die im Mittel 19,1 Monate mit Cannabinoiden behandelt wurden, ergab eine deutliche Verbesserung von motorischen und nichtmotorischen Symptomen wie Reduktion von Stürzen, Tremor und Muskelrigidität sowie eine Verbesserung des Schlafs, der Stimmung und von Schmerzen.
In zwei Fallserien wurde der Effekt von Cannabinoiden auf motorische Symptome untersucht. Bei fünf Parkinson-Patienten, die nach der nächtlichen Medikationspause eine Zigarette mit 1 g Marihuana (2,9 % THC) rauchten, konnte keine Reduktion des Tremors festgestellt werden. Hingegen wurde in einer Untersuchung von 22 Patienten nach Rauchen von 0,5 g Cannabis (unbekannter THC/CBD-Gehalt) eine signifikante Verbesserung des Scores im motorischen Teil der MDS-UPDRS (33,1 ± 13,8 vs. 23,2 ± 10,5) mit ebenfalls signifikanter Reduktion der Subscores für Tremor, Rigidität und Bradykinese festgestellt. Zusätzlich wurden eine signifikante Reduktion von Schmerzen und eine verbesserte Schlafqualität beschrieben.
Nichtmotorische Parkinson-Symptome wurden in zwei weiteren unkontrollierten Studien untersucht. Bei sechs Patienten mit Parkinson-assoziierter Psychose wirkten sich 400 mg CBD/Tag positiv auf psychiatrische Positiv- und Negativsymptome gemäß Brief Psychiatric Rating Scale aus. Mit REM-Schlafverhaltensstörungen assoziierte Symptome wie Agitation, Schlagen, Treten und Albträume verschwanden bei vier Patienten, die 75 oder 300 mg CBD pro Tag einnahmen.
Placebo-kontrollierte Studien
Es existieren drei höherwertige, Placebo-kontrollierte Studien, in denen die Wirkung von Cannabinoiden auf motorische und nichtmotorische Symptome untersucht wird. Sieradzan und Kollegen setzten Nabilon ein, um dessen Effekt auf Levodopa-induzierte Dyskinesien (LID) bei einem Levodopa-Test bei sieben Patienten zu untersuchen. Zwar fand sich eine signifikante Reduktion der Schwere, nicht jedoch der Dauer der LID. Caroll und Kollegen untersuchten den Effekt einer THC/CBD-(2 : 1)-Mischung auf LID bei 17 Patienten über vier Wochen. Weder konnte eine Verbesserung von LID noch von sekundären Outcome-Kriterien wie dem motorischen Teil der MDS-UPDRS, der Lebensqualität, Schmerzen oder Schlafqualität nachgewiesen werden. Chagas und Kollegen untersuchten den motorischen Teil der MDS-UPDRS und die Lebensqualität sechs Wochen nach Behandlung mit 75 oder 300 mg CBD (oder Placebo) bei sieben Patienten pro Behandlungsarm. Zwar konnte eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität in der 300-mg-CBD-Gruppe gefunden werden, der MDS-UPDRS-Score unterschied sich jedoch nicht zwischen den Gruppen. Kürzlich wurde das Studienprotokoll für die österreichische, qualitativ hochwertige „The NMS-Nab Study“ veröffentlicht, welche die Wirkung von Nabilon auf nichtmotorische Symptome bei M. Parkinson (gemessen an der MDS-UPDRS Teil 1) über vier Wochen untersuchen wird.
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Eine aktuelle randomisierte Studie aus dem Jahr 2024 untersuchte die Wirkung von Cannabidiol mit Δ-9-Tetrahydrocannabinol bei Parkinson-Patienten. Die Behandlung erfolgte randomisiert mit einer Mischung mit relativ hochdosiertem CBD und niedrigem Anteil THC oder einem Placebo, um vorläufige Ergebnisse für eine längere Studie zu gewinnen. Parkinson-Patienten (≥ 20 MDS-UPDRS, motor Movement Disorder Society Unified Parkinson’s Disease Rating Scale) nahmen über 2 Wochen an der Studie teil. Die Behandlung wurde schrittweise gesteigert bis zu einer abschliessenden Dosierung von 2,5 mg/kg/Tag. Insgesamt 61 Teilnehmer wurden zufällig der täglichen Behandlung mit CBD/THC (n = 31) oder Placebo (n = 30) zugewiesen. Im Durchschnitt erhielten die Teilnehmer der CBD/THC-Gruppe eine letzte Dosis mit 191,8 mg CBD (± 48,9 mg) und 6,4 mg THC (± 1.6 mg). In verschiedenen Tests zeigte sich ein starker Placeboeffekt. Darüber hinaus fanden sich jedoch Behandlungseffekte bei Schlaf, Denkleistung und Alltagsaktivität, mit besseren Ergebnissen in der Placebogruppe. Die Autoren fassen zusammen, dass die kurze Studiendauer und der starke Placeboeffekt manche Interpretation der Ergebnisse einschränken.
CB1-Antagonisten
Interessanterweise wurde neben den genannten CB1- und CB2-Agonisten auch der Effekt eines selektiven CB1-Antagonisten, Rimonabant, auf motorische Parkinson-Symptome inklusive LID untersucht. Hier zeigte sich bei vier Patienten nach einem Levodopa-Test keine zusätzliche Wirkung des Rimonabants auf den motorischen Teil der MDS-UPDRS oder auf LID.
Mögliche Vorteile und Risiken von Cannabis bei Parkinson
Mögliche Vorteile
- Linderung von Dyskinesien: Einige Studien deuten darauf hin, dass Cannabis eine dämpfende Wirkung auf die Unruhebewegungen haben könnte, die durch das Medikament L-Dopa ausgelöst werden.
- Verbesserung nichtmotorischer Symptome: CBD könnte positive Auswirkungen auf psychiatrische Symptome und REM-Schlafverhaltensstörungen haben.
- Schmerzlinderung und verbesserte Schlafqualität: Einige Patienten berichten von einer signifikanten Reduktion von Schmerzen und einer verbesserten Schlafqualität nach der Einnahme von Cannabis.
Mögliche Risiken und Nebenwirkungen
- Halluzinationen: In einigen Studien sind bei Patienten Halluzinationen aufgetreten, die durch THC verstärkt werden können.
- Kreislaufprobleme: THC kann zu Kreislaufschwäche und niedrigem Blutdruck führen.
- Erhöhtes Herzinfarktrisiko: Es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte im Zusammenhang mit Cannabiskonsum.
- Starker Placeboeffekt: Viele Studien zeigen einen starken Placeboeffekt, der die Interpretation der Ergebnisse erschwert.
Empfehlungen für die Anwendung von Cannabis bei Parkinson
Angesichts der dünnen Datenlage und der heterogenen Studienlage können derzeit keine evidenzbasierten Empfehlungen für die Anwendung von Cannabinoiden bei Parkinson ausgesprochen werden. Aufgrund dessen sollten Cannabinoide erst nach Ausschöpfung der leitliniengerechten Therapie und am ehesten bei schwer behandelbaren Symptomen wie Levodopa-induzierten Dyskinesien, Schmerzen oder Schlafstörungen eingesetzt werden. Es empfiehlt sich, den Therapieerfolg mittels objektiver Skalen zu verifizieren.
Es ist wichtig, die Verwendung von Cannabisprodukten unter medizinischer Betreuung zu betrachten und sie wie jedes neue Medikament zu behandeln. Eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung ist unerlässlich.
Fazit
Die Forschung zu Hanföl und seinen Auswirkungen auf Parkinson-Symptome steckt noch in den Kinderschuhen. Während einige Studien und Erfahrungsberichte vielversprechende Ergebnisse zeigen, gibt es auch Studien, die keine signifikanten Effekte feststellen konnten. Die Studienlage ist heterogen und es bedarf weiterer, qualitativ hochwertiger Studien, um die potenziellen Vorteile und Risiken von Cannabis bei Parkinson besser zu verstehen.
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Es ist wichtig, sich der potenziellen Risiken und Nebenwirkungen bewusst zu sein und die Behandlung mit einem erfahrenen Arzt zu besprechen. Die Entscheidung für oder gegen eine Therapie mit medizinischem Cannabis sollte immer individuell getroffen werden, unter Berücksichtigung der spezifischen Symptome, der Krankheitsgeschichte und der persönlichen Präferenzen des Patienten.
Zusätzliche Aspekte
Atypische Parkinson-Syndrome
Zur Behandlung motorischer Symptome mit Cannabinoiden konnten keine Fallberichte oder Studien für atypische Parkinson-Syndrome identifiziert werden. Hinsichtlich nichtmotorischer Symptome ist erwähnenswert, dass ein Großteil der Patienten mit atypischen Parkinson-Syndromen unter Schmerzen leidet, wobei dies häufiger bei Patienten mit Synucleinopathien als bei Tauopathien der Fall zu sein scheint. Als am analgetisch wirksamsten wurden nichtsteroidale Antiphlogistika und Cannabis beschrieben, wobei hier keine Aussage zur Substanz und Art der Einnahme getroffen wurde. In einem Fallbericht konnte keine Wirkung von Dronabinol auf therapierefraktäre Agitation und Aggression bei einem Patienten mit Lewy-Body-Demenz nachgewiesen werden.
Aufgrund der generell meist unzureichenden medikamentösen Behandlungsmöglichkeit der motorischen und nichtmotorischen Symptome bei atypischen Parkinson-Syndromen sollte den Patienten nach Einsatz der „konventionellen“ Medikation ein Therapieversuch mit Cannabinoiden unserer Meinung nach nicht verwehrt werden. Auch hier empfiehlt sich die Festlegung von Zielsymptomen, die während der Therapie mit validierten Scores dokumentiert werden sollten, um einen Therapieerfolg verifizieren zu können.
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