Die Harninkontinenz ist eine häufige Folge eines Schlaganfalls, die jedoch in der Rehabilitation oft vernachlässigt wird. Viele Patienten leiden nach einem Schlaganfall unter unwillkürlichem Urinabgang und Einnässen, was ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen des Harnverhalts nach einem Schlaganfall und stellt verschiedene Therapieansätze vor.
Ursachen des Harnverhalts nach Schlaganfall
Nach einem Schlaganfall kann es zu verschiedenen Blasenfunktionsstörungen kommen. Die Ursachen sind vielfältig und oft komplex:
- Direkte Schädigung des kortikalen Blasenzentrums oder pontiner Miktionszentren im Hirnstamm: Dies führt zu einer Blasenhyperreflexie und Urge-Inkontinenz.
- Sprachliche und kognitive Einschränkungen: Diese können eine funktionelle Inkontinenz bei eigentlich erhaltener Blasenfunktion auslösen.
- Neuropathien, Harnwegsinfektionen und Nebenwirkungen von Medikamenten: Diese können ebenfalls Ursachen für Einnässen sein.
- Stress: Der mit dem Schlaganfall verbundene Stress kann bestehende Kontinenzprobleme verschlimmern.
Ein Schlaganfall kann die Steuerung der Harnspeicherung und Harnentleerung im Gehirn beeinträchtigen. Fehlt die Kontrolle über die Blase, kann es zu einer Überaktivität der Blase mit häufigem und zwanghaftem Wasserlassen kommen. In der Frühphase besteht die Gefahr, dass die Blase durch Harnverhalt überdehnt wird.
Es gibt zwei Hauptformen des Schlaganfalls:
- Mangeldurchblutung (ischämischer Hirninfarkt): Ein Blutklümpchen oder Kalkablagerungen verschließen ein Gefäß im Gehirn, was zu einer Sauerstoffunterversorgung und dem Absterben von Nervenzellen führt.
- Blutung (Hirnblutung): Ein Blutgefäß im Gehirn reißt oder platzt, wodurch Blut in das umliegende Hirngewebe fließt und auf die Nervenzellen drückt.
Beide Formen führen zu Gewebeschäden und dem Verlust von Gehirnfunktionen, einschließlich der Kontrolle über die Blase.
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Formen der Harninkontinenz nach Schlaganfall
Nach einem Schlaganfall können verschiedene Formen der Harninkontinenz auftreten:
- Dranginkontinenz: Ein gesteigerter, imperativer Harndrang, oft gefolgt von unwillkürlichem Urinverlust. Die Aktivität des Blasenentleerungsmuskels (Detrusor) ist aufgrund des Ausfalls der hemmenden Wirkung des Gehirns erhöht.
- Reflexinkontinenz: Die Blase entleert sich reflexartig und ohne Vorwarnung. Dies tritt vor allem bei schweren Nervenschädigungen im Gehirn oder Rückenmark auf, wie z.B. bei Querschnittslähmung.
- Überlaufinkontinenz: Die Blase kann aufgrund einer Blockade oder einer schwachen Blasenmuskulatur nicht vollständig entleert werden, was zu einem ständigen Harnträufeln führt.
- Funktionelle Inkontinenz: Die Blasenfunktion ist intakt, aber körperliche oder geistige Einschränkungen verhindern, dass die betroffene Person rechtzeitig die Toilette erreicht.
- Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz): Unwillkürlicher Harnverlust beim Husten, Niesen, Lachen oder anderen körperlichen Anstrengungen.
Diagnostik
Die Diagnostik der neurogenen Blase umfasst verschiedene Untersuchungen, um die Art der Fehlfunktion von Blase und Schließmuskel, die Funktion von Nieren und Harnleiter sowie die zugrunde liegende neurologische Erkrankung zu beurteilen. Dazu gehören:
- Anamnese und körperliche Untersuchung: Erhebung der Krankengeschichte und allgemeine Untersuchung des Patienten.
- Neurologische Untersuchung: Fokussierte neurologische Untersuchung zur Beurteilung von Nervenfunktionen.
- Miktionstagebücher: Erfassung der Miktionsfrequenz und des funktionellen Blasenvolumens.
- Harnanalyse: Abklärung des Vorliegens von Harnwegsinfektionen.
- Ultraschalluntersuchung des Harntrakts: Ausschluss von Komplikationen wie Blasensteinen und Messung des Restharnvolumens.
- Uroflowmetrie (Harnstrahlmessung): Messung der Harnflussgeschwindigkeit zur Beurteilung der Blasenentleerung.
- Urethrozystoskopie (Blasenspiegelung): Untersuchung der Harnröhre und Blase mit einem Endoskop.
- (Video-)Urodynamik mit Beckenboden-EMG: Umfassende Untersuchung der Blasenfunktion während der Füll- und Entleerungsphase mit gleichzeitiger Messung der Muskelaktivität im Beckenboden.
- Nierensonografie: Bildliche Darstellung der Nieren zur Beurteilung ihrer Struktur und Funktion.
- Bestimmung von Kreatinin, Harnstoff und eventuell eine 24-Stunden-Kreatinin-Clearance: Beurteilung der Nierenfunktion.
- Furosemid-Isotopen-Nephrogramm: Nuklearmedizinische Untersuchung zur Beurteilung der Nierendurchblutung und -funktion.
Therapie
Die Therapie des Harnverhalts nach Schlaganfall zielt darauf ab, die Blasenfunktion zu verbessern, die Lebensqualität zu erhöhen und Komplikationen wie Harnwegsinfektionen und Nierenschäden zu vermeiden.
Konservative Maßnahmen
- Blasentraining: Regelmäßiges Toilettentraining, um die Blasenkapazität zu erhöhen und die Kontrolle über die Blasenentleerung zu verbessern. Aktives Miktionstraining kann ebenfalls hilfreich sein.
- Verhaltensänderungen: Anpassung des Lebensstils und des Trinkverhaltens. Vermeidung von blasenreizenden Substanzen wie Koffein und Alkohol.
- Beckenbodentraining: Stärkung der Beckenbodenmuskulatur zur Verbesserung der Kontinenz.
- Inkontinenzhilfsmittel: Verwendung von Windeln, Vorlagen oder Urinalkondomen, um ungewollten Urinverlust aufzufangen.
- Katheterisierung: Regelmäßige Entleerung der Blase mit einem Katheter, um Harnverhalt und Überdehnung der Blase zu vermeiden. Es gibt zwei Arten der Katheterisierung:
- Intermittierender Selbstkatheterismus (ISK): Der Patient führt mehrmals täglich selbst einen Einmalkatheter in die Harnröhre ein, um die Blase zu entleeren.
- Dauerkatheter: Ein Katheter wird in die Harnröhre eingeführt und verbleibt dort für einen längeren Zeitraum (2-4 Wochen).
Medikamentöse Therapie
- Anticholinergika (Antimuskarinika): Diese Medikamente hemmen die Überaktivität der Harnblase und reduzieren den Harndrang. Mögliche Nebenwirkungen sind Mundtrockenheit, Verstopfung, verschwommenes Sehen und Harnverhalt.
- Alpha-Blocker: Diese Medikamente werden in Kombination mit Detrusor-tonisierenden Parasympathomimetika zur Behandlung des hypokontraktilen Detrusors eingesetzt.
- Botulinumtoxin A: Die Injektion von Botulinumtoxin A in den Blasenmuskel kann die Aktivität des Detrusors reduzieren und die Inkontinenz verbessern.
Minimalinvasive Therapien
- Sakrale Neuromodulation (SNM): Ein im Gesäßbereich implantierter Schrittmacher gibt schwache elektrische Impulse an die Sakralnerven ab, um die Blasenfunktion zu modulieren.
- Elektrostimulation: Kann zur weiteren Unterstützung der Blasenfunktion hilfreich sein.
Operative Eingriffe
Operative Eingriffe werden nur in seltenen Fällen in Betracht gezogen, wenn konservative und minimalinvasive Therapien nicht erfolgreich sind.
- Blasenaugmentation: Vergrößerung der Blasenkapazität durch ein eingesetztes Darmsegment.
- Sphinkterotomie: Einschnitt des Schließmuskels, um die Blasenentleerung zu erleichtern.
- Harnableitung: Chirurgische Umleitung des Urins, wenn die Blasenfunktion nicht wiederhergestellt werden kann.
- Künstlicher Schließmuskel: Implantation eines künstlichen Schließmuskels zur Verbesserung der Kontinenz.
Spezielle Therapieansätze bei neurogener Blase
Bei der Behandlung der neurogenen Blase werden zusätzlich folgende Therapieansätze berücksichtigt:
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- Blaseninstillation mit Resiniferatoxin (RTX): Einbringung von RTX in die Blase zur Reduktion der Überaktivität.
- Äußere Elektrostimulation: Stimulation der Nerven zur Verbesserung der Blasenfunktion.
Rehabilitation und begleitende Maßnahmen
- Kontinenzpflegekräfte: Unterstützung und Beratung durch spezialisierte Pflegekräfte.
- Psychologische Betreuung: Unterstützung bei psychischen Problemen wie Schamgefühlen, Depressionen und geringem Selbstwertgefühl.
- Sozialberatung: Beratung zu finanziellen und sozialen Aspekten der Inkontinenz.
Komplikationen
Ein unzureichender Harnabfluss und Restharn können zu verschiedenen Komplikationen führen:
- Harnwegsinfektionen: Erhöhtes Risiko durch bakterielle Infektionen aufgrund des unvollständigen Harnabflusses und Restharns.
- Nierenprobleme: Nierensteine, Nierenversagen oder Nierenentzündungen können auftreten, wenn der unzureichende Harnfluss zu einer Stagnation des Urins in den Nieren führt.
- Autonome Dysreflexie: Bei Patienten mit Querschnittlähmung oberhalb von Th5 können Manipulationen am Harntrakt eine Störung des sympathischen Nervensystems (autonome Dysreflexie) auslösen.
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