Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 gibt es immer wieder Spekulationen über den Gesundheitszustand des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Diese Spekulationen werden durch Videos und Bilder befeuert, die Putin in ungewöhnlichen Situationen zeigen. So klammerte er sich in einem Video vom April 2022 mit der rechten Hand am Tisch fest, während er mit seinem Verteidigungsminister sprach. Auch die Bilder, auf denen Putin mit seinen Staatsbesuchern an langen Tischen zu sehen war, sorgten für Aufsehen. Wollte er die Besucher auf Abstand halten - oder verhindern, dass man ihm zu genau ins Gesicht schauen kann?
Mögliche Diagnosen
Die Mutmaßungen reichten über Parkinson, Schilddrüsenkrebs, Schlaganfall bis hin zu Demenz, sobald Putins Gesicht mal aufgedunsen wirkte oder sein Gang hölzern. Es gibt jedoch keine eindeutigen Beweise für eine konkrete, schwerwiegende Erkrankung.
Parkinson
Einige Beobachter haben bei Putin verdächtige Bewegungen festgestellt, die auf eine Parkinson-Erkrankung hindeuten könnten. So schien er bei einem Treffen mit seinem belarussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko im Februar 2023 seine Füße und Beine nicht unter Kontrolle zu haben. Auch bei einem Treffen mit dem damaligen Außenminister Sergej Schoigu im April 2022 war zu sehen, wie der Kremlchef mit seinem rechten Bein wippte und sich gleichzeitig mit seiner rechten Hand fest an den Tisch klammerte.
Experten erkannten auf den Aufnahmen damals jedoch keine Anzeichen für diese Erkrankung. John Hardy, Neurogenetiker am UK Dementia Research Institute, sagte der "Deutschen Welle": "Meiner Meinung nach gibt es keine Anzeichen für Parkinsonismus." Putin habe nicht gut ausgesehen, aber eine Parkinson-Erkrankung könne er nicht erkennen. Ray Chadhuri, ein Neurologe an der Universität London, stimmte dieser Einschätzung zu. „Wenn ich mir den kurzen Clip ansehe, kann ich keinen Hinweis auf Parkinsonismus bei Putin finden“, so sein Fazit. Ohnehin kann eine Ferndiagnose keinen verlässlichen Aufschluss über den Gesundheitszustand eines Menschen geben.
Krebs
Immer wieder gibt es auch Gerüchte über eine mögliche Krebserkrankung Putins. So berichtete die US-Zeitung "New York Post" im Oktober 2014, bei Putin sei Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden. Die russische Investigativ-Plattform "Projekt" griff 2022 erneut die Spekulationen über eine mögliche Krebserkrankung Putins auf. Auffällig war dabei die fortwährende Betreuung durch einen Onkologen und zwei Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten. So soll der onkologische Chirurg Jewgeni Seliwanow innerhalb von vier Jahren 35-mal nach Sotschi gereist sein, ausschließlich um Putin zu konsultieren. Insgesamt habe er 166 Tage am Schwarzen Meer in Putins Nähe verbracht, berichtete "Projekt". Seliwanow gilt als Spezialist für Schilddrüsenkrebs. Noch häufiger soll der HNO-Arzt Alexej Schtscheglow beim Präsidenten gewesen sein: Er habe Putin in diesem Zeitraum 59-mal aufgesucht und dabei insgesamt 282 Tage in Sotschi verbracht, schrieben die Journalisten. Zum Aufgabenbereich eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes gehört auch die Diagnose von Schilddrüsenerkrankungen.
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Rückenprobleme
Auch Rückenprobleme werden immer wieder als mögliche Ursache für Putins gesundheitliche Probleme genannt. Im Oktober 2012 meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf eine Quelle in der russischen Regierung, Putin leide unter Rückenschmerzen und müsse sich angeblich sogar einer schweren Operation unterziehen. Kremlsprecher Dmitri Peskow dementierte die Information damals. Er gab an, Putin habe sich beim Sport einen Muskel gezerrt. Wenig später aber verplapperte sich ein Kollege Putins. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko beklagte sich in einem Interview mit Reuters, er könne aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung des russischen Präsidenten nicht mit Putin Hockey spielen.
Mögliche Rückenprobleme Putins könnten auf einen Sturz vom Pferd zurückzuführen sein. Am Anfang seiner Amtszeit begeisterte sich Putin für Pferdesport. Einer der Stürze aus dem Sattel soll so schwerwiegend gewesen sein, dass der Staatschef einige Zeit nicht "auf den Beinen stehen" konnte, erzählte einer seiner Weggefährten der international angesehenen russischen Investigativ-Plattform "Projekt" später.
Hautkrankheiten
Immer wieder wird auch spekuliert, dass Putin an einer Hautkrankheit leiden könnte. So veröffentlichte die russische politische Wochenzeitschrift "Kommersant-Wlast" im Jahr 2003 ein Foto eines Treffens zwischen Putin und Tony Blair, dem damaligen britischen Premierminister. Die Bildunterschrift lautete damals: "Am 29. April empfing Wladimir Putin Tony Blair in Nowo-Ogarjowo und scherzte viel mit dem Gast. Die Komik des Treffens wurde durch den Anzug des russischen Präsidenten unterstrichen, der offenbar noch für Boris Jelzin geschneidert wurde", scherzte das Blatt in Anbetracht der sichtlich zu groß geratenen Garderobe Putins. Der Witz gefiel dem Kreml gar nicht. Der Präsident sei gezwungen, weite Hosen zu tragen, weil er Ekzeme an den Beinen habe, ließ man aus dem Kreis des damals 50-jährigen Präsidenten verlauten. Und über eine Krankheit zu spotten, gehöre sich nicht.
Im Sommer 2020 erregte der Arzt und Professor Igor Gundarow mit einer spektakulären Behauptung Aufsehen: Wladimir Putin leide an Lepra. Der Kremlchef, so Gundarow, habe sich beim ehemaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko angesteckt.
Kann man Krankheiten am äußeren Erscheinungsbild erkennen?
Obwohl es verlockend ist, aus Putins Aussehen und Verhalten Rückschlüsse auf seinen Gesundheitszustand zu ziehen, warnen Experten vor voreiligen Schlüssen. „Vom bloßen Anblick her lassen sich nur wenige Diagnosen dingfest machen“, sagt Christiane Bayerl von der Dermatologischen Gesellschaft. „Aber verschiedene klinische Zeichen machen aufmerksam“, ergänzte sie - fernab vom Beispiel Putin. Dermatologen würden dann je nach Anzeichen etwa Gewebeuntersuchungen, Abstriche auf Keime oder auch Ultraschall durchführen, um in die Haut zu sehen. Mit nicht-geschultem Blick Schlüsse ziehen zu wollen, sei aber schwierig. „Leider wird auch vieles von Laien fehlinterpretiert.“
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So könne eine rote Färbung im Gesicht auf Bluthochdruck hinweisen, aber auch ganz ohne jeden Krankheitswert sein. Eine bestimmte Verteilung der Rötung könnte wiederum Indiz sein für eine recht verbreitete entzündliche Rosazea-Hauterkrankung, erläutert die Klinik-Direktorin aus Wiesbaden. Bei einer Schilddrüsenunterfunktion ist die Haut Bayerl zufolge oft trocken, schuppig oder Ödeme - Ansammlung von Flüssigkeit im Gewebe - treten in der Augenumgebung auf. Mit geröteten Augen haben etwa Pollenallergiker zu tun. Tränensäcke könnten völlig ohne Krankheitsbild sein, solange sie nicht blutig-bräunlich seien.
Auch bei einer Reihe von neurologischen Erkrankungen gebe es Hautveränderungen, schildert Peter Berlit, Generalsekretär der Gesellschaft für Neurologie. Wirke der Gang eines Menschen gestört, könne das manchmal „zumindest Verdachtsdiagnosen erlauben“ - etwa auf Spastiken oder Parkinson. Eine reduzierte Mimik weise womöglich unter anderem auf Einnahme bestimmter Medikamente hin oder auf psychische Erkrankungen. Demenz könne man nicht an äußerlichen Faktoren erkennen, stellt er klar. Weitere äußere Warnzeichen? Aus Körperhaltung, Motorik, Geschwindigkeit der Bewegung oder dem Gesichtsausdruck könne man durchaus Indizien für Krankheiten ableiten, sagt auch Allgemeinmediziner Manfred Imbert. Aber: „Man hat damit nie eine Gewissheit, sondern zunächst nur eine Wahrscheinlichkeit.“ Und es brauche einige Erfahrung, um äußerliche Auffälligkeiten oder sichtbare Veränderungen einordnen zu können, die dem Laien wohl in der Regel fehlen dürften, wie der niedergelassene Arzt aus Alsdorf bei Aachen zu Bedenken gibt.
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