Lange Zeit war das Bild von Demenz geprägt von alten, bettlägerigen und kaum ansprechbaren Menschen. Doch dieses Bild hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Dank besserer Informationen über Symptome und verbesserter Diagnostik werden Demenzerkrankungen heute oft früher erkannt, selbst seltene Formen wie Lewy-Body-Demenz oder frontotemporale Demenz. Dieser Artikel beleuchtet die Erfahrungen von Helga Rohra, einer bemerkenswerten Frau, die seit Jahren mit Demenz lebt und sich unermüdlich für die Rechte und die Akzeptanz von Menschen mit Demenz einsetzt.
Ein differenziertes Bild der Demenz
Viele Menschen sind heutzutage besser über die Symptome von Demenzerkrankungen informiert und suchen früher ärztliche Hilfe, wenn sie beunruhigende Anzeichen bemerken. Dies führt dazu, dass Demenzerkrankungen öfter bereits zu Beginn der Erkrankung erkannt werden. Mit der besseren Diagnostik werden auch seltenere Demenzerkrankungen wie die Lewy-Body-Demenz oder die frontotemporale Demenz festgestellt. Menschen zu Beginn der Erkrankung besitzen noch viele Ressourcen und Kompetenzen und entsprechen nicht dem herkömmlichen Bild von Demenzkranken.
Es wird deutlich, dass die Demenz viele verschiedene Facetten besitzt: Einige Erkrankte sind noch keine 60, viele sind über 80 Jahre alt, und es gibt leichtgradige und schwere Ausprägungen. Dieser Artikel rückt Menschen mit Demenz in der frühen Phase in den Vordergrund, gleichgültig ob sie jung sind oder alt.
Helga Rohra: Eine Stimme für Menschen mit Demenz
Helga Rohra, geboren 1953 in Siebenbürgen, arbeitete als freiberufliche Übersetzerin mit Schwerpunkt Medizin/Naturwissenschaften. Im Alter von 54 Jahren erhielt sie die Diagnose Lewy-Body-Demenz. Diese Form der Demenz liegt irgendwo zwischen Alzheimer und Parkinson. Nach der Diagnose stürzte sie in eine Depression. Sie beschloss jedoch, die Krankheit anzunehmen und darin eine Herausforderung zu sehen. Seitdem hat sie sich zu einer wichtigen Stimme für Menschen mit Demenz entwickelt.
Frühes Engagement und öffentliche Auftritte
Helga Rohra engagierte sich schon vor ihrer Diagnose für Menschen mit Behinderung und Demenzerkrankungen. Seit 2010 spricht sie öffentlich über ihre Erfahrungen und die Reaktionen der Umwelt. Rohra war die erste Betroffene im Vorstand einer Alzheimer Gesellschaft und ist aktuell Mitglied im Patientenbeirat des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Ihr Motto lautet: „Mit uns und nicht über uns“.
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"Ich bin dement, na und?"
Helga Rohra widerlegt seit 15 Jahren alle Vorurteile, denen Menschen mit Demenz üblicherweise begegnen. Sie ist Dozentin, Autorin, Kongresssprecherin, Coach und vor allem: Freundin für viele, die in einer ähnlichen Situation sind. Gemeinsam machen sie sich stark für ein freudvolles Leben trotz Demenz.
Erfahrungen und Herausforderungen
Trotz ihrer positiven Einstellung und ihres Engagements, Helga Rohra, die eine Demenz ohne dement so zu sein wie man sich das vorstellt, erlebt Helga Rohra Herausforderungen im Alltag. Zahlen auf Geldscheinen oder Münzen sind für sie bedeutungslos, und sie kann nicht einmal mehr selbst Wäsche waschen. Seit fünf Jahren hat sie Halluzinationen. Sie weiß nicht mehr, wo im Supermarkt um die Ecke die Fanta steht und vergisst häufig, wie ihr Laptop funktioniert.
Umgang mit der Diagnose
"Eine Demenzdiagnose zu erhalten, bedeutet für die meisten Menschen, dass sie ab sofort dem Sonnenuntergang entgegengehen", meinte Frau Rohra. Damit wollte sie sich aber nicht abfinden. Sie wollte noch viele Sonnenaufgänge erleben. Und so machte sie sich auf den Weg und mobilisierte ihre inneren Ressourcen. Dazu gehören ihr starker Glaube an Gott und die Verantwortung, die sie bis heute für ihren Sohn trägt. Das ist ihr Tipp für alle, die solch eine traumatische Mitteilung erhalten: als erstes erde Dich - besinne Dich Deiner inneren Kräfte. Dieser Kraftquellen müsste man sich aber Zeit seines Lebens immer wieder besinnen, damit sie in Krisenzeiten abrufbar seien, meint Helga Rohra.
Unterstützung und Strategien im Alltag
Helga Rohra hat Strategien entwickelt, um ihren Alltag zu bewältigen. Ihr Sohn Jens, der Asperger hat, unterstützt sie tatkräftig. Beim Einkaufen beispielsweise schneidet sie die benötigten Lebensmittel aus einem Prospekt aus, und er klebt die Bilder auf ein Din A4 Papier, das den Supermarkt darstellt. Sie geht immer in den gleichen Supermarkt, sodass die Lebensmittel immer am selben Platz sind. Wenn sie mal nicht weiter weiß, hilft ihr ihr Hund, der die Wege kennt.
Die Bedeutung von Selbsthilfe und Gruppen
Helga Rohra betont die Bedeutung von Selbsthilfe und Gruppen für Menschen mit Demenz. Sie schildert in ihrem Buch ihre Erwartungen an den Gruppenbesuch: „Mir gefiel die Idee, andere Betroffene kennen zu lernen. Menschen, mit denen ich offen über meine Probleme würde sprechen können, die mich verstehen und wissen, wovon ich rede, weil sie wahrscheinlich die gleichen Erfahrungen gemacht haben.“
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Helga Rohras Botschaften
Helga Rohra setzt sich unermüdlich dafür ein, dass mit Demenzkranken geredet wird und nicht über sie. „Wie stellen Sie sich einen Demenzkranken vor?“ war eine ihrer Eingangsfragen. Sie gab selbst die Antwort: „Alt - hilfsbedürftig - verwirrt- im Rollstuhl“. Doch dies sei ein einseitiges Bild von Demenz. Es gibt über 146 verschiedene Arten von Demenz - bei jeder ist ein anderer Teil des Gehirns betroffen. Dies führt zu den unterschiedlichsten Krankheitsverläufen. Dazu kommt noch die Individualität jedes Menschen. Jeder Erkrankte zeigt seine typischen Verhaltensmuster, obwohl die Grunddiagnose dieselbe ist. Doch für alle gilt: Hinter dieser Krankheit, egal welcher Prägung, steht ein Mensch, der geliebt werden möchte, der wünscht, dass man auf das schaut, was er kann und der respektiert werden möchte - der wünscht, dass man mit ihm und nicht über ihn redet.„Die Diagnose Demenz muss nicht das Ende bedeuten.
Forderungen an die Gesellschaft
Helga Rohra fordert eine demenzfreundliche Gesellschaft, die Menschen mit Demenz nicht als defizitär abstempelt, sondern ihre Ressourcen und Fähigkeiten erkennt. Sie betont, dass Menschen mit Demenz in allen Phasen der Erkrankung einen Anspruch auf Diagnose, Behandlung und eine gute Versorgung haben. Wesentlich ist dafür eine gute psychologische Begleitung zu Beginn der Erkrankung. Vom Arzt hört man bei der Diagnose meist nur, dass man sich um seine Vollmachten und Verfügungen kümmern solle und einem die Statistik ein paar wenige Jahre gibt.
Psychologische Betreuung und Inklusion
Helga Rohra betont, wie wichtig es ist, dass Menschen mit Demenz frühzeitig psychologisch betreut werden, um Trauer, Depression oder Aggressivität zu vermeiden. Sie setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Demenz die Möglichkeit bekommen, sich beruflich zu integrieren und ihre Fähigkeiten zu nutzen.
Helga Rohras Bücher
Helga Rohra hat zwei Bücher veröffentlicht, in denen sie ihre Erfahrungen mit Demenz teilt und für die Rechte von Menschen mit Demenz eintritt:
- Rohra H: Aus dem Schatten treten. Warum ich mich für unsere Rechte als Demenzbetroffene einsetze. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag. ISBN 978-3-940529-86-2
- Rohra H: Ja zum Leben − trotz Demenz!
In ihrem Buch "Aus dem Schatten treten" hält Helga Rohra der Gesellschaft den Spiegel vor und zeigt, wie unbeholfen wir Menschen mit Demenz gegenübertreten und wie wenig wir ihnen dabei gerecht werden. Sie richtet sich an alle, die aus erster Hand erfahren wollen, welche Hürden Menschen mit Demenz in unserer Gesellschaft überwinden müssen und welche Potenziale noch in ihnen stecken.
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Initiativen und Netzwerke
Helga Rohra engagiert sich in verschiedenen Initiativen und Netzwerken, um die Situation von Menschen mit Demenz zu verbessern. Sie ist im Vorstand der Alzheimer Gesellschaft München und im Patientenbeirat des DZNE. Sie arbeitet mit verschiedenen Organisationen und Vereinen zusammen, um Projekte für Menschen im Anfangsstadium der Demenz umzusetzen.
Internationale Zusammenarbeit
Helga Rohra betont, dass Demenz keine Grenzen kennt und setzt sich für eine gemeinsame Aktion von Menschen mit Demenz aus Österreich und Deutschland ein, um noch mehr Bewusstsein zu schaffen.
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