Hereditäre sensomotorische Neuropathie: Symptome, Diagnose und Therapie

Hereditäre Neuropathien sind eine Gruppe genetisch bedingter Erkrankungen, die die peripheren Nerven betreffen. Diese Erkrankungen können sich auf die motorischen, sensorischen und autonomen Nerven auswirken und eine Vielzahl von Symptomen verursachen, die sich im Laufe der Zeit verschlimmern können. Obwohl hereditäre Neuropathien häufig vorkommen, werden sie oft nicht erkannt.

Formen und Symptome

Die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit (CMT) ist die häufigste Form der hereditären Neuropathie und wird als motorisch-sensible Neuropathie klassifiziert. Sie kann bereits im Kindesalter auftreten und sich durch distal-symmetrische Lähmungen, Muskelschwund und Sensibilitätsstörungen äußern. Zu den motorischen Defiziten gehören Fußheberschwäche, Verlust der Muskeleigenreflexe, Hohlfüße und Krallenzehen. Typischerweise sind die langen Beinnerven früher und stärker betroffen als die Armnerven. In einigen Fällen kann es zu Rückgratverkrümmung, Skelettdeformationen, Zittern, Schwerhörigkeit, Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten, Atemproblemen sowie Sprech- und Schluckstörungen kommen.

Bei der hereditären sensorischen und motorischen Neuropathie kann ein Verlust des Schmerzempfindens zu Verletzungen und schmerzlosen Frakturen führen. Abhängig von der jeweiligen Unterform können Verdauungs-, Herzrhythmus- und Schweißsekretionsstörungen als Begleiterscheinungen auftreten.

Diagnose hereditärer Neuropathien

Vor der Anwendung verschiedener diagnostischer Verfahren zur Feststellung einer hereditären Neuropathie wird der Arzt den Patienten nach dem gehäuften Auftreten der entsprechenden Symptome in der Familie befragen. Im Rahmen elektrophysiologischer Untersuchungen kann er die Nervenleitgeschwindigkeit messen und ein Elektromyogramm anfertigen. Zusätzlich kann eine Nervenbiopsie des Nervus suralis erfolgen.

Ein junges Manifestationsalter und eine positive Familienanamnese stützen den Verdacht auf eine hereditäre Neuropathie, erfordern jedoch trotzdem die gründliche Ausschlussdiagnostik von metabolischen, nutritiv-toxischen, infektiösen und inflammatorischen beziehungsweise auto-immunologischen Ursachen. Neben einer Liquordiagnostik sollten laborchemisch Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG), Kreatinin, adultes Hämoglobin der Fraktion 1c (HbA1c), „carbohydrate deficient transferrin“, antinukleäre Antikörper (ANA), Anti-Neutrophilen-Cytoplasma-Antikörper (ANCA) sowie Vitamin B12 bestimmt werden. Zudem sollten eine Immunfixation und Eiweißelektrophorese durchgeführt werden. In der Nervensonografie zeigen sich bei einigen hereditären Neuropathien verdickte Nerven. Eine Kernspintomografie des Muskels kann als sensitiver und objektiver Verlaufsparameter zur Darstellung distaler Muskelatrophien dienen.

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Nervenbiopsie

Die Indikation einer Nervenbiopsie (Nervus suralis) ist vor allem dann zu diskutieren, wenn differenzialdiagnostisch behandelbare nichterbliche Neuropathien erwogen werden. Dazu zählen Entzündungen wie die Vaskulitis und die Perineuritis sowie atypische Fälle von Neuritis (chronisch-inflammatorische demyelinisierende oder axonale Neuropathie, CIDP beziehungsweise CIAP), der Befall der Nerven durch ein Lymphom und die Amyloid-Neuropathie. Nerven- und Hautbiopsien aufzuarbeiten, ist aufwendig und umfasst neben der konventionellen Paraffinschnitt-Histologie spezielle immunhistochemische und elektronenmikroskopische Methoden. Die Untersuchung sollte daher in spezialisierten Zentren erfolgen.

Besonderheiten im Kindesalter

Die autosomal-rezessiv erblichen Erkrankungen mit frühem Beginn werden häufig auch unter dem Begriff der CMT4 zusammengefasst. Im Kindesalter ist die Symptomatik allerdings häufig weniger charakteristisch und die elektrophysiologische Diagnostik nicht richtungsweisend. Da eine frühmanifeste Neuropathie zudem auch Teilsymptom einer übergeordneten Erkrankung sein kann, ist eine umfangreiche Differenzialdiagnostik erforderlich. In einigen Fällen finden sich aber charakteristische Zusatzsymptome, die die Diagnosefindung erleichtern. Komplexe klinische Bilder mit einer Neuropathie als Teilsymptom finden sich beispielsweise beim Anderman-Syndrom (Balkenagenesie und mentale Retardierung) oder der Riesenaxonneuropathie (auffällig krauses Haar und erhebliche mentale Retardierung). Weitere autosomal-rezessiv vererbte Neuropathien mit Beginn im Kindesalter betreffen mitochondriale Störungen, wie zum Beispiel Mutationen in COX6A1 (Komponente des Komplex-IV der Atmungskette) oder SURF1 (zerebrale Laktatazidose und Diffusionsstörungen in der Magnetresonanztomografie [MRT]/Leigh-Syndrom durch kombinierten Atmungskettendefekt). Folgende metabolische und neurodegenerative Erkrankungen gehen mit einer Beteiligung des peripheren Nervensystems einher:

  • Morbus Refsum
  • Metachromatische Leukodystrophie
  • Morbus Krabbe
  • Adrenomyeloneuropathie
  • Pelizaeus-Merzbacher-Erkrankung
  • Lowe-Syndrom
  • Hereditäre Ataxien (zum Beispiel Friedreich-Ataxie)

Einzelgenanalyse

Bei Verdacht auf eine demyelinisierende CMT sollte als erster diagnostischer Schritt die Kopienzahl des PMP22-Gens bestimmt werden. Bis zu 70 % der Patienten mit einer familiären CMT1 weisen eine Duplikation des PMP22-Gens auf. Umgekehrt findet sich bei einer hereditären Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen (HNPP) häufig eine Deletion des entsprechenden Genabschnitts. Deletionen des PMP22-Gens werden zudem gelegentlich bei Patienten mit einer CMT2 nachgewiesen, sodass es durchaus sinnvoll ist, auch bei einer axonalen Neuropathie zunächst eine entsprechende Untersuchung durchzuführen. Ergeben sich Hinweise auf einen X-chromosomalen Erbgang in einer Familie (CMTX), zum Beispiel bei fehlender Vater-Sohn-Vererbung und schwererem Verlauf bei männlichen Betroffenen, sollte zunächst das GJB1-Gen inklusive seiner genregulatorischen Abschnitte überprüft werden. Bei primärer Beteiligung der kleinen Fasern im Sinne einer SFN und histologisch nachgewiesener reduzierter intraepidermaler Nervenfaserdichte lässt sich in 10-30 % durch Analyse der für die spannungsgesteuerten Natriumkanäle codierenden Gene SCN9A, SCN10A und SCN11A eine kausale Mutation nachweisen. Bei anderen Formen der CMT oder HSAN beziehungsweise HMN ist die Gesamtaufklärungsrate durch gezielte Testung einzelner Gene wesentlich geringer und eine NGS-Panel-Diagnostik als erster Schritt in der Regel zielführender. Eine Übersicht von Zentren, die diese Diagnostik anbieten, findet sich beispielsweise unter www.hgqn.org.

„Next generation sequencing“-basierte Testung

Die NGS-Panel-Diagnostik zur genetischen Abklärung einer peripheren Neuropathie hat mittlerweile Einzug in die Klinik gehalten. Bei der Panel-Diagnostik von Neuropathien wird eine Vielzahl ursächlicher Gene parallel sequenziert und beurteilt. Die gleichzeitige Analyse vieler Neuropathie-Gene begründet sich darin, dass Mutationen des einzelnen Gens bis auf die oben genannten Ausnahmen jeweils nur einen kleinen Anteil an der Gesamtmutationsrate ausmachen und eine zeitlich aufeinanderfolgende Untersuchung einzelner Gene deshalb wenig zielführend ist. Die Aufnahme von NGS-basierter Diagnostik in den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erlaubt zurzeit den beschränkten Einsatz in der Routinediagnostik (25 Kilobasen codierender Sequenz pro Krankheitsfall). Für die außerordentlich hohe Zahl infrage kommender Gene bei einer Neuropathie ist dies ein erster wichtiger Schritt, jedoch aus medizinischer Sicht nicht hinreichend. Das Gleiche gilt für die Diagnostik von Neuropathien im Kindesalter; auch wenn hier Mutationen im SH3TC2-, MPZ- oder PRX-Gen gehäuft vorkommen.

Bei der schnell steigenden Zahl neuer krankheitsassoziierter Gene sowie Überlappungen zu anderen Erkrankungen ist nach ausführlicher Aufklärung der Patienten sowie vor dem Hintergrund sinkender Kosten aus diagnostischer Sicht zunehmend die Exom-Sequenzierung, das heißt die parallele Sequenzierung aller circa 23 000 Gene des Menschen, ein zielführender diagnostischer Schritt. Diese Maßnahme unterliegt jedoch aktuell der Einzelfallentscheidung durch die Krankenkassen und wird bislang nur selten bewilligt. Bei einer genetischen Beratung muss im Vorfeld einer umfassenden molekularen Analyse insbesondere über möglicherweise erhobene Zusatzbefunde der NGS-Diagnostik, die beispielsweise erbliche Tumorrisiken oder Prädispositionen für andere spätmanifeste Erkrankungen betreffen, aufgeklärt werden. Der Umgang mit Zusatzbefunden und eine daraus gegebenenfalls abzuleitende Mitteilungspflicht ist augenblicklich Gegenstand intensiver Debatten. Hierzu wird auch auf die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik verwiesen oder das „Policy Statement of the American College of Medical Genetics and Genomics“.

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Umgang mit unklaren genetischen Varianten

Jedes menschliche Genom beinhaltet circa 30 Millionen genetische Varianten („single nucleotide polymorphism“, SNP), ein Großteil davon kommt häufig in der Bevölkerung vor und hat keine klinische Bedeutung. Andere Varianten sind klar pathogen (Mutationen), während wieder andere zunächst als sogenannte Varianten von klinisch unklarer Bedeutung („variants of unknown clinical significance“, VUS) einzuordnen sind. Der Klasse der VUS kommt eine zentrale Bedeutung zu, da nicht selten mehrere infrage kommende, aber zunächst unklare Varianten innerhalb der analysierten Neuropathie-Gene detektiert werden. Diese müssen dann hinsichtlich ihrer möglichen Pathogenität beurteilt werden. Unter diesen Varianten könnte sich die krankheitsursächliche Veränderung befinden. Genauso könnten aber auch ausschließlich nichtpathogene Varianten vorliegen. Um eine Variante zu beurteilen, kommen neben der Literatursuche unter anderem bioinformatische Vorhersageprogramme zum Einsatz. Zudem wird die Häufigkeit der Varianten in der Allgemeinbevölkerung anhand von Datenbanken überprüft. Ebenso können Diskussionen mit Klinikern und der Nervenbiopsie-Befund dabei helfen, die pathogene Mutation zuzuordnen. In einigen Fällen kann auch eine Testung weiterer Familienangehöriger auf die Veränderung eine eindeutige Klärung verschaffen. In keinem Fall dürfen die entsprechenden Varianten aber zunächst genutzt werden, um nicht betroffene Familienangehörige prädiktiv zu testen. Zusammenfassend ist die NGS-Diagnostik als ein Instrument zu verstehen, das die Chance auf einen eindeutigen und damit diagnosesichernden Befund erhöht.

Bedeutung der genetischen Testung

Die Kritik an der Indikation zur genetischen Testung von Neuropathien und dem breiteren Einsatz einer NGS-Panel-Diagnostik bezieht sich zumeist auf das Argument der fehlenden Therapierbarkeit. Auch wenn die Therapie von Neuropathien bis auf wenige Ausnahmen symptomatisch bleibt, ist eine Abgrenzung von behandelbaren erblichen Formen wie der Transthyretin-Amyloidose oder dem Morbus Fabry wichtig. Es zeigt sich zudem vermehrt, dass typische neurophysiologische Zeichen einer inflammatorischen Neuropathie auch bei Patienten mit erblichen Neuropathien, zum Beispiel bei Mutationen in GJB1, SH3TC2, FIG4 oder SPTLC1, gefunden werden und dass bei einer hereditären Form nicht immer symmetrische Verteilungsmuster vorliegen müssen. Bei therapierefraktärer vermeintlich inflammatorischer Neuropathie sollte deshalb auch aufgrund differenzialdiagnostischer Erwägungen eine genetische Testung in Betracht gezogen werden.

Häufig wird zudem unterschätzt, dass durch die molekulare Diagnosesicherung auch eine meist lange, teure und für den Patienten belastende Suche nach der Ursache der klinischen Symptome beendet wird. Letzteres wird von vielen Patienten als sehr hilfreich im Umgang mit der Erkrankung empfunden. Indem die Diagnose gesichert wird, kann eine eindeutige Aussage zum Erbgang und damit eine Angabe zu den Risiken für eigene Kinder und weitere Familienangehörige getroffen werden.

Prognose und Therapie

Schreitet die hereditäre Therapie weiter fort, kann die Gehfähigkeit eingeschränkt werden. Als Therapie erfolgt eine Versorgung mit Hilfsmitteln, zu denen verschiedene Orthesen und orthopädische Schuhe gehören. Fußdeformationen können operativ korrigiert werden. Bei eingeschränkten Gehstrecken kann die Versorgung mit einem Rollator oder Rollstuhl erfolgen.

Obwohl die HMSN nicht heilbar ist, kann eine individuell an Form der Erkrankung und Beschwerden des Kindes angepasste Therapie Symptome lindern und Folgebeschwerden wie dauerhafte Bewegungs- und Funktionseinschränkungen von Gelenken (Kontrakturen) vermeiden und behandeln. Dafür stehen eine Reihe von physiotherapeutischen, orthopädischen und medikamentösen bis hin zu chirurgischen Verfahren zur Verfügung. Bei der Wahl der Therapie werden alle geeigneten Behandlungsmöglichkeiten berücksichtigt und ausführlich mit den Patienten besprochen.

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Um die Muskelkraft und Beweglichkeit möglichst lange zu erhalten und Fehlstellungen von Gelenken zu vermeiden, ist die aktive Physiotherapie besonders wichtig. Bei starken Lähmungen (Plegien) in Armen oder Beinen können passive Techniken zur Unterstützung und Vorbeugung von Kontrakturen eingesetzt werden. Bei stark betroffenen Händen können Schreib- und Esshilfen eingesetzt werden. Zusätzlich trainieren Spezialisten der Ergotherapie mit den Patienten die Feinmotorik sowie den Umgang mit Hilfsmitteln.

Operative Verfahren können infrage kommen, um bestimmte Beschwerden zu behandeln oder Folgeerkrankungen zu vermeiden. So können Hammerzehen der Gefahr einer Geschwürbildung am Großzehenballen operativ vorbeugen oder operative Korrekturen am Fuß vornehmen, um Verrenkungen und Fehlhaltungen zu verhindern. In manchen Fällen können stark zerstörten Gelenken in sogenannten Versteifungsoperationen wieder Halt gegeben und dadurch Schmerzen behoben werden.

Spezifische Therapien bei Fußfehlstellungen im Rahmen von CMT

Eine häufig auftretende Fußfehlstellung bei Patienten mit Charcot-Marie-Tooth ist der Hohlfuß. Klinisch zeigen die Unterschenkelmuskeln typische Veränderungen. Die Beine werden dünner, es entsteht das typische Bild der sogenannten Storchenbeine, da die knienahen Muskeln normal ausgeprägt sind. Die kleinen Fußmuskeln sind ebenfalls häufig befallen, und ein Befall der Hände ist häufig kombiniert.

Im Rahmen der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung tritt auch eine Standunsicherheit aufgrund einer Fehlstellung der Ferse (Varusstellung) auf. Diese Verkippung führt vermehrt zum Umknicken des Fußes. Die Belastung auf dem Außenrand ist geringer, was die Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk reduziert. Zusätzlich sind aber auch die sensorischen und autonomen Nerven beteiligt. Auch die vegetativen Nervenanteile und die Nervenanteile, die die Talgdrüsen der Haut versorgen, können gestört sein und zu Einschränkungen führen.

Besonders typisch ist der sogenannte innere oder mediale Ballenhohlfuß. Hierbei wurde der linke nicht operierte Fuß dem korrigierten rechten gespiegelt gegenübergestellt. Die veränderten Zugverhältnisse am linken Fuß zeigen die Überhöhung des Fußgewölbes und die Supination, also Verdrehung des Fußes vor dem Sprunggelenk nach innen.

Ursächlich für die Entstehung eines Hohlfußes ist häufig eine Schwächung des kurzen Wadenbeinmuskels (M. peroneus brevis), der an der Außenseite des Fußes ansetzt. Dieser Muskel ist ein Antagonist (Gegenspieler) des hinteren Schienbeinmuskels. Bei dieser Schwächung kommt es auch zu einem Ungleichgewicht zwischen den beiden Wadenbeinmuskeln M. peroneus longus und brevis. Daher überwiegt bei der Schwächung des außen ansetzenden kurzen Wadenbeinmuskels (M. peroneus brevis) die Kraft des langen Wadenbeinmuskels (M. peroneus longus), der am 1. Mittelfuß ansetzt. Dieses Ungleichgewicht führt zu einer vermehrten Senkung des ersten Mittelfußknochens.

Die Veränderung der Muskelaktivität lässt sich auch in der Pedobarometrie (Fußdruckmessung) beobachten. Die roten Bereiche sind Zonen mit hohem Druck. Rechts ist die Lähmung in einem früheren Stadium vorhanden. Trotz der Schwächung des Wadenbeinmuskels ist noch eine deutliche Senkung des 1. Strahles mit Überdruck unter dem 1. Mittelfußköpfchen vorhanden. Zudem ist eine Fußhebung durch die Restfunktion der übrigen Muskeln vorhanden. Der größte Druck findet sich unter der Ferse (roter Bereich). Links ist die Schädigung schon deutlich mehr ausgeprägt. Der Fuß ist durch das Muskelungleichgewicht nach außen gekippt. Hier ist bereits der Vorfuß auf der Außenseite überlastet. In der Fußmitte ist kein Druck vorhanden. Dies ist durch die Kippung nach außen möglich. Zusätzlich lässt auch die Funktion des wichtigen Fußhebers (vorderer Schienbeinmuskel/M. tibialis anterior) frühzeitig nach. Durch die permanente Beanspruchung der Muskeln entstehen Zehenfehlstellungen.

Bei der CMT-Erkrankung entstehen sehr individuelle Verläufe, die vor einer Therapie eingeschätzt werden müssen. Prinzipiell werden die Fehlstellungen aus der Erkrankung auf die benachbarten Regionen, also Rückfuß und Sprunggelenk, übertragen. Eine Fehlstellung am Fuß, aber auch eine Kniefehlstellung können sich gegenseitig durch die starke Belastung bedingen. Daher ist eine Betrachtung von Fehlstellungen am Fuß nur sinnvoll, wenn das gesamte Bein in die Beurteilung mit einfließt. Für jede Therapieentscheidung werden eine große Zahl an Parametern erhoben, um eine Einschätzung des Verlaufes zu erreichen und damit ein sehr individuelles Behandlungsschema zu ermöglichen.

Auf einem Röntgenbild eines Ballenhohlfußes mit eingezeichneten Achsen der Knochen ist gut zu erkennen, dass in der Mitte des Fußgewölbes kein Knochen Kontakt zum Boden hat. Es besteht also ein hohles Gewölbe. Das Fersenbein steht zum Boden ebenfalls steil.

Weitreichende Schädigungen des Sprunggelenkes können entstehen. Durch die Fehlstellung des Fußes resultiert häufig auch eine veränderte Rotation im Unterschenkel. Die Auswirkungen können individuell sehr verschieden sein und hängen sehr stark vom individuellen Befallsmuster ab. Auf Röntgenbildern eines Patienten mit einem medialen Ballenhohlfuß mit Fehlstellung des Rückfußes ist eine Varusverkippung des Fersenbeins mit Auswirkung auf die Stellung des Sprunggelenkes in der Sprunggelenksgabel zwischen Schien- und Wadenbein sichtbar. Hier verkippt der Sprungbeinknochen (Talus) nach außen. Die Fehlstellung der Ferse bewirkt eine Arthroseentstehung auf der Innenseite im oberen Sprunggelenk. Es ist kein Gelenkspalt mehr sichtbar.

Operative Maßnahmen

Bei der Planung von operativen Maßnahmen ist eine systematische Beurteilung und im Verlauf die objektive Überprüfung der Veränderung wichtig. Mit einer videogestützter Dokumentation kann dies sehr hilfreich sein. Vor einer Operation werden die Bewegungsachsen am Fuß und Sprunggelenk beurteilt, um die Lage der Sehnen in Neutralstellung des Fußes darzustellen. Je nach Lage der Sehnen zu den Bewegungsachsen haben die Muskeln unterschiedliche Funktionen auf den Fuß und damit auf die Bewegung, die bei Aktivität der Muskulatur resultiert. Die Veränderungen führen längerfristig zu Fehlstellungen des Fußes.

Bei Charcot-Marie-Tooth entwickeln sich zunehmende Störungen der Nerven. Die Muskeln werden daher nicht mehr ausreichend versorgt, woraus ein Muskelungleichgewicht resultiert. Dies verändert die Bewegungsrichtung beim Ansprechen der Muskeln.

Die Behandlung soll starke Fehlstellungen und weitreichende Folgeschäden in benachbarten Regionen vermeiden. Für die Planung müssen bereits vorliegende Fehlstellungen beurteilt werden. Je nach gewünschtem Effekt können verschiedene Transfers von Sehnen durchgeführt werden. Vor allem bei jungen Patienten erzielen durch solche Eingriffe nach einer Umlernphase extrem gute Ergebnisse. Der Sehnentransfer soll in erster Linie die Progression der Erkrankung vermeiden, sodass keine Korrektur mittels Versteifung erforderlich wird. Die Maßnahmen ermöglichen aber sehr häufig ein deutlich normaleres Leben.

Das Prinzip eines Sehnentransfers besteht darin, die Zugrichtung der Sehne zu verändern und sie an anderen, für die vorhandenen Bewegungsachsen des Fußes relevanten Punkten zu befestigen. Die Sehnentransfers werden nach ihrem verwendeten Muskel und der zu verstärkenden Muskulatur bezeichnet. So kann beispielsweise ein Transfer des M. tibialis posterior (hinterer Schienbeinmuskel) innen auf den geschwächten kurzen Wadenbeinmuskel nach außen erfolgen. Zusätzlich kann eine sogenannte Steindler-Release der Plantarfaszie durchgeführt werden, um eine geringere aufrichtende Wirkung des Fußgewölbes zu erhalten. Weiterhin ist eine frühzeitige Balancierung des hinteren Schienbeinmuskels (M. tibialis posterior) und der Wadenbeinmuskulatur (M. peroneus brevis) sinnvoll, um eine knöcherne Operation zu verzögern oder zu vermeiden.

Regelmäßige Kontrollen und Einschätzungen der Situation sind bei einem Hohlfuß notwendig. Für den Spezialisten ist bei jeder Form des Hohlfußes die Untersuchung der Ursache von Bedeutung. Wenn die Ursache in der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung gesichert werden kann, sollte versucht werden, die Progression der Fehlstellung zu verhindern.

Die Korrekturen können am Fersenbein oder auch an der Fußwurzel erfolgen. Dabei wird ein Fußkeil aus dem Fußwurzelbereich entnommen und die Knochen danach wieder fixiert. Je nach Ort der Fehlstellung kann die Position der Keilentnahme auch am 1. Mittelfußknochen im Rahmen einer sogenannten Plantarflexionsosteotomie sinnvoll sein. Die Entfernung eines Fußkeiles am höchsten Punkt des Hohlfußes bietet eine gute Möglichkeit der Korrektur. Teilweise werden additive (einfügende) und subtraktive (entfernende) Umstellungen kombiniert, sodass man den auf der Außenseite entnommenen Span auf der Innenseite einsetzt.

Bei weitreichenden Schädigungen des Sprunggelenkes können weitere Operationen sinnvoll sein. Im Vordergrund steht immer die Besserung der Sprunggelenksarthrose. Leider sind Arthrosen, die einmal entstanden sind, nicht mehr zu heilen, sodass eine Versteifung notwendig werden kann. Die Behandlung der innen liegenden Arthrose am Sprunggelenk bei einem Hohlfuß erfolgte durch eine Begradigung und damit Horizontalstellung des Talus (Sprungbein). Je nach Ursache der Fehlstellung kommen eine Vielzahl von ergänzenden stellungskorrigierenden Maßnahmen in Frage. Auch Bandersatzoperationen, Sehnenverlagerungen oder auch nur Knochenabtragungen sind oft sinnvoll. Die Knorpelchirurgie wird häufig ergänzt. Es ist sinnvoll, diese Therapien auch bei Charcot-Marie-Tooth möglichst frühzeitig durchzuführen. Nach vielen Jahren ohne eine Stellungskorrektur kommt es häufig zur Arthrose und zur Fehlstellung. Diese kann nicht mehr gelenkerhaltend behandelt werden.

Eine derartig schwere Fehlstellung im Rahmen der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung schränkt die Lebensqualität sehr stark ein. Solche Fehlstellungen bedürfen vor einer Operation einer guten Planung, einer Gefäßabklärung und einer neurologischen Stellungnahme. Das Endstadium einer Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung und jeder schweren Fehlstellung lässt sich nur durch eine Begradigung und Versteifung behandeln. Die weitere Stellungskorrektur bringt dem Patienten Mobilität ohne orthopädischen Schuh. Ein gerader Auftritt des Fußes kann in diesem Endstadium vor allem bei sehr jungen Patienten die Lebensqualität stark verbessern.

Bei der gleichen Patientin bestand zudem eine massive Fehlstellung im übrigen Fuß. Eine alleinige Korrektur des Sprunggelenkes und Rückfußes ermöglicht zwar ein zufriedenstellendes Auftreten, verbessert die Gesamtsituation aber ansonsten nicht. Daher mussten die verdrehten und fächerförmig ausgerichteten Mittelfußknochen begradigt werden. Zu diesem Zweck wurde ein querer Keil aus der Fußwurzel entfernt und der Vorfuß gegen den Rückfuß korrigiert. Die Fixation erfolgte mit den im Bild sichtbaren Klammern oder Stables. Diese komprimieren die Knochen an der Korrekturstelle für die notwendigen 8 Wochen. Die Korrektur erfolgte in zwei Eingriffen, da die Weichteile am Fuß in einer alleinigen Operation mit sehr hohem Risiko beschädigt worden wären. Da Patienten mit CMT-Erkrankung an einer gestörten Sensibilität leiden, sind die Risiken für Weichteilschäden zusätzlich erhöht.

Physiotherapie und Training

Die Behandlung wird durch neurophysiologische Physiotherapiekonzepte (u. a. supramaximale Belastungen bzw. neurophysiologische Therapiekonzepte) ergänzt, um Potenziale von Muskeln zu wecken und Bewegungen anzubahnen. Übungen sollen die ausgleichende Muskulatur sowie Rumpf und rumpfnahe Muskeln trainieren. Sturzprophylaxe helfen den Betroffenen, ihren Alltag leichter und sicherer zu bewältigen.

Das Training sollte in Absprache mit Arzt und Therapeut erfolgen, um schädliche Belastungsspitzen zu vermeiden. Physiotherapie ist eine der wichtigsten symptomatischen Behandlungen der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung.

Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen sind in der Regel weniger körperlich aktiv. Dieser krankheitsbedingten Inaktivität lässt sich durch aerobes Ausdauertraining (z. B. Walken und Fahrradfahren) und moderates Krafttraining begegnen. Belastungen, die über die Maximalkraft des Muskels hinausgehen, sollten Patienten mit CMT vermeiden.

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