Die hereditäre Amyloidpolyneuropathie (hATTR) ist eine seltene, vererbte Erkrankung, die durch Ablagerungen von Amyloidfibrillen in verschiedenen Organen und Geweben, insbesondere im peripheren Nervensystem, gekennzeichnet ist. Diese Ablagerungen führen zu einer Schädigung der Nerven und beeinträchtigen deren Funktion, was zu einer Vielzahl von Symptomen führen kann.
Was ist hereditäre Amyloidpolyneuropathie?
Die hereditäre Amyloidpolyneuropathie (hATTR), auch bekannt als familiäre Amyloid-Neuropathie (FAP) oder Transthyretin (TTR)-Amyloid-Neuropathie, ist eine autosomal-dominant vererbte systemische periphere Polyneuropathie, die das sensomotorische und autonome Nervensystem betrifft. Ursächlich sind Mutationen im TTR-Gen am Genort 18q12.1. Das TTR-Gen kodiert für das hauptsächlich von der Leber sezernierte Transportprotein Transthyretin. Durch die genetischen Veränderungen kommt es zu einer abnormen Faltung dieses Proteins und der Ablagerung der fehlgefalteten fibrillären Proteine als Amyloide.
Symptome der hereditären Amyloidpolyneuropathie
Die Symptome der hATTR können vielfältig sein und variieren je nach Art der Mutation und den betroffenen Organen. Die Erkrankung manifestiert sich oft erst im Erwachsenenalter, etwa ab 30 Jahren, manchmal sogar erst später.
Neurologische Symptome
Eine Polyneuropathie beginnt oft an den am weitesten vom Körperstamm entfernten Gliedmaßen. Betroffene können eine verminderte Fühlwahrnehmung oder eine veränderte Sensibilität haben, vor allem an den Füßen. Es kann zu Kribbeln, Schmerzen und einer Abnahme der Kraft, vor allem in den Füßen, kommen. Auch eine Gangunsicherheit kann auftreten.
Ein Warnsignal ist eine rasche, ungewollte Gewichtsabnahme. Sollten Symptome wie Gefühlsstörungen oder dauerhafte Schmerzen, vor allem in den Beinen, bemerkt werden, sollte man eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen.
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Im Verlauf der Erkrankung tritt die motorische Neuropathie hinzu. Gefühlsstörungen und die Muskelschwäche können sich verstärken und auch die Schmerzen zunehmen. Auf lange Sicht können diese Beschwerden die Selbstständigkeit im Alltag einschränken. Es können Hilfsmittel und Unterstützung durch andere Personen erforderlich werden.
Autonome Neuropathie
Bei manchen Patienten, besonders bei denen mit früh einsetzender Erkrankung, ist die autonome Neuropathie die erste Manifestation der Erkrankung. Ist das vegetative Nervensystem betroffen, können Schwankungen des Blutdrucks die Folge sein. Bei Männern kann sich dies in Form einer Impotenz auswirken. Ist das Nervensystem des Magen-Darm-Trakts betroffen, kann es zu Verstopfungen oder Durchfällen kommen.
Kardiale Symptome
Je nach Art der Mutation treten neben der Polyneuropathie auch kardiale Symptome auf, meist in Form einer progressiven Kardiomyopathie. Die Ablagerungen führen zu einer Verdickung und Versteifung des Herzmuskels. Betroffene können Herzbeschwerden und Kurzatmigkeit entwickeln.
Weitere Symptome
- Karpaltunnel-Syndrom
- Gastrointestinale Symptome
- Augenprobleme (vitreolentikuläre Trübungen)
Diagnose der hereditären Amyloidpolyneuropathie
Die Diagnose der hATTR kann aufgrund der unspezifischen Symptome schwierig sein. Oftmals beschreiben betroffene Patienten einen langen Leidensweg mit vielfältiger Diagnostik, bis final die Diagnose einer genetisch bedingten Amyloidose steht.
Die ersten Schritte der Diagnose sind diejenigen allgemein bei einer Polyneuropathie. Zuerst sollte eine körperliche Untersuchung durch eine Fachärztin oder einen Facharzt für Neurologie stattfinden. Es wird dann unter Umständen eine elektrische Nerven- und Muskelmessung, eine sogenannte Elektroneuromyographie, durchgeführt und es werden die üblichen und häufigen Ursachen einer Polyneuropathie abgeklärt.
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Weitere diagnostische Maßnahmen:
- Anamnese und körperliche Untersuchung: Erhebung der Krankengeschichte und Untersuchung des Patienten auf neurologische und andere Symptome.
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der Nervenfunktion, einschließlich Sensibilität, Motorik und Reflexe.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und Muskelaktivität, um die Funktion der peripheren Nerven zu beurteilen (Elektromyographie, Neurographie).
- Autonome Funktionsdiagnostik: Untersuchung des autonomen Nervensystems (sympathischer Haurreflex, Herzfrequenzvarianzanalyse).
- Laboruntersuchungen:
- Blutuntersuchungen zur Bestimmung von TTR-Mutationen (genetische Diagnostik).
- Ausschluss anderer Ursachen für Polyneuropathie (Diabetes mellitus, Vitaminmangel, Alkoholmissbrauch).
- Biopsie: Entnahme einer Gewebeprobe zur Untersuchung auf Amyloidablagerungen (Nervenbiopsie, Herzmuskelbiopsie). Die Amyloid-Einlagerungen sind mit Congorot-Färbung in Bioptaten lichtmikroskopisch nachweisbar.
- Kardiale Abklärung: Untersuchung des Herzens auf Anzeichen einer Kardiomyopathie (Myokardhypertrophie).
- Ophthalmologische Diagnostik: Untersuchung der Augen mit einer Spaltlampe zur Diagnostik von vitreolentikulären Trübungen.
- Szintigraphie: Nuklearmedizinisches Untersuchungsverfahren zur Darstellung von Amyloidablagerungen im Herzen.
- Gastroenterologische Vorstellung: Bei gastrointestinalen Symptomen.
Bei einer genetisch bedingten Amyloid-Neuropathie finden sich genetische Veränderungen im sogenannten TTR-Gen, welche mit einer genetischen Untersuchung aus dem Blut erfasst werden können. Es gibt aber auch Familienangehörige, welche das Gen in sich tragen, aber noch keine Symptome haben. Bei diesen betroffenen Patientinnen und Patienten ist es wichtig, dass jährliche Vorsorgeuntersuchungen stattfinden, um eine beginnende Polyneuropathie rechtzeitig entdecken zu können.
Eine genetische Beratung der betroffenen Familien ist angeraten, auch um eine frühe Diagnose zu ermöglichen.
Therapie der hereditären Amyloidpolyneuropathie
Die Behandlung der hATTR zielt darauf ab, die Amyloidentstehung zu hemmen, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Kausale Therapien
- Gentherapien: Diese Therapien zielen darauf ab, die Produktion des TTR-Eiweißes in der Leber zu reduzieren, damit weniger Amyloid gebildet wird (Silencing RNA oder Antisense-Oligonukleotid-Therapien).
- Vutrisiran: Subkutane Gabe mit Fertigspritze alle 3 Monate.
- Patisiran: Infusion alle 3 Wochen.
- Tetramerstabilisatoren: Diese Medikamente stabilisieren das TTR-Tetramer und verhindern so die Bildung von Amyloidfibrillen.
- Tafamidis: Stabilisator des TTR-Tetramers.
- Diflunisal
- Doxycyclin in Kombination mit Tauroursodesoxycholsäure
- Lebertransplantation: In der Frühphase der Erkrankung kann eine Lebertransplantation die Synthese von amyloidogenen TTR-Varianten verhindern und damit die Progression aufhalten. Mit der Entwicklung der neuen Therapien wird die Lebertransplantation jedoch nur noch selten zur Anwendung kommen.
Symptomatische Therapien
- Schmerztherapie: Behandlung von Nervenschmerzen mit entsprechenden Medikamenten.
- Physiotherapie: Stärkung der Gangsicherheit und Förderung der Mobilität. Übungen für das Gleichgewicht und die Koordination sowie regelmäßiges Ausdauertraining zum Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit.
- Ernährungstherapie: Anpassung der Ernährung zur Linderung gastrointestinaler Symptome.
- Herzinsuffizienz-Therapie: Behandlung von Herzbeschwerden mit entwässernden Medikamenten (Diuretika).
- Fußpflege: Wichtig, um Verletzungen an den Füßen zu vermeiden. Das Schuhwerk sollte stabil sein und einen guten Halt geben. Die Sohle sollte nicht zu hart sein, damit der Boden unter den Füßen noch besser gespürt werden kann.
- Hilfsmittel: Bei Gangstörungen können Gehstöcke zu einer besseren Gangunsicherheit beitragen.
Weitere Maßnahmen
- Psychologische Unterstützung: Förderung der psychischen Gesundheit, da eine positive Einstellung die Bewältigung der chronischen Krankheit erleichtert.
- Regelmäßige ärztliche Kontrollen: Überwachung des Krankheitsverlaufs und Anpassung der Therapie.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Einschränkung des Alkoholkonsums, da dieser das Nervensystem schädigen kann.
Leben mit hereditärer Amyloidpolyneuropathie
Eine Polyneuropathie im Allgemeinen und damit auch bei einer Amyloidose-Polyneuropathie kann zu Einschränkungen im Alltag führen. Dies kann die Mobilität betreffen, das zu einer Einschränkung der Gangfunktionen, der Gangsicherheit, aber auch beispielsweise der Strecke, die selbstständig zurückgelegt werden kann, führen kann. Die Schmerzen, welche mit einer Polyneuropathie einhergehen können, sind auch manchmal so stark, dass sie zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen können.
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Welche Anpassungen der Lebenssituation notwendig werden, ist abhängig vom Schweregrad der Polyneuropathie. Bei leichtgradigen Polyneuropathie-Symptomen kann es sein, dass die Lebensführung und die Arbeitsfähigkeit in keiner Art und Weise eingeschränkt sind. Mit zunehmender Schwere der Polyneuropathie kann es dann aber auch zu vermehrten Einschränkungen kommen, die beispielsweise die Mobilität, die Gangsicherheit und unter Umständen auch die selbstständige Lebensführung betreffen.
Es ist wichtig, dass betroffene Patienten selbst aktiv werden, um ihre Lebensqualität zu erhalten. Dazu gehört das regelmäßige Durchführen der physiotherapeutischen Übungen und des körperlichen Trainings, welches dazu geeignet ist, die Selbstständigkeit und Mobilität zu erhalten.
Es gibt in den verschiedenen Ländern verschiedene Patientenorganisationen, die sich mit der Unterstützung von Patientinnen und Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen befassen.
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