Funktionelle neurologische Bewegungsstörungen stellen in der neurologischen Praxis eine häufige Herausforderung dar, die oft mit einer erheblichen Beeinträchtigung und Chronifizierung einhergeht. Ein wesentlicher Aspekt bei der Diagnose dieser Störungen ist die klinische Untersuchung, insbesondere die Anwendung spezifischer Tests wie der Hoover-Test.
Einführung in funktionelle neurologische Bewegungsstörungen
Funktionelle neurologische Störungen, insbesondere funktionelle Bewegungsstörungen, gehören zu den häufigsten neuropsychiatrischen Erkrankungen. Trotz ihrer Häufigkeit werden viele Patienten erst nach langer Zeit oder gar nicht diagnostiziert. Dies liegt unter anderem daran, dass der apparativen Diagnostik oft eine übergeordnete Bedeutung bei der Diagnosestellung beigemessen wird. Viele Patienten mit funktionellen Störungen erhalten wiederholt umfangreiche Bildgebungs-, elektrophysiologische und Liquor- bzw. Labordiagnostik. Ein unauffälliger Befund in diesen Bereichen wird dann oft als Voraussetzung für eine "sichere" Ausschlussdiagnose angesehen, was für die Betroffenen häufig unbefriedigend ist.
Die Bedeutung klinischer Diagnosekriterien
Um den Teufelskreis aus diagnostischer Unsicherheit und weiteren diagnostischen Maßnahmen zu durchbrechen, ist es wichtig, positive klinische Diagnosekriterien hervorzuheben. Anhand dieser Kriterien kann die Diagnose rein klinisch, basierend auf Anamnese und neurologischer Untersuchung, gestellt und dem Patienten vermittelt werden. Es wird zu Recht kritisiert, dass funktionelle Störungen üblicherweise darüber definiert werden, was sie nicht sind.
Psychiatrische Komorbiditäten sind bei Patienten mit funktionellen Bewegungsstörungen häufig. Die neurologische Konsultation ist durch ein Spannungsverhältnis zwischen Psychologisierung und Somatisierung gekennzeichnet, das es aufzulösen gilt. Ein zu früher Verweis auf psychiatrische Komorbiditäten und psychische Belastungsfaktoren kann von den Patienten als bagatellisierend und abwertend wahrgenommen werden, was die Wahrscheinlichkeit der Psychotherapieakzeptanz verringert. Dennoch ist das Ansprechen von Belastungsfaktoren unerlässlich, da das Bewusstsein für die Rolle psychischer Faktoren bei der Entstehung und Aufrechterhaltung funktioneller Störungen von prognostischer Bedeutung ist.
Klinische Untersuchung: Inkongruenz und Inkonsistenz
In der klinischen Untersuchung von Patienten mit funktionellen Störungen lassen sich alle verfügbaren Tests und Auffälligkeiten unter den zwei Hauptcharakteristika - Inkongruenz und Inkonsistenz - zusammenfassen.
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Inkongruenz
In Zusammenschau aller Informationen aus der Anamnese (und Fremdanamnese) und der klinischen Untersuchung zeigt sich die Symptomzusammensetzung und -ausprägung (das klinische Muster) funktioneller Bewegungsstörungen inkongruent. Das bedeutet, dass sie nicht mit neuroanatomischen oder neurophysiologischen Gesetzmäßigkeiten und dem Beschwerdebild nicht-funktioneller neurologischer Bewegungsstörungen übereinstimmt.
Ein Beispiel hierfür ist die Wechselinnervation, bei der es zu kurzzeitigen, ruckartigen Unterbrechungen bei der Kraftentfaltung kommt, was inkongruent zu einer nicht-funktionellen Parese ist, die zu einer gleichmäßigen Kraftreduzierung führt. Ein weiteres Beispiel ist, wenn Patienten durch bestimmte Druckpunkte oder Bewegungen ihre Symptome in Abhängigkeit von ihrer Erwartung oder Vorstellung beeinflussen können.
Inkonsistenz
Die Inkonsistenz der Symptome und klinischen Zeichen wird in der Variabilität der Schwere und Art deutlich. Symptome und Zeichen sind meist mit Beginn der körperlichen Untersuchung am stärksten ausgeprägt und nehmen an Intensität ab, sobald die Patienten ihre Aufmerksamkeit von der betroffenen Körperregion bzw. den Symptomen weglenken. Dies wird häufig von den Patienten bereits in der Anamnese berichtet.
Einige Patienten haben z. B. beim Ausüben von Hobbys deutlich weniger Symptome, da sie dabei meist unbewusst ihre Aufmerksamkeit weg von der eigentlichen Bewegungsausführung und hin zu äußeren (nicht körpereigenen) Stimuli lenken. So gelingt das Gehen nicht, jedoch das Tanzen zu Musik. Die bewusste Verlagerung von Aufmerksamkeit fällt Patienten mit funktionellen Störungen allerdings in der klinischen Untersuchung und auf Aufforderung sehr schwer. Die Inkonsistenz bezieht sich neben der Schwere der Symptome auch auf die Art, also deren phänomenologische Ausprägung, welche sich meist durch eine Erhöhung des Schwierigkeitsgrades während der Untersuchung verändert.
Der Hoover-Test im Detail
Der Hoover-Test ist ein klinischer Test, der zur Beurteilung von funktioneller Schwäche bzw. Lähmung eingesetzt wird. Er basiert auf dem Prinzip der synergistischen Kontraktion und prüft, ob die normalerweise vorhandene reflektorische Aktivierung der Hüftextensoren bei willkürlicher Hüftflexion des nicht betroffenen Beins vorhanden ist.
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Durchführung des Hoover-Tests
Der Patient liegt auf dem Rücken. Der Untersucher bittet den Patienten, das betroffene Bein gegen Widerstand in die Hüftextension zu drücken. Typischerweise ist dies bei einer funktionellen Schwäche nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Anschließend wird der Patient gebeten, das nicht betroffene Bein gegen den Widerstand des Untersuchers in der Hüfte zu beugen. Während dieser willkürlichen Flexion des nicht betroffenen Beins sollte normalerweise eine unbewusste (reflektorische) Anspannung der Hüftextensoren des zuvor als gelähmt präsentierten Beins erfolgen.
Interpretation des Hoover-Tests
Ein positives Hoover-Zeichen liegt vor, wenn bei dem Versuch, das nicht betroffene Bein gegen Widerstand zu beugen, eine reflektorische Hüftextension im zuvor als gelähmt präsentierten Bein auftritt. Dies deutet darauf hin, dass die neuromuskuläre Verbindung intakt ist und die Schwäche wahrscheinlich funktioneller Natur ist.
Ein negatives Hoover-Zeichen liegt vor, wenn auch bei der Flexion des nicht betroffenen Beins keine Anspannung der Hüftextensoren im vermeintlich gelähmten Bein erfolgt. Dies kann auf eine tatsächliche organische Ursache der Schwäche hindeuten, schließt jedoch eine funktionelle Ursache nicht vollständig aus.
Sensitivität und Spezifität
Der Hoover-Test weist eine hohe Spezifität (97,8-100 %) auf, was bedeutet, dass ein positives Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine funktionelle Ursache hindeutet. Die Sensitivität ist jedoch geringer (56-87 %), was bedeutet, dass ein negatives Ergebnis eine funktionelle Ursache nicht ausschließt.
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Weitere klinische Zeichen bei Schwäche/Lähmungen
Neben dem Hoover-Zeichen gibt es weitere klinische Zeichen, die auf eine funktionelle Schwäche/Lähmung hindeuten können:
- „Give-way weakness“: Plötzliches komplettes Sistieren der Kraft bei zuvor normaler Kraftentfaltung.
- Absinken ohne Pronation im Armvorhalteversuch: Der Arm sinkt ab, ohne dass die typische Pronationsbewegung erfolgt, die bei organischer Schwäche auftritt.
- Wechselinnervation: Bei Kraftentfaltung Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung.
- Abduktorzeichen: Abduktion des 5. Fingers oder im Bein nicht möglich. Unter Abduktion des 5. Fingers der nicht betroffenen Hand bzw. des Beines kommt es unbewusst zu einer Abduktion im zuvor gelähmten Finger/Bein.
- Inkonsistenz der Symptome im Liegen und Stehen: Die Symptome variieren in Abhängigkeit von der Körperposition.
Differenzialdiagnostik
Bei postoperativen Bewusstseinsstörungen müssen organische Differenzialdiagnosen wie das zentrale anticholinerge Syndrom (ZAS), Elektrolytstörungen oder Blutzuckerentgleisungen, (post-)iktale Phänomene sowie ein zerebrovaskuläres Ereignis ausgeschlossen werden. Jedes akute neurologische Defizit sollte im Zweifel wie ein Schlaganfall behandelt werden. Dies erfordert eine umgehende Bildgebung und die Beurteilung durch einen in der Schlaganfallbehandlung erfahrenen Arzt.
Funktionelle Gangstörungen
Funktionelle Gangstörungen sind eine der häufigsten und gleichzeitig heterogensten Gruppen funktioneller Bewegungsstörungen. Trotz der Heterogenität können diese oft aufgrund ihres Gangbildes in grobe Kategorien eingeteilt werden. In der klinischen Untersuchung lassen sich einige klassische Charakteristika herausuntersuchen, die den meisten funktionellen Gangstörungen gemein sind und eine Abgrenzung zu anderen nicht-funktionellen Gangstörungen erlauben.
Patienten mit funktionellen Gangstörungen zeigen ein verlangsamtes und vorsichtiges Gehen, bei dem es zu einer starken visuellen Kontrolle des Gehens kommt. Diese Verlangsamung und Unsicherheit beginnt typischerweise unmittelbar mit der Ganguntersuchung und liegt nicht bei der Untersuchung der Beine auf der Untersuchungsliege etc. vor. So können die meisten Patienten im Sitzen auf einem Bürostuhl diesen ohne Probleme mithilfe ihrer Beine korrekt fortbewegen. Beim eigentlichen Gangvorgang kommt es dann aber meist zu einem unökonomischen Gehen, welches viel Kraft und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.
Meist ist die Gangstörung mit einer großen Angst, das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen, vergesellschaftet, was neben der starken Verlangsamung auch zu einem breitbasigen und/oder schwankenden Gehen führt. Manchmal bewegen sich Patienten, als ob sie auf einer Eisfläche gehen würden („walking on ice“). Im Stehen mit geschlossenen Augen zeigen viele Patienten ein ausgeprägtes Schwanken des Oberkörpers, welches manchmal auch mit rudernden, ausfahrenden Bewegungen der Arme einhergeht (Windmühlenzeichen), bei dem es aber in aller Regel zu einem Zurückführen des Oberkörpers in die Mittellinie kommt. Eine Fallneigung erfolgt meist in die Richtung der Unterstützung und kann durch eine Aufmerksamkeitsverlagerung auf haptische Reize (z. B. Schreiben von Zahlen/Buchstaben auf den Rücken der Patienten) reduziert werden.
Häufige Subtypen funktioneller Gangstörungen
- Scherenartig: Häufiges Überkreuzen der Beine, Muskeltonus meist erhöht.
- Wie auf Eis: Patienten laufen, als ob sie auf einer Eisfläche gehen würden.
- Astasia-Abasia: Alleine Stehen oder Gehen nicht möglich, Festhalten an einem Gegenstand oder einer anderen Person.
- Mit Fehlhaltung: Ein- oder beidseitige Fehlhaltung von Bein oder Fuß.
Typisch für die meisten funktionellen Gangstörungen ist, dass diese in ihrer Schwere und Art sehr inkonsistent sind. Dies bedeutet z. B., dass die Schwere der Gangstörung durch eine Zunahme des Gehtempos abnimmt und sich das Gehen dann einem physiologischen Gangbild annähert. Dabei ist es von Vorteil, eine lange Strecke für die Ganguntersuchung zu nutzen (Korridor, im Freien). Außerdem sollte versucht werden, während des schnellen Gehens die Aufmerksamkeit der Patienten von der Ausführung des Gehens auf andere motorische Programme (gleichzeitiges Arbeiten mit den Händen) oder kognitive Aufgaben (Rechnen, Lesen) zu lenken. Dies kann zum Teil besonders effektiv auf einem Laufband gelingen.
Funktionelles Zittern
Eine der größten Gruppen funktioneller Bewegungsstörungen macht das funktionelle Zittern aus, welches typischerweise irregulär in Frequenz, Amplitude und Richtung ist. Ein wichtiges Zeichen für die Inkongruenz stellt das Entrainment dar. Patienten imitieren dabei z. B. durch repetitiven Faustschluss oder Fußauftreten in einem nicht betroffenen Körperteil einen vom Untersuchenden vorgegebenen Rhythmus. Dabei nimmt die betroffene Extremität diese vorgegebene Frequenz an. Nicht jedes funktionelle Zittern zeigt ein Entrainment und nimmt vielmehr stattdessen ab oder sistiert. Diese Inkonsistenz des Zitterns ist auch bei der Ausführung anderer motorischer oder kognitiver Aufgaben zu verzeichnen. Unter Gewichtsbelastung kommt es in Inkongruenz zu anderen nicht-funktionellen Tremores zu einer Zunahme der Amplitude.
Bedeutung der Diagnose und Therapie
Die Erklärung der Symptome und die sich daraus ergebenden Therapieoptionen sollten um patientengerechte Erläuterungen der pathophysiologischen Grundlagen der Erkrankung ergänzt werden. Die Patienten werden dadurch befähigt, die Diagnose einer funktionellen Bewegungsstörung ganzheitlich zu verstehen und zu akzeptieren. Dies kann wiederum die zum Teil jahrzehntelang andauernde Suche nach einer Diagnose zu einem Abschluss bringen, was den Weg in die Therapie ebnet.
Fallbeispiel
Ein 33-jähriger Patient stellt sich nach einer Schnittverletzung und persistierender Hypästhesie des linken Daumens zur Revisionsoperation vor. Die präoperative Kommunikation auf Deutsch ist trotz eingeschränkter Sprachkenntnisse adäquat möglich. Der Patient erhält Sufentanil mit einer Gesamtdosis von 75 μg für den 3‑stündigen Eingriff in Blutsperre. Die Atemwegssicherung erfolgt über eine Larynxmaske der zweiten Generation.
Etwa eine Stunde nach Ankunft im Aufwachraum präsentiert sich der Patient mit starrem Blick und inadäquater, klagender Kommunikation auf Kurdisch. Der Patient ist hämodynamisch stabil, er liegt mit starrem Blick im Bett und nimmt bei direkter Ansprache nur sehr verlangsamt Blickkontakt auf. Die Pupillen sind beidseits mittelweit, isokor und lichtreagibel.
Aufgrund von Somnolenz und dem Fehlen weiterer wegweisender Symptome wird probatorisch Physostigmin (10 mg fraktioniert i.v.) verabreicht, um ein eventuell vorliegendes zentrales anticholinerges Syndrom (ZAS) zu behandeln. Die Symptomatik einer linksseitigen Hemiparese in Kombination mit einer Sprachstörung lässt sich keinem vaskulärem Versorgungsgebiet zuordnen.
In der nativen CT sowie CT-Angiographie und CT-Perfusion des Schädels zeigt sich kein Hinweis auf eine akute Ischämie oder intrakranielle Blutung. Nach Sichtung der zerebralen Bildgebung ohne pathologischen Befund wird durch den Neurologen der Verdacht auf eine funktionelle Sprachstörung und funktionelle linksseitige Hemiparese geäußert.
Auch 12 Stunden nach dem Eingriff ist er nicht orientiert, weiterhin verlangsamt und die linksseitige Hemiparese besteht unverändert. Nach 19 Stunden wird eine deutliche Besserung seines Zustands beschrieben. Der Patient ist nun zur Person orientiert; die linksseitige Motorik und Sensibilität sind eingeschränkt vorhanden. Nach Zureden kann eine vermehrte linksseitige Mobilität beobachtet werden. Es erfolgt die Verlegung auf die Normalstation der Handchirurgie. Am dritten postoperativen Tag erfolgt nach weiterer Besserung der Symptomatik die Entlassung des Patienten ins häusliche Umfeld. Im abschließenden Gespräch mit dem Neurologen lässt sich eruieren, dass die Mutter des Patienten nach der Entwicklung einer Hemiparese und Einlieferung ins Krankenhaus verstarb.
Risikofaktoren für funktionelle neurologische Störungen
Die Prävalenz der FND wird auf 0,5 % in der allgemeinen Bevölkerung geschätzt. Zu den Risikofaktoren gehören ein Alter von 10 bis 35 Jahren, psychische Vorerkrankungen sowie eine vorausgegangene Episode einer FND. Außerdem wird eine anästhesiologische Assoziation aufgrund möglicher dissoziativer Wirkung der Anästhetika diskutiert. Auch der mit der Narkose einhergehende Kontrollverlust kann eine FND begünstigen. Bei vielen Patienten treten die neurologischen Symptome mit einer Latenz zur Narkoseausleitung auf. Das häufigste Symptom ist der Verlust der motorischen oder sensorischen Funktion einer oder mehrerer Extremitäten. Eine FND kann sich allerdings auch als Bewusstseinsstörung oder psychogener nichtepileptischer Anfall (PNEA) präsentieren.
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