Die Ursachen des Neuronentods sind vielfältig und komplex. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Faktoren, die zum Absterben von Nervenzellen beitragen können, von genetischen Einflüssen bis hin zu Umweltfaktoren und Autoimmunerkrankungen. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis der Mechanismen zu vermitteln, die dem Neuronentod zugrunde liegen, und potenzielle Ansatzpunkte für Prävention und Therapie aufzuzeigen.
Einführung
Der Neuronentod, oder das Absterben von Nervenzellen, ist ein zentrales Merkmal vieler neurodegenerativer Erkrankungen. Obwohl die genauen Ursachen für das Absterben von Nervenzellen noch nicht vollständig geklärt sind, wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen, metabolischen und infektiösen Faktoren eine Rolle spielt.
Ursachen des Neuronentods
Morbus Alzheimer
Die Pathogenese des Morbus Alzheimer ist multifaktoriell und komplex. Die genauen Ursachen sind bislang nicht vollständig geklärt, aber es wird vermutet, dass eine Kombination von genetischen, metabolischen und infektiösen Faktoren, einschließlich Slow-Virus-Infektionen, eine Rolle spielt. Weitere mögliche Einflussfaktoren sind toxische, infektiöse und immunologische Mechanismen.
Im Gehirn von Alzheimer-Patienten bilden sich charakteristische Ablagerungen von Beta-Amyloid-Plaques, die als Marker der Krankheit gelten. Diese Plaques beeinträchtigen die synaptische Kommunikation zwischen den Neuronen, was zu einer Verschlechterung der kognitiven Funktionen führt. Beta-Amyloid verhindert auch den ordnungsgemäßen Transport von Proteinen in die Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen), was zu einer Beeinträchtigung des Energiestoffwechsels der Nervenzellen führt.
Ein weiterer zentraler Mechanismus bei Alzheimer ist die Überproduktion des Neurotransmitters Glutamat, ausgelöst durch die Ansammlung von Beta-Amyloid. Glutamat, das normalerweise zur Erregung von Nervenzellen und zur Unterstützung von Lern- und Gedächtnisvorgängen beiträgt, wird bei Alzheimer-Patienten in übermäßigen Mengen freigesetzt. Beta-Amyloid beeinflusst auch den Abtransport von Glutamat aus dem synaptischen Spalt, wodurch eine pathologische Erregung der Neuronen verstärkt wird.
Lesen Sie auch: Wie Neuronen Signale übertragen
Ein erhöhter Insulinspiegel im Zusammenhang mit Diabetes mellitus Typ 2 steht im Verdacht, den Beta-Amyloid-Spiegel im Blut zu erhöhen. Dies führt zu einer verstärkten Ablagerung von Amyloid im Gehirn und einer Beschleunigung der neurodegenerativen Prozesse. Die Amyloid-Pathologie beschleunigt die Neurodegeneration, ist jedoch nicht der alleinige Mechanismus. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit Amyloid-Pathologie und auffälligen Neurodegenerationsmarkern eine deutlich schnellere kognitive Verschlechterung aufweisen.
Ein weiteres wichtiges Element der Alzheimer-Pathogenese sind die Tau-Proteine, die sich im Verlauf der Erkrankung entlang der neuronalen Netzwerke ausbreiten. Diese Tau-Pathologie korreliert stark mit der Schwere der klinischen Symptome. Interessanterweise weisen etwa ein Viertel der Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Demenz keine ausgeprägten Amyloid-Ablagerungen im Gehirn auf. Bei Patienten, die den genetischen Risikofaktor ApoE-ε4-Allel auf dem Chromosom 19 tragen, liegt dieser Anteil sogar nur bei einem Drittel [15].
Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass nicht nur die großen Beta-Amyloid-Plaques, sondern vor allem die kleinen Oligomere von Beta-Amyloid besonders toxisch für die Nervenzellen sind. Diese Oligomere bilden kleinere, aber viel schädlichere Ablagerungen im Inneren der Nervenzellen und führen zu einer deutlichen Funktionsstörung der Neuronen. Eine weitere bedeutende Rolle bei der Alzheimer-Pathogenese spielt das Peptid Aeta-Amyloid (Amyloid-η), das die neuronale Stimulation hemmt. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass die medikamentöse Hemmung der Beta-Sekretase zwar die Beta-Amyloid-Last reduziert, jedoch gleichzeitig zu einer Überproduktion von Aeta-Amyloid führt.
Die Pathogenese des Morbus Alzheimer beruht auf einer Kombination von Amyloid-Pathologie, Tau-Pathologie und neurodegenerativen Prozessen. Während Beta-Amyloid-Plaques und Oligomere zentrale Elemente sind, die zu einer synaptischen Dysfunktion und Übererregung der Neuronen führen, spielen auch Hyperinsulinismus und Tau-Proteine eine wichtige Rolle.
Genetische Faktoren bei Alzheimer
In den Genen PSEN1, PSEN2 und APP sind insgesamt mehr als 100 SNPs vorzufinden, dessen Risikoallele ein mehr als 90 % Risiko mit sich bringen, an Early-Onset bzw. Late-Onset-Alzheimer zu erkranken. Das ApoE-ε4-Allel auf dem Chromosom 19 ist ein weiterer genetischer Risikofaktor.
Lesen Sie auch: Einblick in die fehlende Spannungsmessung in Neuronen
Weitere Risikofaktoren für Alzheimer
Zunehmendes Alter (> 65 Jahre), bestimmte Berufe (z. B. Fußballer mit einem 5-fach erhöhten Risiko), ein geringer Verzehr von fettem Fisch und pflanzlichen Omega-3-Quellen, Hypertonie, metabolisches Syndrom und genetisch-bedingt erhöhte Cholesterinspiegel scheinen maßgeblich zu einer frühen Alzheimer-Demenz beizutragen. Auch die Einnahme von Benzodiazepinen über einen längeren Zeitraum (> 91 Tagesdosen) geht mit einer erhöhten Rate von Alzheimer-Erkrankungen einher.
Luftverschmutzung
Die zunehmende Luftverschmutzung stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Umwelt dar, zerstört Ökosysteme, führt zu Klimaveränderungen, minimiert die Biodiversität, beeinträchtigt die Photosynthese wie auch die Ernteerträge durch die Versauerung der Böden und wirkt sich negativ auf die menschliche Gesundheit aus.
Dabei ist die Luftverschmutzung in Innenräumen zwei bis fünfmal höher als in der Natur. So haben die Konzentrationen einiger Schadstoffe in Innenräumen in den letzten Jahrzehnten zugenommen, bedingt durch eine höhere Energieeffizienz mit reduziertem Luftaustausch, sowie die Nutzung von synthetischen Baustoffen, Einrichtungsgegenständen, Spielzeugen, Haushaltsreinigern, Körperpflegeprodukten und Pestiziden. Dies ist umso bedeutsamer, da wir etwa 90% unserer Zeit in geschlossenen Räumen verbringen.
Die lang- und kurzfristige Belastung von Luftverschmutzung hat unterschiedliche toxikologische Auswirkungen auf den Menschen, darunter Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hautkrankheiten, neuropsychiatrische Folgestörungen, Augenreizungen, und langfristige chronische Krankheiten wie Krebs sowie frühzeitige Sterblichkeit und eine reduzierte Lebenserwartung.
Bereits prä- und perinatal kann Luftverschmutzung zu Frühgeburten, geringeres Geburtsgewicht und Lungenentwicklungsstörungen führen, die mit Atemwegserkrankungen bei Kindern und Erwachsenen assoziiert sind. Außerdem ist Luftverschmutzung bei Erkrankungen des Gehirns, sowie des Immun- und Hormonsystems und bei Fortpflanzungsstörungen beteiligt.
Lesen Sie auch: Umfassende Übersicht zum Neuron
Beispielsweise wirkt sich die Exposition gegenüber verkehrsbedingter Luftverschmutzung insbesondere auf die weiße Substanz, aber auch auf die graue Substanz und Basalganglien des Gehirns aus, die zu einer Beeinträchtigung synaptischer Funktionen, Veränderungen in der Morphologie von Neuronen und Neuronentod führen können. Bei Exposition mit Feinstaub mit einem Durchmesser von 2,5 µm und verkehrsbedingter Luftverschmutzung kommt es besonders zu Verminderung der weißen Substanz im Frontallappen, mit besonders schwerwiegenden Auswirkungen in der pränatalen Zeit und möglicherweise eine Myelinschädigung bei älteren Menschen.
Alle diese Belastungen können zu einer Abnahme der geistigen Entwicklung, des globalen IQ, des Gedächtnisses, die Aufmerksamkeit und der schulischen Leistung sowie einer höheren Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und der Autismus-Spektrum-Störung sowie bei älteren Menschen zu kognitivem Rückgang, Demenz und Alzheimer führen. Insbesondere in Entwicklungsländern führen Innenraum Schadstoffe, z.B. beim Kochen zu kognitiven Störungen und ist beispielsweise in Indien die zweithäufigste Ursache für vorzeitige Sterblichkeit.
Ursachen der Luftverschmutzung sind der Einsatz von Industriemaschinen, Kraftwerken, Verbrennungsmotoren und Autos. Letztere sind zu etwa 80% für die heutige Verschmutzung verantwortlich. In geringerem Ausmaß sind Feldanbautechniken, Heizgeräte für Treibstofftanks, Tankstellen, und Reinigungsverfahren sowie mehrere natürliche Quellen wie Vulkan- und Bodenausbrüche und Waldbrände beteiligt.
Laut der Weltgesundheitsorganisation gehören zu den sechs wichtigsten Luftschadstoffen Partikelbelastung, bodennahes Ozon, Kohlenmonoxid, Schwefeloxide, Stickoxide und Blei. Diese sind für etwa 9 Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich ist. Weitere mögliche Belastungen entstehen durch erhöhtes Kohlendioxid und toxischen Schimmel.
Feinstaub entsteht in der Atmosphäre in der Regel als Ergebnis chemischer Reaktionen zwischen den verschiedenen Schadstoffen sowie im Verkehr und kann zu akuter Nasopharyngitis führen und ist langfristig mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Säuglingssterblichkeit assoziiert. Die Exposition gegenüber Feinstaub ist weltweit der fünfthäufigste Risikofaktor für Todesfälle (2015 etwa 4,2 Millionen Todesfälle). Die WHO spricht 2018 von 7 Millionen Todesfällen. Feinstaubpartikel reichen von einer Größe von 0,1 bis 10 Mikrometer. Je kleiner der Feinstaub, desto belastender ist er. Bereits bei einer Größe von 2,5 Mikrometer gelangt Feinstaub von der Lunge in das Blutgefäßsystem und erhöht die Rate der kardiovaskulären Todesfälle, mittels anhaltenden oxidativen Stress und Entzündungen und erhöhter Aktivierung des autonomen Nervensystems.
Einatmen von Feinstaubpartikel beeinflusst den Blutdruck, die Herzfrequenzvariabilität, die Blutgerinnungsfähigkeit, den Gefäßtonus und begünstigt Atherosklerose und möglicherweise das Risiko einen Schlaganfall zu erleiden.
Nanopartikel hingegen mit einer Größe von 0,1 Mikrometer können mittels sensorischer Nerven im Nasopharynx und in tracheobronchialen Regionen die Blut-Hirn-Schranke umgehen. Auch wenn nur geringe Mengen inhalierter unlöslicher Nanopartikel in das Gehirn eindringen, können sich diese bei Langzeit-Exposition - möglicherweise über verkehrsbedingte Umgebungsluft oder Metalldämpfe am Arbeitsplatz - im Gehirn akkumulieren und dort neurotoxisch wirken und das Zentralnervensystem schädigen.
Nitrogen Oxide sind ein Sammelbegriff für Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2). Sie entstehen als Abgas von Automotoren und in der Energieerzeugung, dringen tief in die die Lunge und wirken dort als Reizstoff. Werte über 0,2 ppm verursachen Atemwegserkrankungen, Husten, Atemnot, Bronchospasmen bis zu Lungenödemen. Werte über 2,0 ppm beeinträchtigen das Immunsystem, insbesondere T-Lymphozyten (CD8+-Zellen und NK-Zellen).
Schwefeldioxid wird v.a. beim Verbrauch fossiler Brennstoffe oder bei industriellen Aktivitäten freigesetzt. Es führt zu Reizungen der Atemwege, Bronchitis, Schleimbildung und Bronchospasmus sowie im Weiteren zu Hautrötungen, Tränenfluss und Hornhauttrübung an den Augen und einer negativen Beeinträchtigung bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
PAK sind sehr weit verbreitet. Sie entstehen bei unvollständiger Verbrennung von organischer Materie wie bei Waldbränden und Motoren und sind in Kohle und Teer enthalten. PAK-Verbindungen wie Benzopyren, Acenaphthylen und Fluoranthen wirken toxisch, mutagen sowie karzinogen.
Flüchtige organische Verbindungen (VOCs) entstehen durch die Verwendung neuer Produkte und Materialien wie Möbeln, Baumaterialien, Spielzeuge und belasten insbesondere die Innenluft. VOCs in der Außenluft ist insbesondere auf Industrieanlagen zurückzuführen. VOC wie Benzol, Ethylbenzol, Toluol und Xylol wirken kanzerogen. Kurzzeitige entstehen Reizungen von Auge, Nase, Rachen und Schleimhäute. Langfristige Exposition können toxische Reaktionen auslösen.
Aufgrund zunehmender Wärmedämmungen entsteht in vielen Innenräume ein hoher Gehalt an Kohlendioxid, umso mehr Menschen sich darin aufhalten und wenn keine Belüftung durchgeführt wird. Dies kann zu Schläfrigkeit, Kopfschmerzen und zu Störungen der Konzentration und der kognitiven Leistungen einschließlich der Entscheidungsfindung und Problemlösung und Atemwegssymptome bei Kindern führen.
Dioxine entstehen aus industriellen Prozessen, Verbrauch fossiler Brennstoffe und bei Waldbränden und Vulkanausbrüchen. Es kommt zu Anreicherungen in Nahrungsmitteln wie Fleisch- und Milchprodukten, Fisch und Schalentieren und im Fettgewebe der Tieren. Kurzzeitige Exposition können Hautveränderungen entstehen, langfristig Entwicklungsstörungen, Beeinträchtigung des Immun-, Hormon- und Nervensystems, Unfruchtbarkeit und Krebs führen.
Toxischer Schimmelpilz wird als potentielles Gesundheitsrisiko gesehen, auch ohne dass bisher ein quantitativer und/oder kausaler Zusammenhang zwischen dem Auftreten einzelner Schimmelpilzarten und gesundheitlichen Auswirkungen bewiesen werden konnte. Ausreichende Belege gibt es laut der Richtlinie für die allergische bronchopulmonale Aspergillose, für durch Schimmelpilze verursachte Mykosen, allergische Atemwegserkrankungen, Asthma, allergische Rhinitis, exogene allergische Alveolitis und Atemwegsinfektionen/Bronchitis. Im Vergleich zu anderen Umweltallergenen wird das Sensibilisierungspotenzial von Schimmelpilzen, mit einer Prävalenz von mit 3-10% - als gering eingestuft. Risikogruppen, die geschützt werden müssen, sind Patienten mit Immunsuppression, mit Mukoviszidose und Asthma.
Proteinaggregate
In Hirnzellen von Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen können Mediziner und Forscher unter dem Mikroskop Proteinverklumpungen sehen, die auch Aggregate genannt werden. Dass diese Aggregate zum Tod der Nervenzellen und zu den Krankheiten wie der Parkinson-, der Alzheimer-, der Huntington-Krankheit oder der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) massiv beitragen, wird seit vielen Jahren vermutet.
Wissenschaftler haben gezeigt, dass der Ort der Proteinaggregate innerhalb der Zelle ihr Überleben stark beeinflusst. Während Aggregate im Zellkern die Zellfunktion kaum beeinträchtigen, stören die Verklumpungen im Zellplasma wichtige Transportwege zwischen Zellplasma und Zellkern.
Proteine bestehen aus langen Aminosäureketten und funktionieren in Zellen wie kleine Maschinen. Um ihre Arbeit aufnehmen zu können, müssen die Proteine eine vorgegebene dreidimensionale Struktur annehmen. In gesunden Zellen gibt es eine Vielzahl von Faltungshelfern und eine umfangreiche Qualitätskontrolle. Falsch gefaltete Proteine werden entweder repariert oder schnell abgebaut.
Bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, ALS und Huntington scheinen solche Proteinaggregate für das Absterben von Nervenzellen mit verantwortlich zu sein. Wie diese Verklumpungen die Zellen schädigen ist bis heute nicht geklärt.
Proteinverklumpungen im Zellplasma verhinderten den Transport von RNA und richtig gefalteten Proteinen zwischen Zellkern und Zellplasma. Weil die Aggregate klebrige Eigenschaften haben, werden aus der Zelle lebensnotwendige Proteine weggefangen. Wenn die Bauanleitung der Proteine, die RNA, aus dem Zellkern nicht in das Zellplasma gelangen kann, können dort auch keine Proteine mehr hergestellt werden und die Zelle geht zugrunde.
Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD)
Unter der Bezeichnung Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen, kurz NMOSD, wird eine Gruppe von seltenen Autoimmunerkrankungen zusammengefasst, die das zentrale Nervensystem (ZNS) betreffen. Bei Autoimmunerkrankungen bildet unser Immunsystem Antikörper, die sich nicht gegen Krankheitserreger und fremde Substanzen richten, sondern fälschlicherweise körpereigene Zellen angreifen und Schäden hervorrufen. Man spricht in diesem Fall auch von Auto-Antikörpern.
Bei NMOSD werden Auto-Antikörper gegen das körpereigene Wasserkanal-Protein Aquaporin-4 (AQP4) produziert. Die AQP4-Antikörper gelangen über die Blut-Hirn-Schranke, die natürliche Barriere zwischen Blutbahn und Gehirn, ins zentrale Nervensystem. Durch die Bindung der Auto-Antikörper an das Wasserkanal-Protein auf den Astrozyten wird das Komplementsystem aktiviert und damit eine kaskadenartige Reaktionskette in Gang gebracht. Das fälschlicherweise aktivierte Komplementsystem greift die Astrozyten an, was schlussendlich zum Neuronentod führt. Dies beeinträchtigt die Funktion der Nervenzellen in Auge, Rückenmark und Gehirn.
Infolge der Optikusneuritis kann es bei Betroffenen zu Sehstörungen wie einem Verlust des Farbensehens und zentralen Gesichtsfeldausfällen sowie Schmerzen bei Augenbewegungen kommen. Störungen der Darm- und Blasenfunktion wie Verstopfung bzw. Seltener kommt es zu entzündlichen Prozessen im Gehirn, die mit kognitiven Beeinträchtigungen einhergehen.
Die Erkrankung verläuft vornehmlich in Schüben, die NMOSD-Symptome können bei jedem Schub anders ausgeprägt sein. Da eine generell schlechte Remission zu beobachten ist, bleiben nach einem Schub häufig Beeinträchtigungen bestehen. Diese betreffen bei 41% der NMOSD-Patienten, bei denen AQP4-Antikörper nachgewiesen wurden, die Sehfähigkeit.
Wenn im Blut AQP4-Antikörper nachgewiesen werden können und mindestens ein weiteres typisches Symptom vorliegt, gilt die Diagnose als gesichert. Bei etwa 25 Prozent der NMOSD-Patienten ist der AQP4-Antikörper Serumtest negativ.
Neuronentod im Sterbeprozess
Wenn ein Mensch stirbt, stellt sein Gehirn nicht von einem Moment auf den anderen die Arbeit ein. Wenige Sekunden nachdem das Herz stehen geblieben ist, sinkt die Sauerstoffkonzentration im Gehirn. Die Nervenzellen wechseln in einen Sparmodus, wodurch die neuronale Aktivität massiv gedrosselt wird. Nach etwa sieben bis acht Sekunden verliert der Betreffende das Bewusstsein; nach 30 bis 40 Sekunden ist die gesamte Hirnaktivität erloschen. Allerdings hängt der genaue Zeitpunkt vom Ausmaß der Restdurchblutung ab.
Zuerst kommt eine Phase ohne Aktivität, in der die Neurone lediglich gehemmt, aber noch lebendig sind. Sobald die Durchblutung erneut einsetzt, arbeiten sie wieder normal. Experten nennen den Zustand Hyperpolarisation. Wenn die Sauerstoffversorgung abbricht, hyperpolarisieren die Zellen. Sie werden also noch negativer, als sie es ohnehin schon sind. Aus diesem sehr negativen Zustand können sie nicht mehr erregt werden, obwohl die Batterie noch voll geladen ist.
Um die Hyperpolarisation aufrechtzuerhalten, braucht die Zelle immer noch ein bisschen Energie. Der Körper produziert diese normalerweise aus Glukose und Sauerstoff. Gibt es nicht mehr genug davon, können die Membranpumpen, die das Spannungsgefälle erzeugen, nicht mehr arbeiten. Nach ein paar Minuten entsteht eine riesige Depolarisationswelle, auch »terminal spreading depolarization« genannt, bei der sich die Nervenzellen ähnlich wie bei einem Kurzschluss nacheinander entladen.
Die Welle beginnt in der Regel an bestimmten vulnerablen Punkten der Hirnrinde und breitet sich mit einer Geschwindigkeit von schätzungsweise drei Millimetern pro Minute über das gesamte Gehirn aus. Dabei wandert sie durch alle Bereiche, in denen die Nervenzellkörper sitzen. Tatsächlich bewirkt sie massive Veränderungen im Inneren der Nervenzellen: Alle möglichen Moleküle werden wild durcheinandergewirbelt. Beispielsweise steigt die Konzentration von Kalzium um das 1000-Fache an. Wenn das zu lange andauert, werden die Neurone vergiftet und sterben.
tags: #Neuronentod #Ursachen