In Deutschland leben gegenwärtig fast 1,6 Millionen Demenzkranke, wobei zwei Drittel von der Alzheimer-Krankheit betroffen sind. Der Umgang mit Demenz stellt Betroffene, Angehörige und Pflegekräfte vor große Herausforderungen. Doch inmitten der Schwierigkeiten gibt es einen unerwarteten Verbündeten: den Humor. Kann Humor wirklich helfen, wenn die mentalen Fähigkeiten nachlassen? Ist bei Demenz Schluss mit lustig? Dieser Artikel beleuchtet, wie Humor im Umgang mit Demenz eingesetzt werden kann, um das Leben der Betroffenen und ihrer Umgebung positiv zu beeinflussen.
Die Bedeutung von Humor bei Demenz
Der Gerontopsychiater Rolf-Dieter Hirsch betont, dass der Einsatz von Humor bei Demenz sowohl für die Betroffenen als auch für die Pflegenden hilfreich ist. Humor kann dazu beitragen, Peinlichkeiten zu entschärfen und Aggressivität abzubauen. Er rät, kritischen Situationen im Alltag mit Humor und dem Wissen zu begegnen, dass auch der Erkrankte an seiner Wut und seinem Verhalten leidet.
Humor als Türöffner
Humor ist mehr als nur Heiterkeit; er ist eine Haltung zum Leben - und zum Sterben. Diese Art, das Leben zu nehmen, ist von Gelassenheit statt von Verzweiflung geprägt, was in der Pflege von unschätzbarem Wert ist. Humor ist Normalität, auch im Umgang mit Krankheit und Tod. Er ist Begegnung und löst Glücksmomente aus.
Was bedeutet Humor eigentlich?
Das Wort „Humor“ stammt vom lateinischen „umor“, was „Flüssigkeit“ oder „Körpersaft“ bedeutet. Dies ist ein Verweis auf die antike Säftelehre, nach der das Temperament vom Verhältnis der Körpersäfte abhing. Heute verstehen wir unter Humor die Fähigkeit, schwierigen oder unangenehmen Situationen mit Gelassenheit und Heiterkeit zu begegnen. Humorvolle Menschen bringen andere zum Lachen und sorgen für eine positive Atmosphäre. Obwohl Humor auch kulturell geprägt ist, gilt er als angeborene Fähigkeit. Die Wissenschaft zeigt, dass Lachen ganzheitlich auf Körper und Geist wirkt und das soziale Miteinander stärkt. Besonders im Umgang mit einer chronischen Erkrankung wie Demenz ist das von unschätzbarem Wert.
Der lange Weg des Humors durch die Geschichte
In der Geschichte hatte Humor nicht immer einen guten Stand. Im antiken Griechenland war Spott ein geläufiger Anlass zum Lachen, was Philosophen wie Aristoteles kritisierten. Cicero forderte kultivierte Ironie statt derbem Spott. Im Mittelalter wurde Humor als sündhaft angesehen und sogar verboten. Klöster verbannten das Lachen, weil es als Zeichen von Schwäche oder Sünde galt. Erst in der Aufklärung wandelte sich dieses Bild. Humor wurde als Mittel verstanden, um Erkenntnisse zu vermitteln. In den Jahren vor der deutschen Märzrevolution 1848 entstanden zahlreiche Karikaturen und Satireblätter. Humor wurde damit zum Werkzeug demokratischer Bewegungen.
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Was Humor mit Gesundheit zu tun hat
Bereits Sigmund Freud erkannte Humor als seelisches Ventil: eine Möglichkeit, mit schwierigen Lebenslagen besser umzugehen. In der modernen Medizin wird Humor längst therapeutisch genutzt. Studien belegen, dass Lachen Stresshormone abbauen, die Schmerzwahrnehmung senken, Glückshormone freisetzen und das Immunsystem stärken kann. Humor fördert soziale Beziehungen, regt die Kreativität an und unterstützt sogar die Heilung. Clowns auf Kinderstationen in Krankenhäusern sind ein gutes Beispiel dafür, wie heitere Zuwendung wirkt.
Wie Humor im Alltag mit Demenz eingesetzt werden kann
Humorvolle Interventionen können vielfältig sein. Hirsch berichtete von seinen Erfahrungen, bei einem aggressiven älteren Menschen eine rote Nase aufzusetzen, was den Betroffenen verwirrte und zum Lachen brachte. Auch das unerwartete Singen oder Summen eines Liedes oder gemeinsames Tanzen können in kritischen Situationen helfen. Wichtig ist, dass die Pflegenden selbst innerlich humorvoll aufgelegt sind und nicht wütend oder ärgerlich reagieren.
Beispiele aus der Praxis
Uli Zeller, Krankenpfleger, Theologe und Autor, berichtet von "unfreiwillig komischen" Situationen im Pflegealltag. Er betont, dass er nicht über die Schwächen von Menschen mit Demenz lacht, sondern mit ihnen, wenn sie selbst über eine eigene Schwäche lachen können.
Situation 1: Ein Kompliment
Frau Frischbutter musterte Zeller eines Tages genau und machte ihm dann ein zweifelhaftes Kompliment: „Für uns alte Weiber bist du schön genug.“
Situation 2: Drei Versprecher
In einer Aktivierungsrunde wurden Redewendungen verwechselt:
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- Frau Bach verwechselte denjenigen, den der Fuchs mitgenommen hat: „Fuchs, du hast den Hans gestohlen …“.
- Frau Schneiderheinze ergänzte die Redewendung einfallsreicher: „Lügen haben kurze Steine.“
- Herrn Lehmberger saß der Kloß offensichtlich nicht im Hals, sondern an einer anderen Stelle: „Ihm sitzt ein Kloß im Nacken.“
Situation 3: Unfreiwilliger Nichtraucher
Herr Fritz, leidenschaftlicher Raucher, war acht Tage wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Als er zurück ins Altenheim kam, erzählte er: „Jetzt habe ich eine Woche nicht geduscht und durfte eine Woche lang nicht rauchen. Naja, das mit dem Duschen ist ja nicht so schlimm …“
Wertschätzender Humor
Für Zeller bedeutet "wertschätzender Humor", sich mit den Betroffenen über ihr kreatives Potenzial zu freuen und nicht über ihre Begrenzungen lustig zu machen. Er empfiehlt, sich immer wieder zu fragen, ob man es selbst lustig finden würde, wenn man in der Rolle des Seniors wäre und andere lachen würden.
Humor als therapeutische Ressource
Martin Herberg zeigt in seinem Buch "Humor als therapeutische Ressource" anhand von mehr als 50 Praxisbeispielen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Humor in der Arbeit mit Demenzerkrankten, zum Beispiel in Verbindung mit Musik, Basteln, Gymnastik und kognitivem Training. Er geht außerdem darauf ein, wie Humor in die Unternehmenskultur von Pflegeeinrichtungen integriert werden kann.
Humor bei Demenz: Nähe statt Distanz
Auch Menschen mit Demenz bewahren ihren Sinn für Humor oft über lange Zeit. Das hat viele positive Effekte, gerade im Pflegealltag. Humor kann Vertrauen aufbauen, Hemmschwellen senken und helfen, emotionale Nähe zu schaffen. In der Praxis zeigen Humor-Therapien, dass gezielte Reize durch Lachen und Leichtigkeit sowohl Unruhe als auch Aggressionen bei Menschen mit Demenz verringern können. Mittlerweile besuchen speziell geschulte Clowns Pflegeeinrichtungen, um mit einfühlsamem Humor die Lebensfreude von Betroffenen zu stärken.
Humor als Kraftquelle für Angehörige
Für Angehörige und Pflegende ist Humor ein effektives Mittel zur Stressbewältigung. Er hilft, Spannungen zu lösen, mit Schamgefühlen umzugehen und schwierige Alltagssituationen gelassener zu meistern. Wer liebevoll und mit einem Augenzwinkern reagiert, fühlt sich weniger ausgeliefert und kann so Kraft schöpfen. Humor ermöglicht echte Begegnung: Er verändert den Blick weg von der Defizitorientierung hin zu gemeinsamen Momenten.
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Tipps für den humorvollen Umgang mit Demenz
- Nicht über, sondern mit den Betroffenen lachen: Achten Sie darauf, dass der Humor nicht verletzend oder abwertend ist.
- Die Persönlichkeit berücksichtigen: Menschen, die zeitlebens wenig für Witze übrig hatten, werden wahrscheinlich weniger gut auf dem humorvollen Wege anzusprechen sein als andere.
- Die Situation einschätzen: Nicht jede Situation ist für Humor geeignet. In manchen Momenten ist es wichtiger, ernst und mitfühlend zu sein.
- Nonverbale Kommunikation nutzen: Mimik, Gestik und Tonfall spielen eine wichtige Rolle, um Humor zu vermitteln.
- Kreativ sein: Singen Sie ein Lied, tanzen Sie, setzen Sie eine rote Nase auf oder erzählen Sie einen Witz. Seien Sie offen für neue Ideen und probieren Sie verschiedene Ansätze aus.
- Humor in den Alltag integrieren: Schauen Sie sich gemeinsam lustige Filme an, lesen Sie Witze oder Anekdoten vor oder besuchen Sie eine humorvolle Veranstaltung.
- Sich selbst nicht vergessen: Achten Sie darauf, auch für sich selbst zu sorgen und sich regelmäßig etwas Gutes zu tun. Humor kann dabei helfen, Stress abzubauen und die eigene Lebensfreude zu erhalten.
Was man selber machen kann
Die beste Prävention ist, heute anzufangen, dass wenn ich dement werde, dass ich gerne gepflegt werde. Wer lächelt, wer lacht, das kenne ich auch bei manchen Demenzkranken, die eher vor sich hin lachen oder lächeln, wenn irgendetwas ist, auch wenn was Schlimmes ist - das macht man gerne. Was man selber machen kann, ist, das erste Witz-, Humorbuch sich zu kaufen und zu gucken, welche Anekdoten, Witze, auch im Fernsehen, welche sehe ich ganz gern. Was Tanzen angeht, was Kommunikation mit anderen angeht, offen die Situation angehen, nicht sich erzwingen, sondern merken, das Leben geht insgesamt leichter. Das Leben ist nicht nur da, dass man überleben kann, sondern mit Humor leben, heißt gleichzeitig reifen, alles nicht gar so eng nehmen, so nach dem Motto: Ich wollt, ich wär ein Elefant, wie wollt ich jubeln laut, es wär mir nicht ums Elfenbein, nur um die dicke Haut. Die braucht man manchmal auch, und da etwas Lächeln, Lachen dazu, dass man mal einen Witz sich anhört, dann aber … Es gibt ja viele Filme auch, die man sich angucken kann.
Aktuelle Initiativen und Projekte
Das Projekt „Demensch“, initiiert von Peter Gaymann und Prof. Dr. Thomas Klie, setzt sich für einen menschlichen, respektvollen Umgang mit Demenzerkrankten ein und nutzt die Kraft des Humors, um Demenz aus der gesellschaftlichen Tabuzone zu holen und im Alltag Barrieren zu überwinden. Im Alten- und Pflegeheim Haus Elbmarsch der Regio Kliniken sorgt derzeit eine Gute-Laune-Ausstellung mit Gaymanns Cartoons für Begeisterung.