Ibuprofen und Alzheimer: Ein zweischneidiges Schwert? Aktuelle Studien enthüllen neue Perspektiven

Die Alzheimer-Demenz, eine der häufigsten altersbedingten neurodegenerativen Erkrankungen, betrifft allein in Europa etwa sieben Millionen Menschen. Weltweit sind rund 55 Millionen Menschen von Demenz betroffen, wobei ein Großteil unter der Alzheimer-Krankheit leidet. Charakteristisch für diese Krankheit ist die fortschreitende Beeinträchtigung des Gedächtnisses, der Orientierung und der Fähigkeit, vertraute Personen und Orte zu erkennen. Bislang gibt es keine wirksamen Therapieansätze, um die Krankheit zu heilen oder ihren Verlauf aufzuhalten. Daher konzentriert sich die Forschung zunehmend auf Risikofaktoren, Früherkennung und schützende Faktoren, die bereits in jüngeren Jahren relevant sind. Vor diesem Hintergrund rückt ein Alltagsmedikament in den Fokus: Ibuprofen.

Entzündungshemmende Wirkung und Alzheimer-Risiko: Was Beobachtungsstudien zeigen

Frühere beobachtende Studien sowie eine systematische vergleichende Übersicht deuteten darauf hin, dass nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAID) mit einem reduzierten Risiko für Alzheimer einhergehen könnten. Zu dieser Medikamentenklasse gehören beispielsweise Aspirin, Acetaminophen oder Ibuprofen. Eine Übersichtsanalyse von 16 Kohortenstudien mit insgesamt 236.022 Teilnehmern, die zwischen 1995 und 2016 veröffentlicht wurden, zeigte, dass eine aktuelle oder frühere Behandlung mit NSAID das Alzheimer-Risiko senken könnte. Die Menschen, die solche Medikamente zur Behandlung anderer Erkrankungen einnahmen, erkrankten seltener an Alzheimer als die Menschen, die keine solchen antientzündlichen Mittel einnehmen mussten. Die sogenannte Risikorate war bei den behandelten Menschen um 20 % reduziert. Es war jedoch nicht klar erkennbar, ob einzelne Entzündungshemmersorten besonders vorteilhaft waren.

Ibuprofen: Freund und Feind der Hirnzellen?

Ibuprofen wird schon seit Längerem daraufhin untersucht, ob es das Alzheimer-Risiko beeinflussen kann. Eine Forschungsgruppe hat nun erstmals systematisch untersucht, welchen Einfluss der analgetisch und antiinflammatorisch wirkende Arzneistoff auf verschiedene Lipidklassen im Gehirn hat, die in der Alzheimer-Forschung als relevant bekannt sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass Ibuprofen die Konzentration bestimmter Lipide erhöht, die entscheidend für die Gesundheit der Hirnzellen sind. So stiegen die Gehalte von Phosphatidylcholin und Sphingomyelin - beides zentrale Bausteine der Zellmembranen von Nervenzellen. Im Gehirn von Menschen mit Morbus Alzheimer sind diese Membranlipide typischerweise verringert, was mit einer gestörten Kommunikation zwischen den Neuronen und Zellschäden einhergeht. „Unsere Studie zeigt, dass Ibuprofen hier entgegen den krankhaften Veränderungen wirkt. Das könnte positiv für die Synapsen - also die Kontaktstellen zwischen Nervenzellen - und gegen bestimmte zellschädigende Prozesse wirken“, erläutert Prof. Dr. habil. Marcus Grimm.

Mögliche negative Effekte: Triacylglyceride und Plasmalogene

Andererseits fanden die Forschenden auch potenziell nachteilige Effekte. Ibuprofen ließ die Menge an Triacylglyceriden ansteigen. Diese Neutralfette dienen als Energiespeicher und können sich in Form von Fetttropfen in Zellen ablagern. Zudem führte das Medikament zu einer Abnahme der sogenannten Plasmalogene, schützenden Lipiden, die Zellen vor oxidativem Stress bewahren. Bei Alzheimer-Erkrankten sind die Plasmalogen-Spiegel bereits deutlich reduziert. „Unsere Ergebnisse offenbaren hier eine zweischneidige Wirkung von Ibuprofen“, fasst Prof. Dr. habil. Marcus Grimm zusammen. „Einerseits könnten bestimmte durch Ibuprofen hervorgerufene Veränderungen an den Hirnfetten schützend sein. Andererseits sehen wir auch Veränderungen, die eher als kontraproduktiv einzustufen sind, weil sie Prozesse begünstigen könnten, die mit Alzheimer in Verbindung stehen.“

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Zielprotein identifiziert: Ein wichtiger Schritt für die Medikamentenentwicklung

Ein wesentliches Merkmal der Alzheimer-Demenz ist die Ablagerung von Plaques im Gehirn der Betroffenen. Bereits vor einigen Jahren konnte nachgewiesen werden, dass manche entzündungshemmende Medikamente die Bildung der Plaques blockieren können. Diese Medikamente gehören zur Substanzklasse der nichtsteroidalen, entzündungshemmenden Medikamente, kurz NSAIDs. Ein bekannter Vertreter der NSAIDs ist Ibuprofen. Durch ihre entzündungshemmende Wirkung lösen NSAIDs jedoch starke Nebenwirkungen aus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Kompetenznetzes Degenerative Demenzen (KNDD) haben das Zielprotein einiger neuer, von den NSAIDs abgeleiteten Substanzen identifiziert. Diese wirksameren Verwandten der NSAIDs wurden von verschiedenen Pharmafirmen entwickelt und gehören wie die NSAIDs zur Gruppe der sogenannten Gamma-Sekretase-Modulatoren, kurz GSMs. Die Gamma-Sekretase ist ein körpereigenes Protein, das u. a. im Gehirn vorkommt. Es gilt als eines der zentralen Schlüsselelemente bei der Entstehung der Plaques im Gehirn von Alzheimer-Erkrankten. Durch Bindung an die Gamma-Sekretase entfalten die GSMs ihre Wirkung. „Durch unsere Versuche wurde das Zielprotein der GSMs eindeutig identifiziert und damit eine langjährige ungeklärte Frage beantwortet“, erläutert Steiner. „Dabei ist die Methodik selbst gar nicht neu. Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur aber nur sehr wenige Beispiele, in denen sie erfolgreich eingesetzt wurde.“

Ibuprofen und der Zuckerstoffwechsel: Neue Erkenntnisse aus den USA

Ein Forschungsteam aus den USA untersuchte die Wirkung von Ibuprofen auf Geschmacksrezeptoren für Zucker: Ihre Ergebnisse könnten unter anderem für die Diabetes- und Alzheimer-Behandlung relevant werden. Das Forschungsteam der Rutgers University in New Brunswick, USA, untersuchte im weitesten Sinne, welcher Mechanismus hinter den Effekten von Ibuprofen auf das niedrigere Risiko für Alzheimer und Diabetes stecken könnte. Im Zentrum steht dabei ein Rezeptor, an den verschiedene Zuckerarten wie Glucose, Fructose und Sucrose andocken. Wenn Zucker an diesen Rezeptor bindet, startet eine Art Kettenreaktion, die beeinflusst, wie viel Zucker unser Körper in der Verdauung verwertet. Die Zuckerrezeptoren bestimmen also mit darüber, wie viel Zucker wir im Blut haben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wussten schon länger, dass Ibuprofen und das verwandte Schmerzmittel Naproxen ähnlich aussehen wie Stoffe, die den Zucker-Rezeptor hemmen. Wird der Zucker-Rezeptor gehemmt, ist der Blutzuckerspiegel niedriger. Nun hat das amerikanische Forschungsteam im Labor und im Menschen nachgewiesen, dass Ibuprofen und Naproxen den Zucker-Rezeptor tatsächlich hemmen.

Vorbeugender Einsatz noch unklar: Weitere Forschung notwendig

Die Datenlage deutet demnach darauf hin, dass entzündungshemmende Wirkstoffe gegen eine Alzheimererkrankung schützen könnten. Zumindest rückblickend erkrankten Menschen mit antiinflammatorischer Behandlung (NSAID) seltener an der Demenzerkrankung. Ob eine solche Behandlung allerdings vorbeugend eingesetzt werden könnte sowie optimale Dosierungen und Medikamente, müssten nun gezielte klinische Medikamentenstudien klären. Auch muss genauer ermittelt werden, welche Patientengruppen am meisten von einer solchen Behandlung profitieren könnten - schließlich hat eine antientzündliche Therapie ihre eigenen Risiken und Nebenwirkungen und sollte daher nur bei ausgewählten Patientengruppen, eventuell mit erhöhtem Risiko für eine Alzheimererkrankung, kontrolliert eingesetzt werden.

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