Ibuprofen, Herzinfarkt und Schlaganfall: Eine Risikoanalyse

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen sind in Deutschland weit verbreitete Medikamente zur Schmerzlinderung. Ibuprofen führte im Jahr 2011 mit 422,4 Mio. verordneten Tagesdosen (DDD). Trotz ihrer Wirksamkeit sind NSAR mit Risiken verbunden, insbesondere für den Gastrointestinaltrakt und das Herz-Kreislauf-System. Dieser Artikel untersucht die potenziellen Risiken von Ibuprofen in Bezug auf Herzinfarkt und Schlaganfall und gibt Empfehlungen für eine sichere Anwendung.

Verordnungen von NSAR in Deutschland

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) gehören zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln in Deutschland. Im Jahr 2011 führte Ibuprofen die Liste der verordneten Tagesdosen (DDD) mit 422,4 Millionen an, gefolgt von Diclofenac mit 419,8 Millionen. Naproxen (15,9 Mio. DDD), Meloxicam (13,9 Mio. DDD) und Indometacin (11,8 Mio. DDD) folgten mit großem Abstand. Die beiden verfügbaren selektiven COX-2-Hemmer (Coxibe) Etoricoxib und Celecoxib wurden mit 65,1 bzw. 25,1 Mio. DDD verordnet.

Risiken von NSAR: Aktuelle Daten

Das von der Europäischen Kommission geförderte SOS-Projekt (Safety Of non-Steroidal anti-inflammatory drugs) zielt darauf ab, die kardiovaskulären und gastrointestinalen Risiken der einzelnen NSAR zu bewerten und zu vergleichen. Im Folgenden werden Ergebnisse einer Metaanalyse von Beobachtungsstudien aus diesem Projekt sowie eine Metaanalyse von randomisierten Studien zu kardiovaskulären und gastrointestinalen Risiken von NSAR vorgestellt.

NSAR und Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt

NSAR erhöhen das Risiko für Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt (GI) um das Drei- bis Fünffache. Risikofaktoren sind höheres Lebensalter und eine Ulcusanamnese. Eine Metaanalyse von Beobachtungsstudien aus den Jahren 1980 bis 2011 untersuchte das relative Risiko für diese GI-Komplikationen (obere GI-Blutung, Perforation, Ulkus) unter einzelnen NSAR einschließlich Coxiben im Vergleich zu keiner Einnahme von NSAR. Die gepoolten relativen Risiken der NSAR liegen zwischen 1,43 und 7,43.

Die Einnahme einer hohen Dosis des jeweiligen NSAR (z. B. > 1200 mg Ibuprofen oder > 100 mg Diclofenac) führte zu einer zwei- bis dreifachen Erhöhung des relativen Risikos gegenüber niedrigen Dosierungen. Eine Ausnahme war Celecoxib, für das keine Dosisabhängigkeit des relativen Risikos festgestellt werden konnte. Ibuprofen und Diclofenac unterschieden sich bei Anwendung der hohen Dosierungen nicht mehr.

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Nur in einer eingeschlossenen Studie wurde der Einfluss von gastroprotektiven Substanzen untersucht. In dieser Studie war kein erhöhtes Risiko für Komplikationen im oberen GI-Trakt nachweisbar, wenn gleichzeitig Protonenpumpenhemmer oder Misoprostol eingenommen wurden. Dies galt für alle NSAR außer für Diclofenac, bei dem sich ein erhöhtes Risiko auch unter protektiver Begleitmedikation zeigte. Die Autoren weisen in der Diskussion jedoch darauf hin, dass es sich dabei auch um eine zufällige Beobachtung handeln könnte.

Die Metaanalyse von randomisierten Studien zeigte für alle untersuchten NSAR eine Erhöhung des relativen Risikos für obere GI-Komplikationen gegenüber Placebo, wobei sich für Ibuprofen ein etwas ungünstigerer Wert ergab als bei den nicht randomisierten Studien: Coxibe 1,81 (95-%-Konfidenzintervall [KI] 1,17-2,81), Diclofenac 1,89 (1,16-3,09), Ibuprofen 3,97 (2,22-7,10) und Naproxen 4,22 (2,71-6,56). Eine Erklärung für diese Diskrepanz lässt sich nicht ableiten.

NSAR und Myokardinfarkt

Die Metaanalyse von Beobachtungsstudien bestätigt ein grenzgradig bis leicht erhöhtes Risiko für einen AMI bei Einnahme verschiedener NSAR gegenüber keiner Einnahme von NSAR. Die Metaanalyse von randomisierten Studien zeigt auch für Ibuprofen eine Erhöhung des Risikos für koronare Ereignisse (Rate Ratio 2,22; 95-%-KI 1,10-4,48), das deutlich höher liegt als bei Auswertung der nicht randomisierten Studien, aber ebenfalls nicht für Naproxen. Außer für Rofecoxib und Diclofenac war das Herzinfarktrisiko auch unter Meloxicam, Indometacin und Etoricoxib erhöht. Eine ähnliche Erhöhung des relativen Risikos für einen AMI zeigte sich, wenn jeweils nur Erstanwender des jeweiligen NSAR in die Analyse einbezogen wurden.

Es zeigte sich ein tendenziell höheres Herzinfarktrisiko, wenn höhere Dosierungen von NSAR eingenommen wurden (jedoch nicht bei Naproxen). Bei Diclofenac war sowohl die niedrige als auch die hohe Dosis mit einem erhöhten Risiko für einen AMI verbunden.

NSAR und Schlaganfall

In einer dritten Metaanalyse von Beobachtungsstudien aus dem SOS-Projekt wurde das Schlaganfallrisiko unter NSAR-Anwendung untersucht. Während sich in dieser Untersuchung ein erhöhtes Risiko zeigte bei aktueller Einnahme von Rofecoxib (RR 1,64; 95-%-KI 1,15-2,33) sowie von Diclofenac (RR 1,27; 95-%-KI 1,08-1,48), konnte in der Metaanalyse von randomisierten Studien ein erhöhtes Schlaganfallrisiko unter NSAR nicht nachgewiesen werden.

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Weitere Erkenntnisse und Studien

Eine groß angelegte Fall-Kontrollstudie aus Dänemark bei 28.947 Menschen, die zwischen 2001 und 2010 einen plötzlichen Herztod erlitten hatten, konnte vor allen Dingen für Ibuprofen und Diclofenac ein erhöhtes Risiko eindrucksvoll belegt werden. In dieser Gruppe hatten 3.376 Personen in den 30 Tagen vor dem plötzlichen Ereignis ein sog. Das Risiko für den plötzlichen Herztod war dabei für Ibuprofen mit +31% und Diclofenac mit +50% deutlich erhöht. Andere Schmerzmittel, wie z.B. Die betroffenen Menschen waren im Mittel 70 Jahre alt. Gerade bei solchen, die ein erhöhtes Risiko für den plötzlichen Herztod durch Begleiterkrankungen hatten, wurde das Risiko durch die Einnahme von Diclofenac und Ibuprofen noch weiter gesteigert. Folglich sind auch jüngere Menschen, die ein erhöhtes Risiko für den plötzlichen Herztod gefährdet. Zu diesen Risikopatienten gehören solche mit Koronarer Herzkrankheit bzw.

Schweizer Forscher haben in einer Meta-Studie mit über 116.000 Patienten (siehe British Medical Journal (BMJ) 2001, Band 342, Seite 7086) die Nebenwirkungen von sieben NSAR, die häufig von älteren Menschen gegen Rücken- oder Gelenkschmerzen eingenommen werden, analysiert. Alle untersuchten Medikamente waren mit einem erhöhten Risiko für Herz- und Hirninfarkte verbunden. Zwei Wirkstoffe - das rezeptfrei erhältliche Diclofenac (ein herkömmliches Schmerzmittel) und Etoricoxib (ein so genannter COX2-Hemmer, der zur Behandlung von Arthrose, rheumatoider Arthritis und bei akuten Gichtanfällen eingesetzt wird) - gehen im Vergleich zu Scheinmedikamenten mit einer vierfach erhöhten Herz-Kreislauf-Sterblichkeit einher. Und Ibuprofen verdreifacht den Forschern zufolge das Risiko für einen Schlaganfall und steigert das Herzinfarktrisiko um den Faktor 1,3. Damit soll jetzt aber keine Rangfolge der Gefährlichkeit unter den sieben Wirkstoffen aufgestellt werden, zumal sie alle den Schutz der Gefäße zerstören.

Forscher aus Dänemark bestätigten 2017 mit einer Studie den Verdacht, dass Schmerzmittel auf der Basis von Ibuprofen und Diclofenac auch zu Herzproblemen bis hin zum Herzstillstand führen können. Eine weitere, allerdings kleine Studie zeigt, dass Männer bei einer regelmäßigen Einnahme von Ibuprofen vermindert fruchtbar sind. Ein internationales Forscher-Team untersuchte 31 Männer im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Wie die Forscher im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlichten, konnte bereits nach 14 Tagen eine erste hormonelle Veränderung festgestellt werden. Diese kann für Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch für Impotenz verantwortlich gemacht werden.

In einer Langzeit-Studie der Universität Aarhus wurde nachgewiesen, dass die regelmäßige Einnahme von Diclofenac das Risiko für einen Herzinfarkt und Schlaganfall dramatisch erhöht. Die dänischen Forscher kommen zu dem Schluss, dass Diclofenac nur noch auf Rezept erhältlich sein sollte. In Schweden wird Diclofenac seit 1. Juni 2020 nur noch nach ärztlicher Verschreibung an Patienten verkauft. In Deutschland und auch in fast allen anderen EU-Ländern ist Diclofenac rezeptfrei erhältlich.

Ibuprofen und seine Wirkungsweise

Ibuprofen, Diclofenac und Acetylsalicylsäure (ASS) bzw. Aspirin gehören zu den nicht-steroidalen Antirheumatika, kurz NSAR. Sie hemmen die sogenannte Cyclooxygenase (COX). COX findet immer dann statt, wenn in unserem Körper Gewebe geschädigt wird, etwa durch Verletzungen oder Entzündungen. Die Schmerzrezeptoren werden stimuliert und wir spüren Schmerzen. Wird die COX aber unterdrückt, lindert das unser Schmerzempfinden. Das Problem ist jedoch, dass NSAR auch die COX-Enzyme außerhalb des Gehirns blockieren. Dadurch treten unerwünschte Nebenwirkungen auf, wie die Schädigungen der Schleimhaut in Magen und Zwölffingerdarm. Der Vorteil: ASS, Ibuprofen und Diclofenac setzen sich aufgrund ihrer chemischen Struktur in entzündetem Gewebe ab. Dadurch hemmen sie Entzündungen. Diese Eigenschaft fehlt dem Paracetamol. Paracetamol gehört im Gegensatz dazu zu den Analgetika. Es wirkt nur Fieber senkend und schmerzlindernd. Wie genau Paracetamol wirkt, weiß man bis heute nicht genau. Fest steht, dass es seine schmerzlindernde und fiebersenkende Wirkung hauptsächlich im zentralen Nervensystem entfaltet, also im Rückenmark und im Gehirn. Auf die Cyclooxygenase hat Paracetamol keinen Einfluss. Kurz gesagt: Ibuprofen, Diclofenac und Aspirin wirken blutverdünnend, helfen aber gegen Schmerzen, Fieber und auch bei Entzündungen.

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Ibuprofen bei Herzkranken

Menschen mit Bluthochdruck, Koronarer Herzkrankheit, Zustand nach Herzinfarkt und Herzrhythmusstörungen sollten Ibuprofen möglichst kurzfristig und in einer Tagesdosis von 1.200 mg nicht überschreiten. Treten Symptome wie innere Unruhe, Gereiztheit, Benommenheit und Schlaflosigkeit auf, sollte mit einem Arzt über Alternativen wie Paracetamol oder Aspirin gesprochen werden.

Ibuprofen kann, wie auch andere nicht-steroidale Schmerzmittel, zu einer Beschleunigung der Arteriosklerose und einem höheren Risiko für ein arteriosklerotisches Ereignis, wie zum Beispiel, einem Herzinfarkt, führen. Hauptursächlich ist eine Blutdruckerhöhung durch eine Erhöhung des Gefäßwiderstands. Ebenso weisen einige der nichtsteroidalen Schmerzmittel auch eine höhere Blutungsneigung auf, zum Beispiel auch in Kombination mit ASS.

Es gibt etliche Alternativen, deren Auswahl allerdings hochindividuell erfolgen sollte, beginnend mit dem häufig verordneten Novaminsulfon bis hin zu Opioid-Analgetika.

Empfehlungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA)

Ibuprofen erhöht in hohen Dosierungen das Risiko auf ein kardiovaskuläres Ereignis. Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sollten eine Tagesdosis von 2400 mg nicht überschreiten. Bei Dosierungen von bis zu 1.200 mg pro Tag sieht der PRAC keine Zunahme des kardiovaskulären Risikos. Dies entspricht der höchsten in der EU nicht verschreibungspflichtigen oralen Dosierung.

Die Empfehlungen für Ibuprofen gelten auch für Dexibuprofen, einem aktiven Enantiomer von Ibuprofen. Hier gelten Dosierungen von 1200 mg pro Tag als hoch.

Wechselwirkungen mit Acetylsalicylsäure (ASS)

Ibuprofen kann die antithrombozytäre Wirkung von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (Low-dose ASS), das zur Prävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen verordnet wird, vermindern. Ob Ibuprofen bei einer langfristigen Einnahme die protektive Wirkung von Low-dose ASS gefährdet, ist unklar. Die kurzfristige Einnahme sei in dieser Hinsicht unbedenklich.

Alternativen für Herzpatienten

Eine Alternative zu Ibuprofen, das Sie in einer relativ hohen Dosierung einnehmen, wäre Naproxen. Denn unter den sogenannten NSAR (nichtsteroidalen Antirheumatika), zu denen auch Ibuprofen gehört, hat Naproxen nach allen bislang verfügbaren Studien die geringsten unerwünschten Wirkungen auf das Herz. Allerdings sollte man auch Naproxen vorsichtig anwenden. Denn zum einen kann Naproxen ebenfalls das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen, wenn auch nicht so stark wie andere Vertreter dieser Substanzklasse, und zum anderen erhöht Naproxen die Wahrscheinlichkeit für Blutungen im Magen-Darm-Trakt mehr als Ibuprofen.

Weitere Risiken und Nebenwirkungen von Ibuprofen

Neben den genannten Risiken kann Ibuprofen auch zu Magen- oder Darmproblemen wie Sodbrennen, Bauchschmerzen, Übelkeit oder Durchfall, Leber- und sogar Nierenschäden führen. Immer wieder werden auch Fälle bekannt, in denen nach der Einnahme von Schmerzmitteln Magenblutungen auftraten.

Auch ein anderes Risiko sollten Anwender von Schmerzmitteln einkalkulieren: Forscher aus Dänemark bestätigten 2017 mit einer Studie den Verdacht, dass Schmerzmittel auf der Basis von Ibuprofen und Diclofenac auch zu Herzproblemen bis hin zum Herzstillstand führen können.

Einschränkungen und Kontraindikationen

Wer auf Ibuprofen schon mal allergisch reagiert hat, eine Hirnblutung hatte, an einem Magengeschwür oder einem Geschwür im Zwölffingerdarm, an einer schweren Leber- oder Nierenkrankheit, einer schweren Herzschwäche oder ungeklärten Blutbildungsstörung leidet, muss auf Ibuprofenpräparate verzichten.

Es gibt eine ganze Reihe von Medikamenten, deren Wirkung durch Ibuprofen beeinflusst werden kann. So kann zum Beispiel die gleichzeitige Einnahme von Kortisonpräparaten, Gerinnungshemmern, bestimmter Antidepressiva, Acetylsalicylsäure oder anderer NSAR zusammen mit Ibuprofen die Gefahr von Geschwüren und Blutungen im Magen-Darm-Trakt erhöhen, während die Wirksamkeit von Blutdrucksenkern beeinträchtigt wird. Alkohol kann die Nebenwirkungen von Ibuprofen noch verstärken.

Dosierung und Anwendung

Die Höchstdosis für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren liegt bei frei verkäuflichem Ibuprofen bei 400 mg alle acht Stunden (1.200 mg pro Tag). Länger als drei Tage am Stück sollte man freiverkäufliche Schmerzmittel nicht einnehmen.

Ibuprofen darf nicht zusammen mit bestimmten anderen Medikamenten eingenommen werden - weil sich sonst die bestehende Gefahr für Blutungen im Darm noch erhöht: Dazu gehören Kortison-Präparate, gerinnungshemmende Medikamente oder Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI. Auch Menschen, deren Herz, Leber oder Nieren erkrankt sind oder die an Magengeschwüren leiden, sollten Ibuprofen besser nicht nehmen.

Ibuprofen in der Umwelt

Es sollte natürlich nicht passieren; andererseits aber ist ein Medikament wie Ibuprofen so gut wirksam bei bestimmten - zum Beispiel orthopädisch verursachten - Schmerzsyndromen, dass manche Patienten trotz Aufklärung über ein möglicherweise erhöhtes Infarktrisiko die Schmerzfreiheit als subjektiv höherwertiges Therapieziel ansehen und trotz Risikoaufklärung dann wünschen, dennoch mit dieser Substanz behandelt zu werden. In diesen individuellen Fällen habe ich als Arzt durchaus dafür Verständnis.

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