Die diabetische Polyneuropathie (DPN) ist eine häufige und potenziell schwerwiegende Komplikation des Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit). Sie entsteht durch eine Schädigung multipler Nerven (Polyneuropathie) infolge von chronisch erhöhten Blutzuckerwerten. Von allen Neuropathien sind etwa 30-50% diabetisch bedingt.
Was ist diabetische Polyneuropathie?
Bei der diabetischen Polyneuropathie sind die Nerven oder die Hülle um die Nerven herum geschädigt. Vom Rückenmark und vom Gehirn aus verlaufen viele Nerven zu den Organen, zur Haut und zu den Muskeln im Körper. Die Schädigung dieser Nerven kann vielfältige Symptome verursachen.
Ursachen
Die Hauptursache für die diabetische Polyneuropathie ist der Diabetes mellitus. Chronisch erhöhte Blutzuckerwerte schädigen die Nervenfasern und die kleinen Blutgefäße, die die Nerven versorgen. Dies führt zu einer Funktionsstörung und schließlich zum Absterben der Nerven.
Weitere mögliche Ursachen für Polyneuropathien, die differentialdiagnostisch abgeklärt werden müssen, sind:
- Metabolische Ursachen (Hepatopathie, Urämie, Hypothyreose, Hyperurikämie)
- Alkoholabusus
- Vaskulitiden
- Kollagenosen
- Vitamin B12 Mangel
- Paraneoplastische Ursachen
- Critical-illness-PNP
- Hereditäre Polyneuropathien (HMSN)
- Toxische Ursachen (Arsen, Blei, Thallium, Quecksilber)
- Medikamentös-toxische Ursachen (Chemotherapeutika, Cisplatin, Thalidomid, Vinblastin, Vincristin, Nitrofurantoin, Amiodaron, Penicillin…)
- Nutritiv-toxische Ursachen: Alkohol
- Infektiöse Ursachen (Borreliose, CMV, HIV, Hepatitis, FSME, Masern, Mononukleose, Mykoplasmen)
Symptome
Die Symptome der diabetischen Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind. Meistens beginnen die Beschwerden an den Beinen und können sich später auch auf andere Bereiche vom Körper ausbreiten.
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Häufige Symptome sind:
- Sensibilitätsstörungen:
- Pelzigkeitsgefühl, Engegefühl (Manschetten), Gefühl auf Watte zu laufen
- Überempfindlichkeit auf Reize (Temperatur, Berührung, Schmerz)
- Hypästhesie (oder auch Pelzigkeitsgefühl ohne Taubheit)
- Parästhesien (Kribbeln, Ameisenlaufen, Brennen, Stechen)
- Pallhyp- oder Anästhsie
- Graph- oder Anästhesie auf Fußrücken (im Verlauf auch der Fingerspitzen)
- Hyperalgesie (im Verlauf Hyp- oder Analgesie)
- Thermhyp- oder Anästhesie
- Gemindertes Spitz-Stumpf Empfinden
- Beeinträchtigtes Lageempfinden
- Reduzierte 2-Punkte Diskrimination
- Schmerzen: Die Schmerzen können brennend, stechend oder bohrend sein und sich besonders nachts verstärken.
- Muskelschwäche: Meist symmetrische Paresen vorwiegend der kleinen Fußmuskeln. Hackenstand erschwert. Auch proximale Muskulatur kann betroffen sein. Atropien der Muskulatur (M. extensor digitorum brevis häufig betroffen). Gelegentlich Schwerpunktsneuropathien mit besonderer Affektion einzelner Nerven.
- Gangstörungen: Gangunsicherheit, Ataxie. Zunahme der Gangunsicherheit im Dunkeln. Einbeinstand erschwert (z.B. Sensibilität).
- Autonome Funktionsstörungen:
- Hydrosis oder trockene Haut
- Schwindelgefühl beim Laufen, unsicheres Gangbild
- Muskelkrämpfe (Crampi) - häufig nachts in Ruhe
- Errektionsstörungen
- Blasenentleerungsstörungen
- Orthostatische Dysregulation
- Weitere Symptome:
- Schwindelgefühl beim Laufen
- Unsicheres Gangbild
- Zunahme der Gangunsicherheit im Dunkeln
- Muskelkrämpfe (Crampi) - häufig nachts in Ruhe
Gefährlich wird die diabetische Polyneuropathie, wenn bereits die Nerven des Herzens geschädigt sind.
Diagnose
Die Diagnose der diabetischen Polyneuropathie basiert auf der Anamnese, der körperlichen Untersuchung und verschiedenen technischen Untersuchungen.
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte, insbesondere der Diabetesdauer und der Blutzuckereinstellung sowie Erfassung der typischen Symptome.
- Körperliche Untersuchung:
- Differenzierte Sensibilitätsprüfung (siehe Symptome) inklusive Lageempfinden
- Muskelfunktionsprüfung, insbesondere Paresen der Fuß- und Zehenextension, und -flexion. Auch Prüfung proximaler Muskelgruppen! Aufstehen aus der Hocke.
- Inspektion auf Muskelatrophien, Muskelumfangsmessung, Fußdeformitäten
- Prüfung der Muskeleigenreflexe (Abschwächung?)
- Beurteilung autonomer Funktionsstörungen (Hydrosis, trockene Haut?)
- Elektrophysiologische Diagnostik:
- Nervenleitungsgeschwindigkeitsmessung (NLG): Nervus peronaeus und Nervus tibialis mit F-Wellen, Nervus suralis
- Elektromyographie: Bei entsprechendem Verdacht immer! Chronische Denervierung (Erhöhte Muskelsummenaktionspotentiale, erhöhte Polyphasierate, Faszikulationen, komple-repetitive Entladungen), floride Denervierung (Spontanaktivität mit positiven scharfen Wellen, Fibrillationen, Auftreten vom Verlauf abhängig)
- Evozierte Potentiale: Abhängig von Lokalisation der Symptomatik (Tibialis- oder Peronaues-SEP, Medianus- oder Ulnaris-SEP)
- Herzfrequenzvarianzanalyse
- Sympathischer Hautreflex
- Quantitativ sensorische Testung (QST): Insbesondere bei Verdacht auf Small-fibre Polyneuropathie
- Laboruntersuchungen:
- Blutuntersuchungen zur Überprüfung der Blutzuckerwerte, Nierenfunktion, Vitamin B12-Spiegel und anderer möglicher Ursachen für Neuropathien.
- Eventuell Liquordiagnostik
- Eventuell 24h Urin (bei V.a. Intoxikation, Porphyrie)
- Evtl. Muskel- und Nervenbiopsie
Therapie
Das Ziel der Therapie der diabetischen Polyneuropathie ist es, die Symptome zu lindern, das Fortschreiten der Nervenschädigung zu verlangsamen und Komplikationen zu vermeiden.
Die Behandlung umfasst in der Regel:
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- Optimale Blutzuckereinstellung: Eine gute Blutzuckerkontrolle ist die wichtigste Maßnahme, um die Nervenschädigung zu verlangsamen oder aufzuhalten.
- Schmerzbehandlung: Zur Schmerzlinderung können verschiedene Medikamente eingesetzt werden, z.B. Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Opioide.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskelkraft und Koordination zu verbessern und Gangstörungen zu reduzieren.
- Fußpflege: Regelmäßige Fußpflege ist besonders wichtig, um Verletzungen und Infektionen vorzubeugen. Podologische Therapie ist verordnungsfähig bei gesetzlich Versicherten aufgrund eines eingewachsenen Nagels im Stadium 1-3 sowie die podologische Behandlung bei dem Diabetischen Fußsyndroms oder Krankheiten mit Folgen ähnlich des Diabetischen Fußsyndroms. Dies muss aus dem ICD-10-Code der behandlungsrelevanten Diagnosen oder dem Freitext hervorgehen und zur Diagnosegruppe passen. Eine podologische Behandlung kommt dann in Betracht, wenn ohne diese Behandlung unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße zu erwarten sind, wie sie durch Entzündungen und Wundheilungsstörungen entstehen können. Nagelspangenbehandlung ist seit 2022 eine Kassenleistung und darf bei eingewachsenen Nägeln im Stadium 1-3 angewendet werden.
- Weitere Maßnahmen:
- Behandlung von Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen.
- Vermeidung von Risikofaktoren wie Rauchen und Alkohol.
Podologische Therapie
Um als Podologin therapeutisch tätig zu werden, bedarf es einer Anweisung durch eine Ärztin.
Podologische Komplexbehandlung
Bei der Diagnosegruppe DF sind folgende Freitexte und ICD-10-Codes zulässig:
- Diabetisches Fußsyndrom
- Diabetische Polyneuropathie
ICD-10-Codes:
- E10.74 + E10.75
- E11.74 + E11.75
- E12.74 + E12.75
- E13.74 + E13.75
- E14.74 + E14.75
- G63.2 (Diabetischen Polyneuropathie)
Bei der Diagnosegruppe NF sind folgende Freitexte und ICD-10-Codes zulässig:
- Bitte unbedingt im Freitext angeben zur sicheren Abrechenbarkeit: Fußsyndrom bei Neuropathie / Neuropathischer Fuß, Sensible/ sensorische Neuropathie
ICD-10-Codes:
Lesen Sie auch: Diagnose und Behandlung diabetischer Polyneuropathie
- G60.0 - G60.3
- G60.8 + G60.9
- G61.0 + G61.1
- G61.8 + G61.9
- G62.0 - G62.2
- G62.8 + G62.88 + G62.9
- G63.0 - G63.6 (ohne G63.2), G63.8
Bei der Diagnosegruppe QF sind folgende Freitexte und ICD-10-Codes zulässig:
- Freitext: Fußsyndrom bei Querschnittsyndrom, Sensible/ sensorische Neuropathie
ICD-10-Codes:
- G82.00 - G82.03 + G82.09
- G82.10 - G82.13 + G83.19
- G82.20 - G82.23 + G83.29
- G82.30 - G82.33 + G83.39
- G82.40 - G82.43 + G83.49
- G82.50 - G82.53 + G83.59
- G82.60 - G82.67 + G83.69
Nagelspangenbehandlung
Die Nagelspangenbehandlung ist seit 2022 eine Kassenleistung. Sie darf bei eingewachsenen Nägeln im Stadium 1-3 angewendet werden.
Diagnosegruppe UI 1 oder UI 2:
- UI 1 ist das Stadium, wo der Nagel beginnt seitlich in das Gewebe einzudringen und erste Entzündungszeichen auftreten (Schmerzen, leichte Schwellung, Rötung).
- UI 2 bezeichnet das Stadium in welchem sich Granulationsgewebe am Rand des eingewachsenen Nagels bildet, welches sich entzündet, nässt und/ oder eitert.
Der ICD-10-Code ist L60.0
Es können je Stadium UI 1 - 8 Behandlungseinheiten und UI 2 - 4 Behandlungseinheiten verschrieben werden. Jeder Ersttermin für die Behandlung von eingewachsenen Nägeln umfasst zwei Behandlungseinheiten (Erstbefundung und die Korrektur des Nagels mit Anpassung einer Nagelspange).
Prävention
Die beste Prävention der diabetischen Polyneuropathie ist eine gute Blutzuckereinstellung und eine gesunde Lebensweise. Dazu gehören:
- Regelmäßige Blutzuckerkontrollen
- Ausgewogene Ernährung
- Regelmäßige körperliche Aktivität
- Vermeidung von Übergewicht
- Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum
ICD-10-Code
Auf ärztlichen Dokumenten wird der ICD-Code oft durch Buchstaben ergänzt, die die Sicherheit der Diagnose oder die betroffene Körperseite beschreiben.
- G: Gesicherte Diagnose
- V: Verdacht
- Z: Zustand nach
- A: Ausschluss
- L: Links
- R: Rechts
- B: Beidseitig
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