Immunglobulintherapie bei Polyneuropathie: Nebenwirkungen, Anwendung und Wirksamkeit

Entzündliche Polyneuropathien wie die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP), das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) oder die multifokale motorische Neuropathie (MMN) erfordern nicht immer eine Behandlung. Die Entscheidung, ob und welche Therapie am besten geeignet ist, sollte gemeinsam von Arzt und Patient getroffen werden. Dabei wird grundsätzlich zwischen Akuttherapie und Erhaltungstherapie unterschieden.

Akuttherapie vs. Erhaltungstherapie

Eine Akuttherapie umfasst alle Behandlungsmaßnahmen, einschließlich Medikamente, die schnell ergriffen werden, um Krankheitssymptome zu lindern. Sie wird meist beim ersten Auftreten von Symptomen oder bei einem sogenannten Krankheitsschub eingesetzt, wenn die Symptome nach einer relativen Ruhephase wieder stärker werden.

Bei einer langfristigen Erhaltungstherapie müssen andere Aspekte berücksichtigt werden als bei der Akuttherapie. Im Vordergrund stehen die Verhinderung neuer Krankheitsschübe bzw. die Minderung von schweren Symptomen, also eher eine Prophylaxe. Wichtig ist auch eine gute Langzeitverträglichkeit, denn einige Akutmedikamente haben langfristig ernste Nebenwirkungen.

Therapieoptionen bei entzündlichen Polyneuropathien

Zur Behandlung entzündlicher Polyneuropathien stehen verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung:

  • Kortikosteroide
  • Immunglobuline (IVIG oder SCIG)
  • Plasmapherese

Kortikosteroide-Therapie

Kortikosteroide, umgangssprachlich auch Kortison genannt, werden schon seit langer Zeit erfolgreich in vielen verschiedenen Therapiegebieten eingesetzt und haben auch bei CIDP ihre Wirksamkeit bewiesen. Sie wirken stark entzündungshemmend und unterdrücken die überschießende Reaktion des Immunsystems.

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Kortikosteroide werden oft in der akuten Phase (Akuttherapie) in hohen Dosierungen verabreicht, um eine möglichst rasche Reduktion der Symptome zu erzielen. Ist eine dauerhafte Erhaltungstherapie notwendig, erfolgt in der Regel eine niedrigere Dosierung. Bei längerfristiger Einnahme (Erhaltungstherapie) von Kortikosteroiden ist das Osteoporose-Risiko deutlich erhöht, daher muss vor Therapiebeginn eine Osteoporose-Prophylaxe gestartet werden.

Immunglobulin-Therapie

Immunglobuline (Ig) haben eine gute Wirksamkeit bei entzündlichen Polyneuropathien bewiesen und werden in den Therapieleitlinien für CIDP, GBS und MMN empfohlen. Sie können intravenös (IVIG) oder subkutan (SCIG) verabreicht werden. Bei beiden Zubereitungen sind die Ig die gleichen, sie unterscheiden sich nur durch ihre Zusatzstoffe und die Art, wie sie verabreicht werden.

Immunglobuline, auch Antikörper genannt, sind Teil des Immunsystems zur Abwehr körperfremder Stoffe wie Viren und Bakterien. Therapeutische Immunglobuline werden aus Blut- oder Blutplasmaspenden gewonnen und in einem technisch aufwendigen Verfahren aufgereinigt.

Immunglobuline wirken bei CIDP, GBS und MMN als Immunmodulatoren, das heißt, sie wirken regulierend und korrigierend auf das aus den Bahnen geratene Immunsystem ein. Vermutlich interferiert das Immunglobulin mit dem Immunsystem auf verschiedenen Ebenen. So neutralisiere es aktiviertes Komplement, inaktiviere proinflammatorische Zytokine und moduliere B-Lymphozyten. Die Produktion und die Abbaurate pathogener Autoantikörper werde positiv beeinflusst.

IVIG werden erfolgreich sowohl in der Akut- als auch der Erhaltungstherapie von Polyneuropathien eingesetzt. In der Akutphase wird eine höhere Dosis als Infusion über 2-4 Tage verabreicht, in der Erhaltung kann die Dosis erniedrigt werden und eine Infusion ist dann nur noch etwa alle 3 Wochen notwendig. Subkutane Immunglobuline haben bei CIDP und MMN eine vergleichbar gute Wirksamkeit wie IVIG in der Erhaltungstherapie gezeigt.

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Subkutane Immunglobuline (SCIG)

Dazu werden die Immunglobuline über eine Kanüle mit Hilfe einer Pumpe in das subkutane (Unterhaut-)Fettgewebe (in der Regel im Bereich des Bauches oder der Oberschenkels) infundiert, von wo sie allmählich in das Blut aufgenommen werden. Ein Vorteil der subkutanen Therapie ist die Möglichkeit der Heimselbsttherapie nach gründlicher Einweisung durch den behandelnden Arzt.

Ein medizinischer Grund für den Umstieg auf die Darreichungsform kann der sogenannte Wearing-Off-Effekt bei der intravenösen Therapie sein. Dann kommt es gegen Ende eines Infusionsintervalls zu einem starken Absinken des Medikamentenspiegels. In diesen Fällen lässt der Therapieeffekt nach und die Beschwerden des Patienten können zunehmen. Dies werde durch die regelmäßige subkutane Gabe vermieden. Auf diese Weise ließen sich die Immunglobuline zudem feiner und individueller dosieren.

Die eigenverantwortliche Injektionstherapie ist nur für Patienten geeignet, die bereit sind, die Verantwortung für ihre Krankheit und die Behandlung zu übernehmen und es nach einer Schulung auch gut können. Patienten, die es generell nicht so genau mit der Medikamenteneinnahme nähmen, sollten besser bei der intravenösen Gabe und einer engeren medizinischen Überwachung bleiben.

Verträglichkeit und Nebenwirkungen von Immunglobulinen

Die Verträglichkeit von Immunglobulinen ist in der Regel gut. In einem Fall wurde die Gabe von Immunglobulinen i.v. wegen eines generalisierten Hautexanthems abgebrochen. Es ist unklar, eine spätere Testung des Präparates in einer geringen Dosierung s.c. nicht zu einer Hautreaktion, die nachfolgenden Immunglobulin i.v. gut vertragen. Weitere Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

Studienergebnisse zur Immunglobulintherapie bei CIDP

Mit der Zulassungsstudie wurde die größte und längste jemals zur CIPD-Therapie durchgeführte klinische Untersuchung vorgelegt. »Die doppelblinde, placebokontrollierte Studie belegt sowohl die Kurzzeit- als auch die Langzeitwirksamkeit der Immuntherapie«, wertete Professor Dr. Diese sogenannte ICE-Studie gliederte sich in zwei Phasen von jeweils sechs Monaten, eine Effektivitäts- und eine Therapieerhaltungsphase. Im ersten halben Jahr erhielten die Patienten Gamunex 10 % (initiale Dosis 2 g/kg KG, Erhaltungsdosis 1 g/kg KG) oder Placebo (0,1 % Albumin) alle drei Wochen. Non-Responder während des ersten halben Jahres erhielten danach die jeweils andere Behandlung (Crossover-Phase). Primärer Endpunkt dieses ersten Teils der Studie war der Anteil der Patienten, bei denen eine Verbesserung der Funktionseinschränkung, gemessen anhand der INCAT-Behinderungsskala, über die Dauer der Studie erhalten blieb. Es wurden 117 Patienten mit klinisch sicherer CIPD randomisiert. Nach den ersten 24 Wochen zeigten 54 Prozent der mit Gamunex behandelten Patienten eine deutliche Symptombesserung. In der Placebogruppe betrug die Rate 21 Prozent. 74 Patienten erfüllten die Voraussetzungen für den Einschluss in die Therapieerhaltungsphase und wurden neu randomisiert. In dieser Phase wurde bewertet, ob der Therapieerfolg auch langfristig bis zu einem Jahr anhält. Die Rezidivwahrscheinlichkeit war unter Verum signifikant geringer (13 versus 45 Prozent), und auch die Zeit bis zum Auftreten eines Rezidivs war signifikant länger.

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In einer in Lancet Neurology aktuell publizierten Studie wurden zwischen 2012 und 2016 wurden in 69 Zentren Nordamerikas, Europas, Israels, Australiens und Japans 172 Patienten untersucht. Die Fragestellung lautete, ob bei Patienten unter einer Standardbehandlung mit hochdosiertem, intravenös appliziertem Immunglobulin G die Krankheitskontrolle erhalten werden konnte, wenn sie auf subkutan appliziertes Immunglobulin wechseln. Studiendesign: Patienten, die zur Kontrolle der Krankheitsaktivität auf hochdosiertes intravenöses Immunglobulin (1g/kg alle drei Wochen) stabil eingestellt waren, wurden zufällig drei Behandlungsarmen zugeordnet: Placebo, einer niedrigen oder einer hohen Dosis des subkutan applizierten Immunglobulins. Die Wirkung auf die Erkrankung wurde nach sechs Monaten anhand einer Reihe von Skalen durch neurologische Untersuchungen und Messung der Nervenleitung bewertet. Zusammengefasst erlaubte die subkutane Anwendung beider Dosen von Immunglobulinen, den vorher durch die hochdosierte intravenöse Gabe erreichten Effekt zu stabilisieren.

Plasmapherese

Die Plasmapherese wird umgangssprachlich auch Blutwäsche genannt. Sie wird zumeist bei einer akuten Verschlechterung eingesetzt oder wenn Kortikosteroide und Immunglobuline keine Wirkung zeigen.

Bei der Plasmapherese wird das Blut abgeleitet und aufgereinigt. Dabei werden die Autoantikörper gegen die Myelinscheiden größtenteils herausgefiltert, aber auch andere Komponenten des Immunsystems. Danach wird die Blutaufbereitung wieder zurückgeführt zusammen mit Blutplasma von menschlichen Spendern.

Dieser Prozess dauert mehrere Stunden, ist für den Körper sehr anstrengend und kann nur in einer spezialisierten Klinik durchgeführt werden. Allerdings ist die Wirkung der Plasmapherese nur von kurzer Dauer und muss regelmäßig wiederholt werden.

Weitere Therapieansätze

Zur Second-line-Behandlung bei Refraktärität auf First-line-Therapien, wie Ig s. c/i. v, Steroide oder Plasmaaustausch, stünden, so Lehmann, weitere Wirkstoffe zur Verfügung, z. B. Azathioprin, Cyclophosphamid, Cyclosporin A, Methotrexat oder Rituximab.

Spezielle Aspekte bei einzelnen Polyneuropathien

Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)

Die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) ist eine immunologisch vermittelte Erkrankung des peripheren Nervensystems. Dabei sind diejenigen Teile des peripheren Nervensystems betroffen, die für die Steuerung der Skelettmuskulatur und die Wahrnehmung der Hautempfindungen verantwortlich sind. So wird die Myelinscheide der motorischen und sensiblen Nerven geschädigt. Es kommt zu einer chronischen Entzündungsreaktion mit Verlust des Myelins und Entmarkung der Nervenfasern. Das erklärt die Symptome: Arme und Beine werden immer schwächer bis hin zu einer schweren Behinderung (Schädigung der motorischen Nerven). Die Schädigung der sensiblen Nerven zeigt sich in Parästhesien, Taubheit und auch Schmerzen der Haut.

CIDP ist eine chronisch verlaufende Erkrankung, die meist eine dauerhafte Behandlung erforderlich macht. Bei CIDP kann es auch schubweise zu Verschlechterungen kommen. Je früher die Therapie begonnen wird, desto besser sind die Aussichten auf Therapieerfolge. In wenigen Fällen, vor allem bei jungen Menschen, konnte bei CIDP eine teilweise oder komplette Genesung beobachtet werden. Dies ist möglich, da der Körper die durch die Autoimmunreaktion entstandenen Schädigungen zum Teil wieder reparieren kann.

Leben mit CIDP

Das Leben mit CIDP ist nicht einfach und kann entmutigend sein. Vormals banale Dinge können die Betroffenen womöglich nicht mehr leisten: Socken anziehen, eine Treppe hochsteigen, eine Tasse Kaffee halten - all diese Dinge können durch CIDP schwierig bis unmöglich werden.

Geeignete Medikamente und Physiotherapie können die Schwere und den Verlauf der Erkrankung beeinflussen. Der Arzt kann mit Ihnen einen speziell für Sie optimierten Therapieplan aufstellen und Sie gegebenenfalls an Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden oder Ernährungsberater verweisen. Sie haben je nach Beeinträchtigung auch Anspruch auf Hilfsmittel, die Ihnen den Alltag erleichtern und somit ein gewisses Maß an Selbstständigkeit erhalten können.

Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den Ernährungsgewohnheiten des Betroffenen. Dennoch wird sich mit zunehmender Einschränkung Ihrer Bewegung Ihr Kalorienbedarf reduzieren.

Guillain-Barré-Syndrom (GBS)

Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute entzündliche Autoimmun-Polyneuropathie des peripheren Nervensystems. Charakterisierend ist ein schnell eskalierender Verlauf. In zwei von drei Fällen geht eine infektiöse Erkrankung voraus (beispielsweise Campylobacter jejuni, Zytomegalievirus, Epstein-Barr-Virus, Mycoplasma pneumoniae). Die Inzidenz liegt bei 1-2 Neuerkrankungen je 100.000 Personen. Erwachsene sind häufiger betroffen als Kinder. Die Krankheit ist die häufigste Ursache akuter Paralyse in Europa und Nordamerika.

Initiale Symptome sind periphere sensible Reizerscheinungen in Form von Parästhesien oder Schmerzen. Zusätzlich treten schnell fortschreitende motorische Ausfälle von distal nach proximal auf. Die meist symmetrisch verteilten Paresen in Beinen und Armen können sich bis zur schlaffen Tetraparese entwickeln. Symptomatisch ist zudem ein Erlöschen der Muskelreflexe. Ungefähr jeder vierte Patient muss künstlich beatmet werden, da Zwerchfell und Atemmuskulatur betroffen sind.

Wichtig ist die Lumbalpunktion, die typisch eine zytalbuminäre Dissoziation zeigt, also eine deutliche Eiweißerhöhung ohne Anstieg der Zellzahl im Liquor. Allerdings zeigen sich diese Befunde oft erst einige Tage nach dem Beginn der klinischen Symptome. Eine primäre Abheilung findet meist nach ungefähr drei Monaten statt, oft bleiben jedoch Residualsymptome erhalten. Die Rezidivhäufigkeit liegt bei 1-2 Prozent. Ein Übergang in die Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) ist möglich.

Therapie des GBS

Durch die symptomatische Therapie sollen Vitalfunktionen erhalten und Spätfolgen vermieden werden. Je nach Schweregrad und Verlauf sind die Beatmung, die Intubation, die Herz-Kreislaufstabilisierung und Krankengymnastik mögliche Maßnahmen. Die Immuntherapie als zweite Therapiesäule erfolgt durch Plasmapherese oder intravenöse Immunglobuline (IVIG). Eine Monotherapie mit Kortikosteroiden ist wirkungslos. Während Plasmapherese und IVIG hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit gleichwertig sind, wird die Behandlung mit IVIG in der Regel bevorzugt, da sie unkomplizierter und weniger invasiv ist. Nach neueren Studien kann die ergänzende Gabe von Steroiden das Ergebnis weiter verbessern.

Die empfohlene Dosierung des intravenösen Immunglobulins Privigen® beträgt täglich 0,4 g/kg KG über einen Zeitraum von 5 Tagen. Bei Rezidiven oder unzureichender Wirkung wird die Primärtherapie wiederholt.

Multifokale motorische Neuropathie (MMN)

Patienten mit multifokaler motorischer Neuropathie (MMN) sprechen, anders als Patienten mit CIDP, nicht auf Glucocorticoide an; in einigen Fällen tritt nach Applikation von Glucocorticoiden sogar eine Verschlechterung des Krankheitsbilds ein. Auch die Plasmapherese wirkt bestenfalls schwach und birgt das Risiko einer Verschlechterung, möglicherweise weil bei diesem Verfahren antiidiotypische Antikörper entfernt werden.

Studien und Fallberichte zur Anwendung intravenöser Immunglobuline bei Patienten mit multifokaler motorischer Neuropathie belegen eine bis zu mehreren Monaten anhaltende Verbesserung der Muskelkraft. Die Besserung tritt nach 3 bis 10 Tagen ein, die maximale Wirkung wird nach einigen Wochen erreicht. In Studien sprachen bis zu 70% der Patienten auf eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen an, in Fallserien sogar bis zu 90% der Patienten. Die meisten Patienten benötigen Auffrischinfusionen in einem Abstand von zwei bis sechs Wochen. In Einzelfällen kam es nach einem bis mehreren Zyklen intravenöser Immunglobuline zu Remissionen, sodass bei diesen Patienten keine weitere Therapie erforderlich war. Prädiktoren für ein gutes Ansprechen sind hohe Titer der gegen das Gangliosid GM1 gerichteten Antikörper (anti-GM1-AK). Ein schlechtes Ansprechen ist bei ausgeprägten Atrophien und langer Krankheitsdauer zu erwarten. Trotz der insgesamt günstigen Bilanz müssen die Patienten darauf vorbereitet werden, dass die Neuropathie langsam fortschreitet. Auch ein sekundäres Therapieversagen wurde beschrieben.

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