Epilepsie gehört zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen und betrifft Menschen jeden Alters. Das Institut für Epilepsieforschung widmet sich der Erforschung der Ursachen, der Diagnostik und der Therapie dieser komplexen Erkrankung. Ziel ist es, die Lebensqualität von Menschen mit Epilepsie durch innovative Forschung und fundierte Therapieansätze zu verbessern.
Forschungsschwerpunkte des Instituts
Das Institut für Epilepsieforschung verfolgt einen multidisziplinären Ansatz, der sowohl grundlagenwissenschaftliche als auch klinische Forschung umfasst. Die Forschungsschwerpunkte lassen sich in folgende Bereiche gliedern:
Mechanismen der Anfallsentstehung
Ein zentrales Ziel ist das bessere Verständnis der Entstehung epileptischer Anfälle im Gehirn. Hierzu werden verschiedene Methoden eingesetzt:
- Neurophysikalische Analyse: Die AG Neurophysik (Prof. Dr. rer. nat. Klaus Lehnertz) entwickelt physikalisch-mathematische Methoden zur Analyse von EEG-Daten, die vor, während und nach Anfällen aufgezeichnet werden.
- Kognitive und Klinische Neurophysiologie: Die AG Kognitive und Klinische Neurophysiologie (Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Florian Mormann) untersucht diese Prozesse mithilfe von Einzel-Zell-Ableitungen (single unit recordings) bei Patientinnen und Patienten, die eine invasive präoperative Diagnostik mit implantierten Tiefenelektroden durchlaufen.
- Translationales Neuroimaging: Die AG Translationales Neuroimaging (PD Dr. med. Theodor Rüber) prüft mithilfe der Magnetresonanztomographie (MRT; 3 T/Life & Brain, 7 T/DZNE) chronische und akute Effekte von Anfällen auf das Gehirn (z. B. Störung der Blut-Hirn-Schranke).
- Netzwerkneurophysiologie: Die AG Netzwerkneurophysiologie - Epileptische Mikronetzwerke (Prof. Dr. med. Michael Wenzel) erforscht mittels zellulär auflösender Intravital-Mikroskopie, Feldelektrophysiologie, Optogenetik, und Verhaltensanalyse in Kollaboration mit anderen Arbeitsgruppen grundlegende Mechanismen der Anfallsentstehung und -ausbreitung im Tiermodell und Menschen.
Anfallsdetektion und -prädiktion
Da viele Menschen mit Epilepsie ihre Anfälle nicht oder nur teilweise bemerken, ist die Entwicklung automatischer Erkennungssysteme von großer Bedeutung.
- Klinische Epilepsieforschung: Die AG Klinische Epilepsieforschung (Prof. Dr. med. Rainer Surges, MHBA) arbeitet seit mehreren Jahren intensiv an der Entwicklung mobiler, technischer Systeme für die automatische Erkennung und Dokumentation epileptischer Anfälle.
- Neurophysikalische Analyse: Die AG Neurophysik (Prof. Dr. rer. nat. Klaus Lehnertz) entwickelt und nutzt fortschrittliche Analyseverfahren, um automatisiert im EEG Anfälle zu finden und vielleicht sogar eines Tages mit hoher Treffsicherheit vorherzusagen.
- Angewandte Neurowissenschaften und Neurotechnologien: Die AG Angewandte Neurowissenschaften und Neurotechnologien (Dr. Marcel Bausch, Dr. des. med. Arthur Jordan) erforscht grundlegende Hirnfunktionen wie Gedächtnis und Schlaf bei Menschen mit Epilepsie und bei Gesunden, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Klinik. Die Methodik umfasst sowohl die Analyse von Daten aus intrakraniellen Ableitungen und Oberflächen-EEGs wie auch multimodale "Wearables" (tragbare Kleingeräte), die die AG selbst nach eigenen Anforderungen entwickelt (z.B. multimodales, mobiles Ohr-EEG).
- Personalisierte Digitale Gesundheit und Telemedizin: Die AG Personalisierte Digitale Gesundheit und Telemedizin (Prof. Dr. rer. nat. Björn Krüger) beschäftigt sich mit Technologien zur Erfassung von komplexen Verhaltensdaten, wie beispielsweise Bewegungen und vitalen Parametern bei Patientinnen und Patienten. Die Analysemethoden sind unabhängig von der Sensor-Technologie, mit der die Daten erfasst werden. Dadurch können Bewegungen analysiert werden, die beispielsweise mit Videokameras, Beschleunigungssensoren in Smartphones und Smartwatches oder EMG-Sensoren erfasst wurden.
Genetische und immunvermittelte Epilepsien
Die Klinik und Polklinik für Epileptologie verfügt über eine besondere Expertise in der Diagnostik, Therapie und Erforschung seltener genetisch und autoimmun verursachter Epilepsien.
Lesen Sie auch: Das Institut für Schlaganfallforschung setzt auf Technologie, um neue Therapien zu entwickeln.
- Klinische Epilepsieforschung: Die AG Klinische Epilepsieforschung (Prof. Dr. med. Rainer Surges, MHBA) phänotypisiert Betroffene mit genetischen und autoimmun-vermittelten Epilepsien und untersucht die Therapieantwort in Abhängigkeit von der Ursache und Merkmalen der Erkrankungen (Dr. med. Tobias Baumgartner).
- Klinische Neurochemie: Die AG Klinische Neurochemie (Prof. Dr. rer. nat. Wolfram Kunz) untersucht die Erbinfomation Betroffener mit verschiedenen Epilepsieformen auf Genvarianten.
- Immun-vermittelte Epilepsien: Die AG Immun-vermittelte Epilepsien (PD Dr. med. vet. Julika Pitsch) untersucht mit experimentellen Verfahren in Zellkultur und im Tiermodell Mechanismen der autoimmun vermittelten Epilepsien und identifiziert neue Autoantikörper in Serum und Liqour von Menschen mit Autoimmunenzephalitden (in enger Kooperation mit Prof. Albert Becker, Sektion translationale Epilepsieforschung, Institut für Neuropathologie).
- Translationales Neuroimaging: Die AG Translationales Neuroimaging (PD Dr. med. Theodor Rüber) untersucht mittels hochauflösender MR-tomographischer Verfahren und Bildnachbearbeitungsverfahren, wie beispielweise fokale kortikale Dysplasien besser dargestellt und entdeckt werden können, und welche Auswirkungen immunvermittelte Epilepsien auf das gesamte Gehirn haben.
Biomarker epileptischer Anfälle
Epileptische Anfälle lösen eine Kaskade pathophysiologischer Prozesse im gesamten Organismus aus, die sich z. B. im Blut nachweisen lassen oder die zu messbaren Veränderungen physiologischer Biomarker (wie Herzrate, elektrische Hautleitfähigkeit) führen.
- Klinische Epilepsieforschung: Die AG Klinische Epilepsieforschung (Prof. Dr. med. Rainer Surges, MHBA) untersucht zirkulierende Biomarker im Blut und physiologische Marker mittels mobiler Gesundheitstechnologien.
Autonome Störungen und vorzeitige Sterblichkeit bei Epilepsien
Epileptische Anfälle können akut und chronisch die Eigenschaften des autonomen Nervensystems verändern und das Risiko für plötzlichen Herztod erhöhen.
- Klinische Epilepsieforschung: Die AG Klinische Epilepsieforschung (Prof. Dr. med. Rainer Surges, MHBA) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit anfallsassoziierten Veränderungen von Herz, Kreislauf und Atmung, und mit den Fragen, wie solche Veränderungen positiv beeinflusst und zur automatisierten Anfallsdetektion eingesetzt werden können.
Bildgebung des Gehirns bei Epilepsie
Neuroradiologische Methoden sind heute für die Diagnostik und Behandlung schwer behandelbarer fokaler Epilepsien von besonderer Bedeutung.
- Translationales Neuroimaging: Die AG Translationales Neuroimaging (PD Dr. med. Theodor Rüber) arbeitet an fortgeschrittenen Analyseverfahren für ganz unterschiedliche Daten aus der Magnetresonanztomographie (MRT), z.B. Daten über die Verbindungen zwischen Hirnstrukturen oder über die Größe und das Volumen bestimmter Hirnareale. Die Auswertungen erfolgen zunehmend automatisiert auf der Basis von machine learning bzw. künstlicher Intelligenz. Auch die akuten Effekte des Anfallsgeschehens auf die Hirnstruktur sollen mithilfe der MRT genauer untersucht werden. Die AG Translationales Neuroimaging ist auch mit der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie und Kinderneuroradiologie (Prof. Dr. med. Alexander Radbruch) affiliiert.
Klinische Medikamenten- und Therapiestudien
Die Klinik beteiligt sich an multizentrischen, teils internationalen, randomisierten placebo-kontrollierten Studien zu Antiepileptika oder Medizingeräten.
- Studienambulanz: Die Studienambulanz unter Leitung von Dr. med. Michael Rademacher und Prof. Dr. med. Rainer Surges (MHBA) besitzt jahrzehntelange Erfahrung in der Durchführung klinischer Studien und Prüfungen.
Komplementäre Therapieverfahren
Die AG Komplementäre Therapieverfahren (PD Dr. med. Randi von Wrede, Dr. med. Susanna Moskau-Hartmann) beschäftigt sich mit Therapieansätzen, die vor allem bei schwer behandelbarer Epilepsie zur Linderung von Anfallserkrankungen eingesetzt werden.
Lesen Sie auch: Spitzenforschung für neurologische Patienten
Bewusstsein und Gedächtnis
Die AG Kortikale Oszillationen (PD Dr. rer. nat. Jürgen Fell) untersucht ebenfalls mit invasiven EEG-Ableitungen die elektrophysiologischen Grundlagen von Gedanken und Gefühlen, sowie von Gedächtnisprozessen. Ein wichtiges Forschungsfeld ist z. B. das sogenannte mind wandering, d. h. das vorbewusste Umherschweifen der eigenen Gedanken.
Kognitiv-behaviorale Aspekte bei Anfallserkrankungen
Der Bereich Kognitiv-behaviorale Epileptologie (ehemals Neuropsychologie) beschäftigt sich mit den Effekten von Hirnpathologien sowie Epilepsien und ihrer Behandlung auf Leistungsvermögen, Befinden und Persönlichkeit.
Berliner Epilepsie-Studie (BEST)
Ein wichtiger Baustein der Forschung am Institut ist die "Berliner Epilepsie-Studie (BEST) - eine prospektive Langzeit-Kohorte". In dieser Studie werden 600 Patientinnen und Patienten mit einem ersten epileptischen Anfall über einen Zeitraum von drei Jahren rekrutiert und langfristig nachverfolgt. Ziel ist es, Erkenntnisse über den natürlichen Verlauf, das Ansprechen auf Therapien, die Sterblichkeit, kognitive Defizite, psychiatrische Komorbiditäten und die psychosoziale Prognose zu gewinnen.
Studienablauf und Methodik
Die Studie umfasst Patienten ab dem 14. Lebensjahr, die in der Lage sind, über ihre Anfälle zu berichten und Fragebögen auszufüllen. Bei der ersten Studienvisite erfolgt eine detaillierte klinische Phänotypisierung des Anfalls bzw. der Epilepsie. Zudem werden relevante Biomarker mittels Routine-EEG, cMRT (3 Tesla), Autoantikörper-Diagnostik (Liquor und Serum) sowie genetischen Tests, neuropsychologischen Evaluationen und Erhebungen zu depressiven und anderen psychiatrischen Störungen sowie zur Lebensqualität bestimmt. Die Nachverfolgung erfolgt in regelmäßigen Abständen.
Ziele der Studie
Die BEST-Studie erhofft sich neue Erkenntnisse über den Langzeitverlauf von neu aufgetretenen Epilepsien, über das Ansprechen auf pharmakologische und chirurgische Therapieoptionen und über häufige komorbide Störungen wie Depression und Angst.
Lesen Sie auch: ISD-Forschung im Detail
Klinische Versorgung und Spezialsprechstunden
Neben der Forschung bietet das Institut für Epilepsieforschung eine umfassende klinische Versorgung für Menschen mit Epilepsie an. Dazu gehören:
- Diagnostik und Therapie fokaler und generalisierter Epilepsien
- Behandlung psychogener nicht-epileptischer Anfälle
- Spezialsprechstunden für Myoklonien, REM-Schlaf-Parasomnien, NonREM-Parasomnien, Narkolepsie und Bewegungsstörungen im Schlaf
- Behandlung schlaf-assoziierter neuropsychiatrischer Störungen
Das Epilepsiezentrum des Uniklinikums Erlangen zählt zu den Epilepsiezentren der höchsten Versorgungsstufe (Grad-IV-Zentrum) in Deutschland und bietet eine umfassende Diagnostik und Therapie für Epilepsien und andere Anfallserkrankungen inklusive der präoperativen Epilepsiediagnostik sowie der Epilepsiechirurgie an. Der Behandlungsschwerpunkt liegt auf der Diagnose und Therapie schwerbehandelbarer Epilepsien.
Bedeutung der Forschung für die Behandlung von Epilepsie
Die Forschung am Institut für Epilepsieforschung trägt dazu bei, die Diagnose und Behandlung von Epilepsie kontinuierlich zu verbessern. Durch ein besseres Verständnis der Anfallsmechanismen, die Entwicklung neuer diagnostischer Verfahren und die Erforschung neuer Therapieansätze können die Lebensqualität von Menschen mit Epilepsie verbessert und die Anfallskontrolle optimiert werden.
Studien zur Indikation Epilepsie
Das Institut führt verschiedene Studien zur Indikation Epilepsie durch, darunter:
- STARS-Studie: Doppelblinde, randomisierte, placebo-kontrollierte Phase 3-Studie mit Alprazolam (Staccato®) zur Beurteilung, Wirksamkeit und Sicherheit von Alprazolam (Staccato®) 2 mg bei Patienten mit stereotypen, prolongierten Anfällen.
- ToSEE-Studie: Prospektive, multizentrische, doppelblinde, randomisierte Medikamentenvergleichsstudie (Valproat vs. Levetiracetam) zur Identifikation einer wirksamen und sicheren Therapie (2. Therapiestufe) des Status epilepticus in der älteren Bevölkerungsgruppe.
- X-TOLE2-Studie: Multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebo-kontrollierte Phase 3-Studie zur Bewertung der klinischen Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von XEN1101 als Zusatztherapie bei erwachsenen Patienten mit der Diagnose einer therapierefraktären fokalen Epilepsie.
- X-ACKT-Studie: Multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebo-kontrollierte Phase 3-Studie zur Bewertung der klinischen Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von XEN1101 als Zusatztherapie bei erwachsenen Patienten mit primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.
German Registry of Antiepileptic Drugs in Pregnancy with Epilepsy (GRAPE)
Das German Registry of Antiepileptic Drugs in Pregnancy with Epilepsy (GRAPE) ist Teil des Internationalen Schwangerschaftsregisters European Registry of Antiepileptic Drugs in Pregnancy (EURAP). Ziel ist ein Vergleich der Sicherheit verschiedener Antiepileptika für das ungeborene Kind.