Integrierte Versorgung beim Schlaganfall: Definition, Konzepte und Perspektiven

Der Schlaganfall stellt eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen in Deutschland dar. Mit einer hohen Anzahl von Betroffenen und erheblichen Behandlungskosten ist eine umfassende und koordinierte Versorgung von Schlaganfallpatienten von entscheidender Bedeutung. Die integrierte Versorgung, die eine patientenzentrierte, koordinierte Versorgung über Sektorengrenzen hinweg anstrebt, spielt dabei eine zentrale Rolle.

Definition der integrierten Versorgung

Integrierte Versorgung lässt sich als die patientenzentrierte, koordinierte Versorgung eines Individuums entlang des Kontinuums von Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention, Diagnose, Behandlung, Krankheitsmanagement, Rehabilitation und Palliativmedizin über die Sektorengrenzen (ambulant und stationär) hinweg und unter Einbeziehung professioneller und informeller Leistungserbringer (z. B. pflegende Angehörige) sowie Sozialdienstleister zusammenfassen. Ziel ist es, die Qualität, den Zugang, die Patientenzufriedenheit und die (Kosten-)Effizienz der Gesundheitsversorgung zu erhöhen. Dazu ist es notwendig, passende Methoden, Infrastrukturen und Organisationsmodelle auf Finanzierungs-, Verwaltungs- und Anwenderebene bereitzustellen, um die Vernetzung innerhalb und zwischen den Sektoren des Gesundheitssystems (besser) zu ermöglichen.

Bedeutung der integrierten Versorgung beim Schlaganfall

Das besondere Konzept der integrierten Schlaganfallversorgung sieht eine umfassende und koordinierte Behandlung von Schlaganfallpatienten vor. Zusätzlich zur täglichen Vor-Ort-Visite durch Neurologen steht hierzu ein speziell geschultes Team aus Ärzten, Pflegekräften, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden und Mitarbeitern des Sozialdienstes bereit.

Die Bedeutung sektorenübergreifender, integrierter Versorgung wächst generell und insbesondere für Deutschland. Eine Vielzahl von Entwicklungstendenzen im Gesundheitswesen erhöht den Bedarf an einer sektorenübergreifenden, integrierten Versorgung. Dazu zählt allen voran die sich verändernde Bevölkerungsstruktur, die eine zunehmende Anzahl älterer Menschen mit sich bringt. Hinzu kommt der Anstieg chronisch und mehrfach Erkrankter. Die durchschnittliche Verweildauer in Krankenhäusern hat sich kontinuierlich reduziert, was u.a. mit der Einführung von Fallpauschalen zur Abrechnung von Krankenhausleistungen im Jahr 2003 zu begründen ist. Dadurch ist es notwendig geworden, die ambulante Versorgung eher und stärker mit der stationären Versorgung zu verzahnen. Hinzu kommt, dass der Versorgungsbedarf von Patienten mit chronischen Erkrankungen komplex und oft nicht ausschließlich medizinisch determiniert ist. Darüber hinaus bevorzugt es die Mehrheit älterer Menschen, so lange wie möglich in ihrem häuslichen Umfeld wohnen zu bleiben. Aus diesen Gründen wird eine engere Abstimmung zwischen stationären, ambulanten und häuslichen Versorgungsleistungen, besser ausgerichtet am individuellen Bedarf und den Bedürfnissen der Patienten, notwendig. Der in der Vergangenheit dominante Fokus auf den professionellen Leistungserbringern muss der Patientenzentriertheit, d.h. dem stärkeren Einbeziehen der Patienten und ihrer pflegenden Angehörigen in Entscheidungsprozessen und der daraus resultierenden Verantwortung zum Selbstmanagement, weichen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen zeigt sich der Bedarf an einer integrierten Gesundheitsversorgung.

TEMPiS: Ein Beispiel für integrierte Schlaganfallversorgung in Bayern

Um die medizinische Versorgung von Schlaganfallpatienten der Region Süd-Ost-Bayern zu verbessern, wurde 2013 das telemedizinische Projekt zur integrierten Schlaganfallversorgung (TEMPiS) in der Region Süd-Ost-Bayern gegründet. Damit soll die Qualität in der Schlaganfallversorgung, die z. B. die großen neurologischen Zentren in München und Regensburg bieten, auch in ländlichere Regionen gebracht werden.

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Im gesamten TEMPiS-Netzwerk werden jedes Jahr über 6.000 Schlaganfallpatienten aus 19 regionalen Kliniken in Süd-Ost-Bayern behandelt. Kompetente Unterstützung erhalten die Ärzte vor Ort durch Spezialisten aus dem Schlaganfallzentrum der München Klinik Harlaching - und zwar Tag und Nacht.

Noch in der Notaufnahme wird dafür ein Experte aus dem Schlaganfallzentrum über eine Videokonferenz zugeschaltet, er kann den Patienten direkt befragen und ihn zusammen mit dem Arzt vor Ort neurologisch untersuchen. Gleichzeitig werden die Computertomografiebilder des Patienten zur Beurteilung in das Zentrum überspielt. So kann der Arzt vor Ort gemeinsam mit dem Spezialisten innerhalb von wenigen Minuten entscheiden, ob eine Lysetherapie (medikamentöse Auflösung eines Blutgerinnsels im Gehirn) durchgeführt werden sollte.

TEMPiS beinhaltet jedoch nicht nur die telemedizinische Beratung. In allen regionalen Kliniken wurden spezialisierte Schlaganfallstationen (Stroke Units) aufgebaut und eine kontinuierliche Fortbildung und Qualitätssicherung für die Mitarbeiter aller teilnehmenden Kliniken eingerichtet.

Stroke Units: Spezialisierte Schlaganfallstationen

Stroke Units sind Stationen mit speziell geschultem Personal und umfangreichen Möglichkeiten zur Patientenüberwachung und Diagnostik. Aus internationalen Studien ist bekannt, dass ein solches Behandlungskonzept den Behinderungsgrad und die Anzahl von Todesfällen nach einem Schlaganfall senkt und die Lebensqualität der betroffenen Patienten verbessert.

Hier erfolgt für Lüneburg und Umgebung die besonders schnelle und intensive Behandlung und Betreuung von Patienten mit einem Schlaganfall durch ein spezialisiertes, multiprofessionelles Team aus Ärzten, Fachkrankenschwestern, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden unter fachärztlich-neurologischer Leitung (Oberarzt/Chefärztin) mit besonderen Kenntnissen bei der Behandlung des Schlaganfalls. Pro Jahr werden in unserer Klinik mehr ca. 880 Patienten mit Schlaganfällen behandelt. In Lüneburg verfolgen wir das Konzept der „integrierten Stroke-Unit“: Bei Verlegung der Patienten von der „Stroke Unit“ auf die „Normalstation“ bleibt das Behandlerteam, bestehend aus Oberarzt und betreuendem Assistenzarzt, Krankengymnast, Logopäde und Ergotherapeut, möglichst konstant, um das gesamte Wissen über den bisherigen Verlauf der Erkrankung nutzen zu können.

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Das Ziel von Stroke Units ist es, den Patienten eine rasche, intensive und vor allem optimale Diagnostik, Therapie und Betreuung zukommen zu lassen. Die Behandlung auf einer Stroke Unit ermöglicht insbesondere:

  • Eine intensive Überwachung der Patienten: Kontinuierlich werden alle sogenannten Basisparameter wie Blutdruck, Puls, Temperatur und Atmung mittels einer zentralen Monitoranlage überwacht.
  • Eine rasche Einleitung weitergehender diagnostischer Maßnahmen wie Computer- bzw. Magnetresonanztomographie (CT/MRT), Doppler- und Farbduplexsonographie, EKG oder Echokardiographie.
  • Die Durchführung besonderer therapeutischer Maßnahmen, wie z. B. der kathetergestützten, mechanischen Thrombektomie oder der systemischen intravenösen Thrombolyse.
  • Die sofortige Erkennung und Behandlung von Komplikationen.
  • Eine enge Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Disziplinen wie z. B. Neurologie, Innere Medizin/Kardiologie und Radiologie.
  • Die, falls erforderlich, frühzeitige Einleitung einer Rehabilitation. Dazu gehört, neben früher Logopädie, Physiotherapie und Ergotherapie, in unserer Stroke Unit die Einleitung der Weiterbetreuung der Patienten mit Hilfe unseres Entlassmanagements in einer Rehabilitationseinrichtung oder in unserer Klinik für Geriatrie.

Herausforderungen bei der Umsetzung integrierter Versorgung

Obwohl die Bedeutung integrierter Versorgung unbestritten ist, ist ihre flächendeckende Umsetzung in Deutschland noch begrenzt. Hohe Koordinationsdefizite und Schwierigkeiten an den Schnittstellen zwischen den Sektoren hemmen die Umsetzung. Neben der Hürde des Schnittstellenmanagements erschwert auch die sektorenbezogene Finanzierung und das Fehlen eines einheitlichen Qualitätsverständnisses von integrierten Gesundheitsleistungen ihre Umsetzung.

Gesetzliche Rahmenbedingungen und regionale Netzwerke

Den gesetzlichen Rahmen zur Finanzierung sektorenübergreifender oder interdisziplinär fachübergreifender Versorgung bildet § 140a SGB V (Besondere Versorgung). Auf dieser Basis ist beispielsweise in Sachsen, dessen demografische Sonderstellung eine sektorenübergreifende, integrierte Versorgung besonders verlangt, das SOS-Net, ein Netzwerk zur telemedizinischen Beratung für Schlaganfallpatienten, ins Leben gerufen worden. Regionale Netzwerke, wie das Gesunde Kinzigtal, sind aufgrund ihrer engen Verzahnung von Qualität, Finanzierbarkeit und Incentivierung integrierter Versorgungsleistungen besonders erfolgsversprechend.

Bedeutung der Schlaganfallnachsorge

Ungeachtet der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung und Fortschritte im Rahmen der Akutversorgung und Rehabilitation nach ischämischem Schlaganfall konnten bisher keine flächendeckenden Versorgungsstrukturen zur strukturierten ambulanten Schlaganfallnachsorge etabliert und somit keine gleichbleibend hohe Versorgungsqualität im chronischen Krankheitsverlauf sichergestellt werden. Dieser Missstand bleibt gerade vor dem Hintergrund des bereits seit 2003 etablierten Disease-Management-Programms (DMP) für die koronare Herzerkrankung unter Berücksichtigung des vergleichbaren Risikoprofils unverständlich.

Bereits im Jahr 2004 wurde die Notwendigkeit zur Etablierung von Strukturen zur umfassenden Schlaganfallnachsorge durch die Weltgesundheitsorganisation benannt und zuletzt durch die European Stroke Organisation (ESO) in Kooperation mit der Stroke Alliance for Europe (SAFE) in den „Action Plan for Stroke in Europe 2018-2030“ (SAP-E) in Form der Domäne „Life after stroke“ aufgenommen.

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Konzepte zur Verbesserung der Schlaganfallnachsorge

Vor dem Hintergrund der bestehenden Versorgungslücken wurde im Mai 2020 die Kommission Schlaganfallnachsorge der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) gegründet. Hintergrund dieser Initiative ist die Auffassung, dass der Schlaganfall eine komplexe und vor allem chronische Erkrankung ist, welche eine langfristige und strukturierte Nachbehandlung erfordert. Diese bezieht sowohl Aspekte der Rezidivprophylaxe als auch des komplexen Managements nichtvaskulärer Komplikationen (Depression, Stürze, Fatigue etc.) und der sozialen Folgen unter dem Fokus des teilhabeorientierten Erhalts und der Verbesserung der Lebensqualität mit ein.

Ziel der Kommissionsarbeit ist es, Konzepte zur Verbesserung der Versorgungsrealität von Schlaganfallpatienten zu erarbeiten und deren Überführung in die Regelversorgung zu unterstützen. Konzepte zur strukturierten Schlaganfallnachsorge beinhalten ein regelmäßiges Reassessment unter Berücksichtigung zahlreicher Gesichtspunkte - angefangen bei der Sekundärprophylaxe bis hin zum Management diverser nichtvaskulärer Komplikationen sowie der Heil- und Hilfsmittelversorgung. Als Beispiel für ein solches strukturiertes Reassessment werden häufig die Canadian Stroke Best Practices angeführt.

Die fachlichen Herausforderungen der Schlaganfallnachsorge erfordern hierbei im besonderen Maße eine multidisziplinäre und sektorenübergreifende Behandlungsplanung und -umsetzung. Der Schwerpunkt liegt hierbei im neurologischen Fachgebiet unter Einbindung verschiedener Fachdisziplinen und Berufsgruppen. Der Schlaganfall als Krankheitsbild ist fest im neurologischen Fachgebiet verortet und seit 2017 in der ICD 11 als neurologische Erkrankung anerkannt. Aktuell konsultiert die überwiegende Mehrheit der Schlaganfallpatienten primär ihren Hausarzt nach Entlassung aus der stationären Versorgung. Der Hausarzt ist erster Ansprechpartner des Patienten und sollte folglich eng in die ambulante Versorgung mit einbezogen werden. Ein enger Austausch zwischen betreuendem Neurologen und Hausarzt scheint daher für die Betreuung unerlässlich. Gleichermaßen müssen weitere Fachdisziplinen wie beispielsweise die Kardiologie und Psychiatrie eng in die Behandlung eingebunden werden.

Regionale Unterschiede und Lösungsansätze

Im landesweiten Vergleich unterscheiden sich die strukturellen Voraussetzungen zur Etablierung einer strukturierten Schlaganfallnachsorge. Dies betrifft auch die Versorgungsdichte mit Stroke-Units. Zudem müssen vorbestehende sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen, wie sie beispielsweise im Rahmen der Integrierten Versorgung (IV) zur Anwendung kommen, berücksichtigt werden. Auch die individuelle Expertise im Rahmen der Schlaganfallnachsorge und Versorgungsdichte niedergelassener Neurologen und Hausärzte kann variieren. Um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, ist es daher zielführend, sowohl auf vorbestehende stationäre Versorgungsstrukturen im Rahmen einer sektorenübergreifenden Versorgung als auch auf bestehende ambulante Behandlungsstrukturen zurückzugreifen. Im Vordergrund steht hierbei die Gewährleistung der ärztlichen Expertise unabhängig von deren Verortung. Dabei kann beispielsweise die Einführung einer Zusatzqualifikation im Bereich der Schlaganfallnachsorge dazu beitragen, die Nachsorge fächerübergreifend zu öffnen und somit unabhängig von regionalen Strukturunterschieden kurzfristig und flächendeckend zu sichern.

Qualitätssicherung und Finanzierung

Eine hochwertige Schlaganfallnachsorge bedarf nicht nur der Formulierung entsprechender Qualitätskriterien, sondern vielmehr angemessener Instrumente zur Qualitätssicherung. Aktuelle Versorgungsstrukturen berücksichtigen diesen Aspekt nicht und bieten auch nicht die Voraussetzungen zur Umsetzung eines Qualitätssicherungsverfahrens. Besonderes Hindernis ist hierbei die Fragmentierung der Datenbestände in Deutschland, welche bereits der Identifikation von Patienten, die in einem solchen Verfahren Berücksichtigung finden würden, entgegensteht. Die Etablierung eines Nachsorgeregisters auf Basis ausgewählter Indikatoren unter Nutzung von Routine- sowie Outcomedaten wäre ein erster Schritt zur Ausarbeitung von Qualitätssicherungsstrategien. Wichtig ist die angemessene Finanzierung solcher Register auf Landes- oder Bundesebene. Darüber hinaus ist ein vereinfachter Zugang zu bereits jetzt kostenträgerseitig erhobenen Routinedaten durch Fachexperten notwendig. Von den Kostenträgern muss dahingehend eine intensivierte Zusammenarbeit gefordert werden. Ein Weg zur Implementierung von Qualitätssicherungsstrategien könnte mittelfristig auch durch Zertifizierungsprozesse geebnet werden, wie sie im Rahmen der Akutversorgung durch die DSG und Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe (SDSH) bereits etabliert wurden. Die Erfahrungen aus den Qualitätssicherungs- und insbesondere Zertifizierungsverfahren der Akutversorgung zeigen, dass die Akzeptanz und Umsetzung hierbei wesentlich an Anreize gekoppelt ist.

Subgruppen von Schlaganfallpatienten

Da der Schlaganfall ein heterogenes Krankheitsbild mit unterschiedlichen Schweregraden darstellt, ergibt sich die Frage, ob verschiedene Subgruppen von Schlaganfallpatienten gleichermaßen von einer strukturierten Nachsorge profitieren und inwiefern spezielle Bedürfnisse berücksichtigt werden müssen. Versorgungsforschungsstudien fokussieren üblicherweise auf leicht betroffene Patienten, um die Studiendurchführung zu erleichtern bzw. sicherzustellen. Jedoch benötigen gerade schwer Betroffene eine intensive Nachsorge mit den notwendigen Therapien zum Erhalt bzw. der Wiederherstellung der Lebensqualität. Gleichermaßen können auch Patienten nach transienter ischämischer Attacke (TIA) im Rahmen einer gezielten Sekundärprävention von einer systematischen Schlaganfallnachsorge profitieren. Daher sollte das Angebot zur strukturierten Schlaganfallnachsorge nicht auf spezielle Subgruppen von Schlaganfallpatienten beschränkt werden. Zukünftig sollten die Anforderungen und der Nutzen einer systematischen Schlaganfallnachsorge in verschiedenen Subgruppen besser untersucht werden, um den divergierenden Bedürfnissen besser gerecht zu werden.

Digitale Anwendungen in der Schlaganfallnachsorge

Mit einer breiten Initiative, die u. a. das E‑Health-Gesetz im Jahr 2015, das Digitale-Versorgungs-Gesetz im Jahr 2019 und die Einführung der elektronischen Patientenakte im Jahr 2021 einschließt, unterstützt der Gesetzgeber den Einsatz digitaler Anwendungen im Gesundheitswesen. Für die Schlaganfallnachsorge lassen sich hierdurch zahlreiche Vorteile ableiten. Beispielsweise erscheinen durch einen barrierefreien Austausch von Informationen intersektorale Schnittstellenprobleme lösbar und durch die Nutzung der digitalen Kommunikation werden Austausche zwischen den in der Nachsorge tätigen Akteuren und den Betroffenen vereinfacht. Darüber hinaus sind durch mobile patientennahe Technologien (mHealth) auch Vorteile in der Sekundärprophylaxe denkbar. So können mobile Endgeräte für Blutdruckmessungen unter Alltagsbedingungen - wie sie in den einschlägigen Leitlinien empfohlen werden - eingesetzt werden oder mobile EKG-Geräte bei der frühzeitigen Detektion von Herzrhythmusstörungen helfen. Den zahlreichen theoretischen Vorteilen bei der Nutzung von E‑Health und mHealth steht u. a. mit der im Mai 2021 in Kraft getretenen Medizinprodukteverordnung und dem Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz jedoch ein komplexes Regelwerk im Entwicklungs- und Zulassungsprozess gegenüber, welches zu Unsicherheit führt und Innovation entgegensteht.

Innovationsfondsprojekte zur Schlaganfallnachsorge

Die Förderung gleich mehrerer Projekte zur Optimierung der Schlaganfallnachsorge im Rahmen des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) unterstreicht die zunehmende Bedeutung einer strukturierten Schlaganfallnachsorge in der gesundheitspolitischen Diskussion. Versorgungsforschungsstudien innerhalb und außerhalb Deutschlands zur Effektivität von Schlaganfallnachsorgeprogrammen erbrachten bisher gegenläufige Ergebnisse. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass sich die internationalen Erfahrungen und Ergebnisse aus der Versorgungsforschung aufgrund des spezifischen Aufbaus des deutschen Gesundheitssystems nur bedingt übertragen lassen. Mit Abschluss des STROKE-OWL(sektorübergreifend organisierte Versorgung komplexer chronischer Erkrankungen: Schlaganfall-Lotsen in Ostwestfalen-Lippe)-Projekts unter Führung der Deutschen Schlaganfall-Hilfe steht nun jedoch die Diskussion der ersten Projektergebnisse aus der Förderung durch den Innovationsfonds im G‑BA an. Vielversprechend ist, dass dieses Projekt im Rahmen von IV-Verträgen mit den Leistungsträgern bis zur etwaigen Kostenübernahme im Rahmen der Regelversorgung nach Abschluss der Förderung durch den Innovationsfonds fortgeführt wird. Mit dem Projekt SANO zur strukturierten ambulanten Nachsorge nach einem Schlaganfall sowie StroCare zur optimierten sektorenübergreifenden, koordinierten und evidenzbasierten Behandlung von Schlaganfallpatienten durch übergreifende Prozessverantwortung und patientenorientierte Ergebnisqualitätsmessung ist zudem mit der Veröffentlichung der Ergebnisse der zwei weiteren Innovationsfondsprojekte zur Schlaganfallnachsorge Mitte 2022 bzw. 2023 zu rechnen. Hierbei stehen den zusätzlichen Aufwendungen im Rahmen der strukturierten Schlaganfallnachsorge der gesundheitsökonomische Nutzen durch die Reduzierung von Abhängigkeit und Behinderung, den Aufwendungen für die Versorgung von Rezidivereignissen und Behandlung der Folgen nichtvaskulärer Sekundärkomplikationen sowie bestenfalls auch der Erhalt der Arbeitsfähigkeit gegenüber. Hervorzuheben ist, dass eine strukturierte Schlaganfallnachsorge keinesfalls kostenneutral im gesundheitsökonomischen Sinne sein muss, da den zusätzlichen Aufwendungen ein potenziell erheblicher Nutzen für die Patientinnen und Patienten gegenübersteht. Der Nachweis ist im Rahmen der gegenwärtigen Nachsorgeprojekte entsprechend zu erbringen.

Versorgungsmodelle zur Schlaganfallnachsorge

Versorgungsmodelle zur Schlaganfallnachsorge müssen eine strukturierte, berufsgruppen- und sektorenübergreifende Nachbehandlung in einem multidisziplinären Behandlungsnetzwerk sicherstellen. Eine strukturierte Schlaganfallnachsorge scheint dabei auf Grundlage bestehender Versorgungsrichtlinien in verschiedener Weise realisierbar. So kann der Schlaganfall für die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nach § 116b SGB V geöffnet werden und damit bestehende Versorgungsstrukturen des stationären wie des ambulanten Sektors mit einzubeziehen. Eine Reevaluation des Katalogs hochspezialisierter Leistungen durch den G‑BA wäre in diesem Kontext sinnvoll. Das Konzept würde dabei gleichsam den besonderen Anforderungen an die Qualifikation des ärztlichen Personals, den diagnostischen und therapeutischen Leistungsumfang sowie den spezifischen Anforderungen an die multidisziplinäre Versorgung von Schlaganfallpatienten gerecht werden. Der Gesetzgeber hat die ASV durch die Einbeziehung schwer therapierbarer bzw. komplexer Erkrankungen in § 116b SGB V für eine Vielzahl chronischer Erkrankungen geöffnet. Dieses Kriterium erfüllt der Schlaganfall als chronische Erkrankung. Inwiefern mit der ASV eine flächendeckende Versorgung und hinreichende Einbeziehung ambulanter Versorgungsstrukturen realisierbar wäre, bleibt offen. Der hohe bürokratische Aufwand bei der Etablierung der ASV dürfte eine flächendeckende Versorgung eher erschweren. Hingegen stehen dem weiteren Ausbau bereits vorhandener sektorenübergreifender Versorgungsstrukturen im Rahmen der Integrierten Versorgung (IV) nach § 140 SGB V keine rechtlichen Hürden gegenüber. Seit Beginn des neuen Jahrtausends sind bereits zahlreiche regionale und überregionale Projekte auf Grundlage der IV entstanden. Viele dieser Projekte wurden jedoch inzwischen wieder beendet. Eine flächendeckende Versorgung auf Basis der IV konnte bisher nicht etabliert werden. Besonderer Hinderungsgrund ist die einzelvertragliche Grundlage der IV mit regionalen und überregionalen Kostenträgern, welche das Konzept an das individuelle Engagement regionaler Akteure bindet. Das Konzept steht somit einer homogenen und flächendeckenden Versorgungsstruktur mit einheitlichen Qualitätsstandards entgegen. Die positiven Erfahrungen mit dem Disease-Management-Programm (DMP) zur koronaren Herzkrankheit (KHK) lassen aufgrund des vergleichbaren Risikoprofils ein analoges Modell für die ambulante Schlaganfallnachsorge attraktiv erscheinen. Im Rahmen des DMP können Behandlungsabläufe strukturiert und auch die sektorenübergreifende Behandlung gesichert werden. Teil des DMP sind insbesondere die Sicherstellung der evidenzbasierten Behandlung, die Umsetzung von Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie die regelmäßige Schulung der Leistungserbringer. Im Rahmen des DMP soll die Behandlung chronisch Erkrankter langfristig gesichert und somit Komplikationen und Folgeschäden vorgebeugt werden. Bezogen auf den Schlaganfall kann hierdurch nicht nur die leitliniengerechte Behandlung der vaskulären Risikofaktoren und nichtvaskulären Komplikationen, sondern auch die angemessene Heil- und Hilfsmittelversorgung sichergestellt werden.

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