Ist Autismus im Gehirn sichtbar? Eine umfassende Betrachtung

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind tiefgreifende Entwicklungsstörungen, die sich in der frühen Kindheit manifestieren und einen chronischen Verlauf nehmen. Typischerweise werden sie in den ersten fünf Lebensjahren bemerkt und gehen mit Schwierigkeiten im Umgang und in der Kommunikation mit anderen Menschen sowie mit repetitiv-stereotypen Verhaltensweisen einher. Doch was steckt wirklich dahinter, und lässt sich Autismus im Gehirn erkennen? Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Aspekte von Autismus, von den vielfältigen Erscheinungsformen bis hin zu den neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung.

Die Vielschichtigkeit des Autismus-Spektrums

Die Geschichte von Lukas, der schon als Kind eine besondere Faszination für Züge entwickelte und Schwierigkeiten hatte, soziale Kontakte zu knüpfen, ist beispielhaft für viele Betroffene. Allerdings zeigt sich auch in der Forschung, dass "typisch" ein schwieriges Wort ist, wenn es um Autismus geht. Die Störung kann sich bei verschiedenen Menschen unterschiedlich manifestieren und sich sogar über die Lebensspanne hinweg verändern.

Menschen mit ASS teilen zwar einige Gemeinsamkeiten, aber die Störung hat viele Facetten. Das Spektrum reicht von Menschen mit geistiger Behinderung und fehlendem Sprachvermögen bis hin zu Betroffenen ohne Intelligenzminderung mit guten Sprachfertigkeiten, wie beim High-Functioning-Autismus oder beim Asperger-Syndrom. Die Mehrzahl der Betroffenen weist eher eine unterdurchschnittliche Intelligenz auf; eine intellektuelle Behinderung liegt in rund 45 Prozent der Fälle vor, und nur eine sehr kleine Minderheit von etwa 3 Prozent verfügt über überdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten.

Pauschale Aussagen, "Autisten" könnten weder Emotionen erkennen noch soziale Signale verstehen, oder sie hätten eine "andere" Wahrnehmung und stets eine besondere Begabung, greifen daher zu kurz. Autismus-Spektrum-Störungen sind zwar nicht heilbar, aber die Symptome können sich im Laufe der Zeit verändern. Das macht es Ärzten oft schwer, die Störung von anderen Erkrankungen abzugrenzen, die bei Kindern mit ähnlichen Begleiterscheinungen einhergehen, etwa von einer Depression oder einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Problematisch ist es zudem, die Störung im Erwachsenenalter zu diagnostizieren, wenn nicht mehr ausreichend zuverlässige Angaben über den Beginn in der Kindheit vorliegen.

Die verschiedenen Formen des Autismus

Üblicherweise unterscheiden Ärzte im Kern drei Arten von Autismus:

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  • Frühkindlicher Autismus: Macht sich bereits vor dem dritten Lebensjahr im Sozialverhalten, der Kommunikation, dem Vorliegen von repetitiven, stereotypen Verhaltensweisen sowie einer Beeinträchtigung von Sprachentwicklung und Motorik bemerkbar. Oft weisen die Betroffenen auch eine verminderte Intelligenz auf.
  • Asperger-Syndrom: Hier sind die sprachliche und kognitive Entwicklung nicht verzögert, ähnlich dem frühkindlichen Autismus sind Kommunikation und Verhalten aber deutlich beeinträchtigt.
  • Atypischer Autismus: Beginnt später oder zeichnet sich dadurch aus, dass nur manche der Symptome auftreten.

Das aktuelle psychiatrische Klassifikationssystem DSM-5 hat die Unterscheidung zwischen den Autismusformen inzwischen im Wesentlichen aufgegeben. Es umfasst nur noch den Begriff der Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Er soll verdeutlichen, dass Autismus viele verschiedene Verlaufsformen kennt und die Übergänge zwischen den einzelnen Ausprägungen oft fließend sind.

Neurobiologische Grundlagen: Was passiert im Gehirn von Menschen mit Autismus?

Obwohl die Ursachen von Autismus bis heute weitgehend unklar sind, lassen Familien- und Zwillingsstudien inzwischen auf eine Erblichkeit von mehr als 90 Prozent schließen. Umweltfaktoren scheinen lediglich eine untergeordnete Rolle zu spielen und eher über die Ausprägung der Symptome und Begleiterscheinungen als über die Erkrankung als solche zu bestimmen. Abweichende genetische Informationen beeinflussen die Hirnentwicklung und -funktion - und somit vermutlich auch das Verhalten und die geistigen Fähigkeiten der Betroffenen.

Die Annahme, dies müsse mit erheblichen Veränderungen im Gehirn zusammenhängen, ließ sich allerdings nie bestätigen. Im Gegenteil: Die Forschungsergebnisse sind bis heute nicht eindeutig - es gibt keine anatomischen Auffälligkeiten, die speziell nur bei Autismus auftreten und bei allen Betroffenen vorhanden sind. Im Verlauf der Störung entwickeln, arbeiten und verknüpfen sich jedoch bestimmte neuronale Systeme, die mit autistischen Symptomen assoziiert sind, anders.

Veränderungen im Hirnvolumen und der Hirnreifung

Solche anatomischen Auffälligkeiten werden bereits in der frühen Kindheit sichtbar. Kleinkinder zwischen zwei und vier Jahren mit einer ASS-Diagnose weisen ein größeres Hirnvolumen auf als Gleichaltrige ohne somatische oder psychische Störungen. Im Alter von sechs bis acht Jahren verringert sich das Wachstum vor allem der grauen Substanz aber wieder und bleibt dann stabil. Bei den Betroffenen scheint die Hirnreifung in ihrem Verlauf also von der Nichtbetroffener abzuweichen. Auf eine frühe Phase der übermäßigen Volumenzunahme folgt eine Phase des gehemmten Wachstums, was insgesamt zu einem verminderten Volumen im höheren Erwachsenenalter führt. Diese atypische Entwicklung trifft manche Regionen wie Stirn- und Schläfenlappen offenbar besonders stark. Dabei scheint die zeitliche wie örtliche Abfolge der Hirnreifung gestört zu sein.

Das Problem solcher Befunde: Die Veränderungen im Hirnvolumen treten bei Menschen mit Autismus zwar regelmäßig auf - sie sind aber, wie viele Symptome, nicht spezifisch für ASS. Insbesondere die Auffälligkeiten im Stirnlappen treten auch bei Erkrankungen wie etwa Schizophrenie auf. In Zukunft müssen Wissenschaftler daher vor allem versuchen, ähnliche Hirnentwicklungsstörungen und Symptome zusammenzubringen. Woher stammen die Auffälligkeiten? Liegen gemeinsame oder unterschiedliche molekulare und genetische Mechanismen zu Grunde? Und vor allem: Wie entwickeln sie sich über die Lebensspanne hinweg?

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Funktionelle Konnektivität im Gehirn

Verändert sich die Aktivität der Nervenzellen in zwei oder mehreren Hirnregionen zeitlich synchron, geht man davon aus, dass sie Netzwerke bilden und miteinander kommunizieren. Diese funktionelle Konnektivität lässt sich mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) erfassen. Messungen der spontanen Aktivierungsschwankungen des Gehirns im Ruhezustand zeigen bei jugendlichen und erwachsenen Betroffenen relativ konsistent eine verminderte Konnektivität. Das betrifft insbesondere den anterioren und posterioren Kortex sowie das so genannte Default Mode Network, das beim Nichtstun und Tagträumen aktiv wird. Im Aufmerksamkeitsnetzwerk scheinen dagegen keine Veränderungen aufzutreten.

Betrachtet man allerdings das Gehirn von Kindern mit ASS, zeichnet sich ein völlig anderes Bild ab. Bei Probanden zwischen 7 und 14 Jahren fand ein Team um Adriana Di Martino von der New York University 2011 in manchen Arealen sogar eine verstärkte Konnektivität im Vergleich zu normal entwickelten Gleichaltrigen, insbesondere zwischen einigen Regionen des Striatums und Teilen des limbischen Systems, der Insula sowie dem superioren temporalen Gyrus. Damit scheint im Gehirn von Kindern mit Autismus eine funktionelle Hyperkonnektivität vorzuliegen, im Gegensatz zu Erwachsenen, bei denen eine Hypokonnektivität zu beobachten ist. Der Wechsel beginnt vermutlich mit der Pubertät. Diese geht mit einer massiven hormonellen Veränderung einher, die sich auch auf die Hirnentwicklung auswirkt. Was dann genau im Gehirn von Kindern und Jugendlichen mit ASS passiert, ist bislang allerdings kaum erforscht. Es fehlen Studien, die Probanden für längere Zeit begleiten.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Auch das Geschlecht scheint von Bedeutung zu sein. Noch existieren relativ wenige Studien, die explizit die Neurobiologie der weiblichen Betroffenen untersuchen. Sie zeigen aber deutliche Hinweise darauf, dass die Veränderungen im Gehirn mit dem biologischen Geschlecht zusammenhängen - etwa durch die Wirkung der Hormone. Betroffene Mädchen scheinen sich zudem stärker von gleichaltrigen Mädchen ohne ASS zu unterscheiden, als es bei Jungen der Fall ist. Noch ist unklar, ob grundsätzlich neuroanatomische Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit Autismus existieren oder ob es vielmehr der Entwicklungsverlauf ist, der bei weiblichen und männlichen Betroffenen voneinander abweicht. In den meisten Analysen sind Frauen und Mädchen allerdings massiv unterrepräsentiert, da sie deutlich seltener betroffen sind. Außerdem schließen viele Studien Männer mit hochfunktionalem Autismus mit ein, weniger jedoch die Mehrzahl der Betroffenen, die an einer geistigen Beeinträchtigung leiden. Deshalb gelten Erkenntnisse über die Neurobiologie von Autismus-Spektrum-Störungen heute hauptsächlich für Männer ohne kognitive Beeinträchtigung.

Gestörte Hirnasymmetrie

Häufig ist bei Menschen mit Autismus die Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung im Gehirn betroffen, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirkt. So weisen sie im Vergleich zu nicht-autistischen Personen subtile Veränderungen in der Asymmetrie der Gehirnstruktur auf und eine geringere Lateralität der funktionellen Aktivierung, in Bezug auf die Verwendung der linken oder rechten Hemisphäre im Gehirn. Eine Ursache verorten Forschende in gestörten Mustern der Hirnasymmetrie, die möglicherweise mit einer abweichenden Lateralisierung funktioneller Prozesse zusammenhängen.

"Asymmetrie ist ein Schlüsselmerkmal der Gehirnorganisation, sie unterstützt ein flexibles Zusammenspiel zwischen lokalen neuronalen Modulen, die mit der funktionellen Spezialisierung verknüpft ist, die der menschlichen Kognition zugrunde liegt.", erklärt Bin Wan, Erstautor einer Studie zu diesem Thema. Gemeinsam mit Kolleg*innen aus Kanada hat der Forscher Hirnscan-Daten von 140 autistischen Personen und 143 nicht-autistischen Personen im Alter von fünf bis vierzig Jahren ausgewertet, um Ungleichgewichte auf Systemebene in den Hemisphären bei Autismus zu untersuchen. "Wir beobachteten eine verminderte linksgerichtete funktionelle Asymmetrie der Sprachnetzwerksorganisation bei Personen mit Autismus im Vergleich zu nicht-autistischen Personen. Während die Asymmetrie der Sprachnetzwerke bei letzteren in verschiedenen Altersgruppen variierte, war dies bei Autismus nicht der Fall."

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Diese Unterschiede sind möglicherweise in der Entwicklung begründet und variieren stark von Person zu Person. Die Ergebnisse legen nahe, dass sowohl genetische als auch umweltbedingte Komponenten in diesem Zusammenhang wichtig sein könnten.

Die Rolle der Spiegelneuronen

Wissenschaftler wie Vilayanur Ramachandran sahen in Spiegelneuronen lange Zeit einen Schlüssel für viele offene Fragen in der Autismusforschung. Der Forscher versuchte zu erklären, warum sich bei einer Person mit Autismus im Inneren nichts regt, wenn er beispielsweise jemanden lachen sieht. Um die Hirnaktivität von Menschen mit Autismus zu messen, benutzte Ramachandran die Elektroenzephalografie (EEG). Dabei zeichnet das EEG die Hirnwellen über äußere Messfühler auf. Schon lange war bekannt, dass die My-Welle jedes Mal unterdrückt wird, wenn eine Person eine Muskelbewegung ausführt - zum Beispiel ihre Hand öffnet und schließt. Ramachandran fand nun heraus, dass bei Menschen mit Autismus die My-Welle nur bei eigener Bewegungsausführung unterdrückt wird, nicht jedoch, wenn sie beobachten, wie ein anderer die Bewegung ausführt.

Bildgebende Verfahren unterstützten die Hypothese zunächst. Die Kernspintomographie bildet beispielsweise anhand von elektromagnetischen Feldern den Zustand von Gewebe und Organen ab. Erblicken wir zum Beispiel einen Menschen, so wird das "Gesichts-Erkennungs-Areal" im Gehirn aktiviert. Betrachtet eine Person mit Autismus hingegen ein Gesicht, bleibt dieses Areal stumm. Stattdessen schaltet sich ein anderer Bereich ein, den Gesunde zur allgemeinen Objekterkennung nutzen.

Allerdings lassen sich mithilfe der Spiegelzellen nicht alle Aspekte von Autismus erklären, wie zum Beispiel das typische Vermeiden von Blickkontakt, das stereotype Wiederholen von Bewegungen oder eine allgemeine Überempfindlichkeit, insbesondere gegen bestimmte Geräusche. Auch die anfängliche Euphorie, mithilfe der Spiegelneuronen die Autismus-Spektrum-Störungen erklären zu können, ist mittlerweile verflogen. Im Laufe der Jahre kamen Forscher zu widersprüchlichen Ergebnissen. Einige Studien bescheinigten Menschen mit Autismus etwa gesunde Spiegelneuronen. Eine Untersuchung von einem internationalen Forscherteam aus Deutschland, Frankreich und Australien von 2018 kam zu dem Schluss, dass es nicht genügend Evidenz dafür gibt, um die Spiegelneuronen als alleinige Täter schuldig für Autismus-Störungen zu sprechen. Laut der Forscher ist es vielmehr ein ganzes Netzwerk an Nervenzellen, die für Autismus verantwortlich sind. Die Spiegelneuronen machen dabei nur eine Schicht von vielen aus.

Neue Diagnose-Techniken: Künstliche Intelligenz und Hirnmarker

So genannte "machine learning"- oder "multivariate pattern classification"-Ansätze sollen es ermöglichen, auf Basis gemessener Daten, etwa aus dem Hirnscanner, diagnostische Vorhersagen für einen Einzelfall zu treffen. Dabei "trainieren" Forscher ein Computerprogramm anhand von großen Datenmengen darin, Zusammenhänge zu erkennen, zu verallgemeinern und auf neue Daten anzuwenden. Anders als die üblichen Analysemethoden sind Mustererkennungsansätze in der Lage, globale und komplexe Auffälligkeiten auf verschiedenen Ebenen aufzuspüren.

Ein Team um Christine Ecker vom King’s College London konnte bereits 2010 anhand von MRT-Daten 87 Prozent ihrer erwachsenen, männlichen Teilnehmer korrekt entweder der Gruppe der Autismusbetroffenen oder der Kontrollgruppe zuordnen. Zuvor hatten die Forscher die Volumina an grauer und weißer Substanz im gesamten Gehirn vermessen. Bei weiblichen Betroffenen und Kindern gab es inzwischen ähnliche Erfolge. Allerdings sind die bildgebenden Untersuchungen sehr aufwändig und insbesondere für kleine Kinder und geistig beeinträchtigte Menschen kaum zu bewältigen. Bislang wirken sich die Mustererkennungsverfahren wenig auf die Versorgung der Betroffenen aus. Noch sind sie zu unausgereift, aber viele Forscher hoffen, dass sie in Zukunft helfen können, ASS geschlechts- und altersunabhängig zu identifizieren.

Mithilfe von KI-Algorithmen und der Diffusions-Tensor-Bildgebung (DT-MRT) lässt sich die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung womöglich bald früher stellen, berichtete Mohamed Khudri von der Universität Louisville. Anhand der DT-MRT kann man die Konnektivität des Gehirns darstellen. Bei 126 zwei- bis vierjährigen Kindern mit Autismus und 100 Kontrollen zeigte die Technologie bei der Erkennung einer Autismus-Spektrum-Störung eine Sensitivität von 97 % und eine Spezifität von 98 %.

Forscher des CNRS (französisches Zentrum für wissenschaftliche Forschung), der Universität Aix-Marseille und der staatlichen Krankenhauseinrichtung von Marseille (AP-HM) haben durch MRT-Untersuchungen einen für Autismus typischen speziellen Hirnmarker entdeckt, der ab dem zweiten Lebensjahr auftritt. Bei der entdeckten Anomalie handelt es sich um eine weniger ausgeprägte Falte des Broca-Areals. Diese Region des Gehirns ist für Sprache und Kommunikation verantwortlich - Funktionen, die bei Autisten gestört sind. Diese Entdeckung basiert auf den Ergebnissen der MRT-Untersuchungen und einer Kohorten-Studie an Patienten, bei denen bereits im frühen Alter diese Krankheit identifiziert wurde. Sie ermöglicht eine verbesserte und frühzeitigere Diagnose bei diesen Patienten.

Eine weitere Studie beschäftigte sich insbesondere mit dem „sulcal pit“ - dem tiefsten Punkt jeder Hirnfurche. Sie untersuchten Jungen im Alter zwischen 2 und 10 Jahren, die in 3 Gruppen unterteilt waren (Autisten, Kinder mit autistischen Symptomen und Kinder ohne Autismus-Spektrum-Störungen). Sie stellten fest, dass die Hirnfurche bei autistischen Kindern deutlich geringer ausgeprägt war als bei den beiden anderen Gruppen. Diese spezifische Anomalie bei autistischen Kindern könnte als Biomarker für diese Erkrankung genutzt werden und so eine frühzeitigere Diagnose ermöglichen (ab einem Alter von 2 Jahren).

Ursachenforschung: Ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren

Zum Thema Ursachen oder Ätiologie der autistischen Störung haben sich seit Ende der 1990er Jahre viele neue Erkenntnisse ergeben. Man hat bei Untersuchungen von autistischen Menschen im neurologischen Bereich eine Vielzahl an Besonderheiten gefunden, deren Interpretation allerdings nicht einfach ist, gerade was die Frage anbelangt, ob es sich um ursächliche Aspekte oder Folgephänomene handelt.

Grundsätzlich lassen sich die Besonderheiten, die man bei Autismus findet, auf zwei Ebenen beschreiben, einerseits auf der Ebene des Gehirns oder überhaupt des Nervensystems (die neurobiologische Ebene), andererseits auf der Ebene des Erlebens und Verhaltens (die psychische bzw.

Genetische Veranlagung

Zwillings- und Geschwisterstudien legten schon lange nahe, dass genetische Einflüsse in der Entstehung von Autismus eine Rolle spielen können. Diese Vermutung hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr erhärtet. Im Verwandtenkreis von autistischen Menschen findet man eine erhöhte Anzahl von Betroffenen oder Menschen, die „ein bisschen autistisch sind“, die also nicht die ganzen Merkmale einer Diagnose abdecken.

Die Forschergruppe um Prof. Dr. POUSTKA führte Studien durch mit Familien, in denen mehrere Mitglieder von Autismus betroffen sind. Aufgrund der Ergebnisse dieser Studien kommt Dr. POUSTKA zu dem Schluss: "Die Ursachen des Autismus scheinen fast ausschließlich eine genetische Basis zu haben." Dabei findet man keine Familienstammbäume mit Autismus, sondern nur eine so genannte horizontale Transmission: Es sind meist nur die Geschwister betroffen. Diese haben nach Prof. Dr. POUSTKA ein Risiko von 3 Prozent, dass sie auch autistisch sind oder werden. Bei eineiigen Zwillingen mit Autismus gibt es hohe Konkordanzraten, d. h. Übereinstimmungen. Nach Prof. Dr. POUSTKA interagieren mehrere verursachende Gene und rufen das Zustandsbild "Autismus" hervor, er geht also von einer "polygenetischen Ursache" aus.

Erbliche Faktoren gelten als eine der Hauptursachen für autistische Störungen. Bei einem von Autismus-Spektrum-Störung betroffenen Elternteil ist das Risiko, ebenfalls ein Kind mit Autismus-Spektrum-Störung zu bekommen, stark erhöht. Eineiige Zwillinge erkranken in der Regel beide an Autismus Spektrum Störung. Allerdings gibt es hier ein paar Ausnahmen, die vermutlich auf epigenetische Veränderungen, unterschiedliches Geburtsgewicht sowie andere Umweltfaktoren zurückzuführen sind. Vermutlich ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene und Umweltfaktoren für die Erkrankung verantwortlich. Aktuell wird die Heritabilität von Autismus Spektrum Störungen auf ca. 70-80% geschätzt. Es gibt eine Vielzahl an Mutationen sowie chromosomalen Mikrodeletionen und -duplikationen, die das Risiko erhöhen, an einer Autismus Spektrum Störung zu erkranken. Einzelne molekulargenetische Ursachen, wie z.B. das fragile-X-Syndrom, das bei ca. 3% aller Personen mit Autismus-Spektrum-Störung, sind schon weitgehend aufgeklärt, insbesondere auch bezüglich ihrer Folgen auf die Entwicklung des Nervensystems, und es werden aktuell auch schon neue Medikamente erforscht, die gezielt zur Behandlung von Patienten mit fragilem-X-Syndrom eingesetzt werden sollen.

Umweltfaktoren

Der Einfluss eines höheren Alters der Väter auf erhöhte Raten von Autismus-Spektrum-Störungen konnte aktuell in einer Meta-Analyse bestätigt werden. Andere Studien fanden Effekte sowohl für höheres mütterliches als auch väterliches Alter. Bestimmte Infektionskrankheiten der Mutter in der Schwangerschaft, wie die Rötelninfektion, sind belegte Risikofaktoren für Autismus-Spektrum-Störungen. Eine dänische Register-basierte Studie fand ein erhöhtes Risiko nach schweren Virus- im ersten Trimenon und schweren bakteriellen Infektionen im zweiten Trimenon. Mehrere populationsbasierte Studien konnten des Weiteren zeigen, dass eine (starke) Frühgeburtlichkeit das Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen erhöht. Als allgemeine Schwangerschafts-assoziierte Risikofaktoren sind mütterlicher Diabetes sowie postpartale Hypoglykämie und Lungenfunktionsprobleme bei Termin-geborenen Kindern beschrieben worden. Eine weitere Studie diskutiert die Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmmern in der Schwangerschaft als Risikofaktor, wobei die Anzahl der Kinder, die SSRIs in der Schwangerschaft ausgesetzt waren, relativ gering war. Auch Antiepileptika-, insbesondere Valproat-Einnahme in der Schwangerschaft war in klinischen Studien mit erhöhten Raten von Autismus-Spektrum-Störungen bei den Kindern assoziiert.

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