Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen, von der weltweit über 60 Millionen Menschen betroffen sind. In Deutschland sind schätzungsweise 640.000 Menschen an Epilepsie erkrankt. Sie manifestiert sich durch wiederkehrende epileptische Anfälle, die in ihrer Ausprägung stark variieren können.
Was ist Epilepsie? Definition und Abgrenzung
Epilepsie ist keine einzelne Krankheit, sondern ein Sammelbegriff für eine Gruppe von Krankheitsbildern, denen das wiederholte Auftreten epileptischer Anfälle gemeinsam ist. Ein epileptischer Anfall ist ein plötzliches Ereignis, das durch eine vorübergehende Störung der elektrisch/chemischen Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn ausgelöst wird. Von Epilepsie spricht man, wenn mindestens zwei solcher Anfälle ohne erkennbare Ursache innerhalb von 24 Stunden auftreten.
Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jeder epileptische Anfall gleichbedeutend mit einer Epilepsie-Erkrankung ist. Viele Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens einen einzelnen epileptischen Anfall, ohne dass bei ihnen eine Epilepsie vorliegt. Solche einmaligen Anfälle können beispielsweise durch Fieber, Schlafmangel, Alkohol oder Lichtreize ausgelöst werden. Auch Fieberkrämpfe, die im Kleinkindalter auftreten können, sind in der Regel keine Epilepsie.
Vielfältige Erscheinungsformen: Symptome und Anfallsarten
Epileptische Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern. Die Symptome hängen davon ab, welcher Bereich des Gehirns von der Störung betroffen ist und wie stark die Störung ausgeprägt ist. Einige Anfälle verlaufen so unauffällig, dass sie erst spät erkannt werden.
Zu den häufigsten Symptomen gehören:
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- Veränderungen im Verhalten: Plötzliche und unerklärliche Veränderungen im Verhalten, wie z. B. Verwirrtheit, Angst oder Aggressivität.
- Bewusstseinsverlust: Verlust des Bewusstseins, der von kurzer Dauer sein kann oder länger andauert.
- Unkontrollierte Bewegungen: Unwillkürliche Muskelzuckungen, Krämpfe oder andere unkontrollierte Bewegungen.
- Ungewöhnliche Sinnesempfindungen: Kribbeln, Taubheitsgefühle,Halluzinationen oder andere ungewöhnliche Sinnesempfindungen.
- Wiederkehrende Gedächtnislücken: Schwierigkeiten, sich an Ereignisse vor, während oder nach dem Anfall zu erinnern.
Die internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) unterscheidet zwischen verschiedenen Anfallsarten, vor allem zwischen fokalen und generalisierten Anfällen.
- Fokale Anfälle: Bei fokalen Anfällen beginnt das Anfallsgeschehen in einer umschriebenen Region der Hirnrinde. Je nachdem, welcher Bereich des Gehirns betroffen ist, äußern sich die Symptome unterschiedlich. Breiten sich die Entladungen von Nervenzellen anschließend über das gesamte Gehirn aus, spricht man von einer Generalisierung des Anfalls.
- Generalisierte Anfälle: Bei generalisierten Anfällen wird von Anfang an das ganze Gehirn von Entladungen der Nervenzellen erfasst. Ein Beispiel für einen generalisierten Anfall ist der Grand-Mal-Anfall, der mit Bewusstseinsverlust, Muskelzuckungen und Stürzen einhergeht.
Ein besonderer Notfall ist der Status epilepticus, bei dem ein Anfall länger als 30 Minuten dauert oder mehrere Anfälle kurz aufeinander folgen, ohne dass der Patient zwischendurch das Bewusstsein wiedererlangt.
Ursachenforschung: Vielfältige Auslöser für Epilepsie
Epilepsien können sehr viele verschiedene Ursachen haben. In vielen Fällen ist die genaue Ursache trotz verbesserter Diagnosemöglichkeiten unklar.
Zu den möglichen Ursachen gehören:
- Genetische Veränderungen: Genetische Faktoren spielen bei einigen Epilepsieformen eine Rolle. Das Risiko, an Epilepsie zu erkranken, ist für Nachkommen von Epilepsie-Patienten erhöht.
- Strukturelle Hirnschäden: Schädigungen des Gehirns, z. B. durch Trauma, Schlaganfall, Entzündungen, Missbildungen oder Tumore, können Epilepsie auslösen.
- Metabolische Störungen: Stoffwechselstörungen können die Funktion des Gehirns beeinträchtigen und zu Anfällen führen.
- Immunvermittelte Störungen: In seltenen Fällen können Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem körpereigene Strukturen angreift, Epilepsie verursachen.
- Akute Reizungen: Akute Reizungen des Gehirns, z. B. durch hohes Fieber, Alkoholvergiftungen oder Entzündungen des Gehirns bzw. der Hirnhäute, können einen epileptischen Anfall auslösen.
- Störungen der Hirnreifung: Während der Schwangerschaft oder Geburtskomplikationen können ebenfalls eine Epilepsie auslösen.
Diagnose: Den Ursachen auf den Grund gehen
Für eine wirksame Therapie ist die Ursachensuche entscheidend. Die Diagnose von Epilepsie umfasst in der Regel folgende Schritte:
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- Anamnese: Ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten und/oder Angehörigen über die Symptome, die Vorgeschichte und mögliche Auslöser. Videos der beobachteten Anfälle können ebenfalls hilfreich sein.
- Elektroenzephalografie (EEG): Eine Hirnstrommessung, bei der die elektrische Aktivität des Gehirns aufgezeichnet wird. Ein Standard-EEG dauert etwa 45 Minuten, während ein EEG-Video-Monitoring über mehrere Tage durchgeführt werden kann, um Anfälle aufzuzeichnen und zu analysieren.
- Magnetresonanztomografie (MRT): Ein bildgebendes Verfahren, das hochauflösende Bilder des Gehirns liefert und Veränderungen der Hirnstruktur sichtbar machen kann. Die funktionelle MRT kann zudem wichtige funktionstragende Areale lokalisieren.
- Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen, um metabolische oder immunvermittelte Ursachen auszuschließen.
Behandlung: Anfallsfreiheit und Lebensqualität verbessern
Ziel der Behandlung von Epilepsie ist es, die Anfallsfreiheit zu erreichen und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Die Wahl der Behandlung hängt von der Art der Epilepsie, der Schwere der Anfälle und individuellen Faktoren ab.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie mit Antiepileptika ist oft die erste Wahl zur Kontrolle von epileptischen Anfällen. Antiepileptika helfen, die elektrische Aktivität im Gehirn zu stabilisieren und das Auftreten von Anfällen zu reduzieren. Es gibt eine Reihe sehr guter Medikamente, mit denen die Anfallshäufigkeit und auch die Schwere eines Anfalls beeinflusst werden kann.
Es ist wichtig zu beachten, dass die derzeit eingesetzten Antiepileptika die Erkrankung Epilepsie nicht heilen können. Sie sollen aber verhindern, dass im Rahmen der Erkrankung weitere epileptische Anfälle auftreten.
Die Einnahme von Antiepileptika stellt nach wie vor die wichtigste Therapie bei Patienten mit einer Epilepsie dar. Von den ca. 20 am häufigsten verwendeten Substanzen ist die Hälfte erst in den letzten 10 Jahren zugelassen worden. Diese neuen Antiepileptika sind zwar oft besser verträglich als die älteren, das "ideale" Antiepileptikum gibt es jedoch nicht.
Nicht-medikamentöse Therapie
In Fällen, in denen medikamentöse Therapien nicht ausreichend wirksam sind oder nicht vertragen werden, können nicht-medikamentöse Ansätze in Betracht gezogen werden.
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Zu den nicht-medikamentösen Therapien gehören:
- Chirurgische Eingriffe: Bei therapieresistenter Epilepsie, bei der Medikamente keine ausreichende Anfallskontrolle ermöglichen, kann eine Operation helfen. Dabei kann beispielsweise der Anfallsherd im Gehirn entfernt werden. In der Schön Klinik Vogtareuth werden beispielsweise Tiefenelektroden in das Gehirn implantiert, um eine akkuratere Messung der Hirnströme zu ermöglichen und eine exakte Diagnose zu stellen.
- Vagusnerv-Stimulation: Ein Verfahren, bei dem der Vagusnerv, ein wichtiger Nerv im Körper, elektrisch stimuliert wird, um die Anfallshäufigkeit zu reduzieren.
- Ketogene Diät: Eine spezielle Diät, die reich an Fett und arm an Kohlenhydraten ist. Diese Diät kann bei einigen Epilepsieformen die Anfallshäufigkeit reduzieren.
Wichtige Aspekte der Behandlung
Unabhängig von der gewählten Behandlung ist eine kontinuierliche ärztliche Betreuung und Anpassung der Therapie erforderlich, um optimale Ergebnisse zu erzielen. In den Epilepsie-Ambulanzen wird gemeinsam mit den Patienten die jeweils am besten geeignete Medikation und Dosis herauszufinden. Falls nötig, wird die Dosis angepasst oder auf eine andere Substanz umgestellt.
Leben mit Epilepsie: Herausforderungen und Perspektiven
Ein Leben mit Epilepsie bringt verschiedene Herausforderungen mit sich. Epilepsie beeinflusst den Alltag: Beruf, Mobilität und soziale Aktivitäten. Wichtig ist es, Auslöser zu kennen und zu meiden. Fahreignung und Arbeitssicherheit müssen ärztlich geprüft werden.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die meisten Menschen mit Epilepsie ein erfülltes Leben führen können. Zwei Drittel der Patient*innen werden mit Medikamenten anfallsfrei. Etwa 50 Prozent der Betroffenen gelten nach 10 Jahren ohne Anfall und 5 Jahren ohne Medikamente als geheilt.
Tipps für Betroffene
- Austausch mit anderen Betroffenen: Sich mit anderen Betroffenen auszutauschen hilft, neue Lösungen und Perspektiven zu finden.
- Auslöser kennen und meiden: Schlafmangel, Alkohol, Stress oder bestimmte Lichtreize können Anfälle auslösen. Es ist wichtig, die individuellen Auslöser zu kennen und zu meiden.
- Regelmäßige Medikamenteneinnahme: Die regelmäßige Einnahme der verordneten Medikamente ist entscheidend für die Anfallskontrolle.
- Ärztliche Kontrollen: Regelmäßige ärztliche Kontrollen sind wichtig, um die Therapie anzupassen und mögliche Nebenwirkungen zu erkennen.
- Information und Aufklärung: Je besser man über die Erkrankung informiert ist, desto besser kann man damit umgehen.
Epilepsie und Führerschein
Anfälle mit Bewusstseinsstörung führen laut Gesetzgebung dazu, dass der Betroffene vorübergehend kein Kraftfahrzeug steuern darf. Grundsätzlich werden zwei Gruppen von Fahrzeugen unterschieden. In Gruppe I fallen alle motorisierten Zweiräder und PKW bis 3,5 t, die Gruppe II fasst alle Fahrzeuge ab 3,5 t und solche zur Beförderung von Personen oder Gefahrengut zusammen. In der Gruppe I führt ein einmaliger spontaner epileptischer Anfall zu einem Fahrverbot von 6 Monaten (Gruppe II: 2 Jahre), wenn im EEG und im MRT des Gehirns keine Anzeichen für ein erhöhtes Wiederholungsrisiko zu finden sind.
Epilepsie und Alkohol
Häufig wird Patienten nach einem ersten epileptischen Anfall dringend empfohlen, keinen Alkohol mehr zu konsumieren. Studien deuten jedoch darauf hin, dass der maßvolle Konsum von Alkohol keinen Einfluss auf das Auftreten von Anfällen bei Patienten mit einer Epilepsie hat. Bei einem täglichen Konsum von etwa 30 g reinen Alkohols bei Männern (¾ l Bier oder ⅓ l Wein) und 20 g bei Frauen (½ l Bier oder ¼ l Wein) sind keine allgemeinen gesundheitlichen Schäden zu erwarten, diese Menge hat in der Regel auch keinen spezifischen Effekt auf das Auftreten weiterer epileptischer Anfälle. Der - auch gelegentliche - Konsum größerer Mengen Alkohol, der oft mit einem Schlafdefizit verbunden ist, kann jedoch das Anfallsrisiko deutlich erhöhen.
Epilepsie und Schwangerschaft
Für Frauen mit Epilepsie ist die Planung der Schwangerschaft besonders wichtig, um die Therapie bereits im Vorfeld im Hinblick auf die Anfallskontrolle und das Fehlbildungsrisiko zu optimieren und damit die Risiken für Mutter und Kind in der Schwangerschaft zu minimieren. Prinzipiell gehen alle Antiepileptika mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko einher. Medikamentöse Wechselwirkungen einiger Antiepileptika mit oralen Kontrazeptiva können zum Wirkungsverlust der Pillenpräparate führen.
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