Ist Epilepsie eine körperliche Behinderung? Ein umfassender Überblick

Die Frage, ob Epilepsie eine körperliche Behinderung darstellt, ist komplex und kann nicht pauschal beantwortet werden. Da epileptische Anfälle lediglich ein Symptom verschiedener Erkrankungen sind, geben sie allein wenig Aufschluss über die Leistungsfähigkeit und soziale Teilhabe der Betroffenen. Andere Beeinträchtigungen, die möglicherweise in Kombination mit einer Epilepsie auftreten, können weitaus einschränkender sein. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte von Epilepsie und Behinderung, um ein umfassendes Verständnis zu ermöglichen.

Epilepsie: Eine neurologische Erkrankung mit vielfältigen Erscheinungsformen

Epilepsie ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die durch wiederholte, plötzliche Funktionsstörungen des Gehirns gekennzeichnet ist. Weltweit sind etwa 1% der Bevölkerung betroffen, in Deutschland sind es schätzungsweise 800.000 bis 1 Million Menschen.

Ursachen und Auslöser

Epilepsien können durch genetische Veranlagung, Unfälle oder Krankheiten ausgelöst werden. Typisch sind wiederkehrende krampfartige Anfälle, die meist ohne erkennbaren Grund auftreten. Diese Anfälle sind die Folge von überschießenden Entladungen von Nervenzellen in einzelnen Hirnregionen oder im gesamten Gehirn.

Mögliche Auslöser für epileptische Anfälle sind:

  • Flackerlichteffekte
  • Schlafentzug oder ein gestörter Schlafrhythmus (z. B. durch Bereitschaftsdienste)
  • Alkoholgenuss
  • Stress
  • Überanstrengung
  • Fieberhafte Infekte
  • Vergessene oder nicht eingenommene Antiepileptika

Es gibt eine Reihe anderer Erkrankungen, deren Symptome epileptischen Anfällen ähneln, die aber keine Epilepsie sind. Von Epilepsie spricht man in der Regel erst, wenn mindestens zwei spontane Anfälle aufgetreten sind.

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Anfallsarten

Anfälle lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen:

  1. Fokale Anfälle: Diese beginnen in einem bestimmten Bereich des Gehirns.
    • Einfach-fokale Anfälle: Das Bewusstsein bleibt erhalten, der Anfall wird voll miterlebt. Die Anfälle äußern sich durch ungewöhnliche Sinnesempfindungen (z. B. Kribbeln) oder Störungen der Körpermotorik mit und ohne Bewusstseinsstörung (z. B. Zuckungen). Eine Aura ist die leichteste Form eines einfach-fokalen Anfalls. Sie dauert meist nur wenige Sekunden und kann isoliert auftreten oder andere Anfallsformen einleiten.
    • Komplex-fokale Anfälle: Das Bewusstsein ist eingeschränkt. Während des Anfalls ist die Koordinationsfunktion des Gehirns teilweise gestört. Es werden vertraute, aber der Situation unangemessene Bewegungen ausgeführt. Die Erscheinungsformen sind vielfältig, da das gesamte Spektrum der Hirnfunktionen betroffen ist. Es kann zu rhythmischen Kaubewegungen, Schmatzen, Lecken der Lippen, auch Brummen oder Kichern kommen. Häufig nesteln die Betroffenen auch an sich selbst oder an Gegenständen herum, laufen unruhig umher, schneiden Grimassen oder sprechen unverständliche Worte. Auch plötzliche Erregungszustände, Halluzinationen, Speichelfluss, Blässe oder Rötung des Gesichts, Schweißausbrüche oder Herzrasen können auftreten.
  2. Generalisierte Anfälle: Diese betreffen von Beginn an beide Gehirnhälften.
    • Absencen (Kleine Anfälle): Es kommt zu einer kurzen Bewusstseinspause ohne Sturz. Die Betroffenen blicken starr oder verträumt und sind nicht ansprechbar.
    • Myoklonische Anfälle: Bei diesen Anfällen bleibt das Bewusstsein in der Regel erhalten. Die Anfälle werden von den Betroffenen als blitzartiger elektrischer Schlag oder als Schreck erlebt. Die Person kann zu Boden fallen oder Gegenstände wegschleudern. Oft verlaufen die Anfälle so schnell, dass sie von Außenstehenden kaum wahrgenommen werden.
    • Tonisch-klonische Anfälle (Große Anfälle, Grand Mal): Dieser generalisierte Anfall dauert mehrere Minuten. Die betroffene Person verliert das Bewusstsein und die Kontrolle über ihren Körper. Die Person fällt, verkrampft und zuckt rhythmisch am ganzen Körper, kann sich auf die Zunge beißen, einnässen und ist anschließend benommen und desorientiert. Beim Grand Mal besteht Verletzungsgefahr.

Diagnose

Bei jeder Epilepsie-Erstdiagnose, bei der eine symptomatische Genese zu vermuten ist, ist eine bildgebende Untersuchung erforderlich, heutzutage ein kraniales Kernspintomogramm (cMRT).

Behandlung

Welche Behandlung sinnvoll ist, hängt von der Form der Epilepsie und dem Krankheitsverlauf ab. Meist wird eine Epilepsie mit Medikamenten behandelt, sogenannten Antiepileptika. Es stehen unterschiedliche Medikamente aus verschiedenen Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Wenn ein Medikament in einer niedrigen Dosierung nicht wirkt, kann zunächst die Dosis erhöht werden. Zeigt sich kein Erfolg, probiert man ein Medikament aus einer anderen Wirkstoffgruppe oder kombiniert mehrere Wirkstoffe.

Können die Medikamente Anfälle nicht verhindern, ist ein Eingriff eine Alternative.

  • Operation: Wenn sich bei fokalen Anfällen feststellen lässt, welcher Bereich des Gehirns die Anfälle auslöst, kann er entfernt werden.
  • Vagusnerv-Stimulation: Dabei wird ein Schrittmacher unter die Haut im Brustbereich implantiert, der elektrische Impulse abgibt. Er ist über Kontakte am Halsbereich mit dem Vagusnerv verbunden und soll die Überaktivität der Nervenzellen hemmen.

Ergänzend kann eine Psychotherapie hilfreich sein. Sie kann dabei unterstützen, mit den Folgen der Erkrankung umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.

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Epilepsie als Behinderung: Grad der Behinderung (GdB) und Schwerbehindertenausweis

Menschen mit Epilepsie können beim Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) feststellen lassen und einen Schwerbehindertenausweis sowie sogenannte Merkzeichen beantragen. Die Höhe des GdB richtet sich nach Schwere, Häufigkeit, Art und tageszeitlicher Verteilung der Anfälle. Ab einem GdB von 50 gilt ein Mensch als schwerbehindert.

Feststellung des GdB

Das Versorgungsamt bestimmt den Grad der Behinderung (GdB) und die sogenannten Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis nach der sogenannten Versorgungsmedizinverordnung. Diese enthält als Anhang die sogenannten Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit Anhaltspunkten zur Höhe des GdB bei verschiedenen Krankheiten.

Der GdB bzw. GdS bei epileptischen Anfällen hängt hauptsächlich von der Schwere, Art und Häufigkeit der Anfälle ab. Weil Anfälle am Tag meistens mehr Probleme machen als Anfälle im Schlaf, kommt es zusätzlich auf die Tageszeit der Anfälle an.

Der GdB berücksichtigt alle sogenannten Funktionseinschränkungen eines Menschen gemeinsam.

Nachteilsausgleiche und Hilfen

Ein Schwerbehindertenausweis soll das Leben der Betroffenen erleichtern und gewährt deswegen verschiedene Nachteilsausgleiche und Hilfen, wie z.B.:

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  • Steuervorteile
  • Leistungen zur sozialen Teilhabe
  • Überblick zu Hilfen und Nachteilsausgleichen im Beruf

Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über alle GdB-abhängigen Nachteilsausgleiche: Tabelle Nachteilsausgleiche GdB.

Merkzeichen

Die Merkzeichen ermöglichen die ermäßigte bzw. kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie beim Merkzeichen B die Mitnahme einer Begleitperson. Außerdem werden bei den Symbolen G und H Steuernachlässe gewährt. Bei Minderjährigen werden die Merkzeichen auch bei einem niedrigeren Grad der Behinderung vergeben. Wer wegen Epilepsie einen GdB von 100 hat, bekommt oft das Merkzeichen H für hilflos. Minderjährige bekommen es oft schon bei einem niedrigeren GdB.

Epilepsie im Alltag: Herausforderungen und Unterstützung

Epilepsie kann den Alltag der Betroffenen in verschiedenen Bereichen beeinträchtigen. Es ist wichtig, sich der Herausforderungen bewusst zu sein und die verfügbaren Unterstützungsangebote zu nutzen.

Arbeit und Beruf

Die meisten Menschen mit Epilepsie können dank einer Therapie anfallsfrei leben und benötigen in der Regel keine besondere Unterstützung am Arbeitsplatz. Sie haben auch keine höheren Fehlzeiten oder mehr Arbeitsunfälle als andere Beschäftigte.

Solange aber mit Anfällen gerechnet werden muss und die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, bestehen Risiken für die erkrankte Person selbst und für andere Personen im Arbeitsumfeld. Ein pauschales Verbot bestimmter Tätigkeiten ist jedoch nicht sinnvoll. Jeder Anfall verläuft anders und muss daher individuell beurteilt werden.

Grundsätzlich sind alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nach § 5 Arbeitsschutzgesetz und nach der DGUV Vorschrift 1 verpflichtet, alle mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen zu beurteilen, um die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen.

Führerschein

Viele berufliche Tätigkeiten erfordern das Führen eines Fahrzeugs. Dabei kann es sich um Außendiensttätigkeiten mit Kundenbesuchen handeln oder um Lagerarbeiten, bei denen Fahrzeuge zum Be- und Entladen rangiert werden.

Fahrerlaubnis nach einer anfallsfreien Beobachtungszeit von mind.

Freizeit und soziale Teilhabe

Auch eher unscheinbare Anfälle werden als epileptische Anfälle erkannt und sinnlose belastende pädagogische Maßnahmen unterbleiben. Ohne Aufklärung wirken weniger dramatische Anfälle je nach Anfallsart oft wie Unaufmerksamkeit, Verträumtheit, Herumkaspern oder bewusste Störung des Unterrichts.

Bei Epilepsie sind auch Assistenzleistungen für die Freizeit und für Hobbys über die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen möglich. Zuständig ist der Träger der Eingliederungshilfe, egal in welchem Alter. Familienunterstützende Dienste helfen bei individuellen Freizeitaktivitäten und Hobbys oder bieten spezielle Freizeitangebote für Menschen mit Behinderungen.

Epilepsie und geistige Behinderung

Menschen mit geistiger Behinderung erkranken im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung häufiger an Epilepsie. Hinsichtlich Diagnostik und Behandlung gelten prinzipiell die gleichen Grundsätze wie bei nichtbehinderten Epilepsiekranken. Bei der pharmakologischen Therapie ist eine verbesserte Anfallskontrolle über eine Monotherapie anzustreben, um unerwünschte Wirkungen zu minimieren. Die der Epilepsie zugrunde liegende Hirnschädigung oder Hirnentwicklungsstörung selbst und die für eine bestmögliche Anfallskontrolle eventuell notwendige Kombination von Antiepileptika können das Risiko des Auftretens von Nebenwirkungen erhöhen.

Inklusion und Teilhabe

Inklusion von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Epilepsie in Kita, Schule, Ausbildung, Studium, Freizeit und Berufsleben ermöglicht gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen. Dafür gibt es verschiedene Hilfen wie z.B.

Manche Träger der Eingliederungshilfe schicken Ihren Antrag auf Inklusionsassistenz und/oder Schulbegleitung an die Krankenkasse oder bei einem Pflegegrad an die Pflegekasse weiter, wenn es um Medikamente, eine ketogene Diät und/oder Hilfe bei Anfällen geht.

Sport

Sport ist auch bei Epilepsie gesund, wichtig für die soziale Stellung in der Klasse und stärkt das Selbstbewusstsein.

Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall

Was ist zu tun, wenn in meiner Anwesenheit jemand einen Anfall bekommt?

  • Ruhe bewahren, nicht davonrennen.
  • Den Betroffenen gegebenenfalls aus einem Gefahrenbereich entfernen.
  • Beengende Kleidungsstücke am Hals lösen.
  • Kopf polstern.
  • Krampferscheinungen nicht unterdrücken, den Betroffenen nicht aufrichten, verkrampfte Hände nicht öffnen oder festhalten, Kiefer nicht gewaltsam öffnen, keine Gegenstände zwischen die Zähne schieben.
  • Keine Unterbrechungsversuche: Nicht schütteln, klopfen oder anschreien.
  • Patient nach dem Anfall in stabile Seitenlage bringen, damit eventuell Speichel abfließen kann.
  • Nach dem Anfall bzw. Wiedererlangen des normalen Bewusstseins Hilfe und Begleitung anbieten.
  • Wichtig ist auch, die Dauer des Anfalls zu registrieren. Zumeist sind Anfälle nach ein bis zwei Minuten vorbei.

Dauert der Anfall länger als fünf Minuten an oder treten mehrere Anfälle kurz hintereinander auf, sollte der Rettungsdienst (Notruf 112) informiert werden. Bei einem schweren Anfall kann ein Krankenhausaufenthalt notwendig sein.

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