Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, von der in Deutschland mehr als 280.000 Menschen betroffen sind, wobei jährlich etwa 15.000 Neuerkrankungen hinzukommen. MS manifestiert sich meist im jungen Erwachsenenalter, wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Die Erkrankung kann zu vorübergehenden oder bleibenden Behinderungen führen und Auswirkungen auf Familie, Partnerschaft, Beruf und das seelische Wohlbefinden haben. Obwohl die Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht haben, ist die genaue Ursache der MS weiterhin Gegenstand intensiver Forschung.
Ursachenforschung: Ein komplexes Zusammenspiel
Die Ursache der Multiplen Sklerose ist noch nicht endgültig geklärt. Es wird angenommen, dass es sich bei der Multiplen Sklerose um eine Autoimmunerkrankung handelt, d.h. um eine Störung, bei der sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet und wichtige Zellen des Nervensystems angreift. Trotz intensiver Forschung konnte die Ursache der Multiplen Sklerose noch nicht eindeutig gefunden werden. Es scheint wohl nicht eine einzelne Ursache für diese Erkrankung zu geben.
Genetische Prädisposition
Multiple Sklerose ist keine Erbkrankheit im klassischen Sinne. Es gibt für MS zwar eine gewisse genetische Prädisposition: Das bedeutet, dass jemand, der einen Betroffenen in der Familie hat, selbst ein leicht erhöhtes Risiko trägt, an MS zu erkranken. Die Eltern übertragen die MS nicht direkt auf ihre Kinder. Es gibt jedoch gewisse genetische Faktoren, die ein etwas erhöhtes Risiko bedeuten. Wenn beide Eltern an MS erkrankt sind, steigt das Risiko für das Kind deutlich an. Dies heißt jedoch nicht, dass jeder, der die Veranlagung hat, auch wirklich MS bekommt.
Die Normalbevölkerung hat ein allgemeines MS-Risiko von 0,1 Prozent, also einer von 1000. Ist ein Elternteil an MS erkrankt, so beträgt das Risiko des Kindes, im Laufe seines Lebens an MS zu erkranken, etwa zwei bis drei Prozent. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass 97 bis 98 Prozent der Kinder nicht erkranken. Dabei spielt es keine Rolle, ob Mutter oder Vater erkrankt ist. Leiden jedoch beide Elternteile an MS, so liegt das Risiko, dass leibliche Kinder erkranken, immerhin bei etwa 20 Prozent. Das bedeutet, dass eines von fünf Kindern erkrankt, während vier von fünf Kindern gesund sind. Auch, wenn die MS keine klassische Erbkrankheit ist, können betroffene Eltern mit Kinderwunsch eine genetische Beratung in Anspruch nehmen.
Umweltfaktoren: Ein entscheidender Einfluss
Neben erblichen Faktoren spielen auch äußere Einflüsse eine Rolle (Umweltfaktoren). Hier werden u. a. virale Infektionen (z.B. durch Masern-Viren, Herpes-Viren oder Epstein-Barr-Viren), aber auch Vitamin-D (Sonnenlichtexposition) oder Rauchen (Nikotin) diskutiert. Forscher haben festgestellt, dass Multiple Sklerose in sonnenreichen, äquatornahen Gegenden seltener vorkommt als in weiter entfernten Regionen. Sonnenlicht regt die Vitamin D-Produktion an. Vitamin D wiederum stärkt das Immunsystem. Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass Vitamin D-Mangel möglicherweise Autoimmunreaktionen begünstigt, die letztlich zu MS führen können. Das Rauchen (insbesondere von Zigaretten) wirkt sich nachweislich nicht nur schädlich auf den Verlauf der MS Erkrankung aus, sondern erhöht auch das Risiko an MS zu erkranken. Bei einigen wichtigen Impfungen (Grippe, Hepatitis) kann inzwischen ausgeschlossen werden, dass sie im Zusammenhang mit MS ein Risiko darstellen. Virusinfektionen dagegen können Schübe auslösen. Deshalb sollte im Zweifelsfall geimpft werden.
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Das Immunsystem im Visier
Man zählt die Multiple Sklerose zu den so genannten Autoimmunkrankheiten, d. h. das körpereigene Immunsystem ist fehlgesteuert und richtet sich gegen gesunde, körpereigene Strukturen. Im Falle der MS sind wichtige Zellen des Nervensystems das Ziel: Die Fortleitung von Nervenimpulsen entlang einer Nervenfaser geschieht über elektrische Phänomene an der Zelloberfläche des jeweiligen Nervs. Die Nervenfaser ist von einer Hülle umgeben, die eine elektrische Isolierung der Faser und damit die Weiterleitung der Impulse um ein Vielfaches beschleunigt. Bei MS-Patienten greifen Abwehrzellen diese so genannte Mark- bzw. Myelinscheide an. Man nimmt an, dass bestimmte Eiweiße (Proteine) auf der Oberfläche der Myelinzellen vom Immunsystem fälschlicherweise als fremd erkannt und bekämpft werden. Dieser Angriff geschieht im Gehirn meist herdförmig, d.h. nicht im ganzen zentralen Nervensystem, sondern in vielen (multiplen) unterschiedlichen Bereichen. Der akute Entzündungsprozess äußert sich für den Patienten als Schub der Krankheit. Es kommt daraufhin im Nervengewebe zur Narbenbildung (Sklerose).
Das menschliche Immunsystem befindet sich im ständigen Kampf gegen verschiedenste Viren und Bakterien. Es kann aber durchaus vorkommen, dass die aktivierten Abwehrzellen sich versehentlich sowohl gegen den Eindringling also auch gegen den eigenen Körper richten. Die fehlgeleiteten Zellen setzen dann eine Autoimmunreaktion in Gang, die das Nervensystem schädigt.
Der Darm als möglicher Schlüsselfaktor
Forscher der Abteilung für Neuroimmunologie am Max-Planck-Institut in Martinsried haben im Tiermodell (MS bei Mäusen) festgestellt, dass die Tiere keine Schübe mehr bekommen, sobald man sie in eine absolut keimfreie Umgebung umsiedelt. Die Ursache dafür scheint im Verdauungstrakt der Mäuse zu liegen. Die Versuche legen nahe, dass eine bestimmte Zusammensetzung der Darmflora bei den Tieren - und damit möglicherweise auch beim Menschen - die Entwicklung von MS positiv verändern könnte.
Eine aktuelle Zwillingsstudie liefert weitere Hinweise darauf, dass Mikroorganismen im Darm eine Rolle bei der Entstehung von MS spielen könnten. Durch den Vergleich der Darmflora von eineiigen Zwillingen, von denen nur einer an MS erkrankt ist, konnten Forschende bestimmte Bakterienstämme identifizieren, die bei MS-Patienten häufiger vorkommen. Insbesondere die Bakterien Lachnoclostridium sp. und Eisenbergiella tayi wurden als potenzielle krankheitsauslösende Faktoren identifiziert.
Diagnose und Verlauf
Meistens beginnt die MS mit einem innerhalb von Stunden bis Tagen sich entwickelnden Symptom, wie zum Beispiel einer Lähmung, einer Sehstörung oder einem Sensibilitätsverlust eines Körperteils. Dieses rasche Auftreten nennt man „Schub“. Typisch bei MS ist, dass die Entzündung in unterschiedlichen Zeitabständen erneut an anderen Stellen des Nervensystems auftreten kann. Der Name „Multiple Sklerose“ leitet sich davon ab, dass sich an vielen (multiplen) Stellen in Gehirn und Rückenmark verhärtete Vernarbungen (Sklerosen) bilden. 85 Prozent aller Betroffenen haben einen schubartigen Verlauf mit unterschiedlicher Symptom-Rückbildung und zwischenzeitlicher Ruhe. Bei der Hälfte dieser Patienten kommt es nach mehreren Jahren jedoch zu einer schleichenden Verschlechterung, der sogenannten „sekundären Progression“.
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An erster Stelle stehen die Erhebung der Vorgeschichte und die körperlich-neurologische Untersuchung. Die Magnetresonanztomografie erlaubt sehr genaue und frühe Diagnostik. Durch ein starkes Magnetfeld werden Signale aus unterschiedlichen Geweben des Gehirns und Rückenmarks aufgefangen und mit sehr hoher Auflösung in Schichtbilder umgewandelt. Gehirn und Rückenmark sind von Nervenwasser umspült. Die Lumbalpunktion ist eine neurologische Routine-Untersuchung dieses Nervenwassers. Sie dient zum Nachweis einer Entzündung des Nervensystems. Bestimmte Eingänge in das Nervensystem lassen sich durch minimale elektrische, akustische oder visuelle Reize anregen.
Leben mit MS: Perspektiven und Behandlung
Trotz der Herausforderungen, die mit einer MS-Erkrankung einhergehen, gibt es viele Möglichkeiten, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen und die Lebensqualität zu verbessern.
Medikamentöse Therapie
Viele Medikamente können den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Zudem gibt es bewährte Behandlungsmethoden zur Linderung von Symptomen und Verbesserung der Lebensqualität.
Kinderwunsch und MS
Für MS-Erkrankte mit Kinderwunsch sowie an MS erkrankte werdende Eltern steht in der Regel eine Frage im Vordergrund: Ist die MS erblich und wird mein Kind ebenfalls an MS erkranken? Diesbezüglich können Betroffene ein wenig aufatmen. Besprechen Sie Ihren Kinderwunsch mit Ihrem behandelnden Facharzt, z. B. ihrem Neurologen oder Frauenarzt.
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