Die Frage, ob Multiple Sklerose (MS) vererbbar ist, beschäftigt viele Menschen, insbesondere solche mit MS in der Familie oder mit Kinderwunsch. Dieser Artikel beleuchtet die genetischen Aspekte der MS, das Erkrankungsrisiko bei familiärer Vorbelastung, den Einfluss von Umweltfaktoren und gibt Hinweise zu Vorbeugung und Familienplanung.
Multiple Sklerose: Eine komplexe Erkrankung
Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Weltweit sind schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen betroffen, wobei die Krankheit meist im frühen Erwachsenenalter beginnt. Die MS ist durch eine Schädigung der Myelinscheiden gekennzeichnet, die die Nervenfasern umhüllen und für eine reibungslose Signalübertragung verantwortlich sind. Diese Schädigungen führen zu vielfältigen Symptomen, die von Taubheitsgefühlen und Gleichgewichtsstörungen bis hin zu Sehstörungen und Lähmungen reichen können. Der Verlauf der MS ist sehr unterschiedlich, und die Krankheit wird oft als die "Krankheit mit den 1.000 Gesichtern" bezeichnet.
Genetische Veranlagung vs. Erbkrankheit
Entgegen der landläufigen Meinung ist Multiple Sklerose keine klassische Erbkrankheit wie Mukoviszidose oder Hämophilie, bei denen ein einzelnes Gen für die Entstehung der Krankheit verantwortlich ist. Allerdings spielt die Genetik bei der MS eine Rolle, da in manchen Familien ein gehäuftes Auftreten der Krankheit beobachtet wird. Man spricht daher von einer genetischen Prädisposition oder Veranlagung.
Die Forschung hat gezeigt, dass das MS-Risiko bei Personen mit einem betroffenen Familienmitglied leicht erhöht ist. So liegt das Erkrankungsrisiko eines Kindes, dessen Elternteil an MS erkrankt ist, bei etwa 2 bis 3 %, verglichen mit einem Risiko von 0,1 bis 0,2 % in der Gesamtbevölkerung. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind keine MS entwickelt, bei 97 bis 98 % liegt. Wenn beide Elternteile MS haben, steigt das Risiko für das Kind auf etwa 20 %.
Es ist wichtig zu betonen, dass nicht jeder, der eine genetische Veranlagung für MS trägt, auch tatsächlich erkrankt. Dies deutet darauf hin, dass neben der Genetik auch andere Faktoren eine Rolle spielen müssen.
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Umweltfaktoren als Auslöser
Die Forschung geht davon aus, dass Multiple Sklerose eine multifaktorielle Erkrankung ist, bei der sowohl genetische als auch Umweltfaktoren zusammenwirken müssen, um die Krankheit auszulösen. Zu den diskutierten Umweltfaktoren gehören:
- Infektionen: Insbesondere das Epstein-Barr-Virus (EBV), der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers, wird als möglicher Auslöser diskutiert. Auch andere Virusinfekte könnten eine Rolle spielen.
- Vitamin-D-Mangel: Studien haben gezeigt, dass MS in sonnenreichen, äquatornahen Gegenden seltener vorkommt als in Regionen mit weniger Sonneneinstrahlung. Dies führte zu der Vermutung, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel, der bei unzureichender Sonnenlichtexposition entstehen kann, das Risiko für MS erhöhen könnte.
- Rauchen: Raucher haben ein 1,5-fach höheres Risiko, an MS zu erkranken als Nichtraucher.
- Ernährung und Darmflora: Auch die Ernährung und die Zusammensetzung der Darmflora könnten eine Rolle bei der Entstehung von MS spielen.
- Salzkonsum: Ein erhöhter Salzkonsum wird von Experten als Teilursache für das Auftreten von MS-Anzeichen diskutiert.
Es ist wichtig zu beachten, dass die genauen Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und der Entstehung von MS noch nicht vollständig geklärt sind.
Familiäre Häufung von MS
Obwohl die MS keine klassische Erbkrankheit ist, tritt sie in manchen Familien gehäuft auf. Das Risiko für Familienmitglieder steigt mit dem Grad der Verwandtschaft zu einer Person mit MS.
Verwandtschaftsgrad | Risiko, an MS zu erkranken |
---|---|
Cousins/Cousinen | ca. 0,7 % |
Geschwister | ca. 3,5 % |
Eineiige Zwillinge | ca. 25 % |
Kind eines Elternteils mit MS | ca. 2-3% |
Kind, wenn beide Elternteile an MS erkrankt sind | ca. 20 % |
Es ist wichtig zu beachten, dass auch bei eineiigen Zwillingen, die genetisch identisch sind, nur in etwa 25 % der Fälle beide Zwillinge an MS erkranken. Dies unterstreicht die Bedeutung von Umweltfaktoren bei der Entstehung der Krankheit.
Vorbeugung und Früherkennung
Da die genauen Ursachen der MS noch nicht bekannt sind, gibt es keine spezifischen Maßnahmen zur Vorbeugung. Allerdings können Familienmitglieder von MS-Betroffenen versuchen, einen gesunden Lebensstil zu pflegen, der eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und den Verzicht auf Rauchen umfasst. Eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung, insbesondere in der Kindheit, könnte ebenfalls von Vorteil sein.
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Es gibt keinen spezifischen MS-Test, der eine genetische Veranlagung für die Krankheit nachweisen kann. Wenn jedoch Symptome auftreten, die auf MS hindeuten könnten, ist es wichtig, einen Neurologen aufzusuchen, um eine frühzeitige Diagnose und Behandlung zu ermöglichen. Zu den typischen MS-Symptomen gehören:
- Empfindungsstörungen (Taubheitsgefühle, Kribbeln)
- Muskellähmungen
- Sehstörungen (verschwommenes Sehen, Doppeltsehen)
- Gleichgewichtsstörungen
- Müdigkeit und Erschöpfung
- Schwindel
MS und Kinderwunsch
Für MS-Betroffene mit Kinderwunsch stellt sich oft die Frage, ob die Krankheit an ihre Kinder vererbt werden kann. Wie bereits erwähnt, ist das Risiko für Kinder von MS-erkrankten Eltern leicht erhöht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind gesund bleibt, ist deutlich höher.
Eine Schwangerschaft ist für Frauen mit MS in der Regel möglich. Während der Schwangerschaft kann es sogar zu einer Verringerung der Schubrate kommen. Es ist jedoch wichtig, eine geplante Schwangerschaft mit dem behandelnden Neurologen und Gynäkologen zu besprechen, da einige MS-Medikamente während der Schwangerschaft nicht eingenommen werden dürfen.
Stillen ist für Mütter mit MS grundsätzlich möglich und wird empfohlen, da es für den Säugling optimal ist.
Leben mit MS: Therapie und Krankheitsverlauf
Obwohl Multiple Sklerose derzeit nicht heilbar ist, gibt es verschiedene Therapieansätze, die den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen und die Symptome lindern können. Dazu gehören:
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- Schubtherapie: Bei akuten Schüben werden Kortikosteroide eingesetzt, um die Entzündung zu reduzieren.
- Verlaufsmodifizierende Therapien: Diese Medikamente zielen darauf ab, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Schubrate zu reduzieren.
- Symptomatische Therapie: Hier werden Medikamente und andere Maßnahmen eingesetzt, um spezifische Symptome wie Müdigkeit, Schmerzen oder Spastik zu behandeln.
- Nahrungsergänzungsmittel: Unabhängig von der eigentlichen Medikation empfiehlt es sich bei MS, Propionsäure als Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Schubrate dadurch um bis zu 50 Prozent reduziert wird und das Risiko eines sich verschlechternden Behinderungsgrads langfristig sinken kann.
Die Lebenserwartung von MS-Patienten nähert sich dank verbesserter Früherkennung und Behandlungsmöglichkeiten zunehmend der von gesunden Menschen an.