Juvenile Myoklonische Epilepsie: Therapie-Leitlinien

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch plötzliche Veränderungen der Sinne, der Wahrnehmung, der motorischen Aktivität oder des Verhaltens gekennzeichnet ist. Sie wird durch eine abnorme elektrische Aktivität im Gehirn verursacht. Die Prävalenz von Epilepsie liegt bei etwa 0,5 % der Kinder.

Klassifikation und Ursachen von Epilepsie

Mehrere Merkmale können verwendet werden, um eine Epilepsie zu klassifizieren, was bei der Betrachtung von Behandlungsoptionen hilfreich ist. Dazu gehören der Ort der Läsion (fokal oder generalisiert), die Ätiologie (strukturell, infektiös, metabolisch, immunologisch oder genetisch) und das Alter bei Krankheitsbeginn. Epilepsiesyndrome beziehen sich auf die Art der Anfälle und werden hauptsächlich anhand der Anamnese klassifiziert.

  • Fokale Epilepsie: Kann durch jede lokale Strukturveränderung verursacht werden (z. B. Narbenbildung nach einem Trauma).
  • Generalisierte Epilepsie: Betrifft das gesamte Gehirn.
  • Symptomatische Epilepsie: Hat eine erkennbare Ursache (strukturell, infektiös, metabolisch, immunologisch oder genetisch).
  • Idiopathische Epilepsie: Genetisch bedingt, ohne weitere Symptome außer der Epilepsie selbst.

Differenzialdiagnose

Es ist wichtig, epileptische Anfälle von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen zu unterscheiden. Dazu gehören:

  • Synkope: Kurzzeitiger Verlust des Bewusstseins und des Muskeltonus mit spontaner Erholung, meist aufgrund verminderter Durchblutung des Gehirns.
  • Migräne: Kann sensorische Auren vorausgehen, die Anfällen ähneln, aber nicht mit starken Kopfschmerzen einhergehen.
  • Psychogener nichtepileptischer Anfall (PNES): Ähnelt epileptischen Anfällen, wird aber durch psychische Faktoren verursacht.
  • Hypoglykämie: Notfallzustand mit niedrigem Serumglukosespiegel, der zu Krampfanfällen führen kann.
  • Narkolepsie: Geht mit exzessiver Tagesschläfrigkeit, Kataplexie, hypnagogen Halluzinationen und Schlaflähmung einher.

Diagnostik

Die Diagnose von Epilepsie basiert auf der Anamnese, der körperlichen Untersuchung und verschiedenen diagnostischen Tests.

  • EEG (Elektroenzephalogramm): Überwacht die elektrische Aktivität des Gehirns und kann Anfallsmuster erkennen. Ein unauffälliges EEG-Ergebnis schließt eine Epilepsie jedoch nicht aus.
  • Bildgebung (MRT, CT): Kann strukturelle Ursachen der Epilepsie identifizieren.
  • Video-EEG-Überwachung: Zeichnet gleichzeitig das EEG und das Verhalten des Patienten auf, um Anfälle genauer zu analysieren.
  • Blutuntersuchungen: Können metabolische Störungen oder andere Ursachen der Epilepsie aufdecken.

Juvenile Myoklonische Epilepsie (JME)

Die juvenile myoklonische Epilepsie (JME), auch Janz-Syndrom genannt, ist eine häufige Form der idiopathischen generalisierten Epilepsie, die typischerweise im Alter zwischen 12 und 18 Jahren auftritt. Sie betrifft normal intelligente Kinder und Jugendliche. Kardinalsymptom sind morgendliche, oft kurz nach dem Erwachen auftretende, kurze myoklonische Zuckungen.

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Symptome

  • Myoklonische Zuckungen: Mehr oder weniger stark ausgeprägte Muskelzuckungen, meist symmetrisch, arhythmisch und in Schultern und Armen lokalisiert. Selten sind die Beine betroffen, was zu Stürzen führen kann. Die Zuckungen dauern nur wenige Sekunden und gehen nicht mit Bewusstseinsstörungen einher. Betroffene können Gegenstände, die sie in der Hand halten (z.B. Zahnbürste, Becher), unwillentlich wegschleudern.
  • Generalisierte tonisch-klonische Anfälle: Treten bei vielen Betroffenen im Verlauf der Erkrankung auf.
  • Absencen: Bewusstseinstrübungen, die ebenfalls im Verlauf der JME auftreten können.

Die Anfälle treten oft nach dem Aufwachen oder bei Schlafentzug auf.

Therapie

Die juvenile myoklonische Epilepsie lässt sich mit Medikamenten oft recht gut behandeln. Ziel der Therapie ist die Anfallsfreiheit. Meist ist es dafür notwendig, die Medikamente das ganze Leben lang einzunehmen.

Medikamentöse Therapie

  • Valproat: Mittel der ersten Wahl, zeigt meist gutes Ansprechen.
  • Lamotrigin: Alternative zu Valproat.
  • Ethosuximid: Kann bei Absencen zusätzlich eingesetzt werden.
  • Levetiracetam: Weitere Therapieoption.
  • Topiramat: Kann in einigen Fällen hilfreich sein.
  • Primidon: Alternative Therapieoption.
  • Clonazepam: Kann bei myoklonischen Zuckungen eingesetzt werden.
  • Acetazolamid: Kann in bestimmten Fällen hilfreich sein.

Die Medikation sollte immer individuell gewählt werden, unter Berücksichtigung von Geschlecht, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Die Dosierung orientiert sich am Medikamentenspiegel, der Verträglichkeit und den allgemeinen Empfehlungen zur Dosierung der jeweiligen Medikation. Spiegelbestimmungen sind nicht bei jedem Präparat sinnvoll. Einige Antikonvulsiva können die Anfallshäufigkeit verschlechtern.

Allgemeine Therapieempfehlungen

  • Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus: Schlafentzug sollte vermieden werden, da er Anfälle auslösen kann.
  • Vermeidung von Alkohol: Alkoholkonsum kann Anfälle provozieren.
  • Stressreduktion: Stress kann ebenfalls Anfälle begünstigen.
  • Ausreichend Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität kann sich positiv auf die Anfallskontrolle auswirken.

Epilepsie im Kindesalter

Epilepsien im Kindesalter unterscheiden sich von denen im Erwachsenenalter durch eine Reihe von Faktoren. Die Inzidenz von Epilepsien und epileptischen Anfällen ist im Neugeborenen-, Säuglings- und Kindesalter besonders hoch. Die Diagnostik ist durch die Unreife des kindlichen Gehirns und der damit verbundenen untypischen und oft subtilen Anfallsmorphologie erschwert. Die Möglichkeiten zur medikamentösen Behandlung sind begrenzt, da für viele antikonvulsiv wirksame Substanzen gerade im frühen Kindesalter die Studienlage bisher keine ausreichende Evidenz besitzt. Dabei ist eine exakte Diagnose und frühzeitige Behandlung von besonderer prognostischer Bedeutung. Beispiele dafür sind die epileptischen Enzephalopathien, die häufig im frühen Kindesalter manifest werden. Bei epileptischen Enzephalopathien führen die Anfälle zu einer deutlich schwereren kognitiven Beeinträchtigung, als diese durch die zugrunde liegende Schädigung (und Anfallsursache) zu erwarten wäre. Neugeborenenanfälle oder solche, die im frühen Kindesalter auftreten, sind häufig auch Symptom anders zu behandelnder Zustände (Elektrolytstörungen oder Stoffwechselerkrankungen). Auch hier ist eine exakte Analyse der Anfallsursache von besonderer Bedeutung. Die sog. elektroklinischen Syndrome bezeichnen epileptische Syndrome, die durch charakteristische EEG-Muster und typischer Klinik zuverlässig einzuordnen sind. Sie entstehen ebenfalls überwiegend im Kindes- und Jugendalter.

Spezielle Epilepsiesyndrome im Kindesalter

  • West-Syndrom (BNS-Epilepsie): Eine seltene, ernst zu nehmende Epilepsie bei Babys, die meist im Alter von zwei bis acht Monaten beginnt. Die kleinen Patienten erleiden meist mehrere epileptische Anfälle hintereinander (in Serie). Jeder einzelne Anfall dauert nur wenige Sekunden. Dabei lassen sich drei charakteristische Typen von Krämpfen erkennen, die meist in Kombination auftreten: Blitz-Anfälle, Nick-Anfälle und Salaam-Anfälle.
  • Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS): Eine weitere seltene Form von Epilepsie bei Kindern. Es tritt meist zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr erstmals in Erscheinung. Die Patienten erleiden oft mehrere Anfälle am Tag, manchmal auch in der Nacht. Typischerweise treten dabei verschiedene Anfallsformen auf: tonischer Anfall, atonischer Anfall, kombinierter tonisch-klonischer Anfall sowie weitere Anfallsformen (wie Bewusstseinspausen = Absencen).
  • Dravet-Syndrom: Eine sehr seltene und schwere Form der Epilepsie bei Kindern. Es wird auch myoklonische Frühenzephalopathie oder frühe infantile epileptische Enzephalopathie genannt. Meist erkranken Kinder zwischen dem dritten und zwölften Lebensmonat daran, selten später. Anfangs bekommen die kleinen Patienten bei Fieber tonisch-klonische Krampfanfälle (zuerst versteift der Körper kurz; dann setzen unkontrollierte, langsame Muskelzuckungen ein). Die Anfälle gehen machmal in einen gefährlichen Status epilepticus über.

Therapie des Status epilepticus

Ein Status epilepticus ist ein länger anhaltender Anfall oder eine Serie von mehreren Anfällen sehr kurz hintereinander, zwischen denen das Kind nicht zu Bewusstsein kommt. Dies ist ein potenziell lebensgefährlicher Zustand, der sofortiger Behandlung bedarf.

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  • 4 - 8 mg Lorazepam: Mittel der ersten Wahl.
  • Diazepam: Alternative zu Lorazepam, kann rektal verabreicht werden.
  • Midazolam: Kann bei Anfallsserien in Abhängigkeit von individueller Situation eingesetzt werden.

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