Martin Suters Roman "Small World", erschienen in der 57. Auflage, ist eine fesselnde Geschichte über Demenz, Familiengeschichte, Intrigen und die Aufdeckung verborgener Wahrheiten. Suter, bekannt für seine Fähigkeit, schwere Themen leicht zugänglich zu machen, verwebt in diesem Roman die Leidensgeschichte des an Alzheimer erkrankten Konrad Lang mit einer komplexen Kriminalgeschichte.
Inhalt: Eine Welt des Vergessens und der Enthüllungen
Konrad Lang, 63 Jahre alt, arbeitet als Verwalter der Ferienvilla von Elvira Senn auf Korfu. Aufgrund seiner Altersdemenz und seines Alkoholproblems verursacht er einenBrand, der das Haus zerstört. Elvira, die reiche Schweizer Firmenbesitzerin und einstige Gönnerin Konrads, holt ihn daraufhin zurück in die Schweiz, versorgt ihn mit einer Wohnung und Taschengeld.
In der Schweiz lernt Konrad Rosemarie Haug kennen, eine wohlhabende Witwe. Die beiden verlieben sich, und Konrad gibt für sie seinen übermäßigen Alkoholkonsum auf. Doch Konrads zunehmende Demenz belastet die Beziehung. Er vergisst Namen, findet die gemeinsame Wohnung nicht mehr und erkennt schließlich Rosemarie nicht wieder. Auf Anraten von Dr. Wirth, einem Freund von Rosemarie, wird Konrad in ein Pflegeheim eingewiesen.
Während Konrad im Pflegeheim zunehmend die Realität verliert, tauchen immer mehr Details aus seiner Kindheit mit Thomas Koch, dem Sohn von Elvira Senn, auf. Als Konrad einen Selbstmordversuch unternimmt, beschließt Simone Koch, die Ehefrau von Urs Koch, Konrad in der Villa der Kochs zu pflegen.
In der Privatklinik in der Villa wird Konrad rund um die Uhr betreut. Simone kümmert sich intensiv um ihn und zeigt ihm Fotos aus seiner Vergangenheit, die sie Elvira entwendet hat. Konrads Zustand schwankt stark. Mal geht es ihm besser, mal kann er sich an nichts mehr erinnern und erkennt nicht einmal Simone.
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Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto schlechter wird Konrads Erinnerung. Auf vielen Fotos von ihm und Thomas kann er sich selbst nicht mehr erkennen und verwechselt sich mit Thomas. Diese Verwechslung hat einen schrecklichen Grund: Konrad Lang ist in Wirklichkeit Thomas Koch, und Thomas Koch ist Konrad Lang.
Diese Vertauschung entstand in der frühen Kindheit. Elvira Senn wurde als Jugendliche vergewaltigt, und das Produkt dieser Vergewaltigung war Thomas. Elvira gab das Kind ihrer Halbschwester Anna, um Gerüchte zu vermeiden. Später erhielt Elvira eine Anstellung als Haushälterin bei Wilhelm Koch, der aus erster Ehe einen Sohn hatte - Konrad. Elvira und Wilhelm wurden ein Paar, und Elvira holte Anna zusammen mit Thomas als Haushälterin in die Villa. Die beiden Schwestern ermordeten Wilhelm Koch mit einer Überdosis Insulin, um Elvira zur Alleinerbin der Kochwerke zu machen. Elvira und Anna entschieden sich, die Kinder zu vertauschen, wodurch Thomas als Erbe eingesetzt wurde, während Konrad zu Thomas wurde.
Elvira erfährt, dass Simone Konrad Fotos gezeigt hat und er sich an Teile der Vergangenheit erinnert. Sie versucht, Konrad mit einer Überdosis Insulin zu ermorden. Durch die Aufmerksamkeit einer Pflegerin wird Konrad gerettet. Elvira stirbt jedoch kurz darauf bei einem Autounfall. Konrad wird dank Simones Anstrengungen in ein Testprogramm für Alzheimerpatienten aufgenommen, wodurch er seine Krankheit besiegen kann.
Charaktere: Zwischen Abhängigkeit, Macht und Intrigen
Konrad Lang:
Konrad hat eine schwere Kindheit, da er immer im Schatten von Thomas steht. Er muss sich Thomas anpassen, das Klavierspiel aufgeben, dasselbe Internat besuchen und sich von Thomas die erste Freundin ausspannen lassen. Auch später ist Konrad von Thomas und Elvira abhängig und spürt, dass er die Nummer zwei ist. In dieser Abhängigkeit ist er nicht glücklich und hat Alkohol- und Geldprobleme. Rosemarie zeigt ihm, wie schön das Leben sein kann. In dieser Phase versucht er, sich vom Alkohol und den Kochs zu lösen, doch die Krankheit macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Durch sie verliert er Rosemarie und gerät wieder in die Fänge der Kochs. Dank Simones Einsatz und der Krankheit, die es ihm ermöglicht, in seine Vergangenheit zu blicken, kann er den Komplott aufdecken. Am Ende wendet sich alles zum Guten für Konrad. Er erhält das Erbe der Kochs und wird wieder gesund, da das an ihm getestete Alzheimermedikament wirkt. Seinen Traum, Pianist zu werden, hat Konrad nie aufgegeben und schafft es am Ende, so gut Klavier zu spielen wie nie zuvor, was ihm das verdiente Ansehen bringt.
Elvira Senn:
Die 78-jährige Chefin der Kochwerke ist eine geschickte Geschäftsfrau und leitet die Firma auch im Ruhestand erfolgreich. Durch die Heirat in die Familie Koch und den Mord an Wilhelm Koch häuft Elvira ein großes Vermögen an. Sie legt Wert auf ihr Aussehen und ihre Gesundheit. Sie scheint immer alles unter Kontrolle zu haben, doch dies ändert sich mit dem Fortschreiten von Konrads Erkrankung. Elvira erkennt, dass es nur noch eine Möglichkeit gibt, das Auffliegen ihrer kriminellen Machenschaften zu verhindern. Aus Angst, ihren Reichtum und ihr Leben zu verlieren, versucht sie Konrad umzubringen. Der Versuch scheitert, und sie stirbt bei einem Autounfall. Die Lüge und das Verbrechen, auf dem Elvira ihr Leben aufgebaut hat, holen sie ein und kosten sie das Leben.
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Thomas Koch:
Thomas ist geschäftlich nicht sehr fähig, weshalb seine Mutter die Firma noch in hohem Alter leitet. Er genießt das Leben der Reichen und Schönen in vollen Zügen. Obwohl er seine Kindheit mit Konrad verbracht hat, hat er nicht viel für ihn übrig. Er versteht seine Mutter nicht, die Konrad immer unterstützt, und ist der Meinung, man solle ihn sich selbst überlassen. Am Ende erkrankt Thomas an Alzheimer, was als späte Rache für seine unfaire Behandlung von Konrad angesehen werden kann.
Simone Koch:
Die hübsche Brünette Mitte 20 ist mit Thomas‘ Sohn Urs verheiratet, aber in der Ehe nicht glücklich. Sie passt aufgrund ihrer herzlichen Art nicht in die Familie der Kochs. Aus Frust kümmert sie sich um Konrad und findet darin ihre Erfüllung. Sie trennt sich von Urs und beginnt ein neues Leben mit Dr. Kundert, dem behandelnden Arzt von Konrad.
Rosemarie Haug:
Rosemarie ist eine wohlhabende Witwe, die sich in Konrad verliebt. Sie hilft ihm, sich aus der Abhängigkeit der Familie Koch zu befreien. Konrad hört für sie mit dem Trinken auf. Durch Rosemaries Wohlstand schafft er es, sich aus der Abhängigkeit zur Familie Koch zu befreien.
Themen und Motive: Gedächtnis, Identität und die Vergangenheit
"Small World" behandelt eine Vielzahl von Themen, darunter:
- Demenz: Der Roman zeigt eindrücklich die Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit auf den Betroffenen und sein Umfeld. Konrads fortschreitender Gedächtnisverlust führt zu Verwirrung, Orientierungslosigkeit und dem Verlust seiner Identität.
- Identität: Konrads Identität wird im Laufe der Geschichte immer wieder in Frage gestellt. Durch die Vertauschung in der Kindheit und seine Demenzerkrankung verliert er das Gefühl, zu wissen, wer er wirklich ist.
- Familiengeheimnisse: Die dunklen Geheimnisse der Familie Koch, insbesondere Elviras Verbrechen, bilden einen zentralen Handlungsstrang des Romans. Die Aufdeckung dieser Geheimnisse führt zu Konflikten und letztendlich zur Auflösung der Familie.
- Klasse und soziale Ungleichheit: Der Roman thematisiert die Unterschiede zwischen Arm und Reich und die Abhängigkeit Konrads von der wohlhabenden Familie Koch.
- Vergangenheit: Die Vergangenheit spielt eine entscheidende Rolle in "Small World". Konrads Erinnerungen an seine Kindheit bringen die Wahrheit über seine Identität und die Verbrechen der Familie Koch ans Licht.
Ein wichtiges Motiv in "Small World" ist das Klavier. Es symbolisiert Konrads unerfüllten Traum und seine Sehnsucht nach Anerkennung. Am Ende des Romans erfüllt er sich diesen Traum, indem er in einem Altersheim Klavier spielt.
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Stil und Sprache: Präzision und Einfühlsamkeit
Martin Suters Schreibstil ist präzise, schnörkellos und dennoch einfühlsam. Er versteht es, die komplexen Charaktere und ihre Beziehungen zueinander lebendig darzustellen. Die detaillierten Beschreibungen von Konrads Demenzerkrankung sind erschreckend realistisch und berührend. Suters Sprache ist klar und direkt, wodurch der Leser von Anfang an in die Geschichte hineingezogen wird.