Die Polyneuropathie ist eine weit verbreitete Erkrankung des peripheren Nervensystems, von der schätzungsweise 5 bis 6 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Trotz ihrer Häufigkeit wird sie nicht immer ausreichend beachtet. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über Polyneuropathie, ihre Ursachen, Symptome, Diagnose und verschiedene Behandlungsansätze in spezialisierten Kliniken.
Was ist Polyneuropathie?
Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die zu einer Schädigung der peripheren Nerven führen. Das periphere Nervensystem umfasst alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks. Diese Nerven sind entscheidend für die Steuerung der Muskeltätigkeit, die Übertragung von Körpergefühlen und Wahrnehmungen der Haut sowie die Beeinflussung der Funktion der inneren Organe.
Wenn diese Nerven geschädigt oder zerstört werden, ist der Informationsfluss zwischen Gehirn und Körper gestört. Dies kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, abhängig davon, welche Nervenfasern betroffen sind (sensibel, motorisch, autonom).
Arten der Nervenschädigung
Es gibt zwei Haupttypen der Nervenschädigung bei Polyneuropathie:
Demyelinisierende Polyneuropathie: Hierbei zerfällt die isolierende Schicht (Myelinscheide) um die Nervenfasern, was die Weiterleitung elektrischer Impulse beeinträchtigt. Die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) ist eine spezielle Form, bei der die Myelinscheiden durch Entzündungen zerstört werden.
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Axonale Polyneuropathie: Bei dieser Form geht die Nervenfaser selbst zugrunde.
Beide Formen können auch in Kombination auftreten.
Ursachen von Polyneuropathie
Polyneuropathien können vielfältige Ursachen haben, wobei es bis zu 300 bekannte Auslöser gibt. Die Ursachenforschung ist oft komplex und erfordert eine intensive Abklärung.
Häufige Ursachen
Diabetes mellitus: Eine der häufigsten Ursachen, bei der ein schlecht eingestellter Blutzucker die Nerven schädigt. Neuere Erkenntnisse zeigen, dass autoimmun-entzündliche Polyneuropathien (CIDP) bei Diabetikern häufiger vorkommen, insbesondere bei Personen über 50 Jahre.
Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholkonsum kann zu Nervenschäden führen.
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Toxische Substanzen: Dazu gehören bestimmte Medikamente (z. B. Chemotherapeutika) und andere toxische Substanzen. Bei Verabreichung von Chemotherapien können begleitende Wirkstoffe eingesetzt werden, die eine Polyneuropathie abmildern. Bei Taxanen wie Docetaxel scheint eine Kühlung von Füßen und Händen während der Medikamentengabe vorbeugend wirksam zu sein.
Stoffwechselerkrankungen: Erkrankungen von Leber, Niere und Schilddrüse können ebenfalls Polyneuropathien verursachen.
Vitaminmangel: Insbesondere ein Mangel an Vitamin B12 kann Nervenschäden verursachen.
Seltenere Ursachen
Genetische Defekte: Erbliche Faktoren können eine Rolle spielen.
Entzündungen und Autoimmunerkrankungen: Autoimmun-entzündliche Polyneuropathien erfordern eine spezielle Behandlung des Immunsystems.
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Infektionen: HIV, Borreliose, Diphtherie und das Pfeiffersche Drüsenfieber können mit Polyneuropathie einhergehen.
Tumoren: In seltenen Fällen können Tumoren Polyneuropathien verursachen.
In etwa 20 Prozent der Fälle bleibt die Ursache ungeklärt.
Symptome von Polyneuropathie
Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen von den betroffenen Nervenfasern ab. Typischerweise beginnen die Symptome an den Füßen und können sich im Verlauf auf die oberen Extremitäten ausweiten.
Sensible Symptome
- Taubheitsgefühl: Ein Verlust der Empfindung in den betroffenen Bereichen.
- Mißempfindungen: Kribbeln, Stechen oder Brennen auf der Haut.
- Schmerzen: Diese können chronisch und quälend sein.
- Fehlerhaftes Temperaturempfinden: Die Fähigkeit, Wärme und Kälte richtig zu unterscheiden, kann beeinträchtigt sein.
- Gangunsicherheit: Aufgrund von Gefühlsstörungen in den Füßen.
Motorische Symptome
- Muskelschwäche: Nachlassende Muskelkraft in Händen und Füßen.
- Muskelzucken und -krämpfe: Unwillkürliche Muskelkontraktionen.
- Muskelschwund: Abnahme der Muskelmasse bei längerem Bestehen der Erkrankung.
- Lähmungen: In schweren Fällen kann es zu Lähmungserscheinungen kommen.
Autonome Symptome
- Herzrhythmusstörungen: Unregelmäßiger Herzschlag.
- Verdauungsprobleme: Blähungen, Appetitlosigkeit, Durchfall oder Verstopfung.
- Urin- und Stuhlinkontinenz: Verlust der Kontrolle über Blase und Darm.
- Impotenz: Erektionsstörungen bei Männern.
- Gestörtes Schwitzen: Vermehrtes oder vermindertes Schwitzen.
- Kreislaufprobleme: Schwindel beim Aufstehen (Orthostase).
- Schwellungen: Wassereinlagerungen in Füßen und Händen.
Spezielle Symptome bei diabetischer Polyneuropathie
Bei Diabetikern treten die Symptome oft zuerst am Fuß auf. Es beginnt meist mit Kribbeln oder Brennen. Im späteren Verlauf können schmerzlose und schlecht heilende Wunden entstehen, die zu einer Nekrose (Absterben von Gewebe) führen können (diabetischer Fuß).
Diagnose von Polyneuropathie
Die Diagnose von Polyneuropathie umfasst mehrere Schritte, um die Ursache und das Ausmaß der Nervenschädigung zu ermitteln:
- Anamnese: Eine ausführliche Erhebung der Krankheitsgeschichte des Patienten.
- Klinische Untersuchung: Eine gründliche neurologische Untersuchung zur Beurteilung der Sensibilität, Motorik und Reflexe.
- Elektrophysiologische Diagnostik:
- Elektroneurographie (NLG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um die Funktion der Nerven zu überprüfen.
- Elektromyographie (EMG): Untersuchung der Muskelaktivität, um den Zustand der Muskeln und Nerven zu beurteilen.
- Ableitung evozierter Potentiale: Messung der Reaktion des Gehirns auf sensorische Reize.
- Untersuchungen des autonomen Nervensystems:
- Sudorimetrie: Messung der Schweißproduktion zur Beurteilung der Funktion der Schweißdrüsen.
- Kipptischuntersuchungen: Überprüfung der Kreislaufregulation.
- Umfangreiche Labordiagnostik: Suche nach seltenen metabolischen oder autoimmunen Erkrankungen.
- Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): In bestimmten Fällen zur Abklärung von Entzündungen oder Infektionen.
- Nerven- und Muskelbiopsie: In seltenen Fällen zur Untersuchung von Nerven- und Muskelgewebe.
- Hautbiopsie: Nach standardisiertem Verfahren zur Untersuchung der kleinen Nervenfasern.
- MRT-Bildgebung: In Kooperation mit der Neuroradiologie, um Nervenstrukturen darzustellen.
- Nervenultraschall: Hochauflösender Ultraschall zur Beurteilung der peripheren Nerven.
Behandlung von Polyneuropathie
Die Behandlung von Polyneuropathie zielt darauf ab, die Ursache zu behandeln, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Behandlung der Ursache
- Diabetes mellitus: Optimale Einstellung des Blutzuckers.
- Alkoholmissbrauch: Absolute Alkoholabstinenz.
- Vitaminmangel: Substitution fehlender Vitamine.
- Autoimmunerkrankungen: Behandlung des Immunsystems mit Kortison oder Immunglobulinen (IVIG).
- Tumoren: Behandlung des zugrunde liegenden Tumors.
Symptomatische Behandlung
- Medikamentöse Therapie:
- Schmerzmittel: Spezielle Medikamente gegen Nervenschmerzen, wie Antidepressiva und Antiepileptika. Herkömmliche Schmerzmittel sind oft wenig wirksam.
- Medikamente gegen Begleiterscheinungen: Bei Magen- und Darmproblemen, Schwindel oder Impotenz.
- Physikalische Therapie:
- Elektrotherapie: TENS (Transkutane Elektrische Nervenstimulation), Reizstromtherapie und Iontophorese zur gesteigerten Erregbarkeit der Nerven.
- Bäder und Wärmeanwendungen: Zur Linderung von Muskelverspannungen und Schmerzen.
- Physiotherapie:
- Krankengymnastik: Übungen zur Verbesserung der Koordination, Stand- und Gangsicherheit.
- Medizinische Trainingstherapie: Spezielles Krafttraining zur Stärkung der Muskulatur.
- Ergotherapie:
- Mechanische Reize: Kontakt mit unterschiedlichen Materialien zur Verbesserung der Sensibilität.
- Hilfsmittel: Kennenlernen und Anpassung von Hilfsmitteln wie Bürsten, Igelbällen und Spezialgriffen für Schreibgeräte und Besteck.
- Fein- und Grobmotoriktraining: Verbesserung der Geschicklichkeit.
- Pflege:
- Hautpflege: Verbesserung der Hautelastizität und Regeneration.
- Schulung: Anleitung zur regelmäßigen Kontrolle auf Verletzungen und Druckstellen.
- Psychologische Betreuung: Bei Depressionen oder anderen psychischen Belastungen.
Rehabilitation
Eine neurologische Rehabilitation kann helfen, dieFunktionsfähigkeit und Lebensqualität von Patienten mit Polyneuropathie zu verbessern. Die Rehabilitation umfasst in der Regel ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften.
Ziele der Rehabilitation
- Wiederherstellung der Nervenfunktionen: Optimalerweise.
- Entwicklung alternativer Strategien: Für gestörte Nervenfunktionen.
- Anpassung von Hilfsmitteln: Gehhilfen, Rollstühle usw.
- Optimale Pflege der Haut: Und Behandlung chronischer Wunden.
Maßnahmen in der Rehabilitation
- Intensive Schulung: Zu Ursachen, Folgen und Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung.
- Individuelle Ernährungsberatung: Bei Diabetes oder anderen Stoffwechselerkrankungen.
- Kontrolle und Optimierung der medikamentösen Behandlung.
- Spezifische Therapien: Gegen Lähmungserscheinungen, Gang- und Gleichgewichtsstörungen.
- Logopädie: Bei Sprech- und Schluckstörungen.
Sozialmedizinische Aspekte
Es ist wichtig, die sozialmedizinischen Auswirkungen der Polyneuropathie zu berücksichtigen, insbesondere bei länger als 6 Monate bestehenden Funktionseinschränkungen. Der Sozialdienst kann Beratung anbieten über:
- Stufenweise Wiedereingliederung ins Berufsleben.
- Leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes.
- Beantragung von Qualifizierungsmaßnahmen oder Umschulungen.
Kliniken für Polyneuropathie Behandlung
Viele Kliniken in Deutschland bieten spezialisierte Behandlungen für Polyneuropathie an. Dazu gehören:
- Klinik für Neurologie am Alfried Krupp Krankenhaus: Schwerpunkt auf Diagnostik und Therapie von Polyneuropathien.
- Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS): Umfassende Diagnostik und Therapieansätze für nervenschädigende Erkrankungen.
- Schön Kliniken: Erfahrene Spezialisten zur Abklärung und Behandlung von Polyneuropathie.
- MEDIAN Kliniken: Neurologische Rehabilitationskliniken mit einem multimodalen Behandlungsansatz.
- Habichtswald Reha-Klinik: Onkologische Abteilung mit begleitenden Maßnahmen zur Abmilderung von Polyneuropathie bei Chemotherapie.
- MEDICLIN Bosenberg Kliniken: Ganzheitliches und interdisziplinäres Therapiekonzept in der neurologischen Rehabilitation.
Bei der Auswahl einer Klinik sollten Patienten auf die Bewertung der Klinik und die Anzahl der Behandlungsfälle achten.
Forschung und Studien
Universitätskliniken bieten oft die Möglichkeit zur Teilnahme an Studien an, um die Behandlung von Polyneuropathie weiter zu verbessern. Interessierte Patienten sollten ihren behandelnden Arzt oder ihre Ärztin kontaktieren.
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