Kognitive Stimulation bei Demenz: Ein umfassender Ansatz zur Förderung der Lebensqualität

Die Diagnose Demenz stellt Betroffene und ihre Angehörigen vor große Herausforderungen. Aktuelle Leitlinien empfehlen zur Stabilisierung der geistigen Fähigkeiten und zur Verbesserung der Kommunikation eine kognitive Stimulation. Diese umfasst Übungen, Spiele und Gesprächsrunden in Kleingruppen. Ziel ist es, den Erkrankten die Teilhabe am Alltag und am sozialen Leben zu ermöglichen und herausfordernde Verhaltensweisen zu mildern.

Bedeutung der kognitiven Stimulation

Kognitive Stimulation ist eine nicht-medikamentöse Behandlungsmethode, die darauf abzielt, die geistigen Fähigkeiten von Menschen mit Demenz zu erhalten und zu fördern. Sie umfasst verschiedene Aktivitäten, die das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit, die Sprache und andere kognitive Funktionen anregen. Ziel ist es, die Lebensqualität und Selbstständigkeit der Betroffenen so lange wie möglich zu erhalten. Die Plastizität des Gehirns, also die Fähigkeit dieses komplexen Organs, sich anzupassen und zu verändern, indem es neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen aufbaut bzw. bestehende Verbindungen verändert oder stärkt, ist auch bei Demenz-Patienten noch vorhanden!

Ziele der kognitiven Stimulation

  • Erhaltung und Verbesserung kognitiver Fähigkeiten
  • Förderung der Kommunikation und sozialen Interaktion
  • Steigerung der Lebensqualität und des Wohlbefindens
  • Milderung von Verhaltensauffälligkeiten
  • Ermöglichung der Teilhabe am Alltag und am sozialen Leben
  • Aktivierung von Sinneswahrnehmungen, Erinnerungen, Meinungen, Vorlieben und alltagspraktischen Fertigkeiten

Methoden der kognitiven Stimulation

Es gibt eine Vielzahl von Methoden, die im Rahmen der kognitiven Stimulation eingesetzt werden können. Die Auswahl der geeigneten Methoden sollte individuell auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Betroffenen abgestimmt werden.

  • Gedächtnistraining: Übungen zur Förderung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration, z.B. Rechenaufgaben, Wortspiele, Puzzles, Bilder erkennen, Zahlenreihen vervollständigen.
  • Biographiearbeit: Gezieltes Wecken von Erinnerungen und Erfahrungen durch Fotos, Geschichten, Musik oder Gerüche.
  • Sinnesaktivierung: Ansprechen der Sinne durch Klänge, Düfte, Geschmäcke, Berührungen oder Licht.
  • Bewegungstherapie: Körperliche Aktivität zur Verbesserung der körperlichen Verfassung und des Wohlbefindens.
  • Musik- und Tanztherapie: Einsatz von Musik und Tanz zur Förderung von Emotionen, Erinnerungen und sozialer Interaktion.
  • Ergotherapie: Stärkung der Alltagskompetenzen durch funktionelle, spielerische, handwerkliche und gestalterische Aktivitäten.
  • Tiergestützte Therapie: Einsatz von Tieren zur Förderung von Entspannung, sozialer Interaktion und emotionalem Wohlbefinden.
  • Realitätsorientierungstraining (ROT): Aktives Anbieten von Informationen zu Zeit und Ort, z.B. durch große Uhren und Kalender oder eine einfache Raumbeschilderung.

Beispiele für Übungen und Aktivitäten

  • Wortfindung trainieren: Menschen mit Demenz sind oftmals auf der Suche nach bestimmten Wörtern.
  • Erinnerungen wachrufen: Auch vertraute Bilder von früher oder Gegenstände des Alltags können Assoziationen wecken. Oder Sie spielen „Lieder erraten“.
  • Konzentration fördern: Puzzles oder Memory-Spiele, beides im größeren Format, fordern und fördern die Konzentrationsleistung.
  • Geräusche erkennen: Mit Alltagsgegenständen umsetzen. Ihr Spielpartner soll dabei erraten, welches Geräusch Sie machen. Das kann zum Beispiel das Rascheln von Laub, das Klingen von Glas, das Kratzen eines Kugelschreibers auf Papier oder das Zischen einer Wasserflasche sein.
  • Gegenstände erfühlen: Wenn er mag, schließt Ihr Spielpartner die Augen. Sie können beispielsweise Erinnerungen zur Natur wachrütteln, indem Sie Fundstücke aus dem Wald mitbringen, etwa Kiefernzapfen, Blätter, Steine, Holz und Moos. Oder aber Sie lassen zum Beispiel Steine und Holzstücke vergleichen. Was ist härter, was weicher?
  • Händegymnastik: Mit der rechten Hand werden nacheinander alle Finger der linken Hand einzeln von unten nach oben ausgestrichen und an der jeweiligen Fingerkuppe sanft nach oben gezogen. Begonnen wird am Daumen. Die Finger beider Hände spielen auf dem Tisch auf einem imaginären Klavier. Variation: Die Hände werden vom Tisch gehoben und die Finger spielen in der Luft Klavier.

Tipps für die Durchführung

  • Passen Sie die Schwierigkeit der Übungen an die geistigen Fähigkeiten der demenzerkrankten Person an.
  • Finden Sie heraus, welche Übungen und Rätsel der demenzerkrankten Person Spaß machen.
  • Aktivieren Sie das Wissen, das im Langzeitgedächtnis abgelegt ist. Vermeiden Sie aktuelle Bezüge zu Politik und Tagesgeschehen.
  • Schieben Sie, wenn möglich, lieber mehrere kleine Einheiten am Tag ein.
  • Kommunizieren Sie klar und deutlich. Seien Sie empathisch. Beobachten Sie die Reaktionen und Gefühle Ihres Gegenübers genau.
  • Nutzen Sie handfeste Hilfsmittel wie Buchstabenplättchen, Fundstücke aus dem Wald oder Gegenstände des Alltags für die Demenz-Trainingseinheiten.
  • Sorgen Sie für eine angenehme und entspannte Atmosphäre.
  • Vermeiden Sie Überforderung und Frustration.
  • Stärken Sie das Selbstwertgefühl des Betroffenen durch Erfolgserlebnisse.

24-Stunden-Ansatz: Kognitive Stimulation im Alltag integrieren

Viele Menschen mit Demenz in der stationären Langzeitversorgung erhalten bislang keine ausreichende kognitive Stimulation, vor allem weil diese recht aufwändig und zeitintensiv ist. Um dem entgegenzuwirken, wird vermehrt ein "24-Stunden-Ansatz" verfolgt, der die kognitive Stimulation in die täglichen Abläufe integriert.

CogStim24: Ein Schulungsprogramm für den Pflegealltag

Ein Forschungsteam der Medizinischen Fakultät und der Uniklinik Köln hat das Schulungsprogramm „24/7 Kognitive Stimulation für Menschen mit Demenz in Pflegeheimen (CogStim24)“ entwickelt. Dieses Programm vermittelt Pflege- und Betreuungspersonen, wie sie Menschen mit Demenz im Alltag geistig aktivieren können - nicht in Gruppenstunden zu festen Zeiten, sondern eingebettet in tägliche Pflegesituationen wie Waschen, Anziehen oder Essen.

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In einer 11-wöchigen Schulung lernen Pflege- und Betreuungspersonen Methoden aus den Bereichen kognitives Training, Biografiearbeit, Sinnesaktivierung, Musik und Bewegung kennen. Erste Machbarkeitsstudien zeigen, dass das Programm als alltagstauglich und bereichernd bewertet wird.

Vorteile des 24-Stunden-Ansatzes

  • Höhere Therapieintensität durch kontinuierliche Stimulation
  • Erreichbarkeit von mehr Menschen mit Demenz, auch von immobilen Personen
  • Integration in den Alltag, wodurch die Stimulation als weniger belastend empfunden wird
  • Möglichkeit, die Arbeitszufriedenheit von Pflege- und Betreuungspersonen zu steigern

Kognitive Stimulationstherapie (KST)

Die Kognitive Stimulationstherapie (KST) ist eine evidenzbasierte psychosoziale Behandlung, die in der aktuellen S3-Leitlinie „Demenzen“ für Patienten mit leichter bis mittelgradiger Demenz empfohlen wird. Sie besteht aus einem intensiven Basiskurs, der zweimal wöchentlich stattfindet, und einem daran anschließenden Aufbaukurs.

Ziele der KST

  • Verbesserung der kognitiven Funktionen
  • Förderung der sozialen Interaktion
  • Steigerung des Selbstwertgefühls
  • Verbesserung der Lebensqualität

Inhalte der KST

  • Gedächtnisübungen
  • Sprachspiele
  • Problemlösungsaufgaben
  • Diskussionen über aktuelle Ereignisse
  • Kreative Aktivitäten wie Malen oder Musizieren

Soziale Teilhabe: Ein wichtiger Faktor

Unterschätzt wurde auch lange, wie wichtig die sogenannte soziale Teilhabe ist. Der Mensch ist, fast immer jedenfalls, ein höchst soziales Wesen, das, zu lange einsam und allein, regelrecht verkümmert wie eine Pflanze ohne Licht und Wasser. Einsamkeit beeinträchtigt die Gehirnfunktionen wesentlich, und führt zudem oft zu Depressionen und Ängsten. Soziale Teilhabe bedeutet, dass Menschen die Möglichkeit haben, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich in Gemeinschaften einzubringen. Dazu gehört, soziale Kontakte zu pflegen, an gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen und Zugang zu Kultur und Freizeitangeboten zu haben. Soziale Teilhabe fördert das Gefühl der Zugehörigkeit und Wertschätzung und ist wichtig für das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit. Dies gilt ganz besonders bei älteren Menschen oder Menschen mit Demenz-Erkrankungen.

Maßnahmen zur Förderung der sozialen Teilhabe

  • Förderung von sozialen Kontakten und Beziehungen
  • Teilnahme an Gruppenaktivitäten und Veranstaltungen
  • Unterstützung bei der Ausübung von Hobbys und Interessen
  • Ermöglichung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

Digitale Angebote

Die Nachfrage nach digitalen kognitiven Trainings ist groß. Bei den angebotenen Programmen fehlt bisher jedoch die Evidenz für einen sicheren Nutzen und entsprechend werden solche Trainings in den S3 Leitlinien Demenzen nicht empfohlen.

Forschungsprojekte

Aktuell laufen verschiedene Forschungsprojekte, die sich mit der kognitiven Stimulation bei Demenz beschäftigen. Ein Beispiel ist das Projekt „Kognitive Stimulation in der stationären Langzeitpflege: Entwicklung und Pilotierung eines 24-Stunden Ansatzes im Rahmen einer Mixed-Methods-Studie“ an der Uniklinik Köln. Ziel dieses Projekts ist es, einen 24-Stunden-Ansatz für eine fortlaufende kognitive Stimulation in den täglichen Kontakten und Abläufen zwischen Menschen mit Demenz und Pflegenden zu entwickeln.

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Ein weiteres Projekt ist CogStim24, welches von der Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI) gefördert wird. Im Fokus stehen zwei Fragen: Verbessert die alltagsintegrierte kognitive Aktivierung die Lebensqualität und geistige Leistungsfähigkeit von Menschen mit Demenz? Steigert das Programm zugleich die Arbeitszufriedenheit von Pflege- und Betreuungspersonen?

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