Für viele Menschen mit Alzheimer oder anderen Demenzformen bedeutet die Diagnose oft, passiv auf Medikamente oder innovative Therapien zu warten. Antipsychotika und Benzodiazepine werden häufig verschrieben, um Patienten ruhigzustellen, obwohl der „Demenz-Report 2020“ diese Praxis als langfristig nicht akzeptable Strategie kritisiert. Es gibt jedoch andere, weniger genutzte Lösungen.
Die Plastizität des Gehirns und soziale Teilhabe
Es ist bekannt, dass geistig aktive Menschen ihre Gehirnleistung verbessern können, selbst bei neurodegenerativen Erkrankungen. Die Plastizität des Gehirns, seine Fähigkeit, sich anzupassen und zu verändern, bleibt auch bei Demenzpatienten erhalten. Soziale Teilhabe spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das bei Einsamkeit regelrecht verkümmert. Einsamkeit beeinträchtigt die Gehirnfunktionen und kann zu Depressionen und Ängsten führen. Soziale Teilhabe ermöglicht es Menschen, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen und sich in Gemeinschaften einzubringen. Dies fördert das Gefühl der Zugehörigkeit und Wertschätzung, was besonders für ältere Menschen und Demenzkranke wichtig ist.
Meta-Studie bestätigt die Wirksamkeit kognitiver Stimulation
Eine aktuelle Meta-Studie aus Italien unterstreicht die Möglichkeiten, die kognitive Stimulation und Training bieten. Eine Meta-Studie fasst und analysiert die Ergebnisse mehrerer Studien zu einem Thema, um eine umfassendere Aussage zu gewinnen. Die Ergebnisse zeigen, dass kognitive Stimulation und Training die geistigen Funktionen von Demenzpatienten deutlich verbessern können.
Was ist kognitive Stimulation?
Kognitive Stimulation umfasst verschiedene Aktivitäten zur Unterstützung der Gehirnfunktion, wie Gedächtnisübungen, Sprachspiele oder Problemlösungsaufgaben in Gruppen. Kognitives Training ist spezifischer und beinhaltet gezielte Übungen zur Förderung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit oder Exekutivfunktionen. Diese Maßnahmen stärken neuronale Verbindungen und nutzen die Plastizität des Gehirns, um kognitive Funktionen zu erhalten. Das Einzeltraining bietet den Vorteil, dass es auf die individuellen Fähigkeiten und Herausforderungen des Patienten zugeschnitten werden kann.
Die Bedeutung sozialer Teilhabe
Soziale Kontakte und Interaktionen fördern die geistige Gesundheit, emotionale Stabilität und Lebensfreude. Studien zeigen, dass Einsamkeit und Isolation den Abbau kognitiver Fähigkeiten beschleunigen können. Kognitive Stimulation und soziale Teilhabe sollten Hand in Hand gehen, um die kognitive Reserve des Gehirns zu erhalten.
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Empfehlungen für die Praxis
Hausärzte sind oft die erste Anlaufstelle für Menschen mit Demenz. Dr. Arnim Quante betont, wie wichtig es ist, dass Hausärzte kognitive Stimulation und soziale Teilhabe in ihre Empfehlungen einbinden. Viele Patienten und Angehörige wissen jedoch nicht, wo sie diese Unterstützung finden können. Dr. Quante rät zu Ergotherapie und ermutigt Patienten, mit Therapeuten über kognitive Stimulation zu sprechen. Einfache, zuhause umsetzbare Maßnahmen wie Lesen, Rätsel lösen oder ein Instrument spielen können ebenfalls viel bewirken.
Kognitive Stimulationstherapie (CST)
Die Kognitive Stimulationstherapie (CST) ist eine evidenzbasierte, nicht-medikamentöse Behandlung für Menschen mit leichter bis mittelschwerer Demenz. Sie wurde in Großbritannien entwickelt und besteht aus strukturierten Gruppensitzungen, die Menschen mit Demenz in geistig stimulierende Aktivitäten einbinden. Typischerweise umfasst sie 14 Sitzungen über sieben Wochen, wobei jede Sitzung ein anderes Thema behandelt. Die Wirksamkeit von CST hat dazu geführt, dass sie vom National Institute for Health and Care Excellence (NICE) in Großbritannien empfohlen wird.
Weitere nicht-medikamentöse Therapieansätze
Neben der CST gibt es weitere nicht-medikamentöse Therapien, die bei der Behandlung von Demenz eingesetzt werden können:
- Gedächtnistraining: Aktivitäten zur Förderung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Kommunikation, wie Rechenaufgaben, Wortspiele, Puzzles oder das Erkennen von Bildern. Ziel ist die Erhaltung von kognitiven Fähigkeiten, Kommunikation und Lebensqualität.
- Bewegungstherapie: Bewegungsangebote zuhause oder in der Physiotherapie, wie Spaziergänge, Gehübungen, Gymnastik oder Kräftigungs- und Konditionstraining. Dies dient der Erhaltung von Lebensqualität und Selbstständigkeit sowie der Vermeidung von Apathie und Depressionen.
- Biographiearbeit: Gezieltes Wecken von Erinnerungen und Erfahrungen durch Fotos, Geschichten, Musik oder Gerüche. Dies dient der geistigen Anregung und der Verbesserung der Stimmung.
- Ergotherapie: Stärkung und Erhaltung der Alltagskompetenzen durch funktionelle, spielerische, handwerkliche und gestalterische Aktivitäten.
- Musik- und Tanztherapie: Wecken positiver Erinnerungen und Gefühle durch Musik oder Tanz, besonders in der Gruppe.
- Mal- und Kunsttherapie: Verbesserung des Wohlbefindens durch kreative Aktivitäten.
- Snoezelen: Anregung der Sinne durch bekannte Klänge, Düfte und Geschmäcke.
- Lichttherapie: Verbesserung der Schlafqualität.
- Tiergestützte Therapie: Beruhigende Wirkung durch die Anwesenheit von Tieren.
- Realitätsorientierungstraining: Aktives Anbieten von Informationen zu Zeit und Ort durch große Uhren, Kalender oder Raumbeschilderung.
- Verhaltenstherapie: Psychotherapeutisches Verfahren zur Bewältigung von Depressionen.
Sport und soziale Kontakte
Sport hat nachgewiesene positive Effekte auf die Leistungsfähigkeit, Fitness und Stimmung von Demenzkranken. Bewegung baut Ängste ab, mildert Aggressionen und fördert das Ein- und Durchschlafen. Aktivitäten, die das Gehirn anregen, wie Brettspiele, Puzzles, Handarbeiten oder Basteln, wirken sich ebenfalls positiv auf den Verlauf von Demenzerkrankungen aus. Ein gutes Miteinander und soziale Kontakte machen nicht nur zufriedener, sondern halten auch den Kopf fit.
Künstliche Intelligenz in der Demenzbehandlung
Die Kombination von klassischen Therapieverfahren und Künstlicher Intelligenz (KI) eröffnet vielversprechende Perspektiven für die Behandlung von kognitiven Beeinträchtigungen und Hörstörungen. KI-Algorithmen können große Datenmengen analysieren und individuelle kognitive Profile sowie Hörprofile erstellen. Basierend auf diesen Profilen kann die Therapie maßgeschneidert und kontinuierlich an die Bedürfnisse und Fortschritte der Patient*innen angepasst werden. Reinforcement Learning wird eingesetzt, um den Level der Therapie entsprechend anzupassen. Die Integration digitaler Technologien und KI ermöglicht zudem eine bessere Überwachung des Fortschritts und der Wirksamkeit der Behandlung.
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Zukunftsperspektiven
Eine internationale Studie hat gezeigt, dass KI sehr zuverlässig vorhersagen kann, wer innerhalb von drei Jahren eine Demenz entwickelt. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Früherkennung und Prävention.
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