Eine komplette Lähmung, in der Fachsprache als Plegie bezeichnet, ist der vollständige Verlust der willkürlichen Muskelkraft in einem oder mehreren Körperteilen. Dieser Zustand ist nicht als eigenständige Krankheit zu verstehen, sondern vielmehr als Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung oder Verletzung. Die Ursachen für eine Plegie können vielfältig sein und reichen von neurologischen Erkrankungen über Verletzungen bis hin zu Infektionen. Die Auswirkungen auf den Alltag der Betroffenen sind oft erheblich und erfordern eine umfassende Betreuung und Therapie.
Ursachen und Entstehung von Lähmungen
Grundsätzlich entstehen komplette Lähmungen aufgrund von Nervenläsionen im zentralen Nervensystem (ZNS). Die Ursache für die Lähmung liegt in einer Schädigung des Nervensystems, wodurch die Nervenimpulse, die normalerweise die Muskeln aktivieren, gestört oder unterbrochen werden. Im Normalfall gibt das Gehirn den Impuls für eine Bewegung, welcher dann über das Rückenmark weitergeleitet wird. Über die peripheren Nerven erreicht dieser Impuls schlussendlich den Muskel. Wird dieser Kommunikationsfluss von Hirn zu Muskel jedoch an irgendeiner Stelle unterbrochen, kann die Bewegung nicht ausgeführt werden und man spricht von einer Lähmung.
Eine solche Schädigung kann verschiedene Ursachen haben:
- Schlaganfall: Eine häufige Ursache für Halbseitenlähmungen (Hemiplegie oder Hemiparese) ist ein Schlaganfall, bei dem es zu einer Durchblutungsstörung im Gehirn kommt.
- Schädel-Hirn-Verletzungen: Unfälle können zu Schädel-Hirn-Verletzungen führen, die das Gehirn schädigen und Lähmungen verursachen.
- Entzündungen: Bakterielle oder virale Gehirnentzündungen können ebenfalls Lähmungen auslösen.
- Tumoren: Tumoren im Gehirn oder Rückenmark können auf Nervenbahnen drücken und Lähmungen verursachen.
- Genetische Erkrankungen: In seltenen Fällen können genetische Erkrankungen angeboren sein oder durch Verletzungen bei der Geburt entstehen und zu Lähmungen führen.
- Rückenmarksverletzungen: Verletzungen des Rückenmarks, beispielsweise durch Unfälle, können zu Querschnittlähmungen führen, die sich als Paraplegie (Lähmung der unteren Extremitäten) oder Tetraplegie (Lähmung aller vier Gliedmaßen) äußern können.
- Neurologische Erkrankungen: Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS), Epilepsie oder Motoneuronerkrankungen können ebenfalls mit Lähmungserscheinungen einhergehen.
- Bandscheibenvorfall: Ein Bandscheibenvorfall kann auf Rückenmarksnerven drücken und so Lähmungserscheinungen verursachen.
- Spinalkanalstenose: Bei einer Spinalkanalstenose kann es durch den Druck auf Nerven und Rückenmark je nach Lokalisation zu Lähmungserscheinungen in Armen und Beinen kommen.
Formen der Lähmung
Je nachdem, welche Körperregionen betroffen sind und wie stark die Lähmung ausgeprägt ist, werden verschiedene Formen der Lähmung unterschieden:
- Hemiplegie: Halbseitenlähmung, die eine Körperhälfte betrifft. Sie ist meist die Folge eines Schlaganfalls oder einer Hirnverletzung. Eine Schädigung der rechten Gehirnhälfte oder des rechten Stammhirns führt zu einer Lähmung der linken Körperhälfte. Ist die linke Gehirnhälfte oder das linke Stammhirn geschädigt, tritt die halbseitige Lähmung rechts auf.
- Paraplegie: Lähmung der unteren Extremitäten und oft auch Teile des Rumpfes. Sie entsteht durch eine Schädigung des Rückenmarks im Bereich der Brust- oder Lendenwirbelsäule.
- Tetraplegie (Quadriplegie): Lähmung aller vier Gliedmaßen sowie des Rumpfes. Sie wird durch eine Schädigung des Rückenmarks im Bereich der Halswirbelsäule verursacht.
- Monoplegie: Lähmung eines einzelnen Arms oder Beins.
- Diplegie: Lähmung entweder beider Arme oder beider Beine, die vor allem bei Kindern mit Zerebralparese vorkommt.
Neben der Unterscheidung nach betroffenen Körperregionen wird auch nach dem Grad der Lähmung differenziert:
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- Plegie: Vollständige Lähmung eines oder mehrerer Muskeln.
- Parese: Unvollständige Lähmung, bei der die Muskelkraft eingeschränkt, aber nicht vollständig aufgehoben ist.
Eine weitere Unterscheidung erfolgt anhand des Entstehungsortes der Nervenschädigung:
- Zentrale Lähmung: Ursprung im zentralen Nervensystem (Gehirn oder Rückenmark). Betrifft immer Muskelgruppen, die Muskulatur ist dauerhaft angespannt und es kommt zu gesteigerten Muskelreflexen.
- Periphere Lähmung: Ursprung in Schädigungen des peripheren Nervensystems. Die Impulsübertragung an die Muskulatur ist geschwächt oder unterbrochen, die Muskelspannung ist kaum oder gar nicht vorhanden.
Symptome einer Lähmung
Die Symptome einer Lähmung variieren je nach Art, Ursache und Schweregrad der Nervenschädigung. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Verlust der Muskelkraft: Unfähigkeit, bestimmte Muskelgruppen zu bewegen.
- Spastik: Muskelkrämpfe oder eine gesteigerte Muskelspannung.
- Eingeschränkte oder fehlende Sensibilität: Störung oder Verlust der Wahrnehmung von Reizen wie Temperatur, Schmerz oder Berührung.
- Koordinationsstörungen: Schwierigkeiten bei der Ausführung von Bewegungen.
- Gleichgewichtsstörungen: Unsicherheit beim Stehen und Gehen.
- Sprachstörungen: Schwierigkeiten beim Sprechen oder Verstehen von Sprache, insbesondere bei Lähmungen der Gesichtsmuskulatur.
- Funktionsstörungen innerer Organe: In schweren Fällen, insbesondere bei Tetraplegie, können Funktionsstörungen der Blase, des Darms oder der Sexualorgane auftreten.
- Unwillkürliche Regulation der Körpertemperatur, des Blutdrucks oder der Herzfrequenz: Diese Symptome können auftreten, wenn das autonome Nervensystem durch die Lähmung beeinträchtigt ist.
- Schmerzen: In einigen Fällen können Nervenschädigungen oder sekundäre Probleme wie Druckgeschwüre auftreten.
- Psychische Belastung: Der Kontrollverlust über den eigenen Körper kann zu erheblichen psychischen Problemen führen.
Diagnose von Lähmungen
Eine frühzeitige und genaue Diagnose ist entscheidend für die weitere Behandlung und Rehabilitation von Lähmungen. Die Diagnose umfasst in der Regel folgende Schritte:
- Anamnese: Ausführliches Gespräch über die Krankengeschichte und die aktuellen Symptome.
- Neurologische Untersuchung: Prüfung von Kraft, Reflexen, Muskelspannung, Koordination und Sensibilität.
- Bildgebende Verfahren: Röntgen, Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomografie (CT) zur Darstellung von strukturellen Problemen im Gehirn oder Rückenmark. Die Magnetresonanztomografie/Kernspintomografie (MRT) dient der Darstellung von Struktur und krankhaften Veränderungen im Hirngewebe und im Schädelbereich. Mit der Funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) kann die Durchblutung und Stoffwechselaktivität in bestimmten Gehirnregionen während einer Aufgabe dargestellt werden. Die Computertomografie (CT) ermöglicht die Darstellung der normalen Struktur und krankhafter Veränderungen oder Verletzungen im Schädelbereich.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Elektromyographie (EMG) zur Messung der elektrischen Aktivität der Muskeln und Elektronenzephalografie (EEG) zur Darstellung der elektrischen Hirnaktivität.
- Laboruntersuchungen: Blutbild und Untersuchung des Nervenwassers (Lumbalpunktion) zur Feststellung von Entzündungen oder anderen Erkrankungen.
Therapie von Lähmungen
Die Therapie von Lähmungen zielt darauf ab, die Ursache der Lähmung zu behandeln, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die Therapie hängt von der Ursache, Art und Ausprägung der Lähmung ab und kann folgende Maßnahmen umfassen:
- Medikamentöse Behandlung: Je nach Ursache der Lähmung können Medikamente eingesetzt werden, beispielsweise entzündungshemmende Mittel, Muskelrelaxantien oder Schmerzmittel.
- Physiotherapie: Verbesserung der Muskelfunktion, Reduzierung von Spastiken und Erhöhung der Mobilität. Es werden funktionelle Trainings durchgeführt, um den normalen Bewegungsablauf zu fördern. Des Weiteren wird der Umgang mit verschiedenen Hilfsmitteln geübt. Das zu erreichende Ziel ist immer, die Selbstständigkeit der Betroffenen zu fördern und zu unterstützen.
- Ergotherapie: Förderung der Selbstständigkeit im Alltag durchTraining vonAlltagsaktivitäten undAnpassung derUmgebung.
- Logopädie: Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen, insbesondere bei Lähmungen der Gesichtsmuskulatur.
- Psychotherapie: Unterstützung bei der Bewältigung der psychischen Belastung durch die Lähmung.
- Hilfsmittelversorgung: Anpassung von Hilfsmitteln wie Rollstühlen, Orthesen oderGehhilfen zur Unterstützung derMobilität undSelbstständigkeit. Menschen mit einer Plegie sind meist auf Hilfsmittel wie Rollstühle angewiesen.
- Operationen: In einigen Fällen, beispielsweise bei Bandscheibenvorfällen oder Tumoren, kann eine Operation erforderlich sein, um die Ursache der Lähmung zu beheben.
- Rehabilitation: Umfassende Rehabilitation in spezialisierten Zentren, die neben medizinisch-therapeutischen Maßnahmen auch psychologische und soziale Aspekte umfasst.
Leben mit Lähmung
Eine Lähmung kann das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen erheblich verändern. Es ist wichtig, sich frühzeitig mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen und Unterstützung zu suchen. Folgende Aspekte sind dabei von Bedeutung:
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- Barrierefreiheit: Anpassung derWohnung und desUmfelds an dieBedürfnisse vonMenschen mitLähmungen, um eine möglichst selbstständige Lebensführung zu ermöglichen. Dazu gibt es eine Bandbreite an Möglichkeiten. Werden Treppen zur echten Herausforderung in Ihrem Alltag, kann ein Treppenliftsystem für Sie in Frage kommen.
- Pflege: Je nach Ausmaß der Lähmung kann eine umfassende Pflege und Betreuung erforderlich sein. Bei medizinischer Notwendigkeit stellt Ihnen Ihr Arzt ein Rezept für das geeignete Hilfsmittel aus.
- Soziale Unterstützung: Kontakt zu Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und Unterstützung zu erhalten. Unbürokratische Unterstützung bieten in dieser schwierigen Situation Interessensgemeinschaften und Verbände wie zum Beispiel die Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e.V., die sich für die Bedürfnisse gelähmter Menschen stark machen.
- Psychische Gesundheit: Es ist wichtig, auf die eigene psychische Gesundheit zu achten und bei Bedarf professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
- Rechtliche und finanzielle Aspekte:Informationen überRechte undAnsprüche, beispielsweise auf einenSchwerbehindertenausweis oderPflegeleistungen.
Spezialfall Tetraplegie
Die Tetraplegie, auch Quadriplegie oder Tetraparalyse genannt, stellt eine besonders schwere Form der Lähmung dar, bei der alle vier Gliedmaßen betroffen sind. Sie wird durch eine Schädigung des Rückenmarks im Bereich der Halswirbelsäule verursacht.
Ursachen:
- Unfälle (häufigste Ursache)
- Tumoren
- Entzündungen
- Erb- oder Infektionskrankheiten
- Idiopathisch (ohne fassbare Ursache)
Symptome:
- Lähmung aller vier Gliedmaßen
- Verlust der Sensibilität für Schmerz, Druck oder Temperatur
- Funktionsstörungen innerer Organe (Blase, Darm, Sexualorgane)
- Atemprobleme (bei Schädigung des Rückenmarks oberhalb des vierten Halswirbels)
- Unwillkürliche Regulation der Körpertemperatur, des Blutdrucks oder der Herzfrequenz
Besondere Herausforderungen bei Tetraplegie:
- Umfassende Pflege und Betreuung erforderlich
- Hoher Bedarf an Hilfsmitteln
- EingeschränkteLebensqualität
- Hohepsychische Belastung
Therapie bei Tetraplegie:
- Chirurgische Verfahren
- Neurologische Untersuchungen
- Physiotherapeutische Behandlungen
- Ergotherapie
- Logopädie
- Psychotherapie
- Umfassende Rehabilitation in spezialisierten Behandlungszentren
Da tetraplegischen Klient*innen anspruchsvoller Pflege und Therapie bedürfen, erfolgt die Behandlung einer Tetraplegie meist in besonderen Behandlungszentren, die speziell auf Rückenmarkverletzungen ausgerichtet sind. Während der Behandlung und Therapie liegen die Schwerpunkte darauf, die Beweglichkeit der Gelenke bestmöglich zu erhalten, Gelenkversteifungen zu verhindern und die Sensibilität zu verbessern.
Forschung und Ausblick
Die medizinische Forschung arbeitet kontinuierlich an neuen Therapien zur Behandlung von Lähmungen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Regeneration von Nervengewebe und der Wiederherstellung von Nervenverbindungen. Auch die Entwicklung neuer Hilfsmittel und Technologien, wie beispielsweise Exoskelette oderBrain-Computer-Interfaces, eröffnet neue Perspektiven für Menschen mit Lähmungen.
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