Neurologische Untersuchung: Ablauf, Methoden und Bedeutung

Die neurologische Untersuchung ist ein zentraler Bestandteil der Diagnostik von Erkrankungen des Nervensystems. Sie dient dazu, Funktionsstörungen und Ausfälle zu erkennen und eine Verdachtsdiagnose zu stellen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über den Ablauf, die verschiedenen Methoden und die Bedeutung neurologischer Untersuchungen.

Einleitung

Die Neurologie befasst sich mit Erkrankungen des Nervensystems, einschließlich des Gehirns, des Rückenmarks, der peripheren Nerven und der Muskeln. Neurologische Erkrankungen können sich vielfältig äußern, beispielsweise durch Lähmungserscheinungen, Schwindel, Sprachprobleme, Muskelschwäche, Empfindungsstörungen oder Verwirrtheit. Um diese Erkrankungen zu diagnostizieren, ist eine sorgfältige neurologische Untersuchung unerlässlich.

Ablauf einer neurologischen Untersuchung

Eine neurologische Untersuchung folgt einem klaren Ablauf, der in der Regel die folgenden Schritte umfasst:

1. Anamnese (ärztliches Gespräch)

Am Anfang steht immer ein ausführliches Gespräch zwischen Arzt und Patient, die sogenannte Anamnese. Hierbei erfragt der Arzt die Krankheitsgeschichte des Patienten, einschließlich aktueller Beschwerden, Vorerkrankungen, Operationen und eingenommener Medikamente. Auch Informationen über seelische Störungen in der Familie können relevant sein. Die Anamnese liefert wichtige Hinweise für die weitere Diagnostik. Gegebenenfalls werden noch Angaben von Angehörigen eingeholt.

2. Inspektion (Betrachtung des Patienten)

Nach der Anamnese folgt die genaue Betrachtung des Patienten. Der Arzt achtet auf äußere Anzeichen einer Erkrankung, wie z.B. gestörtes Gangbild, Haltung, Gleichgewichtsstörungen oder Bewegungseinschränkungen.

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3. Allgemeine internistische Untersuchung

Es folgt eine kurze körperliche Untersuchung, bei der der Arzt Lunge und Herz abhört und den Puls misst.

4. Untersuchung der Hirnnerven

Der Mensch besitzt zwölf Hirnnerven, die wichtige Funktionen wie Sehen, Riechen, Schmecken, Hören, Augenbewegungen, Gesichtsmimik, Schlucken und Sprechen steuern. Der Arzt überprüft die Funktion jedes einzelnen Hirnnervs mit spezifischen Tests.

  • Nervus olfactorius (I): Überprüfung des Geruchssinns mit verschiedenen Aromastoffen (z.B. Kaffee, Bittermandel). Hierfür wird ein Alkoholtupfer verwendet.
  • Nervus opticus (II): Untersuchung der Sehschärfe mit einer Sehtafel. Untersuchung des Gesichtsfelds, wobei der Patient ein Auge bedeckt und auf die Nase des Untersuchers blickt. Der Untersucher bewegt dann seine Finger im oberen oder unteren Gesichtsfeld.
  • Nervus oculomotorius (III), Nervus trochlearis (IV) und Nervus abducens (VI): Untersuchung der äußeren Augenmuskeln (Blickfolgeversuch). Der Patient wird gebeten, den Kopf ruhig zu halten und dem Finger des Untersuchers nur mit den Augen zu folgen.
  • Nervus trigeminus (V): Untersuchung der Sensibilität des Gesichts. Es ist wichtig, die Empfindung bei leichter Berührung für jeden Ast des Hirnnervs V zu testen, einschließlich der Stirn (V1), der Oberkieferregion (V2) und der Unterkieferregion (V3).
  • Nervus facialis (VII): Untersuchung der mimischen Muskulatur. Der Patient wird aufgefordert, seine Wangen aufzublasen, um die Stärke der Gesichtsmuskeln zu demonstrieren. Andere Aufgaben können sein: Augenbrauen hochziehen, Augen fest zusammenkneifen, lächeln.
  • Nervus vestibulocochlearis (VIII): Untersuchung des Hörens. Beim Weber-Test wird dem Patienten eine vibrierende Stimmgabel auf die Stirn (Mittellinie) gesetzt. Eine Schallleitungsstörung würde dazu führen, dass der Patient ein lauteres Geräusch auf der betroffenen Seite wahrnimmt. Bei Schallempfindungsstörungen wäre der Ton auf der betroffenen Seite leiser. Dix-Hallpike-Manöver: Anwendung sowohl diagnostisch als auch therapeutisch beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS).
  • Nervus glossopharyngeus (IX) und Nervus vagus (X): Untersuchung des weichen Gaumens und der Uvula. Es ist wichtig, die Symmetrie des weichen Gaumens zu beurteilen. Die Uvula sollte in der Mittellinie liegen. Heiserkeit oder ein gestörter Hustenreflex weisen auf eine Schädigung des N. vagus hin.
  • Nervus accessorius (XI): Untersuchung der Funktion des M. sternocleidomastoideus. Lassen Sie die Person für diesen Test den Kopf gegen Widerstand drehen.
  • Nervus hypoglossus (XII): Untersuchung der Zungenbewegung. Lassen Sie die Testperson für diesen Test die Zunge herausstrecken und bewegen Sie sie von einer Seite zur anderen. Alternativ: Bitten Sie den Patienten, mit der Zunge von innen gegen die rechte bzw. linke Wange zu drücken und Beurteilen Sie durch Gegendrücken die Kraft. Bei Läsionen des N. XII weicht die Zunge zur erkrankten Seite hin ab.

5. Prüfung der Reflexe

Reflexe sind unwillkürlich ablaufende Reaktionen des Nervensystems auf einen Reiz. Der Arzt löst mit einem Reflexhammer Muskeleigenreflexe (z.B. Achillessehnenreflex, Patellarsehnenreflex) aus und achtet auf die reflexartige Kontraktion des Muskels. Auch Fremdreflexe (z.B. Bauchhautreflexe) werden geprüft. Die Ablenkung der Versuchsperson mit dem Jendrassik-Manöver kann zu zuverlässigeren Reflextests führen.

  • Überprüfung des Babinski (Streck-/Plantar-)-Reflexes: Die Fußsohle wird in Form eines „Hockeyschlägers“ ausgehend von der Ferse kräftig bestrichen. Bei einer normalen (negativen) Reaktion erfolgt eine Plantarflexion. Ein auffälliger (positiver) Babinski-Reflex ist ein Zeichen für eine Läsion des ersten Motoneurons. Dabei dorsalflektiert die große Zehe, während die anderen Zehen sich spreizen.

6. Testung der Muskelkraft und der Bewegungsabläufe

Der Arzt beurteilt den gesamten Bewegungsapparat (Wirbelsäule, Gelenke, Gliedmaßen) und die Muskulatur. Zunächst prüft er passiv die Beweglichkeit der Gliedmaßen. Durch Halteversuche (Arm- oder Beinhalteversuch), z.T. mit geschlossenen Augen, kann der Neurologe wichtige Informationen auf latente Lähmungen gewinnen. Auch das Prüfen der Feinbeweglichkeit ist aufschlussreich. Mit Hilfe dieser Untersuchung kann sich der Arzt ein gutes Bild vom Zusammenspiel mehrerer Muskeln machen. Dazu bedient er sich u.a. Zielversuche, bei denen der Patient z.B. im großen Bogen den Zeigefinger zur Nase führen muss (Finger-Nase-Versuch). Es wird beobachtet, wie der Patient stehen und gehen kann, auch mit geschlossenen Augen, wie er rasche Bewegungsabläufe meistert.

  • Untersuchung der Kraft von M. deltoideus und M.
  • Untersuchung der Kraft der interossären Handmuskulatur (C8-Th1): Bei dieser Untersuchung drückt der Patient die Finger des Untersuchers gegen Widerstand zusammen.
  • Untersuchung der Kraft der Extension im Kniegelenk.
  • Überprüfung der Kraft der Dorsalflexion des Fußes (L4).
  • Überprüfung der Kraft der Plantarflexion (L5-S1).

7. Sensibilitätsprüfung

Bei dieser Untersuchung erhält der Arzt Aufschluss über Schmerz- und Temperaturempfinden sowie über Druck- und Berührungswahrnehmung. Durch Reizung der Haut sucht der Arzt nach Störungen der Oberflächensensibilität, durch Bestreichen der Haut mit einem Stück Zellstoff oder Watte nach Störungen der Berührungsempfindung, durch spitze Gegenstände nach dem Schmerzempfinden. Das Anhalten einer kräftig angeschlagenen Stimmgabel an verschiedenen Knochenvorsprüngen dient dem Überprüfen der Tiefensensibilität.

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  • Objekte mit unterschiedlicher Temperatur verwenden, um die Temperaturwahrnehmung zu testen (z. B.
  • Überprüfung des Berührungsempfindens mithilfe eines Monofilament. Dies ist ein nützliches Instrument zum Screening der diabetischen Polyneuropathie. Hier überprüft der Untersucher das Berührungsempfinden der Fußsohlen.
  • Das Vibrationsempfinden wird oft mithilfe einer 120-Hz-Stimmgabel überprüft. Hier wird das Vibrationsempfinden der distalen unteren Extremität getestet.
  • Die Tiefensensibilität (Propriozeption) wird überprüft, indem der Patient mit geschlossenen Augen Bewegungen der Finger oder Zehen erkennen muss. Hier test der Untersucher die Propriozeption der distalen oberen Extremität.
  • Die Stereognosie (taktile Identifikation eines bekannten Objekts) wird überprüft, indem der Patient ein bekanntest Objekt mittels Ertasten identifizieren muss. Hier verwendet der Untersucher zur Überprüfung der Stereognosie einen Schlüssel.
  • Überprüfung der Graphästhesie (Fähigkeit, auf die Hautgezeichnete Symbole zu erkennen) wird folgendermaßen durchgeführt: Der Patient schließt die Augen, der Untersucher zeichnet eine Figur auf die Haut und der Patient muss diese erraten. In diesem Fall testet der Untersucher die Graphästhesie, indem er einen imaginären Buchstaben auf die Handfläche der Person zeichnet.
  • Die taktile Auslöschung (Unfähigkeit, Reize gleichzeitig wahrzunehmen) wird getestet, indem der Patient bei geschlossenen Augen zunächst einen Reiz getrennt auf beiden Seiten und danach zeitgleich auf beiden Seiten erkennen muss. Hier überprüft der Untersucher die taktile Auslöschung mittels eines Berührungsreizes an den Armen.

8. Untersuchung der vegetativen Funktionen

Das vegetative Nervensystem ist an der Steuerung von Körperfunktionen beteiligt, auf die der Mensch normalerweise keinen Einfluss hat (z.B. Atmung, Herzschlag, Verdauung). Der Arzt achtet auf Auffälligkeiten in diesen Bereichen.

9. Feststellung des psychischen Befundes

Bei neurologischen Erkrankungen kann auch der psychische Zustand des Patienten beeinträchtigt sein. Der Arzt achtet auf eingeschränkte Merkfähigkeit, verminderte Konzentration, eine geänderte Bewusstseinslage oder eine veränderte Grundstimmung. In diesem Bereich gehören Sprach- und Rechentests sowie Fragen und Tests zur Merkfähigkeit und zur Orientierung, etwa nach der Jahreszeit, nach dem Datum, dem Beruf oder dem aktuellen Ort.

10. Untersuchung des Kleinhirns (Cerebellum)

Das Kleinhirn (Cerebellum) ist wesentlich an der Koordination von Bewegungen beteiligt.

  • Zur Überprüfung des Vorliegens einer Extremitätenataxie führt der Patient den Finger-Nase-Versuch durch.
  • Ein weiterer Test der Extremitätenataxie ist der Knie-Hacke-Versuch.
  • Die Diadochokinese wird getestet, indem der Patient schnelle alternierende Bewegungen durchführt (z. B. „Glühbirnen einschrauben“).
  • Der Romberg-Test kann sensible von zerebellären Ataxien unterscheiden. Eine Person mit sensibler Ataxie wird bei geschlossenen Augen mehr schwanken; eine Person mit einer zerebellären Ataxie schwankt zunächst mit geschlossenen Augen genauso viel wie mit offenen Augen, es sei denn, sie verliert ihr Gleichgewicht (z. B. durch leichtes Anstoßen des Untersuchers). Kleinhirnläsionen manifestieren sich nicht immer im Romberg-Test; es sei denn, eine Störung des Gleichgewichts wird von außen erreicht (z. B.
  • Der Test auf eine Gangataxie wird oft durchgeführt, indem man die Person einfach durch den Raum gehen lässt.

Apparative Zusatzuntersuchungen

Je nach Beschwerdebild kann der Neurologe zusätzliche apparative Untersuchungen veranlassen, um die Diagnose zu sichern. Dazu gehören unter anderem:

  • Elektroenzephalographie (EEG): Messung der Hirnströme zur Erkennung von Funktionsstörungen des Gehirns, z.B. bei Epilepsie. Bei Verdacht auf Epilepsie kann ein Schlaf-EEG nach Schlafentzug sinnvoll sein. Das EEG wird morgens nach einer durchwachten Nacht abgeleitet und der Patient sollte dabei einschlafen und wieder erweckt werden.
  • Elektromyographie (EMG): Messung der elektrischen Aktivität von Muskeln zur Untersuchung von Muskelerkrankungen und Nervenschädigungen. Bei dieser Untersuchung wird die elektrische Aktivität von Muskeln gemessen, indem eine dünne Nadel-Elektrode in einen Muskel injiziert wird. Wenn die Nadelelektrode im Muskel steckt, überträgt sie die elektrische Aktivität des Muskels über ein Kabel an das EMG-Gerät, das sie sichtbar auf einem Bildschirm und auch hörbar über einen Lautsprecher darstellt.
  • Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG): Bestimmung der Geschwindigkeit, mit der Nerven elektrische Impulse weiterleiten. Bei dieser Untersuchung wird die Geschwindigkeit der Nervenleitung bestimmt. Durch elektrische Reizung von Nerven in den Armen oder Beinen mit sehr niedrigen Stromstärken, wird im Nerven ein elektrisches Potential erzeugt, dessen Ausbreitung in der Zeit gemessen werden kann.
  • Evozierte Potentiale (EP): Messung der Hirnaktivität als Reaktion auf einen bestimmten Reiz (z.B. visuell, akustisch, sensibel). Als evoziertes (=hervorgerufenes) Potential wird eine Hirnstromaktivität bezeichnet, die durch einen Sinnesreiz ausgelöst wird. Diese elektrische Aktivität (Potential) ist dabei zeitlich an den Sinnesreiz gekoppelt.
  • Magnetstimulation: Stimulation von Nervenzellen im Gehirn mit Magnetimpulsen. Bei der Magnetstimulation wird über den Kopf des Patienten eine Magnetspule gehalten. Diese Spule gibt einen magnetischen Impuls ab, der die darunter liegenden motorischen Nervenzellen kurzzeitig stimuliert.
  • Ultraschalldiagnostik (Sonographie): Bildgebendes Verfahren zur Darstellung von Blutgefäßen und Nerven. Wir bieten die neue Methode der Ultraschalldiagnostik von Nerven an. Die Nervensonographie kann Nervenverletzungen, Nerventumoren oder Einklemmungen von Nerven sichtbar machen.
  • Lumbalpunktion: Entnahme von Nervenwasser aus dem Wirbelsäulenkanal zur Untersuchung auf Entzündungen oder andere Erkrankungen. Eine Lumbalpunktion ist die Entnahme von Nervenwasser aus dem Wirbelsäulenkanal in Höhe der Lendenwirbelsäule.
  • Doppler-Sonographie: Bei der Doppler-Sonographie (benannt nach dem österreichischen Physiker Christian Doppler) wird eine Sonde auf die Haut aufgesetzt, die die Blutkörperchen beschallt.
  • Duplex-Sonographie: Bei der Duplex-Sonographie lässt sich ein Blutgefäß mit seinem Hohlraum direkt darstellen.

Bedeutung der neurologischen Untersuchung

Die neurologische Untersuchung ist ein unverzichtbares Instrument zur Diagnose von Erkrankungen des Nervensystems. Sie ermöglicht es dem Arzt, Funktionsstörungen und Ausfälle zu erkennen, die Lokalisation der Schädigung einzugrenzen und eine Verdachtsdiagnose zu stellen. Auf dieser Grundlage können weitere Untersuchungen veranlasst und eine geeignete Behandlung eingeleitet werden. Mit - und nur mit - der neurologischen Untersuchung werden die Diagnosen gestellt und eine dem Kind, seiner Erkrankung, seiner Prognose und seiner Entwicklung entsprechende Medizin realisiert. Die neurologische Untersuchung ist die humane und kindgerechte Untersuchungsmethode schlechthin. Die neurologische Untersuchung ist Garant dafür, dass Humanmedizin für Kinder immer auch humane Medizin ist.

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Wann ist eine neurologische Untersuchung sinnvoll?

Eine neurologische Untersuchung ist ratsam bei Verdacht auf eine Erkrankung des Nervensystems, insbesondere bei folgenden Symptomen:

  • Lähmungserscheinungen
  • Schwindel
  • Sprachprobleme
  • Muskelschwäche
  • Empfindungsstörungen
  • Kopfschmerzen
  • Sehstörungen
  • Gedächtnisstörungen
  • Bewusstseinsstörungen
  • Krampfanfälle

Vorbereitung auf die Untersuchung

Eine spezielle Vorbereitung auf die neurologische Untersuchung ist in der Regel nicht erforderlich. Es ist jedoch hilfreich, dem Arzt im Vorfeld detailliert über die bestehenden Beschwerden, Vorerkrankungen und eingenommenen Medikamente zu informieren. Wenn der Patient nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, Fragen zu beantworten und aktiv bei den Tests mitzumachen, können nahestehende Menschen helfen.

Kosten der Untersuchung

Die Kosten für eine neurologische Untersuchung werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen, wenn eine medizinische Notwendigkeit besteht.

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