Körperliches Training bei Demenz: Studien und Erkenntnisse zur Prävention und Therapie

In Deutschland leben über 1,8 Millionen Menschen mit Demenz, wobei die Alzheimer-Krankheit die häufigste Form darstellt. Jährlich kommen über 400.000 Neuerkrankungen hinzu. Demenz stellt nicht nur eine Herausforderung für die Betroffenen und ihre Angehörigen dar, sondern auch für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft insgesamt. Da es derzeit keine Heilung gibt, ist es von großer Bedeutung, frühzeitig Personen mit erhöhtem Demenzrisiko zu identifizieren und durch nicht-pharmakologische Maßnahmen und Lebensstilinterventionen die Kognition zu verbessern, um den Beginn des kognitiven Abbaus hinauszuzögern.

Die Bedeutung körperlicher Aktivität für die Gehirngesundheit

Körperliche Aktivität spielt eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung der Gehirngesundheit und kann dazu beitragen, den kognitiven Verfall bei Alzheimer-Patienten zu verlangsamen. Studien haben gezeigt, dass bereits ein geringes bis moderates Maß an Bewegung im Alltag ausreicht, um das Fortschreiten der Alzheimer-Demenz in Schach zu halten. Eine aktuelle Studie der Harvard Aging Brain Study (HABS) begleitete 296 ältere Erwachsene mit frühen Anzeichen von Alzheimer im Gehirn über bis zu 14 Jahre. Die Ergebnisse zeigten, dass bereits 3.000 Schritte am Tag einen Unterschied machen, während 5.000 bis 7.500 Schritte täglich noch stärkere Vorteile bringen. Ab etwa 7.500 Schritten zeigte sich jedoch ein Plateau, bei dem zusätzliche Schritte keine weiteren Vorteile brachten.

Personen, die viel saßen und weniger als 3.000 Schritte täglich gingen, entwickelten im Studienverlauf am meisten und schnellsten Verklumpungen von Tau-Proteinen im Gehirn und bauten auch hinsichtlich ihrer geistigen Fitness am schnellsten ab. Im Gegensatz dazu verzögerte sich der kognitive Verfall bei Menschen, die sich mehr bewegten. Insgesamt schritten der kognitive Verfall und der Plaque-Aufbau umso langsamer voran, je mehr Schritte die Teilnehmenden täglich absolvierten.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und geistiger Fitness nur bei Personen gilt, die zu Studienbeginn bereits einige Amyloid-Beta-Plaques im Gehirn aufwiesen. Bei Teilnehmenden mit niedrigen Amyloid-Beta-Ausgangswerten sammelten sich im Laufe der Zeit nur sehr wenige Tau-Proteinen an, und diese Personen wiesen auch einen geringen kognitiven Verfall auf.

Wie Bewegung das Gehirn schützt

Körperliche Aktivität setzt im Körper Prozesse in Gang, die dem Gehirn guttun können. Eine wichtige Wirkung betrifft die Durchblutung. Eine erhöhte Hirndurchblutung verbessert die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung und unterstützt den Abtransport von Abbauprodukten des Zellstoffwechsels. Bewegung könnte das Gehirn aber auch auf andere Weise stärken, indem sie den Kreislauf anregt, die Notwendigkeit der Navigation und Orientierung fördert und die Interaktion mit der Umgebung stimuliert. Zudem schüttet der Körper bei körperlicher Aktivität Schutz- und Wachstumsfaktoren aus.

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Empfehlungen für körperliche Aktivität

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Erwachsene mindestens 150 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Woche, wie zügiges Gehen, oder 75 Minuten intensivere Bewegung. Neben gezieltem Sport hält auch Bewegung im Alltag Körper und Geist fit. Ein Spaziergang, Treppensteigen oder Gartenarbeit - jede Bewegung bringt den Kreislauf in Schwung, versorgt das Gehirn mit Sauerstoff und stärkt die geistige Fitness.

Die SYNERGIC-Studie: Training von Geist und Körper

Die SYNERGIC-Studie untersuchte die Kombination von aerobem Training, Widerstandstraining und computergestütztem kognitivem Training bei älteren Erwachsenen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (LKB). Die Studie ergab, dass eine Intervention, die aerobes Widerstandstraining mit sequenziellem kognitivem Training kombiniert, die Kognition bei älteren Erwachsenen mit LKB signifikant verbesserte, einschließlich Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Worterkennung und Orientierung. Diese Verbesserung war größer als die Vorteile, die durch das körperliche Training alleine erzielt wurden. Vitamin-D-Präparate zeigten jedoch keinen signifikanten Effekt auf die kognitive Funktion.

Körperliche Aktivität als Therapie bei Demenz

Auch bei Menschen mit Demenz kann gezieltes Training eine wichtige Strategie zur Erhaltung der Selbstständigkeit im Alltag und der Förderung der Lebensqualität sein. Eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln und der LVR-Klinik Köln deutet darauf hin, dass nicht nur die Patienten selbst davon profitieren, sondern auch die Belastung des Pflegepersonals in der klinischen Demenzversorgung reduziert wird.

Das "Trainingskarussell", das in der LVR-Klink Köln eingesetzt wird, besteht aus mehrmals über den Tag verteilten kurzen Trainingseinheiten von 20 Minuten. Durch den Wechsel zwischen Aktivphasen und Ruhezeiten wird versucht, die Patientinnen und Patienten nicht nur insgesamt in hohem Maß körperlich zu aktivieren, sondern auch ihre Tagesstruktur zu stabilisieren. Die Ergebnisse zeigen klinisch relevante Verbesserungen der neuropsychiatrischen Symptome, insbesondere aggressives Verhalten und labile Stimmungslagen.

Bewegungstherapie und Gehirnleistung

Das Gehirn ist das am meisten anpassbare Organ unseres Körpers. Die Veränderungsvorgänge werden unter dem Begriff der Neuroplastizität zusammengefasst. Sport- und Bewegungstherapie können diese Veränderungsprozesse stimulieren.

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Durchblutungssteigerung

Gehirnareale haben bei körperlichen Aktivitäten ein gesteigertes Stoffwechselbedürfnis, wie natürlich auch bei einer kognitiven Leistung. Die Mehrdurchblutung von 14 bzw. 25% wurden bei Ergometerbelastungen von 25 bzw. 100 Watt nachgewiesen. Schon diese geringe körperliche Aktivität ist mehr als durch jegliche geistige Aktivität allein erreicht werden kann.

Sinne schärfen

Die menschlichen Sinne bilden die Voraussetzung für eine Informationsaufnahme aus der Umwelt. Nur wenn diese gefordert werden, entwickeln sich die dazugehörigen Areale im Gehirn entsprechend aus. Daher gilt es möglichst viele Sinne durch Aktivität zu schärfen. Im Tastsinn wird über die Hände und deren überproportionale Repräsentanz im Gehirn (Humunculus) viel Gehirnaktivität erzeugt. Auch der Hörsinn kann stark im Zusammenhang mit Bewegung sensibilisiert werden, indem Bewegungen mit Lauten, Wörtern und Kommandos kombiniert werden. Die Augen werden oft auch als ausgestülpter Teil des Gehirns bezeichnet. Dem Sehsinn kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Hier können mit speziellen Übungen für die Augen im Bereich der Informationsaufnahme und der Weiterverarbeitung viele Verbindungen zwischen ganz unterschiedlichen Gehirnbereichen stimuliert werden. Der Gleichgewichtssinn als grundlegender Input für viele koordinative Leistungen hat für ein sensomotorisches Training eine zentrale Bedeutung. Und gerade im Alterungsprozess ist dies im Sinne der Sturzprophylaxe ein zentrales Thema.

Synapsenverbindungen

Die Verbindungen zwischen Neuronen im Gehirn bauen sich ständig auf und auch ab, je nachdem, ob, und in welchem Ausmaß sie benötigt und gebraucht werden. Daher ist das Gehirn mit möglichst vielseitigen Anforderungen zu konfrontieren, um diese Vernetzung als Maß für die Qualität der Leistungsfähigkeit der Gehirnzellen zu fördern. Je koordinativ komplexer eine Bewegung ist, desto mehr Verstrickungen der Gehirnzellen (bzw. der Dendriten) entstehen. Wichtig ist, dass diese Vernetzung nicht nur in dem Gehirnbereich stattfindet, der für die Körperteile verantwortlich ist, die die Bewegung ausführen. Sondern die Verknüpfungen sollen auch mit Neuronen aus den Motivations-, Aufmerksamkeits- und Emotionszentren entstehen, damit die Gefühle und die Konsistenz mit angesprochen werden. Für eine Nachhaltigkeit ist dies sehr entscheidend. Für dauerhaft stabile Verbindungen ist nachgewiesener Weise die Anzahl der Repetitionen entscheidend. So sollen die Anforderungen einerseits möglichst gleich sein, andererseits immer mit neuen Aufgaben variiert und kombiniert werden.

Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese)

Obwohl sich schon in den ersten 4 Lebensjahren ca. 70 Mrd. Nervenzellen im Gehirn abbauen und sich dies bei Inaktivität oder ungünstigen Lebensgewohnheiten wie Alkoholabusus im weiteren Lebensverlauf fortsetzt, können sich bei entsprechenden Stimuli auch wieder neue Neuronen bilden, was erstmals 1998 beim Menschen im Hippocampus nachgewiesen wurde.

Neurotransmitter steigen

Für die Gehirnleistung sind neben der Anzahl der Synapsen auch die Überträgerstoffe entscheidend. Sie bestimmen das Aktivitätsniveau, die Stimmung, die Vitalität und das Verhalten. Kinder haben einen Überschuss davon, dies begründet ihren ungebremsten Bewegungsdrang und ständigen Wissensdurst als Grundlage für eine optimale Gehirnentwicklung. Bei Ruhe kommt es zum Abbau dieser Überträgerstoffe.

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Eine zentrale Bedeutung nimmt an dieser Stelle der Substanzkomplex BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factors) ein. Er reguliert die Verästelungen der Axone und Dendriten und steigert somit die Übertragungseffektivität der Synapsen. Es konnte nachgewiesen werden, dass es einen kausalen Zusammenhang von körperlicher Aktivität und der kognitiven Verbesserung durch Steigerung der BDNF gibt.

Praktische Umsetzung der Bewegungstherapie

In der Sport- und Bewegungstherapie bei Demenzerkrankungen sind einige methodische und didaktische Aspekte zu beachten. Von den Anleitern ist die Fähigkeit zu einer langsamen, deutlichen Vermittlung und einem sehr geduldigen Vorgehen gefordert. Kurze, klare Anweisungen, auch mal verbunden mit Bildern, sind zu beachten. Noch wichtiger ist es, den visuellen Fokus durch deutliche Bewegungsdemonstrationen anzusprechen. Taktile und rhythmische Hilfen können ergänzt werden. Gewohnte und gleiche Räumlichkeiten, ein fester und stabiler Organisationsablauf und eine kleine Gruppengröße mit der Möglichkeit zur Individualisierung sind günstige Rahmenbedingungen.

Die Akzeptanz und der Erfolg sind sehr von der Integration der Emotion abhängig. Wenn es gelingt, ein klein wenig Freude zu wecken, bleibt die Aufmerksamkeit bei diesem Tun. Dazu kann ein sozialer Rahmen wiederum hilfreich sein. Mit anderen Menschen etwas gemeinsam zu tun weckt Gefühle und verbindet. Erstaunliche Erfahrungen gibt es auch beim Einsatz von Musik. Alte, in der Jugend der Betroffenen aktuelle Stücke rufen oft Erinnerungen hervor, die nicht für möglich gehaltene Bewegung auslösen. Manchmal aber auch nur sehr rührende und sentimentale Gefühle.

Gleichgewicht, Kräftigung und Multitasking

Ein erster Inhalt der Bewegungstherapie sollte ein Gleichgewichts- und Balancetraining sein. Mit weniger oder mehr Unterstützung wird der Stand geübt, vom Beidbeinstand über den versetzten Semi-Tandemstand und dem Ballenstand bis hin zum Einbeinstand. Dabei können bewusste Störungen durch Armbewegung den Effekt verstärken und einen erhöhten Alltagsbezug herstellen. Gegebenenfalls kann die Intensität durch eine weiche und instabile Unterlage erhöht werden, auch dann, wenn es in der Umsetzung in die Gangsicherheit geht.

Das Kräftigungstraining ist nahe an den Alltagsbewegungen zu gestalten und mit einer durchaus höheren Trainingsintensität von 60-80 % der maximalen Kraftfähigkeit. Ideal sind dafür entsprechend dosiert einstellbare Trainingsgeräte für die Beinmuskulatur und den Rumpf.

Im täglichen Leben ist man oft auch gefordert, zwei oder mehr Dinge gleichzeitig zu machen. Trainiert wird dies mit Multitaskingaufgaben. So ist während einer sportlichen Bewegung z. B. noch eine Rechenaufgabe zu lösen, das Gegenteil zu vorgegebenen Worten zu finden oder Silben in einem gleichen Rhythmus aufzusagen.

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