Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die das Leben der Betroffenen in vielerlei Hinsicht beeinflussen kann. Ein wichtiger Aspekt ist die Wärmeempfindlichkeit, die bei vielen MS-Patienten auftritt und zu einer Verschlechterung der Symptome führt. Kühlkleidung hat sich als eine wirksame Methode erwiesen, um diesen Hitzebeschwerden entgegenzuwirken und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Multiple Sklerose und Hitzestress
Einer der Faktoren, der die Multiple Sklerose beeinflussen kann, ist Stress - sowohl psychischer als auch physischer. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass anhaltender, negativ empfundener Stress das Risiko für MS-Schübe erhöhen kann. Betroffene berichten oft, dass Stresssituationen zu erhöhter Erschöpfung (Fatigue) und anderen MS-Symptomen führen. Neben psychischem Stress stellt auch Hitzestress eine große Herausforderung für MS-Betroffene dar.
Das Uhthoff-Phänomen
Besonders problematisch ist Hitzestress, der das sogenannte Uhthoff-Phänomen auslösen kann. Als Uhthoff-Phänomen wird die vorübergehende Verschlechterung von MS-Beschwerden bei einer Erhöhung der Körpertemperatur, zum Beispiel bei Fieber oder erhöhter Umgebungstemperatur, bezeichnet. Betroffen sind mehr als 80 Prozent der MS-Erkrankten. Als Ursache wird eine temperaturbedingte Verschlechterung der Leitfähigkeit geschädigter Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark angenommen. Das Phänomen wurde erstmals vom deutschen Augenarzt Wilhelm Uhthoff (1853-1927) beschrieben.
Die Symptome des Uhthoff-Phänomens können vielfältig sein und bestehende neurologische Beeinträchtigungen verstärken. Dazu gehören:
- Sehstörungen (Visusminderung, Doppelbilder)
- Muskelschwäche (Lähmungen)
- Gleichgewichtsstörungen
- Sensibilitätsstörungen
- Einschränkungen der Blasen- und/oder Darmfunktionen
- Verschlechterung des Fatigue-Syndroms
Diese Symptomverschlechterungen treten oft unvermittelt auf, sodass Betroffene einen neuen MS-Schub vermuten. Im Gegensatz zu einem Schub bilden sich diese Verschlechterungen jedoch nach Abkühlung des Körpers rasch wieder zurück.
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Kühlkleidung als Therapieoption
In Ermangelung einer effektiven medikamentösen Therapie zielen die Behandlungsmaßnahmen vor allem auf die Senkung der Körpertemperatur und die Vermeidung von Hitze ab. Hier kommt Kühlkleidung ins Spiel.
Laut einer Stellungnahme der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) von Oktober 2022 befürwortet der Ärztliche Beirat den Einsatz von Kühlkleidung bei MS-bedingter Wärmeempfindlichkeit. Studien bestätigen therapeutische Effekte, wenn Menschen mit Multipler Sklerose (MS) bei erhöhter Wärmeempfindlichkeit Kühlkleidung nutzen.
Wie Kühlkleidung wirkt
Kühlkleidung bietet eine einfache, schnelle und effektive Möglichkeit, Hitzebelastungen des Körpers deutlich zu reduzieren und dem Fatigue Syndrom (Uhthoff Phänomen) entgegenzuwirken. Durch die Kühlung des Körpers kann die Überwärmung verhindert und somit die Symptome des Uhthoff-Phänomens hintangehalten werden. Die Kühlkleidung reduziert aber nicht nur die Erschöpfungs-Symptome bei MS deutlich, auch das Konzentrationsvermögen kann wieder verbessert werden.
Arten von Kühlkleidung
Es gibt verschiedene Arten von Kühlkleidung, die bei MS-bedingter Wärmeempfindlichkeit eingesetzt werden können:
- Kühlwesten
- Stirnbänder
- Nackentücher
- Kühlhauben
- Kühlstrümpfe
Die Kühlkleidung kann auf unterschiedliche Weise gekühlt werden, z.B. durch Wasserverdunstung oder durch Kühlakkus.
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Studien zur Wirksamkeit von Kühlkleidung
In mehreren klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die Abkühlung des Körpers durch Kühlaggregate, -anzüge oder -westen Gangstörungen, Muskelkraft, Fatigue und Lebensqualität bessern kann.
- Ein systematischer Review von 2019 kam zu dem Schluss, dass eine rechtzeitige Kühlung („pre-cooling”) ohne Nebenwirkungen einer Symptomverschlechterung vorbeugen kann.
- In einer verblindeten Cross-over-Studie konnten MS-Patienten mit der realen Kühlweste signifikant länger und weiter gehen als mit der „Sham“-Weste.
- In einem vergleichbaren Studiendesign konnte die Kühlkleidung Gehgeschwindigkeit, Beinkraft und feinmotorische Fähigkeiten verbessern.
- In einer anderen, etwas größeren kontrollierten Studie mit 150 Patienten mit MS-bedingter Fatigue verhalf die Kühlweste zu einer geringeren Fatigue sowie einer stärkeren Unabhängigkeit bei den Aktivitäten des täglichen Lebens.
- Bereits 2003 hatte die NASA/MS Cooling Study Group festgestellt, dass Kühlkleidung sowohl bei stärkerer als auch geringerer Kühlung die Gangparameter verbesserte, die Sehfähigkeit erhöhte sowie zu einer subjektiv besseren Befindlichkeit führte.
Positive Effekte mit verschiedenen Arten von Kühlkleidung für MS-Erkrankte wurden auch in zahlreichen weiteren Studien seit 2000 festgestellt.
Kühlkleidung im Alltag: Eine persönliche Erfahrung
Lisa K., eine 27-jährige MS-Patientin, die seit ihrem 13. Lebensjahr an MS erkrankt ist, arbeitet als Tierpflegerin und ist jeder Witterung ausgesetzt. Sie leidet besonders bei Temperaturen über 25 Grad. In diesem Jahr hat sie sich eine Kühlweste zugelegt, deren Kosten von ihrem Arbeitgeber übernommen wurden.
Ihre Symptome bei Hitze und Schwüle waren:
- Gangstörungen
- Beinschmerzen
- Übelkeit und Erbrechen
- Kopfschmerzen
- Fatigue
- Unwohlsein
- Wortfindungsstörungen und Konzentrationsprobleme
- Missempfindungen und taube Hände, Füße
Dank der Kühlweste ist Lisa K. fast symptomfrei und hat wieder Lebensqualität gewonnen.
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Sportliche Aktivität trotz Hitzeempfindlichkeit
Studien zeigen, dass Kraft- und Ausdauertraining bei Multipler Sklerose sich positiv auf die körperliche Leistungsfähigkeit, die Symptomatik und die Lebensqualität von MS-Patienten auswirken. Wie aber schaffen es MS-Betroffene überhaupt, Sport bei Hitze zu treiben?
Mit Kühlweste können MS-Betroffene Sport treiben, ohne dass sich die neurologischen Symptome dabei verstärken.
Herausforderungen bei der Kostenübernahme
Kühlwesten bieten nachweislich Entlastung bei MS und dennoch bleibt die Kostenübernahme oft schwierig. Einige Sozialgerichte bewerten Kühlwesten als Komfort- statt Hilfsmittel.
Um die Erfolgschancen bei der Kostenübernahme zu erhöhen, empfiehlt es sich, eine Evidenz-Mappe beizufügen, die folgende Dokumente enthält:
- Rezept (Muster 13)
- Ärztliche Spezialbegründung
- DMSG-Stellungnahme
- Aktuelle Studien
Bei Ablehnung sollte Widerspruch eingelegt werden.
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