Kurt Goldstein: Ein Pionier der Neurologie und sein holistischer Ansatz

Kurt Goldstein war ein bedeutender deutscher Neurologe, Psychiater und Neuropsychologe, dessen Leben und Werk von einem holistischen Menschenbild geprägt waren. Seine innovative Arbeit in der Rehabilitation von Hirnverletzten im Ersten Weltkrieg und seine späteren theoretischen Beiträge zur Hirnfunktion und zum menschlichen Organismus haben die Entwicklung der Neurologie, Psychologie und Psychotherapie nachhaltig beeinflusst.

Frühe Jahre und Ausbildung

Kurt Goldstein wurde 1878 in Breslau, dem heutigen Wrocław in Polen, geboren. Er begann seine akademische Laufbahn mit einem Philosophiestudium an der Universität Heidelberg, das er jedoch auf Wunsch seines Vaters abbrach. Anschließend kehrte er nach Breslau zurück und studierte Medizin. 1903 schloss er sein Medizinstudium mit einer neuroanatomischen Dissertation über die feinstrukturelle neuronale Organisation des Rückenmarks ab, die er bei dem Neuropsychiater Carl Wernicke an der Breslauer Universitätsnervenklinik anfertigte.

Seine akademische Ausbildung umfasste auch eine Assistentenstelle bei Alfred Hoche an der Universität Freiburg im Breisgau von 1902 bis 1906.

Wirken in Frankfurt und Berlin

Goldsteins Karriere nahm eine entscheidende Wendung, als er 1914 von Ludwig Edinger an das Frankfurter Neurologische Institut berufen wurde, um die Leitung der klinisch-neurologischen Abteilung zu übernehmen. Während des Ersten Weltkriegs engagierte sich Goldstein in der Versorgung und Rehabilitation von Soldaten mit Hirnverletzungen. In Frankfurt entwickelte er gemeinsam mit dem Gestaltpsychologen Adhémar Gelb neuartige neurologische Rehabilitationsprogramme, die darauf abzielten, den verletzten Soldaten die Resozialisierung zu ermöglichen. Seine Arbeiten zur sensomotorischen Hirnrinde und zum visuellen Kortex waren von besonderer Bedeutung für die Diagnostik und Frührehabilitation.

1930 verließ Goldstein Frankfurt, um am Berliner Krankenhaus Moabit eine interdisziplinär ausgerichtete Nervenklinik aufzubauen, die auch als Lehrkrankenhaus der Charité diente.

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Emigration und Wirken in den USA

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 zwang Kurt Goldstein zur Emigration. Er floh zunächst in die Schweiz und dann nach Amsterdam, wo er als Stipendiat der Rockefeller-Stiftung am Pharmakologischen Institut der Universität sein Werk „Der Aufbau des Organismus. Einführung in die Biologie unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen am kranken Menschen“ verfasste, das 1934 erschien.

1935 emigrierte Goldstein in die USA, wo er eine Professur für Nervenkrankheiten am Department of Psychiatry der Columbia University Medical School in New York City annahm. Später wechselte er an das Department of Neurology der Tufts College Medical School in Boston, Massachusetts, und eröffnete 1945 eine Privatpraxis als Psychotherapeut. Zudem übernahm er Gastprofessuren am City College of New York und an der Brandeis University in Waltham, Massachusetts, wo er bis über sein Pensionsalter hinaus wirkte.

Goldsteins Holistischer Ansatz

Goldstein entwickelte seinen holistischen Ansatz über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg, von seiner philosophischen Ausbildung über sein Medizinstudium und seine Assistenzzeit in Psychiatrie und Neurologie bis hin zu seiner diagnostischen Praxis und der Entwicklung innovativer Rehabilitationsansätze für Weltkriegsveteranen. Sein Werk „Der Aufbau des Organismus“ stellt eine Synthese seiner Theorie der vikariierenden Funktionen bei neurologischen „Katastrophenreaktionen“ dar, die als Folge von Hirnschüssen, Hirnerschütterungen und Hirnblutungen auftreten.

Goldsteins Theoriebildung fand zwar in den USA bei Neuropsychologen Anklang, wurde aber in der Nachkriegszeit von klinisch tätigen Neurologen und Neurologinnen relativ wenig beachtet.

Wichtige Werke

Zu Goldsteins wichtigsten Werken zählen:

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  • „Der Aufbau des Organismus. Einführung in die Biologie unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen am kranken Menschen“ (1934, engl. Übers. 1939 als „The Organism. A Holistic Approach to Biology Derived from Pathological Data in Man“)
  • „Human Nature in the Light of Psychopathology“ (1940)
  • „Language and Language Disturbances. Aphasic Symptom Complexes and Their Significance for Medicine and Theory of Language“ (1948)

Goldsteins Einfluss auf die Psychotherapie

Die soziokulturellen Auswirkungen seit dem Ersten Weltkrieg hatten der Arbeit vieler holistisch ausgerichteter Ärzte und Psychologen eine neue Dringlichkeit verliehen, die Wiedereingliederung von verletzten Kriegsteilnehmern und Zivilisten voranzutreiben. Am Frankfurter Institut wurde dies im Einklang mit neuesten arbeitswissenschaftlichen Methoden und in engem interdisziplinären Austausch mit Klinischen Physiologen erreicht, wobei eine eigens eingerichtete Werkstatt und ein Schulungsgebäude bereitstanden, in denen die therapeutischen Maßnahmen durchgeführt wurden.

Goldsteins Arbeit trug dazu bei, die Bedeutung der ganzheitlichen Betrachtung des Menschen in der Medizin und Psychotherapie hervorzuheben. Sein Ansatz betonte die Fähigkeit des Organismus, sich an Veränderungen anzupassen und neue Wege zu finden, um Funktionen wiederherzustellen.

Das Ende der Berliner Psychoanalytischen Gesellschaft

Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) erlebte in den 1930er Jahren eine Zeit großer Umbrüche und Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Viele ihrer Mitglieder, darunter bedeutende Psychoanalytiker, sahen sich gezwungen, Deutschland zu verlassen und ins Exil zu gehen. Die DPG selbst versuchte zunächst, sich den politischen Verhältnissen anzupassen, um ihre Existenz zu sichern, doch letztendlich führte der Druck des NS-Regimes zur Auflösung der Gesellschaft im Jahr 1938.

Die Geschichte der DPG in der Zeit des Nationalsozialismus ist ein Beispiel für die Verstrickung von Wissenschaft und Politik und die Auswirkungen ideologischer Verfolgung auf die psychoanalytische Bewegung in Deutschland.

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