Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen und Todesfälle weltweit. Um die bestmögliche Versorgung von Schlaganfallpatienten zu gewährleisten, wurden umfassende Leitlinien entwickelt, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Diese Leitlinien dienen als Wegweiser für Ärzte und Therapeuten, um evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen und die Behandlung zu optimieren.
Einleitung
Ein Schlaganfall ist eine plötzlich auftretende zerebrovaskuläre Minderdurchblutung, die oft zu langandauernden Funktionseinschränkungen führt. Ein Schlaganfall (ICD-10 I63) ist eine zeitkritische Erkrankung des Gehirns, die mit einer plötzlich auftretenden Schädigung von Hirngewebe aufgrund eines Gefäßverschlusses (ischämischer Insult) oder einer Hirnblutung (hämorrhagischer Insult) assoziiert ist. Abhängig von der Lokalisation und dem Ausmaß des unterversorgten Hirnareals kommt es zu kognitiven, sensorischen und motorischen Funktionsstörungen. Die Verdachtsdiagnose wird mit bildgebenden Verfahren wie Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) oder einer Angiographie bestätigt. Die Prognose nach einem Schlaganfall richtet sich nach Ursache, Art und Umfang der Läsion sowie dem Zeitpunkt der therapeutischen Intervention.
Ursachen und Risikofaktoren
Ursächlich werden zwei Schlaganfall-Formen unterschieden: ein ischämischer Insult infolge eines thromboembolischen Gefäßverschlusses und ein hämorrhagischer Insult aufgrund einer intrazerebralen Blutung (ICB) oder Subarachnoidalblutung (SAB). Bei der ICB handelt es sich um Blutungen in das Hirnparenchym, bei der SAB um Blutungen in den Subarachnoidalraum.
Entsprechend der Statistik der Heart and Stroke Association sind von allen Schlaganfällen rund 87% ischämische Hirninfarkte und 10% intrazerebrale hämorrhagische Schlaganfälle; die restlichen 3% entstehen als Folge einer Subarachnoidalblutung [11].
Generell gehen 87% der Schlaganfälle zu Lasten definierter Risikofaktoren [5]. Unterschieden wird zwischen modifizierbaren und nicht beeinflussbaren Faktoren.
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Modifizierbare Risikofaktoren
In einer GBD-Studie (Global Burden of Diseases) aus dem Jahr 2021 wurden 19 Risikofaktoren für das Auftreten von Schlaganfällen benannt und gewichtet. Der Hauptrisikofaktor für Schlaganfälle ist demnach ein hoher Blutdruck, der für 80 Millionen DALYs bzw. 55,5% aller DALYs verantwortlich war [4].
Als weitere Risikofaktoren folgten:
- erhöhter Body-Mass-Index (BMI) bzw. Übergewicht (24,3% aller Schlaganfall-bedingten DALYs)
- Diabetes (20,2%)
- Umwelt- bzw. Luftverschmutzung (20,1%)
- Rauchen (17,6%)
- hoher Salzkonsum (12,3%)
Andere, mit einem erhöhten Schlaganfall-Risiko assoziierte Risikofaktoren sind [8]:
- Bewegungsmangel
- Hyperlipidämie
- Vorhofflimmern
- Stress
- Alkoholkonsum
- Arteriosklerose
- Karotisstenose
- Ovulationshemmer
- Polyglobulie
Als neuer Risikofaktor wurde Endometriose festgestellt. Frauen mit laparoskopisch bestätigter Endometriose haben laut den Ergebnissen einer Studie aus dem Jahr 2022 eine um 34% höhere Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu erleiden, als Frauen ohne eine solche Diagnose [9].
Nicht modifizierbare Risikofaktoren
- Alter und Geschlecht: Zwei der bedeutsamsten nicht modifizierbaren Risikofaktoren für einen Schlaganfall sind das Alter und das Geschlecht. Die meisten apoplektischen Insulte betreffen Menschen über 60 Jahre [3]. Zudem haben Frauen ein höheres Schlaganfall-Risiko als Männer. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) liegt die altersstandardisierte Schlaganfallrate bei Frauen in Deutschland bei 2,1% pro Jahr, während sie bei Männern 1,8% pro Jahr beträgt [6].
- Genetische Prädisposition: Genetische Faktoren haben einen wichtigen Einfluss auf das Schlaganfallrisiko. Bis jetzt wurden 89 Schlaganfall-Risikogene ermittelt. Dazu gehören Gene, die für den Stoffwechsel von Lipiden, die Blutdruckregulation und Gerinnungsfaktoren verantwortlich sind. Die Risikogene korrelieren mit der Herkunft der PatientInnen und der Art des Schlaganfalls (ischämisch/hämorrhagisch).
Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls
Die akute Behandlung des ischämischen Schlaganfalls, also des plötzlichen Verschlusses eines Hirngefäßes, ist in den vergangenen 15 Jahren revolutioniert worden. Wissenschaftlich belegte Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten wie die Gefäß- und Durchblutungsdarstellung sowie die erweiterte Anwendbarkeit von Rekanalisierung per Thrombolytikum und/oder Katheter erlauben es heute, dass bei raschem und richtigem Handeln ein geringes oder gar kein neurologisches Defizit resultiert - sogar teilweise erstaunlich spät nach dem Gefäßverschluss.
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Sofortmaßnahmen vor Ort
Bei einem Patienten mit Verdacht auf AIS oder TIA sollte nicht unnötig Zeit vor dem Transport verschwendet werden. Bei einem schweren Schlaganfall, insbesondere im hinteren Hirnkreislauf, der mit Bewusstseinsstörung und/oder Atem-/Kreislauf-Störung einhergehen kann, sind aber möglicherweise die Vitalfunktionen nicht intakt. Diese müssen also überprüft und ggf. stabilisiert werden. Letzteres kann sogar (selten) die Intubation vor Ort erfordern.
Bei einer Sauerstoffsättigung von < 95 % sollte mit dem Ziel der Normoxämie Sauerstoff verabreicht werden, dies sollte aber nicht routinemäßig erfolgen [6, 7]. Der Blutdruck sollte in den meisten Fällen nicht beeinflusst werden, allenfalls bei Werten von > 220 mmHg systolisch und > 120 mmHg diastolisch kann er vorsichtig gesenkt werden, wobei ein Abfall > 25 % vermieden werden sollte.
Für den Transport sollten ein intravenöser peripherer Zugang gelegt und ein EKG angelegt werden, um etwaige schlaganfallassoziierte Herzrhythmusstörungen zu erkennen. In manchen Regionen sind Rettungsfahrzeuge für Schlaganfallpatienten speziell ausgestattet, z. B. mit einem Schlaganfallbehandlungsteam, erweiterten Sofortlabormöglichkeiten und einem Computertomographen (CT); diese werden mitunter „mobile stroke units“ (MSU) genannt.
Zuweisung und Transport zur Akuttherapie
Nicht zuletzt mit Etablierung der Katheterbehandlung (Thrombektomie) von durch LVO verursachten AIS haben sich der Anspruch an und die Organisation von Transportwegen des Patienten in die Klinik grundsätzlich verändert. Ging es früher darum, den Patienten schnellstmöglich in die nächste Klinik mit CT und Möglichkeit zur Thrombolyse zu bringen, muss der Anspruch heute sein, den Patienten schnellstmöglich in das am besten für seine individuelle Rekanalisierung geeignete Krankenhaus zu bringen. Dies kann je nach Situation (z. B. Verdacht auf LVO oder nicht, s. o.) immer noch das nächstgelegene lysefähige Krankenhaus mit CT sein, aber auch ein an ein thrombektomiefähiges Schlaganfallzentrum (telemedizinisch) angeschlossenes lysefähiges Primärkrankenhaus (Konzept „drip-and-ship“) oder direkt in das Schlaganfallzentrum selbst (Konzept „mothership“). Regional und international haben sich so die unterschiedlichsten Schlaganfallnetzwerke entwickelt.
In Deutschland gibt es inzwischen viele telemedizinische Netzwerke unterschiedlicher Größe zur Regelung der optimalen Zuweisung von Schlaganfallpatienten. Etwa zwanzig Schlaganfallnetzwerke, die teils mit diesen überlappen, sind bereits durch die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) als neurovaskuläre Netzwerke zertifiziert, andere befinden sich in der Vorbereitung dazu. In manchen Regionen kommt auch der interventionelle Neuroradiologe per boden- oder luftgebundenem Fahrzeug [8] in ein Primärkrankenhaus, um dort die Rekanalisierung vorzunehmen, statt den Patienten weiter zu transportieren (Konzept „drip-and-drive“). Sicherlich gibt es für unterschiedliche Regionen unterschiedlich gut geeignete Netzwerkarten, dies ist Gegenstand aktiver Forschung. Bisher kann nicht pauschal einem bestimmten Transportkonzept der Vorzug gegeben werden [9].
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Akutbehandlung in der Notaufnahme
Parallel zur Untersuchung durch den Neurologen und der Organisation von Diagnostik und ggf. Rekanalisierung wird der Patient in der Notaufnahme monitoriert und hinsichtlich wichtiger phsysiologischer Parameter stabilisiert. Zum Monitoring gehören das EKG, die Messung der Sauerstoffsättigung, die Erfassung des Blutdrucks (mind. alle vier Stunden für die ersten 48 Stunden, bei auffälligen Schwankungen kurzfristiger), des Blutzuckers und der Temperatur. Vordringlich ist weiterhin die Sicherung der Vitalfunktionen. Der Blutdruck sollte nur dann vorsichtig (nicht unter 25 % vom Ausgangswert) gesenkt werden, wenn er 220/120 mmHg übersteigt [11, 12]. Vor und während einer systemischen Thrombolyse sollte der Blutdruck auf < 180/105 mmHg gesenkt werden [13], danach ist ein Zielblutdruck von 140-160 mmHg systolisch vermutlich günstig. Auch ein hypertensiver Notfall mit klinischen Begleiterscheinungen wie hypertensive Enzephalopathie, Nephropathie, Herzinsuffizienz, Aortendissektion, (Prä)Eklampsie o. ä. soll antihypertensiv behandelt werden, wobei generell ein plötzlicher Blutdruckabfall beim AIS zu vermeiden ist. Bei niedrigen Blutdruckwerten (< 120 mmHg systolisch) und Hinweisen auf eine Exsikkose sollten Kristalloide verabreicht werden, eine darüber hinaus gehende pharmakologische Steigerung niedriger Blutdruckwerte wird nicht routinemäßig empfohlen. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass erst die Bildgebung klären wird, ob tatsächlich ein AIS oder doch eine intrazerebrale Blutung vorliegt. Letzteres hätte dann andere Implikationen für die Blutdruckbehandlung. Der Blutzucker sollte für die ersten 72 h überwacht und eine Hyperglykämie (Glukose > 180 mg/dl) mit einem Ziel von 70-200 mg/dl (4-11 mmol/l) behandelt werden. Eine Hypoglykämie (< 60 mg/dl) sollte vermieden und z. B. durch Glucose 40 % ausgeglichen werden. Eine prästationäre oder notfällige Routinegabe von Insulin sollte unterbleiben [14, 15]. Die Temperatur, deren Erhöhung z. B. auf eine Endokarditis als Ursache des AIS hinweisen könnte, sollte alle vier Stunden für die ersten 48 Stunden gemessen werden. Bei einer Erhöhung (> 37,5°C), die mit einem schlechteren Verlauf des AIS assoziiert ist, sollte die Ursache gesucht und möglichst behoben werden, zusätzlich kann dann die Gabe eines Antipyretikums (z. B. Paracetamol) erfolgen, aber nicht prophylaktisch [16, 17].
Bildgebende Diagnostik
Ein Patient mit (V. a.) Schlaganfall muss unverzüglich einer zerebralen Bildgebung zugeführt werden, um einen ischämischen sicher von einem hämorrhagischen Schlaganfall zu unterscheiden, um festzustellen, wie weit fortgeschritten der Hirngewebeschaden ist und um die Gefäßsituation und das Ausmaß einer Minderdurchblutung zu klären. All diese Informationen sind essenziell zur Klärung, ob ein Patient ein Kandidat für eine Rekanalisierungsmaßnahme ist. Am weitesten verbreitet ist zur Bildgebung die kraniale CT, ggf. durch Kontrastmittelgabe erweitert zur CT-Perfusion oder CT-Angiografie. Die kraniale Magnetresonanztomografie (MRT) kann diese Fragen ebenfalls beantworten und ist noch präziser in der Darstellung des Ausmaßes und Alters des Gewebeschadens sowie in der Klärung etwaiger Differentialdiagnosen („stroke mimics“), allerdings ist sie aufwendiger und weniger verfügbar. Auch die MRT kann durch Kontrastmittelgabe zur MR-Perfusion erweitert werden. Die Bildgebung per CT oder MRT sollte bei allen Patienten frühestmöglich nach Symptombeginn erfolgen. Alle AIS-Patienten, die prinzipiell für eine Thrombektomie in Frage kommen, sollen unmittelbar nach der Gewebediagnostik auch eine nicht-invasive Gefäßdiagnostik erhalten, die die Gefäße vom Aortenbogen bis zum Vertex darstellt. Im Zeitfenster jenseits von viereinhalb Stunden sollte eine erweiterte multimodale Bildgebung (CT- oder MR-Perfusion) erfolgen, wenn gemäß klinischer Situation eine Indikation zur Rekanalisierung bestehen könnte. Allerdings sollte die Gefäßdiagnostik eine ggf. indizierte Thrombolyse nicht verzögern. Daher wird idealerweise eine Thrombolyse nach der Nativ-Bildgebung direkt in der Bildgebungsräumlichkeit begonnen und anschließend die Gefäßdiagnostik durchgeführt.
Thrombolyse und Thrombektomie
Rund 80 Prozent aller jährlich 250.000 Schlaganfälle werden in Deutschland durch ein Blutgerinnsel (Thrombus), das ein Blutgefäß verschließt, verursacht. Als Folge können Teile des Gehirns nicht mehr mit Blut versorgt werden. Der Wirkstoff kann das Blutgerinnsel in den Hirnarterien auflösen. Diese Lysetherapie ist in allen deutschen Schlaganfalleinheiten (Stroke Units) seit Mitte der 1990er-Jahre Standard. Aktuell erweitern Kliniken, die eine Stroke Unit besitzen, ihr Angebot um eine neue Therapieoption, die sich kürzlich in fünf Studien als wirksam erwiesen hat: Spezialisierte Neuroradiologen schieben von der Leiste aus einen Katheter bis an die Stelle des Gehirns, wo das Blutgerinnsel eine Arterie blockiert hat. Der Katheter durchbohrt den Thrombus und umschließt das Gerinnsel mit einem Stent wie ein Drahtkäfig. „Diese Behandlungsmethode, auch mechanische Thrombektomie genannt, wurde in den letzten Jahren so weit verfeinert, dass fast 90 Prozent der Gefäße wieder eröffnet werden können“, sagt Professor Dr. Die beteiligten Fachgesellschaften haben die Studienergebnisse zum Anlass genommen, ihre Leitlinie zu ergänzen. „Die Leitlinie gibt umfassende Anleitungen zu allen Aspekten der neuen Therapie“, berichtet Professor Dr. Peter Ringleb, Mitglied im Vorstand der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft und Leiter der Sektion Vaskuläre Neurologie am Universitätsklinikum Heidelberg. „Im Regelfall werden beide Therapien, die Lysetherapie und die mechanische Thrombektomie, miteinander kombiniert“, so Peter Ringleb. Im Ärzte-Jargon heißt das „Drip-and-ship“. „Dass diese Vorgehensweise gut funktioniert, wurde jüngst von dem neurovaskulären Rhein-Ruhr Netzwerk belegt“, berichtet Professor Dr. Christoph Groden, Leiter der Abteilung für Neuroradiologie des Universitätsklinikums Mannheim.
Rehabilitation nach Schlaganfall
Das alte und geschädigte Gehirn des Menschen besitzt ein Potential zur Plastizität und Anpassung, das sich für die Rehabilitation nutzen lässt. Dies erkannten vor 20 Jahren einige Arbeitsgruppen der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg. Das führte zu einer vollkommenen Neuausrichtung der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten.
Phasen der Rehabilitation
Aufgrund von Bildgebungsstudien (fMRT) unterscheiden wir heute drei Phasen der Erholung von einem Schlaganfall.
- Reha-Phase 1: Behandlung direkt nach einem Schlaganfall. Rehabilitation auf der Schlaganfallstation: In dieser Phase messen unsere Therapeuten oft mehrmals am Tag die Funktion, um Veränderungen, auch Verschlechterungen frühzeitig zu erkennen und gegenlenken zu können. Die Patienten brauchen in dieser Phase viel Pflege und Unterstützung. Diese Schlaganfall-Reha findet meist auf unserer speziellen Schlaganfall-Station statt. Dort können die Ärzte am besten einen neuen Schlaganfall verhindern, der besonders in den ersten drei Tagen auftreten kann. Diese Reha-Phase dient also auch der Schlaganfall-Prävention, um der Schlaganfall-Wiederholung vorzubeugen.
- Reha-Phase 2: Hyperaktivierung des Gehirns. Rehabilitation auf der Normalstation: In diese Zeit fallen die Mobilisierung, die ersten funktionsorientierten Reha-Maßnahmen und der schrittweise Weg zurück zur Selbstständigkeit. Oft setzt hier die psychische Reaktion von Patienten und auch der Angehörigen ein, so dass eine engmaschige Überwachung und oft unterstützende Maßnahmen wie Gespräche oder der vorübergehende Einsatz von Antidepressiva sinnvoll sind. Bei uns sind die meisten Patienten in dieser Phase schon zur Rehabilitation in einer Reha-Klinik in Baden-Württemberg angemeldet.
- Reha-Phase 3: Funktionelle Therapie. Rehabilitation in der Rehaklinik oder ambulante Rehabilitation: Die Neurologische Universitätsklinik Freiburg bietet für Patienten in dieser Phase gezielte ambulante Reha-Maßnahmen an. Dazu gehört die „Forced-Use Therapy“, die durch Freiburger Wissenschaftler bereits vor über 10 Jahren in Deutschland eingeführt wurde. Sie beinhaltet einen „verstärkten Gebrauch“, ein intensives Training der betroffenen Hand oder des betroffenen Beins bei gleichzeitigem „Verbot“, die gesunde Hand für alltägliche Tätigkeiten einzusetzen.
Spezifische Therapieansätze
- Arm-Basis-Training: Das Arm-Basis-Training hilft bei schweren Lähmungen, die Bewegungsfähigkeit im Arm, in der Hand und den Fingern systematisch wiederherzustellen, also erst einmal die Voraussetzungen für das Hantieren von Gegenständen zu schaffen.
- Spiegeltherapie: Ein Vorteil der Spiegeltherapie ist, dass sie auch Schlaganfall-Betroffene mit schwerer Armlähmung ohne direkte fremde Hilfe durchführen können. Die Netzwerke für den gelähmten Arm werden auch bei der Spiegeltherapie aktiviert, das ist eine Art Dosissteigerung und kann einen Zusatznutzen bringen. Beim Spiegeltraining bewegt der Patient seine gesunde Hand, beobachtet dies aber in einem Spiegel, so dass es so aussieht, als ob er eine kranke, in Wirklichkeit vollständig gelähmte Hand bewegte. Damit erzielt er die Illusion eines visuellen Feedbacks einer Bewegung der gelähmten Hand, während er das motorische Programm in der gesunden Hirnhälfte für die Bewegung der gesunden Hand abruft. Es kommt damit zu einer verstärkten Bindung des motorischen Programms in der „falschen“, d.h. gesunden Hirnhälfte mit der illusionären Bewegung der gelähmten Hand.
- Robotergestützte Therapie: Die machen viele Hundert Bewegungen. Sie fokussieren immer genau auf das spezifische motorische Problem, das wird dann hochintensiv geübt.
- Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS): Auch hier sprechen wir die „Sprache des Gehirns“, wenn wir das Netzwerk, das für die Motorik des Arms zuständig ist, in seiner Erregbarkeit und damit auch in seiner Lernbereitschaft verändern. Das scheint tatsächlich zu wirken. In der ersten Zeit nach dem Schlaganfall stärker, aber auch später noch.
Sekundärprophylaxe
Die Auswahl des Arzneimittels zur Sekundärprophylaxe einer zerebralen Ischämie folgt der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) (1). Eingesetzt werden die Thrombozytenaggregationshemmer Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel und (in der Praxis sehr selten) Ticagrelor. Dipyridamol, Ticlopidin und Prasugrel sowie intravenöses Abciximab sollten aufgrund fehlenden Mehrnutzens oder ihres ungünstigen Nebenwirkungsprofils nach ischämischem Schlaganfall oder TIA nicht eingesetzt werden. Da der ischämische Schlaganfall im vorliegenden Fall am ehesten auf eine mikroangiopathische Genese zurückzuführen ist und sich keine kardiale Emboliequelle nachweisen lässt (kein Nachweis von Vorhofflimmern im Langzeit-EKG und kein Nachweis einer kardialen Emboliequelle in der TEE), ist ASS 100 mg pro Tag als Sekundärprophylaxe indiziert. Laut Leitlinie sollen Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA zur Sekundärprävention mit ASS 100 mg täglich behandelt werden, sofern keine Indikation zur Nutzung eines anderen Thrombozytenaggregationshemmers oder zur Antikoagulation vorliegt (1). Eine Alternative zu ASS bietet Clopidogrel.
Herausforderungen und zukünftige Entwicklungen
Die Leitlinie umfasst 283 Seiten. Ich frage mich: Wie kommt all das Wissen an die Basis, zu meinem Therapeuten um die Ecke?Gute Frage! So ist sie sicherlich schwer verdaulich, da gebe ich Ihnen recht. Ich hoffe, es gelingt uns bald, eine Kurzversion daraus zu machen, für Patienten, aber auch für Therapeuten. Außerdem gibt es Fortbildungsveranstaltungen wie unsere Summer School in Greifswald, bei der die Inhalte der Leitlinie kurz und knapp vorgestellt werden. Das E-Learning-Angebot der Summer School ist jetzt kostenlos und multiprofessionell verfügbar. Das wäre auch eine Gelegenheit für Therapeuten, sich zu informieren.
Potenziale für die Zukunft sehe ich vor allem in der Frage, wie wir das Gehirn noch stärker durch sehr gezieltes Trainieren an der Leistungsgrenze fördern können.
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