Eine Augenmuskellähmung, auch Augenmuskelparese genannt, entsteht, wenn einer oder mehrere der Muskeln, die für die Steuerung der Augenbewegung verantwortlich sind, teilweise oder vollständig gelähmt sind. Die Lähmung eines Muskels führt zu dessen teilweisen oder vollständigen Funktionsverlust, wodurch ein Ungleichgewicht zwischen Spieler und Gegenspieler entsteht. Dieses Ungleichgewicht kann dazu führen, dass das betroffene Auge bestimmten Blickrichtungen nicht mehr korrekt folgen kann, was häufig zu Doppelbildern, Schwindel oder Schielen führt. Solche Einschränkungen wirken sich nicht nur auf das Sehen, sondern auch auf die Lebensqualität aus.
Ursachen einer Augenmuskellähmung
Die Ursachen für eine Augenmuskellähmung sind vielfältig und können sowohl angeboren als auch erworben sein.
Häufige Ursachen:
- Neurologische Schädigungen: Funktionsstörungen oder Entzündungen der Hirnnerven (z. B. durch Multiple Sklerose, Schlaganfall oder Neuritis) können die Nervenimpulse stören, die die Augenmuskeln steuern. Einige Nervenbahnen sind entwicklungsgeschichtlich schon sehr alt und werden seltsamerweise besonders häufig bei Multipler Sklerose befallen.
- Durchblutungsstörungen: Eine Minderdurchblutung im Bereich der Nerven oder des Gehirns, wie sie häufig bei älteren Menschen oder Diabetikern vorkommt, kann zu einer Augenmuskellähmung führen. Insbesondere bei durchblutungsbedingten Paresen kann es innerhalb weniger Wochen oder Monate zu einer spontanen Besserung kommen.
- Traumatische Verletzungen: Schädel-Hirn-Traumata oder Brüche im Bereich der Augenhöhle können Muskeln oder Nerven beeinträchtigen und eine Lähmung verursachen. Akuter Handlungsbedarf besteht ebenfalls, wenn Doppelbilder nach Unfällen auftreten, etwa einem Sturz von einem Trampolin.
- Systemische Erkrankungen: Diabetes mellitus kann langfristig die Nerven schädigen und zu einer Augenmuskellähmung führen. Bei Diabetikern tritt häufiger eine „Abducensparese“ auf. Dies bedeutet, dass durch die Störung des Blutzuckerhaushaltes der 6. Hirnnerv (Nervus abducens) beschädigt wurde.
- Infektionen und Entzündungen: Lokale oder zentrale Infekte können ebenfalls eine Augenmuskellähmung verursachen.
- Tumoren: Tumoren im Gehirn oder in der Augenhöhle können Druck auf die Nerven ausüben und deren Funktion beeinträchtigen.
- Augenhöhlenerkrankungen: Tumoren machen 25% aller Augenhöhlenerkrankungen aus.
- Schilddrüsenerkrankungen: Schielen mit hervortretenden Augäpfeln kann darüber hinaus Folge einer Schilddrüsenerkrankung sein, des Morbus Basedow.
Spezifische Nervenlähmungen und ihre Ursachen:
- Lähmung des 3. Hirnnervs (Nervus oculomotorius): Diese Lähmung betrifft die meisten Augenmuskeln, was zu einer eingeschränkten Bewegung des Augapfels zur Nase sowie zu Auf- und Abblick führt. Das Auge gleitet nach außen. Ursachen können Durchblutungsstörungen, Tumoren oder Verletzungen sein.
- Lähmung des 4. Hirnnervs (Nervus trochlearis): Diese Lähmung betrifft den oberen schrägen Augenmuskel, wodurch das betroffene Auge nicht nach unten zur Nase gesenkt und nicht nach innen gerollt werden kann. Isolierte Lähmungen des 4. Hirnnervs sind fast immer durch ein Trauma bedingt. Von den drei die Augenmuskeln versorgenden Nerven ist er am anfälligsten bei Schädel-Hirn-Traumata.
- Lähmung des 6. Hirnnervs (Nervus abducens): Diese Lähmung betrifft den äußeren geraden Augenmuskel. Am häufigsten verursachen isolierte Durchblutungsstörungen im Zusammenhang mit einem schon lange Zeit bestehenden Diabetes mellitus diese peripheren Hirnnervenläsionen, wobei meist der 6. Hirnnerv von der Lähmung betroffen ist. Die Lähmung des 6. Hirnnervs (vor allem beidseitig) ist auch ein häufiges Hirndrucksymptom, hervorgerufen durch direkte Kompression des Nervs (Volumenzunahme im Gehirn durch Tumor, Blutung u.a.).
Symptome einer Augenmuskellähmung
Das Leitsymptom einer Augenmuskelparese sind Doppelbilder; der Abstand der Doppelbilder ist umso größer, je mehr der Patient in Richtung des gelähmten Muskels schaut. Typischerweise nimmt der Patient eine kompensatorische Kopfhaltung ein, die darauf abzielt, den gelähmten Muskel möglichst wenig zu benutzen und damit die Doppelbilder zu vermeiden.
Weitere häufige Symptome:
- Schielen: Das betroffene Auge weicht von der normalen Sehachse ab. Bestimmte Blickbewegungen sind mit dem betroffenen Auge nicht mehr möglich, der Schielwinkel (Blickrichtungsunterschied) zwischen beiden Augen variiert je nach Blickrichtung. Teilweise kann er auch völlig gleich sein.
- Eingeschränkte Augenbeweglichkeit: Die Fähigkeit, das Auge in bestimmte Richtungen zu bewegen, ist eingeschränkt.
- Kopfschmerzen: Insbesondere bei Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen, Schwindel oder Erbrechen besteht unter anderem der Verdacht auf einen Hirntumor.
- Schwindel: Das gestörte Zusammenspiel der Augen kann zu Schwindelgefühlen führen.
- Übelkeit und Erbrechen: In einigen Fällen können Übelkeit und Erbrechen auftreten, insbesondere wenn der Hirndruck erhöht ist.
Diagnose einer Augenmuskellähmung
Bereits bei ersten Anzeichen wie anhaltenden Doppelbildern, Einschränkungen der Augenbeweglichkeit oder ungewöhnlichen Blickfehlstellungen sollte eine fachärztliche Untersuchung erfolgen. Je nach Ausprägung und Verlauf ist es sinnvoll, frühzeitig spezialisierte Einrichtungen mit augenärztlicher, neurologischer und bildgebender Kompetenz aufzusuchen. Eine interdisziplinäre Beurteilung ermöglicht es, zugrunde liegende Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen und eine individuell abgestimmte Behandlung einzuleiten.
Diagnostische Verfahren:
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte des Patienten, einschließlich der Art und Dauer der Beschwerden, Vorerkrankungen und eingenommenen Medikamente.
- Ophthalmologische Untersuchung: Der Augenarzt untersucht die Augenbeweglichkeit, die Sehschärfe und das Gesichtsfeld. Es wird beurteilt, ob ein Exophthalmus vorliegt. Dies lässt sich am besten so erfassen, dass der Untersucher über dem sitzenden Patienten steht und von oben den Brauen-Wimpern-Abstand beurteilt.
- Orthoptische Untersuchung: Die Orthoptistin untersucht die Zusammenarbeit der Augen und die Fähigkeit, Doppelbilder zu vermeiden. Hier wird die genaue Diagnostik durchgeführt, da man erworbene von angeborenen Störungen unterscheiden muss.
- Neurologische Untersuchung: Der Neurologe untersucht die Funktion der Hirnnerven und des Nervensystems, um die Ursache der Lähmung zu identifizieren.
- Bildgebende Verfahren: MRT (Magnetresonanztomographie) oder CT (Computertomographie) des Gehirns und der Augenhöhle können durchgeführt werden, um Tumoren, Entzündungen oder andere strukturelle Veränderungen zu erkennen.
- Apparative Methoden: In Kooperation mit dem Ophthalmologen werden zusätzlich apparative Methoden wie die Hess-Gardine, der Maddox-Test oder die Hertel-Untersuchung auf Exophthalmus eingesetzt.
Therapie einer Augenmuskellähmung
Im Zusammenhang mit einer Lähmung der Augenmuskulatur stehen verschiedene Therapieansätze zur Verfügung, die je nach Ausprägung und Ursache individuell abgestimmt werden können. Es ist bekannt, dass eine gezielte Auswahl aus konservativen und operativen Maßnahmen entscheidend für den Behandlungserfolg erscheint.
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Konservative Behandlung:
- Behandlung der Grunderkrankung: Die Behandlung der Grunderkrankung steht im Vordergrund. Bei bakteriellen Entzündungen werden Antibiotika eingesetzt, während bei Autoimmunerkrankungen Kortikosteroide oder andere Immunsuppressiva eingesetzt werden können.
- Prismenbrille: Prismen können auf Brillengläser aufgebracht werden, um die Doppelbilder zu reduzieren oder zu beseitigen. Bei wechselnden Schielstellungen im Krankheitsverlauf vermeidet man Doppelbildwahrnehmung durch Verdecken eines Auges oder eine Brille mit Prismengläsern.
- Okklusionstherapie: Das Abdecken eines Auges (Okklusion) kann helfen, die Doppelbilder zu vermeiden. Eine Gefahr für die Sehfähigkeit des abgedeckten Auges besteht dadurch im Erwachsenenalter nicht, da anders als im Kindesalter der Lernvorgang des Sehens bereits abgeschlossen ist. Ein Wechsel des Okkulsionspflasters ist daher nicht notwendig. Symptomatisch kann aber trotzdem geholfen werden: kleinere Schielwinkel lassen sich mit Prismenfolien ausgleichen, bei größeren Schielwinkeln muss zur Vermeidung von Doppelbildern ein Auge abgeklebt werden. Bei Erwachsenen sollte man sich für ein Auge entscheiden. Kann das gelähmte Auge besser sehen, so kann auch das nicht gelähmte Auge abgeklebt werden. Eine Sehschwäche durch permanentes Abkleben eines Auges kann sich bei Erwachsenen im Gegensatz zu Kindern nicht mehr einstellen. Durch abwechselndes Abkleben würde die Raumwahrnehmung gestört, daher sollte man sich bei Erwachsenen für ein Auge entscheiden.
- Botulinumtoxin-Injektionen: In einigen Fällen können Injektionen von Botulinumtoxin in die Augenmuskeln helfen, das Ungleichgewicht zwischen den Muskeln zu reduzieren.
Operative Behandlung:
- Augenmuskeloperation: Wenn sich die Doppelbilder nicht durch konservative Maßnahmen beseitigen lassen, kann eine Operation der Augenmuskeln in Erwägung gezogen werden. Nach Behandlung der Ursachen werden zum Teil Eingriffe an den Augenmuskeln notwendig (Straffung gelähmter Augenmuskeln, Lockerung entzündlich verkürzter Muskeln). Die Muskeln lassen sich jedoch so verlagern, dass der Geradeausblick und das Gebrauchsblickfeld möglichst wenig gestört sind und auch keine störende Kopfzwangshaltung zur Vermeidung der Doppelbilder mehr eingenommen werden muss.
Wichtig: Erworbene Augenmuskelparesen bilden sich häufig spontan zurück, daher darf man bei frischen Lähmungen noch nicht operieren und sollte mindestens ein Jahr abwarten. Verlaufskontrollen zeigen dann die Rückbildung des Schielwinkels. Sollte sich die Lähmung nicht zurückbilden, kann mit Hilfe einer Augenmuskeloperation zumeist Doppelbildfreiheit im Geradeausblick erreicht werden. Die Lähmung selbst lässt sich nicht operieren, da die Nervenimpulse an die Muskulatur gestört sind, daher kann eine normale Beweglichkeit der Augen nicht hergestellt werden.
Vorbeugung
Zur Vorbeugung einer Augenmuskellähmung ist es entscheidend, die allgemeine Gesundheit zu stabilisieren und Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen. Ein ausgewogener Lebensstil mit bewusster Ernährung, regelmäßiger Bewegung und dem Verzicht auf schädliche Einflüsse wie Rauchen oder übermäßigen Alkoholkonsum unterstützt die Funktion von Nerven und Muskulatur. Ebenso ist es wichtig, Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck gut einzustellen, um Nervenschäden vorzubeugen.
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