Lähmungen durch Corona: Ursachen, Symptome und aktuelle Forschung

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur die Atemwege und die Lunge der Betroffenen in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch neurologische Komplikationen verursacht, die zu Lähmungen führen können. Obwohl SARS-CoV-2 nicht zu den Viren gehört, die bevorzugt Nervenzellen befallen, deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass das Virus indirekt oder in seltenen Fällen auch direkt das Nervensystem schädigen kann. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen für Lähmungen im Zusammenhang mit Corona-Infektionen, die verschiedenen neurologischen Symptome sowie aktuelle Forschungsergebnisse und Therapieansätze.

Schwierigkeiten bei der Ursachenforschung

Die Ursachenforschung gestaltet sich schwierig, da es oft unklar ist, ob eine beobachtete neurologische Erkrankung tatsächlich durch die COVID-19-Erkrankung verursacht wurde oder nur zufällig gleichzeitig aufgetreten ist. Prof. Dr. Andreas Steinbrecher, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Helios Klinikum Erfurt, weist auf die Problematik der Falldefinition hin.

Mögliche Wege des Virus ins Nervensystem

Es gibt verschiedene Hypothesen, wie das Virus ins Nervensystem gelangen kann:

  • Riechnerv: Das Virus könnte ausgehend von den Schleimhäuten der oberen Atemwege den Riechnerven befallen und von dort aus das Gehirn erreichen.
  • Infizierte Blutzellen: Infizierte Blutzellen könnten das Virus, ähnlich wie ein trojanisches Pferd, ins Nervensystem tragen.
  • Direkter Angriff auf Endothelzellen: Eine Forschungsgruppe um den Lübecker Pharmakologen Markus Schwaninger zeigte, dass das Virus die innerste Zellschicht der Blutgefäße im Gehirn, die sogenannten Endothelzellen, angreifen und schädigen kann. Auch die Blut-Hirn-Schranke kann dabei von dem Virus angegriffen und zerstört werden.

Neurologische Symptome bei Corona-Patienten

Je nach Verlauf zeigt das Coronavirus unterschiedliche Symptome und neurologische Besonderheiten. Zu den häufigen neurologischen Symptomen zählen:

  • Riechstörungen: Treten häufig bei milden Verläufen auf, sogar bei weit über 70 Prozent der Betroffenen. Anosmie ist ein Zeichen dafür, dass irgendetwas die olfaktorischen Pfade des Gehirns beeinträchtigt.
  • Kopfschmerzen und Muskelschmerzen
  • Schwere Muskelentzündungen (in schweren Fällen)
  • Bewusstseinsstörungen und Delir: Werden sehr häufig bei schweren Krankheitsverläufen beobachtet und sind ein Indikator für eine schlechtere Prognose.
  • Schlaganfälle: Zeigen sich unter anderem mit den typischen halbseitigen Lähmungen sowie Sensibilitäts- und Sehstörungen. Schlaganfälle können in jeder Phase auftreten und waren bei einigen Patienten auch der Grund für die Krankenhausaufnahme.
  • Entzündungen von Gehirn und Rückenmark: Im Rahmen der COVID-19-Erkrankung kann es auch zu Entzündungen des Gehirns und selten auch des Rückenmarks kommen. Seltener scheinen die Entzündungen direkt durch das Virus, sondern durch eine die Infektion begleitende oder auf sie folgende Reaktion des Immunsystems bedingt zu sein.
  • Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Ähnlich immunvermittelte Erkrankungen treten auch an den peripheren Nerven in Form des sogenannten Guillain-Barré-Syndroms (GBS) auf.

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) im Zusammenhang mit Corona

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine seltene, aber schwerwiegende neurologische Erkrankung, bei der das Immunsystem die peripheren Nerven angreift. Dies führt zu Muskelschwäche, Taubheit und in schweren Fällen zu Lähmungen.

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Ursachen und Auslöser des GBS

Das GBS tritt häufig nach Infektionen auf, beispielsweise nach bakteriellen Darmentzündungen mit Campylobacter jejuni oder Infektionen der oberen Luftwege mit dem Zytomegalievirus oder anderen Viren. Immunologen vermuten eine molekulare Mimikry, bei der die Immunantwort auf Krankheitserreger versehentlich auch auf körpereigene Antigene zielt.

GBS und COVID-19

Es gibt Berichte über GBS-Fälle im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen. Auffällig dabei war, dass das GBS bei SARS-CoV-2-Infektionen bereits nach 5-10 Tagen auftrat, während es sonst häufig 2-4 Wochen dauert, bis ein infektassoziiertes GBS auftritt.

GBS und COVID-19-Impfung

Auch im Zusammenhang mit der Impfung gegen SARS-CoV-2 wurden GBS-Fälle berichtet. So gab es Fallberichte im Zusammenhang mit der Gabe des Vakzins von AstraZeneca, bei denen Patienten eine beidseitige Gesichtslähmung und Parästhesien entwickelten.

Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat am 12. Juli 2021 gewarnt, dass der COVID-19 Impfstoff von Janssen (Johnson & Johnson) in sehr seltenen Fällen das Guillain-Barré-Syndroms (GBS) auslösen kann. Es gab 100 vorläufige Berichte über GBS in Verbindung mit der Impfung, von denen 95 schwer verlaufen waren und eine Krankenhausbehandlung nötig gemacht hatten. Insgesamt waren da bereits 12,5 Millionen Dosen des Impfstoffes in den USA verabreicht worden. Diese spezielle Nebenwirkung gilt somit als sehr selten.

Bewertung des GBS-Risikos nach Impfung

Experten betonen, dass ein zeitlicher Zusammenhang nicht mit einer kausalen Beziehung gleichzusetzen ist. Die Inzidenz des GBS in Deutschland beträgt 1,6-1,9 pro 100.000 Einwohner. Bei einer großen Bevölkerung treten jährlich mehrere GBS-Fälle auf, sodass rein statistisch auch Fälle im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung zu erwarten sind.

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Das abschließende Fazit lautet: Insgesamt ist das GBS-Risiko durch die Impfung gegen SARS-CoV-2 nach heutigem Kenntnisstand als sehr gering einzustufen.

Fallbeispiel: Carsten Kolberg

Ein Beispiel für einen GBS-Patienten ist Carsten Kolberg, der nach einer Hepatitis-B-Auffrischungsimpfung erkrankte. Er entwickelte zunächst erkältungsähnliche Symptome, später Lähmungen in den Beinen und konnte schließlich nicht mehr aufstehen. Die Diagnose lautete Guillain-Barré-Syndrom. Nach der Behandlung konnte er sich aus dem Rollstuhl wieder hocharbeiten und seine Nerven und Muskeln wieder aktivieren.

Diagnose und Therapie des GBS

Um festzustellen, ob eine Lähmung tatsächlich ein GBS ist, können Ärzte auf drei Diagnoseverfahren zurückgreifen:

  • Elektrophysiologische Untersuchung: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit.
  • Bildgebung: Kernspintomographie des Rückenmarks zur Darstellung der Entzündungsreaktion im Bereich der Nervenwurzeln.
  • Liquoruntersuchung: Entnahme von Nervenwasser aus dem Rückenmark.

Die Therapie des GBS umfasst in der Regel die Gabe von hochdosierten intravenösen Immunglobulinen oder eine Plasmapherese, ein extrakorporales Blutreinigungsverfahren, bei dem die krankheitsauslösenden Autoantikörper herausgefiltert werden.

Langzeitfolgen von COVID-19 und neurologische Beschwerden

Auch nach einer akuten überstandenen Corona-Erkrankung können weitere Folgebehandlungen notwendig sein, insbesondere bei neurologischen Symptomen. Studien zeigen, dass COVID-19 für einen großen Teil der Betroffenen noch nicht überstanden ist, wenn sie die Klinik verlassen.

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Häufige neurologische Langzeitfolgen

Häufige Langzeitfolgen sind:

  • Atembeschwerden (Dyspnoe)
  • Ermüdungssyndrom (Fatigue)
  • Leistungs- und Aktivitätseinschränkungen
  • Schlafstörungen
  • Depressive Verstimmung
  • Andauernde Erschöpfungszustände mit Konzentrationsschwierigkeiten (Post-COVID-Fatigue)
  • Lähmungen und Sensibilitätsstörungen
  • Kognitive Einschränkungen: Gedächtnis-, Konzentrations- oder Empfindungsstörungen

Ursachen für neurologische Langzeitfolgen

Die Ursachen für die langfristigen neurologischen Komplikationen von COVID-19 sind noch nicht vollständig bekannt. Es wird vermutet, dass eine anhaltende Dysregulation des Immunsystems den anhaltenden Symptomen zugrunde liegt. Eine Studie deutet darauf hin, dass Coronaviren eine Art Gehirnalterung hervorrufen könnten.

Behandlung von neurologischen Langzeitfolgen

Die Behandlung von neurologischen Langzeitfolgen zielt in erster Linie darauf ab, die Symptome zu lindern und den Alltag trotz Beschwerden wieder zu erleichtern.

COVID und Parkinson

Drei Fallbeispiele legen nahe, dass neuartige Coronaviren eine Parkinson-Erkrankung auslösen oder zumindest fördern könnten. Die drei Patienten entwickelten zwei bis fünf Wochen nach Entlassung aus dem Krankenhaus neurologische Symptome und motorische Störungen, die für Parkinson typisch sind. Ein Review macht jedoch klar: Die bisher vorliegenden Daten reichen nicht aus, um zu bestätigen, dass Covid-19 neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson auslösen oder beschleunigen kann.

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