Auf leisen Sohlen ins Gehirn: Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse von Lakoff und Wehling

Das Buch „Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht“ von Elisabeth Wehling und George Lakoff aus dem Jahr 2008 analysiert, wie politische Sprache unser Denken beeinflusst. Die Autoren zeigen auf, dass Sprache nicht neutral ist, sondern durch die Verwendung bestimmter Begriffe Assoziationen weckt und somit unsere Wahrnehmung prägt.

Die Macht der Sprache und ihre unbewussten Auswirkungen

Sprache beeinflusst das Denken, indem sie bestimmte Assoziationen weckt, wenn wir bestimmte Begriffe verwenden. Bereits in „Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht“ analysierten Elisabeth Wehling und George Lakoff, welche sprachlichen Konzepte sich hinter bestimmten Politiken verbergen. Sie fragten sich, warum konservative Politik so widersprüchliche Forderungen hervorbringt. Ihre Erklärung: Es gibt unterschiedliche Familienbilder. Das liberale Familienbild, in dem Vater und Mutter gemeinsam mit den Kindern entscheiden und Probleme durch Gespräche lösen, führt zu einer kooperativen Politik, die zweite und dritte Chancen ermöglicht. Im Gegensatz dazu steht das konservative Familienbild, in dem der Vater die Autoritätsperson ist und die Kinder sich an die Regeln halten müssen.

In „Politisches Framing“ untersucht Elisabeth Wehling einzelne Sprachkonzepte genauer und erklärt, was im Gehirn passiert, wenn wir Sprachbilder verwenden. Wir denken tatsächlich an einen Adler, wenn wir von einem Adler sprechen. „Frames“ werden durch Sprache im Gehirn aktiviert und verleihen Fakten erst eine Bedeutung, indem sie Informationen im Verhältnis zu unseren körperlichen Erfahrungen und unserem abgespeicherten Wissen über die Welt einordnen. Frames sind immer selektiv, heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen. Sie bewerten und interpretieren also.

Framing: Der Rahmen, der unsere Wahrnehmung bestimmt

„Framing“ kommt vom englischen „Frame“ - dem Rahmen. Frames werden durch Sprache im Gehirn aktiviert. Sie sind es, die Fakten erst eine Bedeutung verleihen, und zwar, indem sie Informationen im Verhältnis zu unseren körperlichen Erfahrungen und unserem abgespeicherten Wissen über die Welt einordnen. Dabei sind Frames immer selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen. Frames bewerten und interpretieren also. Auf die Politik übertragen heißt das zum Beispiel: Was empfinden wir, wenn wir in der Flüchtlingsdiskussion von einer „Flüchtlingswelle“ sprechen und davon, dass „das Boot voll“ sei? Wenn wir also im Rahmen maritimer Katastrophen von den Flüchtlingen sprechen. Faktisch kommt da ja keine Welle, sondern Menschen. Welches Bild des Staats steckt dahinter, wenn wir Steuern „zahlen“ und von Steuern entlastet werden? Immerhin haben wir jede Menge von dem, was aus den Steuern finanziert wird. Ist es eher das Bild eines Dienstleistungs-Unternehmens als das von einer Gemeinschaft? Elisabeth Wehling dekliniert diese Idee anhand verschiedener Politikfelder durch und gibt Beispiele dafür, wie man Themen anders framen könnte, wenn man sie ändern will. Allerdings erklärt sie nicht, wie es dann in der Praxis funktionieren soll. Lange hatte sich die CDU zum Beispiel gegen den „Mindestlohn“ gestemmt. Dann hatte sie eine „Lohnuntergrenze“ für einzelne Branchen gefordert. Beide Begriffe basieren auf unterschiedlichen Perspektiven. Der Mindestlohn sagt, dass es das Mindeste ist, was jemand für Arbeit bekommen sollte. Es ist die Arbeitnehmerperspektive. Dagegen sagt die „Lohnuntergrenze“, dass die Arbeitgeber nicht unter diesen Lohn gehen dürfen.

Ein gezieltes Framing kommt vor allem in der Politik und in der Werbe-Branche zum Einsatz. Ein bekanntes Beispiel aus der politischen Sprache ist die Verwendung des Ausdrucks „Flüchtlingswelle“. Auf den ersten Blick sagt der Ausdruck aus, dass viele Menschen auf der Flucht sind. Die Verbindung des Wortes „Flüchtlinge“ und „Welle“ schafft jedoch einen negativen Rahmen. Geflüchtete Menschen werden zu einer Welle gemacht. Damit werden sie mit einer unkontrollierbaren Naturgewalt gleichgesetzt. Diese negative Art des Framings kann unsere Wirklichkeit verändern und sich in unserem Sprachgebrauch manifestieren.

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Auch in der Corona-Pandemie können wir die unterschiedlichen Verwendungen von Frames in der internationalen Politik beobachten. Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach gleich zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2019 davon, dass sich das Land im „Krieg“ befinde mit dem Virus. Ein Wort, das die Assoziationen Waffen, Leiden und Tod hervorruft. Auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat letztes Jahr dem Virus „den Krieg erklärt“ und sprach von einem „unsichtbaren Feind“. Eine extreme Wortwahl, um die Ernsthaftigkeit einer Situation deutlich zu machen. Sprache hat in Krisen eine enorme Wirkung. Bezüglich der deutschen Politik sprechen Politikbeobachter davon, dass Angela Merkel in der jetzigen Krise sehr bemüht ist, ihre Politik zu erklären. Ihre Ansprache „Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst“ blieb erstmal hängen. Handelt es sich hierbei um den Versuch eines ehrlichen Framings?

Wird Framing bewusst in der Politik (und auch der Werbung und im Marketing) eingesetzt, soll hier gezielt die Meinung von Menschen beeinflusst werden und ist damit eine Art der Manipulation.

Wie Framing funktioniert: Die Mechanismen

Die Metaphoriktheorie von Max Black liefert einen umfassenderen Ansatz des Framing-Konzepts. Laut Black ist das Gehirn des Menschen von Geburt an visuell orientiert. Es kann nicht anders, als in Bildern zu denken beziehungsweise in Metaphern. Black unterscheidet in Primär- (topic term) und Sekundärgegenstand (vehicle term), die zusammen ein sprachliches Bild ergeben.

Beim Beispiel der „Flüchtlingswelle“ wäre das Wort „Flüchtling“ Primärgegenstand und das Wort „Welle“ Sekundärgegenstand. Das Wort „Flüchtling“ wird durch das Vehikel „Welle“ gefiltert. Dies geschieht dadurch, dass der Sekundärgegenstand den Primärgegenstand in ein anderes Licht rückt. Der Begriff „Welle“ wird mit einer Naturgewalt assoziiert, die man nicht kontrollieren kann und unter Umständen unschuldige Opfer fordert. Den Begriff „Flüchtling“ verbindet man im Gegensatz dazu mit Not, Flucht und provisorischen Unterkünften. Bringt man diese beiden Frames zusammen, ergibt sich das negative Sprachbild, das wir in den Medien zahlreich sehen können.

Black behauptet, dass sich eine Metapher immer weiter in unserem Gehirn festsetzt, je mehr wir sie wiederholen oder diese wiederholt auf uns von außen einwirkt. Wird eine Metapher ständig in einer Debatte wiederholt, dann wird sie zu unserem Common Sense und schafft so unbewusst die Realitäten in unseren Köpfen.

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Laut der kognitiven Linguistik von Lakoff und Wehling sind wir uns großteils dessen nicht bewusst darüber, dass wir die Welt in eingerahmten Metaphern begreifen. Sie stellen heraus, dass Denken kein bewusster Prozess ist. Ganze 80 % unseres Denkens geschieht unbewusst. Lakoff und Wehling unterscheiden zwischen Surface Frames und Deep Seated Frames. Surface Frames sind die Deutungsrahmen auf der sprachlichen Ebene, mit denen wir Wörter und Sätze erfassen. Deep Seated Frames hingegen sind tief in unserem Gehirn verankerte Frames und strukturieren unser generelles Verständnis von unserer Welt. Laut dieser Theorie ist das menschliche Denkvermögen keine Instanz unabhängig von unserem Körper, alles Denken ist physisch. Fakten, die unserem Common Sense widersprechen, prallen an diesen tief verankerten Frames ab. Es kann passieren, dass Fakten ignoriert werden und so die Frames bestehen bleiben. Dies ist Teil des nicht bewussten Denkprozesses unseres Gehirns, quasi ein physischer Automatismus. Alternative Frames können zum Umdenken anregen und Informationen, die nicht in die gefestigten Frames passen, Bedeutung verleihen. Es ist zwar möglich, in Frames zu denken, die sich widersprechen, nur können diese nicht simultan aktiviert werden. Unser Gehirn braucht immer eine kurze Umschaltpause, denn es kann immer nur ein Frame zu einer Zeit aktiviert werden.

Beispiele für Framing im Alltag

Ein Beispiel begegnet uns im Alltag beim Einkaufen. Lebensmittel werden als „glutenfrei“ ausgezeichnet, dabei sind einige Produkte von Natur aus glutenfrei. Damit erscheinen Produkte als gesünder und werden eher gekauft. In der Welt des Marketings wird also getrickst. Auch kann die Macht der Frames uns helfen, bewusstere Entscheidungen zu treffen. Es bietet sogar die Möglichkeit, es als Werkzeug zu benutzen, um eine positive Denkweise zu kreieren. Für einen positiveren Blick im Job und Alltag. Wie kommuniziert man zum Beispiel auf der Arbeit, dass „heute nicht mein Tag ist“? Die positive Einrahmung wäre „Heute ist zwar nicht mein Tag, aber bald bin ich wieder fit“. Negativ ausgedrückt hält man sich fest an der Aussage „Mir geht es sehr schlecht“. Und wofür tun wird das? Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass positive Gedanken das eigene Wohlbefinden stärken. Setzen wir uns selber positive Frames, kann sich damit auch unsere Laune steigern und damit unser Antrieb für anstehende Aufgaben.

Die Rolle von Metaphern

Lakoff sieht die Ursache unkritischer Sprachpolitik in der Unbedachtheit von Metaphern. Metaphern sind dabei Wörter, die in fremde Wortfelder hineingebracht werden, dort Wörter ersetzen und durch ihre Bildhaftigkeit bestimmte Wirkungen auslösen. Wenn zum Beispiel Klaus Brandner sagt (Parlamentsdebatte 7.12.2008): "Das trägt zur Belebung der Konjunktur bei, ", dann behandelt er die Wirtschaft wie einen schwächelnden Körper. Nun ist eine Volkswirtschaft aber kein Körper mit Organen und Instrumente zur Steuerung des Arbeitsmarktes sind kein Doping. Auch andere Redner dieser Debatte greifen aber auf ähnliche Metaphern zurück. So strukturieren sich die Ansprachen über einen fremden Bereich. Auch dass die Banken oder die Wirtschaft in einer Krise stecken, ist eine Metapher. Denn in einer Krise - einer existentiellen Notlage - stecken eigentlich Menschen, die von der Situation einer Bank betroffen sind. Während dabei die Wirtschaft wie ein Lebewesen behandelt wird, werden umgekehrt die Folgen für die Menschen "abgemildert", und die Arbeitgeber "entlastet", als ob es sich hier um eine Speise (im ersten Fall) oder ein Transportmittel (im zweiten Fall) handeln würde. Was unter den Metaphern also zum Vorschein kommt, ist eine Umkehrung der Bilder: der Arbeitnehmer ist Restaurantgast, der Arbeitgeber Mittel und die Wirtschaft ein Lebewesen. Wichtig ist vor allem dabei, dass die Metaphern nicht aus irgendwelchen Bereichen kommen, sondern bestimmte Themen sich beständig wiederholen. Diese bildspendenden Bereiche gilt es zu analysieren, aufzudecken und ihre Wirkung zu erforschen.

Lakoff zeigt, dass Metaphern nicht nur unbewusst wirken, indem sie bestimmte Werte vermitteln, sondern auch denk"blind" machen. Metaphern verhindern, dass wir bestimmte Zusammenhänge erkennen und so zu alternativen Denkmodellen kommen. Ganz explizit analysiert Lakoff den sogenannten Kampf gegen den Terrorismus. Er wendet sich bereits gegen den Begriff des Terrors (das englische ‚terror’ bedeutet Schrecken), der ein Gefühl an die Stelle einer differenzierten Analyse eines politisch motivierten Verbrechens setzt. Ebenso gefährlich sind die Übertragungen familiärer Modelle in den Bereich der Politik. Mehrere Metaphern aus demselben bildspendenden Bereich nennt Lakoff Metaphernkomplexe. Manche sind so erfolgreich, dass sie uns kaum bewusst werden. So werden Diskussionen sehr häufig mit Metaphern aus dem Bereich des Zweikampfes und Krieges verdeutlicht und verhindern so, dass wir Diskussionen als Kooperationen begreifen können. Und im Falle des Irakkriegs waren familiäre und emotionale Metaphern so erfolgreich, dass sie den Krieg unhinterfragt in den Journalismus hineingetragen haben und von dort aus in die (amerikanische) Bevölkerung. Lakoff hat - und dies begründet er mit solchen kriegsverharmlosenden Metaphern - den Satz geprägt: "Metaphern können töten."

Die Bedeutung für Journalismus und politische Kommunikation

"Unabhängige Berichterstattung" bedeute "die Freiheit des Journalismus von den Sprachschaffungen politischer Akteure". Es geht um die kritische Distanz eines jeden Menschen zu der Sprache der Politik. Lakoff sieht die Ursache unkritischer Sprachpolitik in der Unbedachtheit von Metaphern.

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In der politischen Kommunikation ist es wichtig, sich bewusst zu machen, welche Frames man nutzt. Wenn man etwa die Frames eines politischen Gegners nutzt, dann kauft man sich damit gedanklich und sprachlich in dessen Welt ein. Es ist wichtig, sich die eigenen Anliegen und politischen Werte bewusst zu machen und eine Sprache zu finden, die diese Anliegen in Zusammenhang mit den ihnen zugrunde liegenden Werten deutlich macht.

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