Migräne ist eine komplexe, neurovaskuläre Erkrankung des Gehirns, von der innerhalb eines Jahres etwa 15 % der Bevölkerung betroffen sind. Weltweit steht Migräne an zweiter Stelle der am meisten beeinträchtigenden Krankheiten, bei jungen Frauen sogar an erster Stelle. Die Erkrankung bedingt eine enorme klinische und wirtschaftliche Belastung für den Einzelnen und die Gesellschaft. Migräne ist ein chronisches Leiden, das über viele Dekaden des Lebens bestehen kann, und bei einem Teil der Patienten kann sie progressiv verlaufen.
Epidemiologie und Krankheitslast
Nach Zahnkaries und Kopfschmerz vom Spannungstyp nimmt die Migräne den dritten Platz der häufigsten Erkrankungen des Menschen ein. Die Prävalenz der Migräne zeigt einen Gipfel im Erwachsenenalter zwischen dem 25. und 55. Lebensjahr. Am stärksten sind Betroffene zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr von Migräneattacken belastet. Die chronische Migräne betrifft ca. 1-2 % der Bevölkerung. Das Risiko für Depressionen, Angsterkrankungen und Suizid ist bei den Betroffenen 3- bis 7-mal höher als bei Gesunden. Das Risiko für Kreislauferkrankungen, Herzinfarkte und Schlaganfall ist rund 1,5- bis 2-mal höher als bei Gesunden.
Diagnostik und Klassifikation
Die Migräne wird entsprechend der diagnostischen Kriterien der dritten Auflage der Internationalen Kopfschmerzklassifikation ICHD-3 diagnostiziert. Es werden heute 48 Hauptformen der Migräne unterschieden. Die wichtigsten Untergruppen sind die Migräne ohne Aura, die Migräne mit Aura, die chronische Migräne, die Migränekomplikationen, die wahrscheinliche Migräne und die episodischen Syndrome, die mit einer Migräne einhergehen können.
Phasen der Migräne
Die Migräneattacke wird in verschiedene Phasen unterteilt: Prodromi, Aura, Kopfschmerzphase und Postdromi.
- Prodromi: In dieser Phase treten Müdigkeit, Schläfrigkeit, Gähnen, erhöhte sensorische Empfindlichkeit mit Allodynie, Hyperpathie, Reizbarkeit und Osmophobie auf.
- Aura: Die Auraphase geht mit fokalen neurologischen Symptomen einher. Am häufigsten werden visuelle Störungen in Form von Fortifikationsspektren mit Zickzacklinien im Gesichtsfeld bemerkt, die sich homonym allmählich ausbreiten. Mit der Migräne-App kann eine Aurasimulation erfolgen und Betroffene können den Verlauf einer typischen Aura nachvollziehen. Die Migräneaura stellt die Enzyklopädie der Neurologie dar. Entsprechend können mannigfaltige Symptome auftreten. Diese schließen sensorische, motorische, affektive und neuropsychologische Störungen ein.
- Kopfschmerzphase: Diese hat eine typische Dauer von 4-72 Stunden. Im Rahmen eines Status migraenosus kann die Kopfschmerzphase auch darüber hinaus anhalten. Die Kopfschmerzen werden durch einseitigen pulsierenden, pochenden Schmerz von sehr schwerer Intensität charakterisiert. Der Schmerz verstärkt sich durch körperliche Tätigkeiten wie z.B. Laufen, Bücken oder Treppensteigen. An Begleitsymptomen können Übelkeit, Erbrechen sowie Photo- und Phonophobie auftreten.
- Postdromi: Hier verspüren die Patienten bis zu 48 Stunden Müdigkeit, Asthenie, erhöhte Reizbarkeit, Reduktion der Denkvorgänge und weiterer kognitiver Funktionen.
Migräne als chronische Erkrankung
Die Migräne ist per se eine chronische Erkrankung, die in Episoden auftritt. Der Begriff „chronische Migräne“ bezieht sich auf Migräneattacken, die in sehr hoher Frequenz auftreten. Dieser Übergang kann spontan auftreten. Häufig tritt er jedoch im Zusammenhang mit einem Übergebrauch von Akutmedikamenten zur Behandlung der Migräneattacken auf.
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Bildgebende Studien und strukturelle Veränderungen im Gehirn
Migräne galt lange als eine paroxysmale Erkrankung ohne langfristige Folgen. Bildgebende Studien deuten jedoch darauf hin, dass Migräne mit strukturellen Läsionen im Gehirn einhergehen kann.
White Matter Lesions (WML)
Eine niederländische populationsbasierte Studie (Cerebral Abnormalities in Migraine, an Epidemiological Risk Analysis, CAMERA) untersuchte die Zusammenhänge an insgesamt 435 Probanden (295 Migräne, 140 Kontrollen) im Alter von 30 bis 60 Jahren mittels Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns. Bei Frauen mit Migräne fanden sich häufiger Läsionen der weißen Substanz (White Matter Lesions, WML) als bei gesunden Kontrollpersonen. Allgemein wiesen Patienten mit Migräne im posterioren Stromgebiet eine höhere Prävalenz von subklinischen Infarkten auf als Kontrollpersonen (5,4 % vs. 0,7 %). Noch deutlicher war der Unterschied bei Migräne-Patienten mit Aura (8,1 %). Auch eine französische cross-sektionale Studie (n = 780) kam anhand von MRT-Aufnahmen des Gehirns zu dem Ergebnis, dass Migräne mit Aura eng mit dem Auftreten von WML und subklinischen Hirninfarkten, in dieser Studie vermehrt auch außerhalb der posterioren Zirkulation, assoziiert ist. Eine Langzeitstudie (1967-2006; n = 4 689, 57 % Frauen) wies zudem nach, dass Menschen, die in jungen Jahren unter Migräne mit Aura leiden, ein erhöhtes Risiko haben, im späteren Leben im MRT infarktähnliche Läsionen zu entwickeln. WML sind ein signifikanter Prädiktor für Schlaganfälle bei Älteren.
Perivaskuläre Räume
Forscher der University of Southern California haben auf den Bildern signifikante Veränderungen in den perivaskulären Räumen einer Gehirnregion entdeckt, die als Centrum semiovale bezeichnet wird. Perivaskuläre Räume sind flüssigkeitsgefüllte Blasen, die Blutgefäße im Gehirn umgeben. Sie befinden sich am häufigsten in den Basalganglien in der Tiefe der Großhirnhemisphäre und dem Zentrum des Großhirns sowie entlang des Sehtrakts. Perivaskuläre Räume können Anomalien an der Blut-Hirn-Schranke und Entzündungen verursachen. Bei Patienten mit chronischer Migräne sind sowohl das Marklager sowie die perivaskulären Räume vergrößert. Die Forscher vermuten, dass signifikante Unterschiede in den perivaskulären Räumen bei Patienten mit Migräne im Vergleich zu gesunden auf eine glymphatische Störung im Gehirn hindeuten. Das glymphatische System ist dafür zuständig, lösliche Proteine und Metaboliten, die Abfälle sind, aus dem zentralen Nervensystem zu eliminieren.
Kleinhirnläsionen
Eine bevölkerungsbasierte Kohortenstudie zeigte, dass Frauen, die lange Jahre unter einer Migräne mit Aura leiden, im Alter häufiger kernspintomografische Läsionen im Kleinhirn haben. Es zeigte sich, dass Frauen, die regelmäßig unter Migräne (mit Aura) litten, häufiger kernspintomografische Läsionen im Gehirn aufwiesen, wobei diese Läsionen vor allem im Kleinhirn zu finden waren: Betroffen waren 23 Prozent der Frauen, die ein Vierteljahrhundert zuvor unter Migräne mit Aura gelitten hatten, aber nur bei 14,5 Prozent der anderen Frauen.
Migräne und kardiovaskuläres Risiko
Die aktuellste Metaanalyse zu kardiovaskulären Risiken aus dem Jahr 2018 befasste sich mit 16 Kohortenstudien mit mehr als einer Million Teilnehmenden, von denen 394.492 Patienten Migräne hatten. Es zeigte sich ein erhöhtes Risiko für ischämische oder hämorrhagische Schlaganfälle (1,42-fach), vor allem bei Migräne-Patienten mit Aura (1,56-fach mit Aura vs. Langzeit-Kohortenstudien belegen aber nicht nur ein erhöhtes Schlaganfallrisiko, sondern auch einen Zusammenhang zwischen Migräne und dem Auftreten anderer kardiovaskulärer Ereignisse wie Myokardinfarkt (1,39-fach erhöht) und kardiovaskuläre Mortalität (1,37-fach erhöht). Die aktuelle Studienlage deutet darauf hin, dass Migräne mit Aura ein ernst zu nehmender kardiovaskulärer Risikofaktor ist.
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Klinische Bedeutung der Läsionen
Die schlechte Nachricht ist: Die subklinischen Läsionen, die bei vielen Migräne-Patienten - oft zufällig bei einer aus anderen Gründen veranlassten Untersuchung - in der Kernspintomographie gefunden werden, vergrößern sich mit der Zeit. Doch Auswirkungen auf den Gesundheitszustand hatte dies in einer prospektiven Beobachtungsstudie nicht, was als gutes Zeichen zu bewerten ist. Gegen eine Gefährdung der Patienten spricht jedoch, dass die absolute Ausdehnung der Läsionen bei den inzwischen 57 Jahre alten Patienten begrenzt blieb, und die Untersuchungen der Patienten keine Hinweise auf Schlaganfall-Symptome oder einen Abfall der kognitiven Leistungen ergeben haben. Die kernspintomographischen Befunde sind deshalb weiterhin ohne klinische Bedeutung für die Patienten.
Therapie und Prävention
Nicht bekannt ist, ob eine wirksame medikamentöse Prophylaxe das kardiovaskuläre Risiko senken kann. Insbesondere Frauen mit Migräne mit Aura sollten auf das relativ erhöhte Schlaganfallrisiko hingewiesen werden, ohne sie jedoch zu verunsichern. Weitere Risikofaktoren wie die Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva oder Rauchen sollten möglichst vermieden werden.
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