Leben mit halbem Gehirn: Erfahrungen und erstaunliche Anpassungsfähigkeit

Wie kann ein Mensch mit nur einer Gehirnhälfte leben und ein weitgehend normales Leben führen? Kaum ein Organ scheint so verletzlich und kostbar wie das Gehirn. Schon bei kleinsten Störungen würden wir verheerende Folgen erwarten, schwere geistige und körperliche Behinderung oder gar Koma. Die Geschichte von Philipp Dörr und anderen Betroffenen zeigt jedoch die erstaunliche Wandlungsfähigkeit und Plastizität des Gehirns.

Der Fall Philipp Dörr: Ein Leben ohne links

Philipp Dörr ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, was möglich ist, wenn ein Mensch mit nur einer Gehirnhälfte lebt. Als Kind litt er unter schwerer Epilepsie, die sein Leben bedrohte. An manchen Tagen hatte er bis zu 30 Anfälle. Die Ärzte in der Klinik Mara in Bielefeld-Bethel sahen als letzten Ausweg die Entfernung der kranken Hirnhälfte. Nach der Operation, die er im Alter von elf Jahren hatte, war links aus seinem Leben verschwunden.

Die Operation und ihre Folgen

Die Aufnahmen von Philipps Schädel zeigen auf einer Seite nur schwarz - nichts. Nach dem Aufwachen aus der Narkose bemerkte Philipp, dass alles, was von links kam, wie aus dem Nichts auftauchte. Sein linker Arm war steif und unbeweglich, und sein linkes Bein reagierte nicht. Nach seiner Entlassung aus der Klinik hatte er Schwierigkeiten, sich in seiner Umgebung zurechtzufinden.

Rehabilitation und erstaunliche Fortschritte

Drei Jahre verbrachte Philipp in der Klinik, um sich an sein neues Leben zu gewöhnen. Langsam lernte die verbliebene Hirnhälfte, die Aufgaben der anderen Hälfte zu übernehmen. Anfangs litt Philipp unter "Neglect", einem Phänomen, bei dem die von der entfernten Hirnhälfte verarbeiteten Informationen nicht mehr wahrgenommen werden. Doch Schritt für Schritt übernahm sein Linkshirn all jene Aufgaben, die ehedem dem Rechtshirn zugewiesen waren. Mit einem Gerät, bei dem auf einem kreisrunden Plexiglasschirm verschieden helle Lichtpunkte aufleuchten, gelang es sogar, sein Gesichtsfeld wieder zu erweitern.

Heute, 18 Jahre nach der Operation, kann Philipp viel mehr als seine Ärzte ursprünglich erwartet hatten. Er kann laufen, sich räumlich orientieren und auch sein Blickfeld ist viel größer als zu Beginn. Es zeigt sich, dass Philipp ohne rechte Hirnhälfte seine linke Seite steuern kann. Im Magnetresonanztomographen stellen ihm seine Neurologen verschiedene Aufgaben und das Ergebnis verblüfft. Die verbleibende linke Hirnhälfte hat sich quasi neu verdrahtet und steuert nun beide Körperseiten, die linke dabei etwas schlechter. Das funktioniert nur, weil Philipp zum Zeitpunkt der OP mit elf Jahren gerade noch jung genug war, bestätigt Dr.

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Intellektuelle Fähigkeiten und Zukunftspläne

Trotz des Verlusts einer Hirnhälfte hat Philipps Intellekt nicht gelitten. Im Gegenteil, er ist überdurchschnittlich intelligent. Er spielt Schach, schreibt gute Noten und befasst sich mit Goethe, Mann und E.T.A. Hoffmann. Philipp steht kurz vor seinem Abschluss in Neuropsychologie und möchte anderen Mut machen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Die Plastizität des Gehirns: Ein Schlüssel zur Kompensation

Philipps Fall ist ein Extrembeispiel für die enorme Veränderungsfähigkeit des Gehirns, die sogenannte Plastizität. Das Gehirn ist in der Lage, sich neu zu organisieren und Funktionen von einer Hirnhälfte auf die andere zu verlagern. Dies ermöglicht es Menschen mit nur einer Hirnhälfte, ein weitgehend normales Leben zu führen.

Forschungsergebnisse zur Hirnaktivität

Eine Studie untersuchte die Gehirnaktivität von sechs Erwachsenen, denen im Kindesalter eine Hirnhälfte entfernt werden musste. Die Ergebnisse zeigten, dass die verbleibende Hirnhälfte eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Aktivität eines vollständigen Gehirns aufwies. Die einzelnen Netzwerke in den Hirnregionen, die für Sehen, Bewegung, Emotionen und Wahrnehmung verantwortlich sind, waren untereinander deutlich stärker verknüpft.

Die Rolle der funktionellen Konnektivität

Die erhöhte Kommunikation zwischen einzelnen Hirn-Netzwerken könnte ein wichtiger Kompensationsmechanismus sein. Womöglich ist es diese funktionelle Reorganisation, die die Grundlage für den Erhalt der kognitiven Fähigkeiten nach dem Verlust einer Gehirnhälfte bildet.

Weitere Fälle von Menschen mit halbem Gehirn

Philipp Dörr ist nicht der einzige Mensch, der mit einem halben Gehirn lebt. Es gibt weitere Fälle, die die erstaunliche Anpassungsfähigkeit des Gehirns verdeutlichen.

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Michelle Mack: Ein Leben mit nur einer Hirnhälfte

Michelle Mack wurde mit nur einer Hirnhälfte geboren. Die Ärzte vermuten, dass ein Schlaganfall vor der Geburt die Ursache dafür war, dass sich ihre linke Hirnhälfte nicht ausgebildet hat. Trotzdem lebt sie ein überraschend selbstständiges Leben.

Nele Korbach: Operation wegen epileptischer Anfälle

Die zweijährige Nele Korbach aus Duisburg lebt ebenfalls mit nur einer funktionsfähigen Gehirnhälfte. Mit acht Monaten wurde wegen einer Epilepsie ihr Hirn getrennt. Seit der Operation ist Nele halbseitig gelähmt, macht aber große Fortschritte.

Der Fall des französischen Beamten

Ein 44-jähriger französischer Beamter lebte jahrzehntelang unauffällig mit weniger als der Hälfte des normalen Hirnvolumens. Eine Flüssigkeitsansammlung im Gehirn hatte sein Gehirn in eine dünne Schicht gegen den Rand seines Schädels gedrückt. Trotzdem hatte er ein erfolgreiches Leben aufgebaut.

Ursachen und Behandlung von Erkrankungen, die eine Hemisphärektomie erforderlich machen

Eine Hemisphärektomie, die Entfernung oder Abtrennung einer Hirnhälfte, ist ein seltener Eingriff, der in der Regel nur bei schwersten Formen von Epilepsie durchgeführt wird, die nicht auf andere Behandlungen ansprechen.

Epilepsie

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Krampfanfälle gekennzeichnet ist. Die Anfälle werden durch eine übermäßige Aktivität von Nervenzellen im Gehirn verursacht. In einigen Fällen kann die Epilepsie auf eine bestimmte Hirnhälfte begrenzt sein.

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Rasmussen-Enzephalitis

Die Rasmussen-Enzephalitis ist eine seltene, chronisch-entzündliche Erkrankung des Gehirns, die vor allem Kinder betrifft. Die Entzündung führt zu einer fortschreitenden Schädigung einer Hirnhälfte, was zu epileptischen Anfällen, Lähmungen und kognitiven Beeinträchtigungen führen kann.

Schlaganfall

Ein Schlaganfall tritt auf, wenn die Blutversorgung des Gehirns unterbrochen wird. Dies kann zu einer Schädigung des Gehirngewebes führen. In einigen Fällen kann ein Schlaganfall eine Hirnhälfte so stark schädigen, dass eine Hemisphärektomie erforderlich ist.

Andere Ursachen

In seltenen Fällen kann eine Hemisphärektomie auch bei anderen Erkrankungen erforderlich sein, wie z. B. Tumoren oder angeborenen Fehlbildungen des Gehirns.

Die Bedeutung der frühen Intervention und Rehabilitation

Die Ergebnisse nach einer Hemisphärektomie hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. dem Alter des Patienten, dem Ausmaß der Schädigung des Gehirns und der Ursache der Erkrankung. Eine frühe Intervention und Rehabilitation können jedoch die Chancen auf eine bestmögliche Entwicklung verbessern.

Physiotherapie

Physiotherapie kann helfen, die motorischen Fähigkeiten zu verbessern und Lähmungen zu reduzieren.

Ergotherapie

Ergotherapie kann helfen, dieAlltagsfertigkeiten zu verbessern und die Selbstständigkeit zu fördern.

Sprachtherapie

Sprachtherapie kann helfen, die Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern.

Neuropsychologische Therapie

Neuropsychologische Therapie kann helfen, kognitive Beeinträchtigungen zu behandeln und die Lernfähigkeit zu verbessern.

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