Morbus Parkinson ist eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen, von der allein in Deutschland etwa 400.000 Menschen betroffen sind. Angesichts dieser hohen Prävalenz und der stetigen Zunahme von Parkinson-Fällen aufgrund des demografischen Wandels ist es von entscheidender Bedeutung, dass Ärzte und Betroffene Zugang zu den neuesten Erkenntnissen und Behandlungsrichtlinien haben. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat daher in Zusammenarbeit mit 19 Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Organisationen eine neue, vollständig überarbeitete S2k-Leitlinie für die Diagnostik und Therapie der Parkinson-Krankheit herausgegeben. Federführend bei der Leitlinienkoordination waren Prof. Dr. Günter Höglinger und Prof. Dr. Claudia Trenkwalder. Diese Leitlinie soll die Versorgung von Menschen mit Parkinson verbessern, von der Früherkennung bis hin zur individuell passenden Behandlung.
Was ist Morbus Parkinson?
Morbus Parkinson ist eine chronische, fortschreitende neurologische Erkrankung, die hauptsächlich die Nervenzellen in einem bestimmten Bereich des Gehirns betrifft, der als Substantia nigra bezeichnet wird. Diese Zellen produzieren Dopamin, einen Neurotransmitter, der für die Steuerung von Bewegungen unerlässlich ist. Beim idiopathischen Parkinson-Syndrom (IPS), der häufigsten Form der Erkrankung, sterben diese Zellen aus unbekannter Ursache ab, was zu einem Dopaminmangel führt.
Ursachen und Entstehung
Die genauen Ursachen für das Absterben der Nervenzellen bei Morbus Parkinson sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass sich in den betroffenen Nervenzellen Ablagerungen (Lewy-Körperchen) bilden, die hauptsächlich aus Verklumpungen des Eiweißmoleküls Alpha-Synuklein bestehen. Diese Ablagerungen werden als mögliche Ursache für den neurodegenerativen Prozess diskutiert. Während das idiopathische Parkinson-Syndrom etwa 75 Prozent aller Parkinson-Syndrome ausmacht, gibt es auch seltene genetische Formen und das sekundäre Parkinson-Syndrom, das beispielsweise durch Medikamente oder andere Erkrankungen ausgelöst werden kann.
Symptome
Die Symptome von Morbus Parkinson entwickeln sich schleichend und können von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Zu den Hauptsymptomen gehören:
- Zittern (Tremor): Unwillkürliches Zittern, meist in Ruhe.
- Muskelsteifheit (Rigor): Erhöhter Muskeltonus, der zu Steifheit und Bewegungseinschränkungen führt.
- Verlangsamte Bewegungen (Bradykinese): Verlangsamung der willkürlichen Bewegungen.
- Gleichgewichtsstörungen: Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, was zu Stürzen führen kann.
Zusätzlich zu diesen motorischen Symptomen können auch nicht-motorische Symptome auftreten, wie z. B.:
Lesen Sie auch: Schlaganfallprävention: Lebensstil und Medikamente
- Freezing: Plötzliches "Einfrieren" der Bewegungen.
- Sprach- und Schluckstörungen: Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken.
- Vegetative Störungen: Probleme mit der Funktion des autonomen Nervensystems, wie z. B. Verstopfung, Blasenstörungen und Blutdruckschwankungen.
- Schlafstörungen: Schlafprobleme, wie z. B. unruhiger Schlaf, Albträume und das Restless-Legs-Syndrom.
- Depressionen und Angstzustände: Psychische Begleiterscheinungen der Erkrankung.
- Geruchsstörungen: Verminderung oder Verlust des Geruchssinns.
Die ersten Anzeichen der Erkrankung können oft schon Jahre vor dem Auftreten der Hauptsymptome auftreten und werden manchmal zuerst von Angehörigen bemerkt.
Epidemiologie
Die Parkinson-Krankheit ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Weltweit hat sich die Zahl der Parkinson-Patienten von 2,5 Millionen im Jahr 1990 auf etwa 6,1 Millionen im Jahr 2016 erhöht. Dieser Anstieg ist hauptsächlich auf den demografischen Wandel zurückzuführen, d. h. die zunehmende Alterung der Bevölkerung. Die Häufigkeit der Erkrankung hat sich jedoch auch innerhalb einzelner Altersgruppen erhöht. In Deutschland wird Parkinson meist zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr diagnostiziert, wobei etwa jeder zehnte Patient jünger als 40 Jahre ist.
Diagnostik
Die Diagnose von Morbus Parkinson basiert hauptsächlich auf der klinischen Untersuchung und der Erhebung der Krankengeschichte. Da die Symptome sehr unterschiedlich sein können und sich schleichend entwickeln, ist eine frühzeitige und differenzierte Diagnose entscheidend für den Behandlungserfolg. Die neue Leitlinie empfiehlt daher, bei Verdacht auf Parkinson zusätzliche diagnostische Verfahren in Betracht zu ziehen, wie z. B.:
- Geruchstestung: Überprüfung des Geruchssinns, da dieser oft schon frühzeitig beeinträchtigt ist.
- Polysomnographie: Untersuchung im Schlaflabor, um Schlafstörungen zu erkennen.
- Kraniale Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebung des Gehirns, um andere Erkrankungen auszuschließen.
Darüber hinaus empfiehlt die Leitlinie erstmals, auf Wunsch der Betroffenen eine humangenetische Diagnostik durchzuführen, insbesondere wenn Parkinson in der Familie auftritt oder die Symptome vor dem 50. Lebensjahr beginnen. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass eine nicht zu vernachlässigende Anzahl der Fälle von Parkinson-Krankheit durch genetische Varianten verursacht wird. Daher empfiehlt die Leitlinie den allgemeineren Begriff Parkinson-Krankheit anstelle von "idiopathischem Parkinson-Syndrom", um diesen Fällen Rechnung zu tragen.
Therapie
Obwohl Morbus Parkinson derzeit nicht heilbar ist, gibt es eine Vielzahl von Therapien, die die Symptome lindern und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern können. Die Behandlung wird individuell an den Patienten angepasst, da die Beschwerden variieren und unterschiedlich schnell fortschreiten können.
Lesen Sie auch: Epilepsie im Kindesalter: Die offizielle Leitlinie erklärt
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie zielt darauf ab, den Dopaminmangel im Gehirn auszugleichen. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen:
- Dopamin-Ersatz: Medikamente wie L-Dopa werden in Dopamin umgewandelt und gleichen so den Mangel aus.
- Dopamin-Agonisten: Diese Medikamente ähneln Dopamin und aktivieren die Dopaminrezeptoren im Gehirn.
- MAO-B-Hemmer: Diese Medikamente verhindern den Abbau von Dopamin im Gehirn und erhöhen so die Dopaminkonzentration.
- COMT-Hemmer: Diese Medikamente verlängern die Wirkung von L-Dopa, indem sie den Abbau von Dopamin verhindern.
Im Laufe der Erkrankung kann es jedoch zu Fluktuationen und Dyskinesien kommen, bei denen die Medikamente nicht mehr ausreichend wirken oder unerwünschte Nebenwirkungen verursachen. In solchen Fällen können invasive Therapien in Betracht gezogen werden.
Invasive Therapien
Invasive Therapien kommen infrage, wenn die medikamentöse Behandlung nicht mehr ausreichend wirksam ist oder zu starken Nebenwirkungen führt. Zu den invasiven Therapien gehören:
- Tiefe Hirnstimulation (THS): Bei der THS werden Elektroden in bestimmte Hirnareale implantiert, die durch elektrische Impulse bestimmte Hirnregionen positiv beeinflussen. Die THS kann die motorischen Symptome wie Tremor, Rigor und Bradykinese deutlich verbessern und die Lebensqualität der Patienten erhöhen.
- Pumpentherapien: Bei der Pumpentherapie werden Medikamente wie L-Dopa oder Apomorphin kontinuierlich über eine Pumpe verabreicht. Dies kann helfen, die Dopaminspiegel im Gehirn konstant zu halten und Fluktuationen und Dyskinesien zu reduzieren. Es gibt zwei Arten von Pumpentherapien:
- L-Dopa-Pumpe: Hierbei wird L-Dopa über eine Sonde in den Dünndarm verabreicht.
- Apomorphin-Pumpe: Hierbei wird Apomorphin unter die Haut infundiert.
- Läsionelle Verfahren: Diese Verfahren zielen darauf ab, bestimmte Hirnareale, die für die Parkinson-Symptome verantwortlich sind, zu zerstören oder zu deaktivieren. Zu den läsionellen Verfahren gehören:
- Radiofrequenz-Thermokoagulation: Hierbei wird eine Elektrode in das Zielgebiet eingeführt und durch Erhitzen das Gewebe zerstört.
- Radiotherapie: Hierbei wird das Zielgebiet mit fokussierter Gammastrahlung bestrahlt, was zu einer langsamen Zerstörung der Zielregion führt.
- MRT-gesteuerter fokussierter Ultraschall (FUS): Hierbei wird Ultraschallenergie auf das Zielgebiet fokussiert, um das Gewebe zu erhitzen und zu zerstören.
Die Wahl der geeigneten invasiven Therapie hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. den spezifischen Symptomen, dem Alter und dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten. Die Entscheidung sollte in enger Absprache mit einem erfahrenen Spezialisten getroffen werden.
Weitere Therapieansätze
Neben der medikamentösen und invasiven Therapie gibt es weitere Therapieansätze, die die Behandlung von Morbus Parkinson ergänzen können:
Lesen Sie auch: Aktuelle Leitlinie: Small-Fiber-Neuropathie
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Beweglichkeit, Kraft und Koordination zu verbessern.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, den Alltag besser zu bewältigen und die Selbstständigkeit zu erhalten.
- Logopädie: Logopädie kann helfen, Sprach- und Schluckstörungen zu verbessern.
- Psychotherapie: Psychotherapie kann helfen, Depressionen, Angstzustände und andere psychische Probleme zu bewältigen.
- Sport und Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität kann die motorischen Fähigkeiten verbessern und die Lebensqualität steigern.
Bedeutung der neuen Leitlinie
Die neue S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie stellt einen wichtigen Fortschritt für die Versorgung von Menschen mit Parkinson dar. Sie basiert auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und bietet detaillierte Empfehlungen zur Diagnose und Therapie der Erkrankung. Die Leitlinie soll die klinische, ambulante und stationäre Versorgung von Menschen mit Parkinson weiter verbessern und dazu beitragen, dass Betroffene eine individuell passende und bestmögliche Behandlung erhalten.
Wichtige Neuerungen und Empfehlungen der Leitlinie
- Frühere und differenziertere Diagnose: Die Leitlinie betont die Bedeutung einer frühzeitigen Diagnose und empfiehlt, bei Verdacht auf Parkinson zusätzliche diagnostische Verfahren in Betracht zu ziehen.
- Humangenetische Diagnostik: Erstmals empfiehlt die Leitlinie, auf Wunsch der Betroffenen eine humangenetische Diagnostik durchzuführen, insbesondere wenn Parkinson in der Familie auftritt oder die Symptome vor dem 50. Lebensjahr beginnen.
- Individuelle Therapie: Die Leitlinie betont die Bedeutung einer individuellen Therapie, die an die spezifischen Symptome und Bedürfnisse des Patienten angepasst ist.
- Invasive Therapien: Die Leitlinie gibt detaillierte Empfehlungen zum Einsatz von invasiven Therapien wie Tiefe Hirnstimulation und Pumpentherapien.
- Nicht-motorische Symptome: Die Leitlinie berücksichtigt auch die nicht-motorischen Symptome von Parkinson und empfiehlt entsprechende Behandlungsstrategien.
Forschungsperspektiven
Die Parkinson-Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, um die Symptome der Erkrankung zu lindern. Die Lebenserwartung von Menschen mit Parkinson ist heute weitgehend normal. In Deutschland und international werden daher neue Therapien erforscht, die an der Ursache der Erkrankung ansetzen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung von Therapien, die das Fortschreiten der Erkrankung bremsen, ihren Ausbruch verzögern oder ihn sogar verhindern können. Die Erkenntnisse zu den genetischen Ursachen der Parkinson-Krankheit bieten neue Ansatzpunkte für die Entwicklung solcher ursächlichen Therapien.