Systemische Sklerose: Neue Leitlinie verbessert Diagnostik und Therapie

Die systemische Sklerose (SSc) ist eine seltene und schwerwiegende Autoimmunerkrankung, die durch eine übermäßige Bildung von Bindegewebe gekennzeichnet ist. Eine neue S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie (DGRh) soll die Versorgung der Betroffenen verbessern.

Was ist systemische Sklerose?

Die systemische Sklerose (SSc), auch bekannt als systemische Sklerodermie, ist eine seltene chronisch-entzündliche Erkrankung des Bindegewebes. In Europa sind etwa 300 von einer Million Menschen betroffen, in Deutschland schätzungsweise 20.000. Frauen erkranken etwa fünfmal häufiger als Männer. Die SSc gehört zu den Kollagenosen, einer Gruppe seltener entzündlich-rheumatischer Erkrankungen des Bindegewebes unklarer Genese. Da bei diesen Erkrankungen das Bindegewebe angegriffen wird, kann im Prinzip jedes Organ betroffen sein. Sie gehen einher mit einer Störung der Regulation des Immunsystems und der Bildung von Autoantikörpern.

Die Ursachen der SSc sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass sowohl genetische Faktoren als auch Umwelteinflüsse eine Rolle spielen. Diskutiert werden unter anderem Umweltfaktoren wie Kieselsäure, Silikon, Lösungsmittel und Kohlenwasserstoffe, aber auch hormonelle Faktoren. So scheinen beispielsweise Umweltnoxen wie Dieselgase bzw. Benzol die Erkrankungsschwere zu modifizieren.

Kennzeichnend für die SSc sind fibrotische Veränderungen der Haut und des darunter liegenden Gewebes, die zur Verhärtung und Vernarbung der Haut führen. Auch innere Organe können betroffen sein. Die Veränderungen gehen mit Anomalien und einer Fibrose von Blutgefäßen einher. Häufig leiden SSc-Patienten zusätzlich unter Allgemeinbeschwerden wie Fatigue, Schlafprobleme, Schmerzen und Kraftverlust.

Die neue S2k-Leitlinie der DGRh

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie (DGRh) hat in Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften und Verbänden eine neue S2k-Leitlinie zur "Diagnostik und Therapie der systemischen Sklerose" (SSc) veröffentlicht. Die Leitlinie soll die Versorgung der Patienten verbessern, insbesondere durch eine frühzeitige Diagnostik und einen raschen Therapiebeginn. Dadurch sollen irreversible Organschäden vermieden und die Lebensqualität langfristig verbessert werden.

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Ziel und Schwerpunkte der Leitlinie

Ziel der Leitlinie ist es, eine evidenzbasierte und patientenorientierte Versorgung der systemischen Sklerose zu gewährleisten. Sie legt besonderen Wert auf:

  • Frühzeitige Diagnose: Die Leitlinie empfiehlt eine strukturierte und regelmäßige Kontrolle der Krankheitsaktivität mit validierten Instrumenten, um eine individuelle und risikoangepasste Therapie planen zu können.

  • Organbeteiligung: Die Leitlinie berücksichtigt stärker die Herzbeteiligung, eine der Haupttodesursachen der SSc. Zudem wird die Bedeutung des Zahn-, Mund- und Kieferstatus hervorgehoben, da Mund, Zunge, Zahnfleisch, Zähne und Kiefergelenk häufig in das Krankheitsgeschehen einbezogen sind.

  • Sexualität, Fruchtbarkeit und Schwangerschaft: Die Leitlinie bezieht erstmals ausführlich Themen wie sexuelle Dysfunktionen, Familienplanung und Risikoschwangerschaften in die Behandlungsempfehlungen ein.

  • Behandlung in spezialisierten Zentren: Empfohlen wird die Behandlung in spezialisierten Versorgungszentren durch ein interdisziplinäres Team aus Rheumatologie, Kardiologie, Pulmologie, Nephrologie und Dermatologie.

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Erweiterung bestehender Empfehlungen

Die neue Leitlinie erweitert in einigen Punkten die Empfehlungen der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR). Dazu gehört zum Beispiel die Herzbeteiligung. Von großer Relevanz ist bei SSc-Erkrankten zudem der Zahn-, Mund- und Kieferstatus. Auch dazu gibt die neue Leitlinie Empfehlungen. Denn Mund, Zahnfleisch, Zunge und Zähne sind ebenso wie Kiefergelenk und Gesicht häufig am Krankheitsbild beteiligt.

Symptome und Diagnose der systemischen Sklerose

Kennzeichnend für die systemische Sklerose ist das Raynaud-Syndrom, das bei nahezu allen SSc-Patienten auftritt. Häufig wird es erst Jahre, nachdem die Diagnose gestellt wurde, der Erkrankung zugeordnet. Die Hautbeteiligung mit früher Fibrose und späterer Sklerose ist ebenfalls kennzeichnend und betrifft fast alle Patienten. Meist beginnen die Veränderungen mit Schwellungen und Rötungen an den Fingern, den sogenannten „Puffy Fingers“. Im weiteren Verlauf kann die Schwellung abnehmen, während sich eine Sklerodaktylie mit Ödemen, anschließender Induration und folgender Atrophie manifestiert.

Von der systemischen Sklerose können darüber hinaus fast alle Organe der Patienten im Verlauf der Erkrankung betroffen sein. Arthralgien sind ebenfalls ein häufiges Krankheitszeichen, das auf die Hautschrumpfung und die resultierende Behinderung der Beweglichkeit zurückgeführt werden kann. Alle Abschnitte des Verdauungstraktes können durch die Fibrose und Sklerosierung in ihren Funktionen gestört werden. Auch Veränderungen an den Nieren können auftreten. Trockene Schleimhäute und schlecht heilende Wunden im Vaginalbereich sind häufig Gründe einer gestörten weiblichen Sexualfunktion. Bei Männern können Durchblutungsstörungen zu eingeschränkter Potenz oder erektiler Dysfunktion führen.

Die Diagnose der SSc wird anhand der Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) und der European League Against Rheumatism (EULAR) von 2013 gestellt. Dabei werden Punkte für Veränderungen an der Haut, den Nagelfalz-Kapillaren, für die Präsenz von PAH oder interstitieller Lungenerkrankung, Raynaud-Syndrom und erhöhten SSc-spezifischen Antikörpern vergeben. Bei Erreichen von mindestens neun Punkten wird eine SSc diagnostiziert.

Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit

Ein wichtiger Aspekt der neuen Leitlinie ist die Empfehlung zur Behandlung in spezialisierten Versorgungszentren durch ein interdisziplinäres Team. Dies umfasst neben Rheumatologen auch Expertinnen und Experten für Lunge, Herz, Niere und Haut. „Die multidisziplinäre Zusammenarbeit trägt entscheidend dazu bei, komplexe Verläufe frühzeitig zu erkennen und gezielt zu behandeln“, betonte der Leitlinienkoordinator Prof. Dr. Norbert Blank. Auch Patientenschulungen und eine partizipative Entscheidungsfindung zwischen ärztlichem Team und Erkrankten seien unverzichtbare Bestandteile der modernen Versorgung.

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Herausforderungen und Ausblick

Trotz der neuen Leitlinie undFortschritten in der Forschung bleibt die systemische Sklerose eine große Herausforderung für Patienten und Ärzte. Die Erkrankung ist komplex und verläuft bei jedem Patienten anders. Es gibt derzeit keine Heilung, aber die Behandlung kann helfen, die Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.

Die neue Leitlinie ist ein wichtiger Schritt, um die Versorgung von SSc-Patienten in Deutschland zu verbessern. Sie bietet eine fundierte wissenschaftliche Grundlage für die Diagnostik und Therapie und gibt praxisnahe Handlungsempfehlungen. Es ist zu erwarten, dass die Umsetzung der Leitlinie in der klinischen Praxis zu einer frühzeitigeren Diagnose, einer besseren Behandlung und einer höheren Lebensqualität der Betroffenen führen wird.

Die Rolle des DETECT-Algorithmus

Der DETECT-Algorithmus ist ein Screening-Instrument zur Identifizierung eines erhöhten PAH-Risikos bei SSc. Er ermöglicht eine frühzeitige Intervention und ist für das Überleben der Betroffenen essenziell. Die frühe Diagnosestellung und gezielte Behandlung einer PAH ist für das Überleben der Betroffenen essenziell.

Sterblichkeit und Prognose

Die SSc weist unter den rheumatischen Erkrankungen die höchste krankheitsspezifische Mortalität auf. Pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) und Lungenfibrose sind die häufigsten Todesursachen vor den Folgen gastrointestinaler oder kardialer Beteiligungen, renaler Krisen oder Multiorganversagen. Eine aktuelle Analyse des EUSTAR-Registers zeigt, dass etwa 58 % der Todesfälle direkt auf die SSc zurückzuführen sind. Eine Untersuchung aus Hongkong zeigte, dass die Lebenserwartung SSc-erkrankter Frauen um etwa 34 Jahre erniedrigt ist, bei Männern um etwa 16 Jahre.

Die pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) ist eine spezifische Form der Pulmonalen Hypertonie und gehört nach Klassifikation der WHO zur Gruppe 1 der Pulmonalen Hypertonien. Nach idiopathischer PAH ist SSc die zweithäufigste Ursache. Die PAH ist Ausdruck der SSc-spezifischen obliterativen Vaskulopathie der Lungengefäße. Sie geht meist mit dem rasch progredienten Verlauf der systemischen Sklerose einher. Die PAH ist der prognosebestimmende Faktor bei SSc. Dabei weist die mit SSc assoziierte PAH eine deutlich schlechtere Prognose auf als die idiopathische Form.

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