Lorazepam in der Behandlung von Epilepsie: Ein umfassender Überblick

Lorazepam, ein Wirkstoff aus der Gruppe der Benzodiazepine, findet aufgrund seiner beruhigenden, angstlösenden, muskelentspannenden und krampflösenden Eigenschaften vielfältige Anwendung in der Medizin. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle von Lorazepam bei der Behandlung von Epilepsie, insbesondere im Status epilepticus, und bietet einen umfassenden Überblick über Wirkmechanismen, Anwendung, Dosierung, Nebenwirkungen und wichtige Hinweise.

Was ist Lorazepam?

Lorazepam gehört zu den mittellangwirksamen Benzodiazepinen. Benzodiazepine dämpfen stark die Informationsübertragung in bestimmten Gehirnregionen. Es wirkt beruhigend, angst- und spannungslösend und schlaffördernd. Es wird zur symptomatischen Kurzzeitbehandlung eingesetzt. Aufgrund seiner langen Wirkdauer eignet sich der Wirkstoff bei Schlafstörungen vorrangig bei Durchschlafproblemen. Es kann aber auch zur Behandlung von Unruhestörungen, speziell Panikattacken, verwendet werden. Im Gegensatz zu Antipsychotika und Antidepressiva ist es zudem antikonvulsiv und wird bei Status epilepticus eingesetzt.

Wirkmechanismus von Lorazepam

Lorazepam ist ein Benzodiazepin-Agonist. Seine Zielstrukturen sind, wie bei den meisten Benzodiazepinen, GABA (Gamma-Amino-Buttersäure)-Rezeptoren im zentralen Nervensystem. Dort bindet es an eine spezifische modulatorische Stelle des Rezeptors. Gleichzeitig öffnen sich in der Zellmembran befindliche Chloridionen-Kanäle. Die Zellmembran hyperpolarisiert, die Transmission von Signalen in den Nerven sinkt und mit ihr die Erregung der Nerven.

Abhängig von der Dosierung ändert sich die Wirkung auf das zentrale Nervensystem. In niedrigen Dosen wirkt Lorazepam vor allem beruhigend und angstlösend. Durch Steigerung der Dosis entsteht zusätzlich ein muskelrelaxierender Effekt. Wird die Dosis noch weiter erhöht, wirkt Lorazepam schlafanstoßenden bis schlaferzwingenden.

Pharmakokinetik: Aufnahme, Verteilung, Metabolismus und Ausscheidung

Lorazepam wird bei oraler Gabe gut absorbiert und hat eine hohe Bioverfügbarkeit von 90%. Bei intramuskulärer Gabe wird es vollständig und schnell absorbiert. Die maximale Plasmakonzentration ist bei oraler oder intramuskulärer Gabe nach etwa drei Stunden erreicht. Der Großteil des Wirkstoffs liegt an Plasmaproteine gebunden vor. In der Leber wird der Wirkstoff mit Glucuronsäure konjugiert. Der daraus entstehende inaktive Metabolit wird vorrangig über die Nieren ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt rund zwölf bis 16 Stunden nach der Einnahme.

Lesen Sie auch: Anwendung von Lorazepam

Anwendung von Lorazepam bei Epilepsie

Lorazepam spielt eine wichtige Rolle in der Notfallbehandlung von epileptischen Anfällen, insbesondere beim Status epilepticus.

Status Epilepticus

Der Status epilepticus ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der durch einen anhaltenden Anfall (länger als fünf Minuten) oder wiederholte Anfälle ohne vollständige Erholung des Bewusstseins zwischen den Anfällen gekennzeichnet ist. Die rasche Unterbrechung des Status epilepticus ist entscheidend, um neurologische Schäden und Komplikationen zu vermeiden.

Lorazepam als Mittel der ersten Wahl

Lorazepam wird häufig als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung des Status epilepticus eingesetzt. Es kann intravenös (i.v.) oder intramuskulär (i.m.) verabreicht werden. Die intravenöse Gabe ermöglicht eine schnelle Anflutung des Wirkstoffs im Gehirn und somit eine rasche Anfallskontrolle.

Dosierung und Verabreichung

Tritt ein Status epilepticus auf, können bei Patienten ab 18 Jahren 4 mg Lorazepam langsam intravenös injiziert werden. Die Injektionsgeschwindigkeit sollte 2 mg pro Minute betragen. Kann der Anfall so nicht unterbrochen werden oder tritt innerhalb der nächsten 10 bis 15 Minuten erneut ein Anfall auf, kann die Behandlung wiederholt werden. Eine Maximaldosis von 8 mg Lorazepam innerhalb von 12 Stunden sollte jedoch nicht überschritten werden.

Bei älteren oder geschwächten Patienten muss die Tagesgesamtdosis halbiert werden, bei Patienten mit leichter, mittelgradiger oder hoher Leber- oder Niereninsuffizienz noch weiter.

Lesen Sie auch: Kann ein Anfall tödlich sein?

Alternative zu Lorazepam: Midazolam

Eine Studie verglich die i.m.-Gabe von Midazolam mit der i.v.-Gabe von Lorazepam bei der Notfallversorgung von Patienten im Status epilepticus. Die Ergebnisse zeigten, dass Midazolam i.m. mindestens so effektiv und sicher war wie Lorazepam i.v. Bei den Patienten, die anfallsfrei in die Notaufnahme kamen, waren zwischen Ankunft der Sanitäter und Applikation von Midazolam im Mittel 1,2 Minuten vergangen, bei Lorazepam hatte es mit 4,8 Minuten viermal so lange gedauert. In Bezug auf die anschließende Zeit bis zum Sistieren der Anfälle war allerdings Lorazepam schneller als Midazolam (1,6 vs. 3,3 Minuten).

Weitere Schritte bei Status epilepticus

Wenn Lorazepam oder Midazolam den Anfall nicht durchbrechen, müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören die Gabe von Antikonvulsiva wie Levetiracetam oder Valproat. In schweren Fällen kann eine Narkoseeinleitung mit Propofol und (Es)ketamin erforderlich sein.

Weitere Anwendungsgebiete von Lorazepam

Neben der Behandlung von Epilepsie wird Lorazepam auch bei anderen Erkrankungen eingesetzt:

  • Angststörungen: Lorazepam kann zur kurzzeitigen Behandlung von Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen eingesetzt werden.
  • Schlafstörungen: Aufgrund seiner beruhigenden Wirkung kann Lorazepam bei Schlafstörungen, insbesondere bei Durchschlafproblemen, hilfreich sein.
  • Prämedikation vor Eingriffen: Lorazepam kann zur Beruhigung vor diagnostischen oder operativen Eingriffen eingesetzt werden.
  • Alkoholentzug: Nach einem Anfall im Rahmen eines Alkoholentzugs kann Lorazepam zur Therapie des Entzugssyndroms eingesetzt werden.

Dosierung und Anwendung von Lorazepam

Die Dosierung von Lorazepam ist abhängig vom Behandlungsgrund und der Schwere der Krankheit. Die Dosis sollte so niedrig wie möglich angesetzt werden und die Behandlung so kurz wie möglich sein.

Die Tagesdosis in Tablettenform beträgt in der Regel 0,5 mg bis 2,5 mg Lorazepam. Sie kann als einmalige abendliche Dosis verabreicht werden oder auf zwei bis drei Einzeldosen verteilt. In Einzelfällen kann die Tagesdosis bis auf maximal 7,5 mg erhöht werden. Dabei sollten jedoch alle Vorsichtshinweise sorgfältig beachtet werden.

Lesen Sie auch: Cortison-Therapie bei Epilepsie im Detail

Patienten mit akuten psychiatrischen Symptomen können zwischenzeitlich im Kliniksetting kurzzeitig über intravenöse oder intramuskuläre Injektionen mit 0,05 mg pro Kilogramm Körpergewicht behandelt werden.

Soll eine Sedierung vor oder nach diagnostischen oder operativen Eingriffen mit Lorazepam erfolgen, sollte am Vorabend des Eingriffs 1 mg bis 2,5 mg des Wirkstoffs gegeben werden und bzw. oder gegebenenfalls etwas ein bis zwei Stunden vor dem Eingriff 2 mg bis 4 mg. Erfolgt die Gabe intravenös, wird ein Richtwert von 0,044 mg pro Kilogramm Körpergewicht 15 bis 20 Minuten vor dem Eingriff angesetzt. Auch hier gilt eine Höchstdosis von 4 mg.

Nebenwirkungen von Lorazepam

Die Nebenwirkungen von Lorazepam resultieren meist direkt aus der erwünschten dämpfenden Wirkung:

  • Sehr häufig (mehr als 1 von 10 Behandelten): Müdigkeit, Schläfrigkeit, Benommenheit
  • Häufig (weniger als 1 von 10, aber mehr als 1 von 100 Behandelten): Mattigkeit, Muskelschwäche, Verwirrtheit, Depressionen, Schwindelgefühl

Kinder, Ältere und Menschen mit Erkrankungen des Gehirns können auf die Einnahme paradox, also mit Erregung, Unruhe, Schlafstörungen oder gesteigertem Angstempfinden, reagieren.

Weitere mögliche Nebenwirkungen

  • Abhängigkeitsentwicklung mit Entzugssymptomen wie Kopf- und Muskelschmerzen, Angst und Unruhe bis hin zu Desorientiertheit, Halluzinationen oder Krampfanfällen.
  • Verringertes Reaktionsvermögen mit einem erhöhten Risiko für Unfälle und Stürze.
  • Toleranzentwicklung.
  • Paradoxe Reaktionen, insbesondere bei älteren Menschen.

Wichtige Hinweise zur Einnahme von Lorazepam

  • Wechselwirkungen: Lorazepam kann die Wirkung anderer Medikamente verstärken, insbesondere von solchen, die ebenfalls dämpfend auf das zentrale Nervensystem wirken (z.B. andere Schlafmittel, Beruhigungsmittel, Antidepressiva, Antiepileptika, Opioide, Antihistaminika).
  • Alkohol: Während der Einnahme von Lorazepam sollte auf Alkohol verzichtet werden, da dieser die Nebenwirkungen verstärken und das Abhängigkeitsrisiko erhöhen kann.
  • Fahrtüchtigkeit und Bedienen von Maschinen: Lorazepam kann die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen. Daher sollten in den ersten Tagen der Behandlung weder Fahrzeuge noch Maschinen bedient werden.
  • Abhängigkeit: Lorazepam kann bereits bei niedriger Dosis und kurzer Behandlungsdauer zu Abhängigkeit führen. Die Behandlung sollte daher so kurz wie möglich sein und nicht abrupt beendet werden.
  • Ausschleichen: Um Entzugserscheinungen zu vermeiden, sollte Lorazepam unter ärztlicher Anleitung über 1-2 Wochen ausgeschlichen werden.

Gegenanzeigen

Lorazepam darf nicht angewendet werden bei:

  • Bekannter Benzodiazepin-Abhängigkeit
  • Myasthenia gravis (autoimmun vermittelte Muskelschwäche)
  • Atemfunktionsstörungen
  • Überempfindlichkeit gegenüber Lorazepam

Lorazepam in Schwangerschaft und Stillzeit

Benzodiazepine als Gruppe sind gut untersucht, wobei die meisten Erfahrungen zu Diazepam vorliegen. Eine Studie mit Lorazepam bei mehr als 100 ausgewerteten Schwangerschaften konnte kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nachweisen.

Bei Einnahme im letzten Schwangerschaftsmonat aber kommt es häufiger zum "floppy infant syndrome" (schlaffes Kleinkind-Syndrom), da der Wirkstoff ungehindert die Plazenta überwinden kann und somit auch im Kind seine Wirkung entfaltet. Besser geeignete Alternativen in der Schwangerschaft sind daher Promethazin (für akute Angstzustände), Amitriptylin (für Schlafstörungen) und Quetiapin (für psychotische Erkrankungen).

Für die Stillzeit liegen publizierte Erfahrungen zur Anwendung von Lorazepam bei mehr als 100 Mutter-Kind-Paaren vor. Wenn eine Mutter Einzeldosen von Lorazepam zur Akutbehandlung erhält, ist keine Stillpause notwendig. In Kombination mit weiteren zentral aktiven Wirkstoffen kann es zu Nebenwirkungen beim Säugling (v.a. Sedierung) kommen.

tags: #lorazepam #bei #epilepsie #behandlung