Das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) im Schwerbehindertenausweis ist ein Nachteilsausgleich für Menschen mit erheblichen Einschränkungen ihrer Mobilität. Insbesondere bei neurologischen Erkrankungen wie Polyneuropathie kann dieses Merkzeichen eine wichtige Unterstützung darstellen. Dieser Artikel beleuchtet die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG bei Polyneuropathie, die damit verbundenen Vorteile und die relevanten rechtlichen Grundlagen.
Voraussetzungen für das Merkzeichen aG
Außergewöhnliche Gehbehinderung
Das Merkzeichen aG erhalten Personen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung. Dies bedeutet, dass die Fortbewegung außerhalb des Autos dauerhaft nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung möglich ist. Oftmals benötigen Betroffene auch für kurze Strecken einen Rollstuhl. Die Mobilität muss so stark eingeschränkt sein, dass allein dies einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 rechtfertigt.
Mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung
Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung muss vorliegen, die mindestens einem GdB von 80 entspricht. Die Einschränkungen können beispielsweise durch bewegungsbezogene, neuromuskuläre oder geistige Störungen sowie durch Störungen des Herz-Kreislauf-Systems oder des Atmungssystems verursacht sein.
Neurologische Erkrankungen und Polyneuropathie
Auch neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder Polyneuropathie können die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfüllen. Entscheidend sind die Auswirkungen auf das Gehvermögen und nicht die Diagnose selbst. Betroffene müssen sich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb des Kfz bewegen können.
Gesamtwürdigung und Erschöpfungsbild
Die Zuerkennung des Merkzeichens aG setzt eine umfassende versorgungsärztliche Bewertung voraus. Eine starre „Meter-Grenze“ existiert nicht. Entscheidend sind das Erschöpfungsbild, die Notwendigkeit von Pausen und die Gesamtschau aller Beweise (Befunde, Gutachten). Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Regelung über die Anerkennung der Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ ihrem Zweck entsprechend schon immer eng ausgelegt.
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Vergleichsmaßstab
Bei der Frage der Gleichstellung von Behinderten mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss. Als Vergleichsmaßstab dient am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen.
Vorteile des Merkzeichens aG
Parkerleichterungen
Das Merkzeichen aG berechtigt zum Parken auf speziell gekennzeichneten Behindertenparkplätzen. Dies kann die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erheblich erleichtern, da lange und beschwerliche Wege entfallen. Friedbert Johannes, ein 67-jähriger Krebspatient mit Polyneuropathie, profitiert nun von dieser Regelung: „Wenn ich damit dann die Behindertenparkplätze nutzen kann, bin ich unabhängiger und mobiler.“
Kfz-Steuerbefreiung
Mit dem Merkzeichen aG ist in der Regel eine Kfz-Steuerbefreiung verbunden. Dies stellt eine finanzielle Entlastung dar.
Wohnraumanpassung
Inhaber des Merkzeichens aG können in vielen Fällen nachweisen, dass sie eine größere und teurere Wohnung benötigen, da die Fortbewegung im Rollstuhl in engen Wohnräumen oft nicht möglich ist. Barrierefreie Wohnräume sind meist teurer als normale Wohnungen.
Absetzbarkeit der Fahrtkosten
Fahrten zur Arbeit können alternativ zur Entfernungspauschale in tatsächlicher Höhe als außergewöhnliche Belastung steuerlich abgesetzt werden.
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Rechtliche Grundlagen
§ 229 Abs. 3 SGB IX
§ 229 Abs. 3 SGB IX definiert die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Gehbehinderung. Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht und die sich dauerhaft nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeugs bewegen können.
VersMedV (Teil D Nr. 3)
Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) konkretisiert die Anforderungen an eine außergewöhnliche Gehbehinderung. Teil D Nr. 3 legt fest, dass eine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliegt, wenn sich Betroffene nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb des Kfz bewegen können.
BSG-Urteile
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist maßgeblich für die Auslegung der Voraussetzungen des Merkzeichens aG. Das BSG hat die Regelung stets eng ausgelegt, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten und den begrenzten Parkraum denjenigen zukommen zu lassen, die ihn am dringendsten benötigen.
Antragstellung und Verfahren
Antrag beim Versorgungsamt
Der Antrag auf Feststellung des Merkzeichens aG ist beim zuständigen Versorgungsamt (in manchen Bundesländern auch anders benannt) zu stellen.
Erforderliche Unterlagen
Dem Antrag sind aktuelle Befundberichte, Arztbriefe und gegebenenfalls Sachverständigengutachten beizufügen. Bei neurologischen Erkrankungen wie Polyneuropathie sind detaillierte Informationen über die Auswirkungen auf das Gehvermögen besonders wichtig.
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Entscheidung und Rechtsmittel
Die Entscheidung über den Antrag erfolgt nach einer versorgungsärztlichen Gesamtwürdigung. Maßgeblich sind die Auswirkungen auf das Gehvermögen, nicht allein die Diagnose. Bei Ablehnung des Antrags kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden. Anschließend ist gegebenenfalls eine Klage vor dem Sozialgericht möglich.
Fallbeispiel Friedbert Johannes
Ein Beispiel für den erfolgreichen Kampf um das Merkzeichen aG ist der Fall von Friedbert Johannes. Der 67-jährige Saarländer leidet seit Jahren an Krebs und den Folgen der Chemotherapie, insbesondere einer Polyneuropathie, die ihm starke Schmerzen in den Beinen bereitet. Nachdem sein Gesundheitszustand sich weiter verschlechtert hatte und er auch mit Rollator nur noch sehr kurze Strecken zurücklegen konnte, beantragte er das Merkzeichen aG. Nach anfänglicher Ablehnung klagte der VdK Saarbrücken gegen diese Entscheidung und legte dem Sozialgericht dar, dass Friedbert Johannes sich kaum außerhalb seines Autos bewegen kann. Die Klage war erfolgreich, und das Landesamt erkannte schließlich das Merkzeichen „aG“ an.
Das "aG-light" und kommunale Sonderregelungen
Es ist wichtig zu wissen, dass der orangefarbene Parkausweis („aG-light“) kein Ersatz für das Merkzeichen aG ist, sondern eine kommunale Sonderregelung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO darstellt. Das „aG-light“ gewährt kommunale Parkerleichterungen, berechtigt aber nicht zum Parken auf den regulären Behindertenparkplätzen.
Bedeutung des Merkzeichens aG für Menschen mit Polyneuropathie
Für Menschen mit Polyneuropathie, die unter erheblichen Einschränkungen ihrer Gehfähigkeit leiden, kann das Merkzeichen aG eine wichtige Unterstützung sein. Es ermöglicht ihnen, trotz ihrer Erkrankung mobil zu bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Parkerleichterungen erleichtern Arztbesuche und andere notwendige Erledigungen, während die Kfz-Steuerbefreiung eine finanzielle Entlastung darstellt.
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