Mieter mit Demenz: Rechte und Pflichten – Ein umfassender Leitfaden

Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung, die Gedächtnis, Denkvermögen und Emotionen beeinträchtigt. Dies wirft eine Vielzahl von Fragen in Bezug auf die Rechte und Pflichten von Mietern mit Demenz sowie der Vermieter, Angehörigen und Betreuer auf. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Aspekte, die mit Demenz im Mietverhältnis und im Heimbereich verbunden sind, und beleuchtet die verschiedenen Interessenlagen.

Einführung

Die Zahl der Menschen mit Demenz steigt stetig. Nach Schätzungen leben in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Bis zum Jahr 2050 wird diese Zahl voraussichtlich auf 2,8 Millionen ansteigen. Diese Entwicklung stellt nicht nur die Betroffenen und ihre Angehörigen, sondern auch Vermieter, Pflegeheime und die Gesellschaft insgesamt vor große Herausforderungen. Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte im Zusammenhang mit den Rechten und Pflichten von Mietern mit Demenz beleuchtet.

Kündigungsschutz für Mieter mit Demenz

Einem Mieter mit Demenz kann die Wohnung nicht so einfach gekündigt werden wie einem gesunden Mieter. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Gerichte die Pflicht haben, die genauen Folgen eines Umzugs für die Betroffenen abzuwägen. Im Streit um die Räumung einer Mietwohnung müssen Gerichte gesundheitliche Einwände der Mieter besonders ernst nehmen.

Härtefallprüfung durch Gerichte

In einem konkreten Fall hatte ein badisches Ehepaar gegen eine Eigenbedarfskündigung Widerspruch eingelegt und unzumutbare Härten geltend gemacht, da der 87-jährige Mann an beginnender Demenz litt. Die Befürchtung war, dass sich sein Zustand durch einen Umzug in eine ungewohnte Umgebung deutlich verschlechtern würde und möglicherweise nur noch ein Umzug in ein Heim bliebe. Der BGH hob die Urteile der Vorinstanzen auf, da diese es versäumt hatten, sich "ein in die Tiefe gehendes eigenständiges Bild" von der Situation der Mieter und den Folgen eines Umzugs zu machen. Gerichte müssen laut BGH in möglichen Härtefällen ausdrücklich abwägen, ob im Einzelfall die Belange der Mieter Vorrang vor denen des Vermieters haben. Dies gilt "gerade bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr".

Räumungsunfähigkeit aufgrund von Demenz

Das Landgericht hat im Fall des Beklagten Beweis erhoben durch ein Gutachten des Sachverständigen I. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Demenzerkrankung des Beklagten Räumungsunfähigkeit gegeben ist, wegen derer das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen ist.

Lesen Sie auch: Demenz und Mietrecht: Wann ist eine Kündigung möglich?

Kündigung von Heimverträgen bei Demenz

Auch im Bereich der stationären Pflege gibt es besondere Regelungen zum Kündigungsschutz. Ein Heimplatz in einem Seniorenheim kann gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 WBVG (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz) nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Fallbeispiel: Verhaltensauffälligkeiten und Kündigung

In einem Fall vor dem Oberlandesgericht Oldenburg hatte ein Pflegeheim den Heimvertrag mit einer an Demenz erkrankten Bewohnerin gekündigt. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Bewohnerin seit einer neuen Medikation mit ihrem Verhalten den Heimfrieden erheblich störe. Ihr wurde vorgeworfen, gegen den Willen anderer Bewohner in deren Zimmer zu gehen, ständig herumzulaufen, auch nachts, Fenster in den Bewohnerzimmern zu öffnen und zu schließen sowie während der Intimpflege männlicher Bewohner im Heimzimmer diese zu betreten und zuzuschauen. Zudem sei die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme problematisch und die Bewohnerin zeige aggressives Verhalten gegen Mitbewohner und Pflegekräfte.

Das Oberlandesgericht Oldenburg bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Oldenburg und wies die Berufung ab. Ein Räumungsanspruch bestehe nicht, da kein wichtiger Grund zur Kündigung des Heimvertrages gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) vorliege. Die Fortführung des Heimvertrags sei dem Pflegeheimbetreiber im Rahmen einer Interessenabwägung zumutbar.

Interessenabwägung und Zumutbarkeit

Das Gericht berücksichtigte, dass dem Pflegeheimbetreiber die Demenz der Beklagten bereits bei Abschluss des Heimvertrages bekannt gewesen war und dass die Klägerin auch eine eigene Demenzabteilung vorhalte, bei der es sich um einen geschützten Bereich für Demenzkranke handele und sie dort entsprechend geschultes Personal einsetze. Verhaltensauffälligkeiten seien nach allgemeiner Lebenserfahrung normal und von der Heimbetreiberin hinzunehmen. Die Grenze zur Zumutbarkeit sei im Falle einer sexuellen Belästigung wehrloser Mitbewohner überschritten und könne dann ein Kündigungsgrund sein. Der Besuch im Heimbewohnerzimmer während der Intimpflege sei aber nicht als sexuelle Belästigung zu werten, da es an dem hierfür erforderlichen Körperkontakt gefehlt habe. Soweit es zu einem aggressiven Verhalten der Beklagten gekommen ist, sei auch hier zu berücksichtigen, dass aggressive Verhaltensauffälligkeiten nicht untypische Erscheinungen einer Demenzerkrankung seien.

Bedeutung für die Praxis

Diese Entscheidung zeigt, dass Demenzerkrankungen nicht nur pflegende Angehörige belasten, sondern selbst Pflegeheimbetreiber vor erhebliche Herausforderungen stellen, den „Heimfrieden“ aufrechtzuerhalten. Die Rechtsprechung macht aber auch deutlich, dass der Pflegeheimbetreiber nicht jegliches auffällige Verhalten eines Heimbewohners hinnehmen muss. Er hat Fürsorge- und Schutzpflichten auch gegenüber den Heimbewohnern und Arbeitnehmern. Insbesondere sexuelle Belästigungen stellen eine „rote Linie“ dar und können einen Kündigungsgrund darstellen. Pflegeheimbetreiber tun gut daran, ihre Arbeitnehmer, vor allem die Pflegedienstleitungen zu schulen und dahingehend zu sensibilisieren, Vorfälle zu melden. Hierbei kommt auch der Pflegedokumentation und deren Auswertung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eine entscheidende Bedeutung zu.

Lesen Sie auch: Fortgeschrittene Demenz: Ein umfassender Überblick

Aufsichtspflicht bei Demenz

Die Aufsichtspflicht bei Demenz ist ein zentrales Thema, da Demenzpatienten oft nicht mehr in der Lage sind, eigenständig zu handeln oder ihre Versorgung selbst zu gewährleisten. Sie benötigen ständige Unterstützung und Hilfe von anderen Personen.

Definition und Träger der Aufsichtspflicht

Aufsichtspflicht ist die gesetzlich verankerte Verpflichtung, die Aufsicht und Betreuung einer anderen Person zu gewährleisten. Diese Verpflichtung umfasst sowohl die Sicherheit der betreffenden Person als auch ihr allgemeines Wohlbefinden. Grundsätzlich tragen die Angehörigen die gesetzliche Aufsichtspflicht für demenzerkrankte Personen. Wenn dies jedoch nicht möglich ist, kann das Betreuungsgericht eine gesetzliche Betreuung anordnen oder die Aufsichtspflicht wird an ein Pflegeheim delegiert.

Gesetzliche Betreuung

Wenn Menschen mit Demenz aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, ihre rechtlichen Angelegenheiten selbst zu regeln, kann das Betreuungsgericht eine gesetzliche Betreuung anordnen. Der Betreuer hat die Angelegenheiten so zu besorgen, dass der Betreute im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben nach seinen Wünschen gestalten kann. Eine Betreuung kann von Familienangehörigen, Ärzten oder Sozialdiensten angeregt werden. Das Gericht holt dazu in der Regel ein ärztliches Gutachten über die Notwendigkeit, den Umfang und die Dauer der Betreuung ein. Auch der Betroffene selbst wird angehört. Der Betreuer steht unter Aufsicht des Betreuungsgerichts und muss regelmäßig Bericht erstatten. Er haftet grundsätzlich nicht für Schäden, die durch den Betreuten entstehen. Insgesamt gilt bei der rechtlichen Betreuung von Demenzkranken der Grundsatz: So viel Selbstbestimmung wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig.

Verantwortlichkeiten im Pflegeheim

Sollte die demenzerkrankte Person in einem Pflegeheim untergebracht sein, so obliegt es der Verantwortlichkeit des Pflegeheims, die Betreuung des Patienten sicherzustellen. Dies umfasst sowohl die Tagesstrukturierung als auch die medizinische Versorgung sowie die Aufsichtspflicht. Insbesondere die Gewährleistung der Sicherheit der Untergebrachten ist bei Pflegeheimen ein wichtiges Thema.

Einfluss des Schweregrads der Demenz

Der Umfang der Aufsichtspflicht hängt vom Stadium der Demenz ab. In einem frühen Stadium der Erkrankung erfährt die erkrankte Person dementsprechend noch nicht so viele Einschränkungen, wie es in einem späteren Zeitpunkt der Erkrankung der Fall ist.

Lesen Sie auch: Wechselwirkungen zwischen Schmerzmitteln und Demenz

Rechtliche Grundlagen und Haftungsfragen

Bei der Aufsichtspflicht von demenzkranken Personen kommen unterschiedliche Gesetze zur Anwendung. Zu den relevantesten Gesetzen gehören sowohl das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Form des § 276 als auch das elfte Sozialgesetzbuch (SGB XI) nebst dem Heimgesetz sowie den allgemeinen Pflegeleitlinien. Der Gesetzgeber sagt, dass demenzerkrankte Personen für ihr Handeln nicht in die Haftung genommen werden können, wenn die Krankheit die betroffene Person bereits in einem Umfang einschränkt, dass sie aufgrund dieses Umstandes die Kontrolle über das eigene Handeln nicht behalten respektive die Handlungsfolgen verstehen konnten. Ist dies der Fall, so geht die Haftung auf die aufsichtshabende Person über.

Der Aufsichtspflichtige haftet nach § 832 BGB für Schäden, die durch sein Verschulden, also die Verletzung der Aufsichtspflicht, entstanden sind. Dabei wird das Verschulden vermutet. Der Umfang der Aufsichtspflicht richtet sich nach der Eigenart, der Schwere und den Besonderheiten der Demenzerkrankung im Einzelfall. Eine ständige Überwachung ist nicht erforderlich und mit dem Schutz der Intimsphäre abzuwägen.

Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung

Durch die Vorsorgevollmacht respektive Betreuungsvollmacht hat der Gesetzgeber in Deutschland wichtige Instrumente gesetzlich verankert, mit denen betroffene Personen ihre Interessen sowie Wünsche vorab festlegen können. Kommt es zu einer Demenzerkrankung, so übernimmt die im Zuge der Vorsorgevollmacht festgelegte Vertrauensperson die Betreuung der rechtlichen Angelegenheiten von der erkrankten Person. Die Aufsichtspflicht bei Demenz ist eine Aufgabe, die eine Person vollumfänglich in Beschlag nimmt. Der Umfang darf nicht unterschätzt werden, da die demenzerkrankte Person sich ihrer Umwelt und ihrer eigenen Handlungen nicht mehr bewusst ist.

Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Ab dem 1. Januar 2023 gelten die neuen Regelungen des reformierten Betreuungsrechts. Es hebt stärker als bisher das Recht auf Selbstbestimmung der betreuten Person hervor. Der gerichtlich bestellte Betreuer oder die gerichtlich bestellte Betreuerin hat vielmehr eine Unterstützungsfunktion. Diese Funktion verpflichtet, der betreuten Person die Besorgung ihrer Angelegenheiten durch eigenes, selbstbestimmtes Handeln zu ermöglichen. Wird die Selbstbestimmung der betreuten Person eingeschränkt beziehungsweise nicht ausreichend berücksichtigt, können Pflichtverletzungen der Betreuungsperson besser erkannt und sanktioniert werden.

Notvertretungsrecht für Ehegatten

Das Notvertretungsrecht ermöglicht es Ehegatten, in Not- und Akutsituationen vorübergehend, also zeitlich begrenzt, auch ohne Vollmacht den durch Unfall oder Krankheit handlungsunfähigen Ehegatten zu vertreten. Dieses Notvertretungsrecht beschränkt sich ausschließlich auf Entscheidungen, die die Gesundheitssorge und damit eng zusammenhängende Angelegenheiten betreffen. Es ist also keine vollumfängliche Vertretung des Betroffenen vorgesehen.

Betreuungsmöglichkeiten

Grundsätzlich haben Menschen mit Demenz mehrere Möglichkeiten, Vertrauenspersonen vorsorglich mit der Regelung ihrer Angelegenheiten zu betrauen beziehungsweise ihre Wünsche für verbindlich festzuhalten:

  • Sie können eine Vorsorgevollmacht für eine oder mehrere Vertrauenspersonen ausstellen. Zum Zeitpunkt der Abfassung müssen sie aber noch voll geschäftsfähig sein.
  • Oder sie können eine Betreuungsverfügung verfassen, in der sie für den Fall einer späteren, vom Betreuungsgericht geregelten rechtlichen Betreuung ihre Wünsche festhalten. Für eine Betreuungsverfügung müssen Menschen mit Demenz nicht mehr geschäftsfähig sein.
  • Eine gesetzliche Betreuung kann beim zuständigen Betreuungsgericht angeregt werden. Bevor der Richter darüber entscheidet, wird ein psychiatrisches Gutachten erstellt und der Richter führt ein persönliches Gespräch mit der betroffenen Person in derer gewohnter Umgebung.

Geschäftsunfähigkeit bei Demenz

Geschäftsunfähigkeit ist ein rechtlicher Begriff, der beschreibt, dass eine Person aufgrund ihres geistigen Zustands oder ihres Alters nicht in der Lage ist, rechtlich bindende Verträge oder Geschäfte selbstständig abzuschließen. Geschäfte, die von geschäftsunfähigen Personen getätigt werden, sind grundsätzlich nichtig.

Vorsorgedokumente und ihre Bedeutung

Liegen Vorsorgedokumente vor, in denen die betroffene Person selbstbestimmt geregelt hat, wer sie im Falle einer Demenzerkrankung vertreten soll, ist dies der Idealfall. Denn die Diagnose Demenz geht langfristig mit einer Einschränkung der Entscheidungs- und Geschäftsfähigkeit einher. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es jedoch möglich, eine Vorsorgevollmacht bei bestehender Demenz auszustellen.

Patientenverfügung

Die Patientenverfügung ist ein Vorsorgedokument, das im späteren Stadium einer Demenzerkrankung sehr wichtig werden kann. Die Demenz beeinträchtigt mit der Zeit die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen und eigene Wünsche zu äußern. In späteren Stadien der Erkrankung können Betroffene oft nicht mehr klar kommunizieren, welche medizinischen Behandlungen sie wünschen oder ablehnen.

Umgang mit dem Willen von Demenzerkrankten

Im Umgang mit Demenzerkrankten ist es wichtig, ihren aktuellen Willen zu verstehen und die Selbstbestimmung trotz Demenz zu respektieren. Selbst wenn die Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt ist, sollten die Wünsche und Bedürfnisse erfasst werden. Dies kann beispielsweise durch Körpersprache, Mimik oder Verhaltensänderungen geschehen. Menschen mit Demenz sind oft noch lange in der Lage, in bestimmten Lebensbereichen eigene Entscheidungen zu treffen. Solange sich der Betroffene damit nicht selbst schadet, ist seine Entscheidung zu respektieren.

Weitere Rechte und Pflichten

Neben den bereits genannten Aspekten gibt es weitere Rechte und Pflichten, die im Zusammenhang mit Demenz relevant sind:

  • Wahlrecht: Das Wählen ist ein grundlegendes Bürgerrecht, das auch bei einer Demenzerkrankung bestehen bleibt. Es kann nicht auf andere Personen übertragen werden.
  • Bankgeschäfte: Solange Demenzerkrankte voll geschäftsfähig sind, können sie frei über ihr Geld verfügen und alle Bankgeschäfte selbstständig erledigen. Sobald die Geschäftsfähigkeit aufgrund der Demenz nicht mehr gegeben ist, wird in der Regel ein rechtlicher Betreuer bestellt. Dieser regelt die finanziellen Angelegenheiten im Sinne des Betroffenen.
  • Autofahren: Das Thema Autofahren im Zusammenhang mit Demenz ist anspruchsvoll und muss äußerst sensibel angegangen werden. Bei fortgeschrittener Demenz kann der Führerschein von der Straßenverkehrsbehörde nach Anlage 4a der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) entzogen werden.
  • Recht auf Verwahrlosung: Der Demenzerkrankte hat ein Recht auf Verwahrlosung und kann bis zu einem gewissen Grad selbst entscheiden, wie er Hygiene und Ordnung in seinem eigenen Leben handhabt.
  • Unterhaltspflicht: Angehörige können auch zur Finanzierung der Pflege herangezogen werden. Die Frage des Elternunterhalts stellt sich häufig dann, wenn der Vater oder die Mutter mit Demenz in einem Pflegeheim untergebracht wird.

tags: #Mieter #Demenz #Rechte #Pflichten