Migräne ist eine komplexe neurologische Erkrankung, von der weltweit Millionen Menschen betroffen sind. Sie äußert sich durch anfallsartige, starke Kopfschmerzen, die von Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet werden können. Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat entscheidende Erkenntnisse über die genetischen Grundlagen und die neurobiologischen Prozesse bei Migräne erbracht. Trotzdem sind die genauen Ursachen und Wirkmechanismen noch nicht vollständig geklärt.
Was ist Migräne?
Migräne ist mehr als nur ein starker Kopfschmerz. Es handelt sich um eine neurologische Erkrankung, die sich durch wiederkehrende, anfallsartige Kopfschmerzen äußert, die Stunden bis Tage andauern können. Die Schmerzen sind oft pulsierend, pochend oder stechend und treten häufig einseitig auf. Viele Betroffene leiden zusätzlich unter Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit.
Ursachen und Auslöser
Die genauen Ursachen der Migräne sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine genetische Veranlagung in Kombination mit verschiedenen Auslösern (Triggern) eine Migräneattacke verursachen kann.
Häufige Trigger sind:
- Stress und starke Emotionen
- Hormonelle Veränderungen (z.B. Menstruationszyklus, hormonelle Verhütungsmittel)
- Unregelmäßiges Essen und Auslassen von Mahlzeiten
- Bestimmte Lebensmittel (z.B. Käse, Rotwein)
- Wetterveränderungen
- Unregelmäßiger Schlaf
- Äußere Reize (z.B. helles Licht, Lärm, Gerüche)
- Bestimmte Medikamente
Ablauf einer Migräneattacke
Eine Migräneattacke kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden:
- Vorbotenphase (Prodromalstadium): Unverkennbare Vorboten kündigen die Attacke an. Dazu gehören Heißhunger, häufiges Gähnen, Reizbarkeit oder Euphorie.
- Aura: Etwa 15 Prozent der Betroffenen erleben eine Aura, die sich durch neurologische Symptome wie Sehstörungen (z.B. Lichtblitze, Wellenlinien, blinde Flecken), Schwindel, Schwächegefühl, Hörprobleme, Empfindungs- oder Sprechstörungen äußert.
- Schmerzphase: Typisch sind starke, einseitige Kopfschmerzen, die als pulsierend, pochend oder stechend empfunden werden. Begleitsymptome sind Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit.
- Rückbildungsphase (Erholungsphase): Die Kopfschmerzen klingen allmählich ab, oft begleitet von Müdigkeit und einem erhöhten Schlafbedürfnis.
Migräne im Gehirn: Die Rolle der neuronalen Prozesse
Die Forschung hat gezeigt, dass während einer Migräneattacke komplexe neuronale Prozesse im Gehirn ablaufen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die kortikale Streudepolarisation (CSD).
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Kortikale Streudepolarisation (CSD)
Die CSD ist eine sich langsam über die Hirnrinde ausbreitende Welle von Nervenerregung. Dabei "feuern" große Mengen an Nervenzellen gleichzeitig, was einen hohen Energieverbrauch zur Folge hat. Nach dieser Erregungsphase kommt es zu einer vorübergehenden Verminderung der Aktivität der Synapsen und einer Minderversorgung des Gehirngewebes mit Sauerstoff.
Ablauf der CSD:
- Depolarisation: Zu Beginn einer Aura findet eine veränderte Depolarisation der Nervenzellen statt, die extrem langsam abläuft. Die Zellen kehren nicht sofort in den Ruhezustand zurück, sondern bleiben länger in ihrem angeregten Zustand.
- Streudepolarisation ("spreading depression"): Die veränderte Depolarisation breitet sich über eine relativ große Fläche in der Hirnrinde aus.
- Gefäßreaktion: Als Folge der Depolarisation weiten sich die Blutgefäße im Gehirn, die Durchblutung wird schlechter.
Es wird vermutet, dass die CSD eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Migräneaura spielt. Die Nervenerregung kann zu visuellen, sensorischen oder motorischen Störungen führen. Außerdem werden bei der CSD Botenstoffe freigesetzt, die das Schmerzempfinden beeinflussen können.
Rolle von Serotonin
Der Botenstoff Serotonin reguliert unsere Emotionen und wirkt hemmend auf Aggression, Angst und Traurigkeit. Ein zu niedriger Serotoningehalt im Gehirn führt dazu, dass die Zellen leichter und stärker erregbar sind. Dies könnte die Entstehung von Migräneattacken begünstigen.
Beteiligung der Hirnhäute
Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass die sensorischen Innervierungen der Hirnhäute eine wichtige Rolle beim Schmerzgeschehen spielen. Man vermutet, dass bei Migränepatienten genau diese Hirnhaut-Nerven eine besonders hohe Aktivität aufweisen.
Hypererregbarkeit der Nervenzellen
Die Wissenschaft ist sich einig darüber, dass die Nervenzellen in der Hirnrinde von Migränepatienten besonders leicht erregbar sind und eine gesteigerte Reizverarbeitung besitzen. Diese sogenannte Hypererregbarkeit wurde in zahlreichen Untersuchungen beschrieben.
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Verbindung zwischen Aura und Schmerzphase
Der oftmals enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Migräneaura und dem Beginn der eigentlichen Migräneattacke führte Wissenschaftler bereits vor beinahe 40 Jahren zu der Annahme, dass es eine enge Verbindung zwischen Aura- und Schmerzphasen geben müsse. Heute geht man davon aus, dass die Aura der Phase der wellenartigen Nervenerregung im Vorfeld der Migräneattacke zuzuordnen ist.
Während der Erregungswelle in der Hirnrinde kommt es zur Freisetzung unzähliger Botenstoffe aus den Zellen des Hirngewebes. Darunter sind etliche Substanzen, die das Schmerzempfinden beeinflussen können. Eine Forschungshypothese geht davon aus, dass diese sogenannten Mediatoren aus dem Gewebe in Richtung der Hirnhäute in den betroffenen Regionen diffundieren. Dort lösen sie an nahegelegenen Nervenendigungen eine Schmerzwahrnehmung aus. Die Nerven ihrerseits reagieren mit der Sezernierung von entzündungsfördernden Stoffen, wodurch sogenannte neurogene Entzündungen verursacht werden.
Aktuelle Forschung und Therapieansätze
Die Migräneforschung hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Es wurden neue Medikamente und Therapieansätze entwickelt, die die Lebensqualität von Migränepatienten deutlich verbessern können.
Akuttherapie
- NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika): Bei leichten bis mittelschweren Migräneattacken können NSAR wie Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure (ASS) eingesetzt werden.
- Triptane: Bei mittelschweren bis schweren Attacken sind Triptane die Substanzen mit der besten Wirksamkeit. Sie wirken, indem sie Entzündungsvorgänge im Gehirn hemmen, erweiterte Blutgefäße verengen und die Schmerzausbreitung unterdrücken.
Migräneprophylaxe
Eine Migräneprophylaxe ist sinnvoll, wenn die Migräneattacken häufig auftreten und die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
Medikamentöse Prophylaxe:
- Betablocker
- Antidepressiva
- Antiepileptika
- CGRP-Antikörper: Diese neue Klasse von Medikamenten richtet sich gegen das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), ein Molekül, das an der Entstehung von Migräneattacken beteiligt ist.
Nicht-medikamentöse Prophylaxe:
- Entspannungsverfahren (z.B. progressive Muskelentspannung, Autogenes Training)
- Ausdauersport (z.B. Radfahren, Schwimmen, Laufen)
- Regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus und regelmäßige Mahlzeiten
- Vermeidung von Triggern
Bedeutung eines Kopfschmerztagebuchs
Ein Kopfschmerztagebuch kann helfen, die persönlichen Trigger zu identifizieren und den Verlauf der Migräneattacken zu dokumentieren. Dies erleichtert die Diagnose und die Entwicklung einer individuellen Therapie.
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